Dem Sergeanten stieg das Blnt in den Kopf, er nestelte mecha- nisch mit seiner freien Hand am Waffenrock. Offenbar war er sich klar, daß irgend etwas Feindliches gegen ihn im Kommen sei, aber sein wenig geübtes Gehirn konnte, die ganze Situation noch nicht übersehen. Wie um Zeit zu gewinnen, fragte er noch einmal, und in seiner Frage lag es wie eine rauhe Bitte, daß die Antwortja" lauten möge: Füsilier Schocke, sind Sie krank?" Nein, Herr Sergeant." Nun kam es langsam, zögernd, gewissermaßen noch einmal alles zusammenfassend: Sic haben das Kommando gehört und wollen nicht über. nehmen?!" Jawohl, Herr Sergeant." Es war ganz still, fast zu still. Irgendwo im dritten Stock klappte ein Fenster, und dann war es Wieoer still. Auch der Leut- nant, den sein Spaziergang vielleicht dreißig Schritte abgeführt hatte, drehte sich plötzlich um, als habe er ein körperliches Gefühl, daß diese Stille tucht die übliche Pause imRührt euch" sein könne. Und immer noch stand der Füsilier Schocke unbeweglich, Gewehr bei Fuß, da und starrte den Sergeanten cm. Diesem konnte man anmerken, wie fieberhaft sein Gehirn ar- beitete; seine Backen waren bald fahl, bald rot, seine Augen waren einen Moment halb fragend die Reihe der Soldaten langgeirrt und bohrten sich dann sofort wieder in die seines Gegenüber. Alles das spielte sich in wenigen Sekunden ab, dann hatte der Sergeant offenbar sein Gleichgewicht wiedergefunden. Gehorsamsverweigerung vor versammelter Mannschaft, das soll Ihnen teuer zu stehen kommen, Freundchen," knirschte er zwischen den Zähnen.Ihr anderen nehmt das Gewehr ab," rief er uns zu, ohne in der Aufregung das vorschriftsmäßige Kommando zu geben. Jetzt war auch der Leutnant herangekommen. Auch ihm merkte man eine gewisse Erregung an; auf seinem hübschen jungen Gesicht kämpfte offenbar die Freude, bei einer so wichtigen Sache Haupt- Person zu sein, mit dem Gedanken an die vielen Scherereien und Protokolle, die ihm die Sache voraussichtlich bringen würde. In diesem Augenblick hatte aber der Vorfall, wie ich sofort er- kannte, seinen psychologischen Höhepunkt schon überschritten. Was nun noch folgte, war eine brutale äußere Handlung, nicht mehr. Der Leutnant ließ die übrige Mannschaft wegtreten, und wäh- rend wir uns an der Kasernentür drängten, brachten vier Soldaten von der Wache den Füsilier, der ruhig sein Gewehr abgegeben hatte, ins Arrestlokal. Ich habe den Füsilier Schocke nicht wiedergesehen. Er wurde schon am nächsten Morgen nach dem Sitz der Division übergeführt. Die kriegsgerichtliche Verhandlung habe ich nicht miterlebt. Bei der Klarheit des Falles, und da der Angeklagte nicht leugnete, hatte man sich damit begnügt, außer den beiden Vorgesetzten zwei Gefreite als Zeugen zu laden. Irgendwelche Motive für seinen Ungehor- {am vermochte der Angeklagte nicht anzugeben. Er behauptete, im lugenblick des Kommandos hätte ihn eine innere Macht gehindert, den Befehl auszuführen, auch die Antworten deren Wortlaut er unumwunden zugab behauptete er nicht bewußt gegeben zu haben, sondern sie mechanisch, ohne sich über ihren Sinn klar zu werden, einer inneren Stimme nachgesprochen zu haben. Das wurde ihm natürlich nicht geglaubt und da die Frage, ob eine zeitweilige Geistesstörung vorliegen könnte, von den medi- zinischen Sachverständigen einstimmig verneint war wurde der Füsilier Schocke wegen Gehorsamsoerweigerung und Achtungsver« letzung swelche in seiner letzten Antwort gefunden wurde) zu einem Jahre Festung verurteilt. Er hat diese Strafe auch voll abgesessen und später die wenigen Wochen, die er nachzudienen hatte, bei einem anderen Infanterieregiment abgemacht. Sonst habe ich nichts mehr über ihn gehört. «Schluß folgt. Vie Sntftebung der Geifter- und GöttcrvorftcUun�en/) Von Heinrich C u n o w. Karl von Steinen , der bekannte Ethnologe und Forschungs- reisende, erzählt in seinem Werke:Unter den Naturvölkern Zentralbrasiliens", daß, als er mit den Bakairi über den Satz ") Unter dem TitelUrsprung der Religion und des Gottesglaubens" vereinigt H. C u n o w einige er- »eiterte und ergänzte Aufsätze, die früher in derNeuen Zeit" er- schienen waren.(Verlag der Buchhandlung Vorwärts, Preis geh. 1,30 M., geb. 2 M.) Der Verfasser, der besonders das völkerkund- liche Material stark heranzieht, um die Gesetzmäßigkeit der Reli- gionSentwickelung zu eriveisen, behandelt in leichtverständlicher Form: die neuere Religionsforschung, die Entstehung der Geister- und Göttervorstellungen(ein Kapitel, das wir in gekürzter Form abdrucken), die Anfänge des Geisterkults, Totemismus und Ahnen- kult, Weltschöpfung, Himmel und Hölle, Ahnenvergötterung, vom Ahnenkult zum Naturkult, sowie einige Themen aus der altindischen Religionsgeschichte. Jedermann muß sterben" sprach, sie dessen Richtigkeit bestritten. Wohl meinten sie, der Mensch könne sterben; aber von einem Müssen" wollten sie nichts wissen. Der Ausspruch erschien ihnen ebenso anfechtbar wie uns etwa der Satz:Alle Menschen müssen ermordet werden."Da lernte ich denn zum ersten Male", erklärt verwundert Karl von den Steinen ,der Bakairi kennt kein Müssen; er ist noch nicht dazu gelangt, aus einer Reihe immer gleichförmig wiederkehrender Erscheinungen die allgemeine Notwendigkeit ab- zuleiten: ganz besonders versteht er aber auch gar nicht, daß der Mensch sterben mutz." Was Karl von den Steinen so seltsam bei den Bakairi am Kulisehu und Batovh(Quellflüsse des Schingu) erschien, findet sich bei allen sogenannten Naturvölkern, selbst bei solchen, die, wie die Melanesier und Polynesier, bereits eine relativ hohe Entwickelungs- stufe erreicht haben. Daß der Mensch sterben kann, diese Erfahrung besitzen sie; daß er sterben muß, daß der Tod der gesetzmäßige, notwendige Abschluß allen Lebens ist, verstehen sie nicht. Und aus der Art ihres Denkens wie aus ihrem Erfahrungskreis heraus ist das ganz begreiflich. Der Wilde führt im wesentlichen ein eng be« grenztes, einfaches Reflexleben; Reiz und Handlung stehen in un- mittelbarer Verknüpfung miteinander. Sein Denken geht über sein sinnliches Material kaum hinaus. Deshalb hat er auch keine Vor» stcllung von allgemeinen, abgeleiteten, von gesetzmäßigen Tatsachen, denn um eine' allgemeine gesetzmäßige Wahrheit zu erkennen, müssen zahlreiche und mannigfaltige Einzelerscheinungen zu einer all» gemeinen Idee zusammengefaßt und bei dieser Zusammenfassung nur bestimmte gleiche Eigenheiten und Beziehungen dieser Er- scheinungen berücksichtigt, die anderen hingegen nicht berücksichtigt werden. Der Naturmensch denkt, wenn man so sagen darf, rein intuitiv, aus seinem sinnlichen Anschauungskreis heraus. Anders als wir sieht deshalb der Wilde, z. B. der Austraineger, den Tod. Wir leben in großen Gemeinden, in denen Sterbefälle häufig sind. Auf Kirchhöfen finden wir die Gestorbenen zu Hunderten und Tausenden nebeneinander gebettet, und unsere Geschichtserzählun- gen berichten von Millionen, die im Laufe von unzähligen Genera- tioncn gestorben sind, während uns zugleich eine aus den Ersah- rungen langer Zeitalter gewonnene Erkenntnis lehrt:Alles, was lebt, vergeht!", Dem Australneger fehlt dieser ganze Erfahrungskomplex. Er weiß wohl, daß schon in seiner kleinen Horde, und auch in anderen, manche Personen gestorben sind; aber wie viele und seit wie lange, darüber hat er kein Urteil; kann er doch meist nur bis zehn, selten bis zivanzig zählen, und von einer Zeitrechnung nach Jahren, Jahrzehnten, Jahrhunderten weiß er nichts. Vielleicht hat er seine Großeltern noch gekannt; doch was weiter zurückliegt, das gilt ihm einfach, ohne daß er irgendwie die Zeiträume näher unterscheidet» als sehr, sehr lange her. Und in der kleinen Horde von vierzig, fünfzig Personen, in der sich sein Leben abspielt, stirbt nur ver- hältnismäßig selten jemand. Der Tod ist keine alltägliche Erschei- nung, und wenn jemand stirbt, dann fällt er meist im Kampfe oder er' verscheidet an irgendwelchen auf der Jagd oder dem Marsche erlittenen Verletzungen. Der Tod infolge Altersschwäche ist etwas Ungewöhnliches. So ist denn dem Australneger, wenn er auch den inneren Zu- sammcnhang nicht begreift, wohl verständlich, d»ß jemand an einer Verletzung stirbt; denn daß von Speeren Getroffene oder mit Keulen Niedergeschlagene ihr Leben aushauchen, hat er öfters ge- sehen. Auch die Tiere, die er jagt, enden ja auf diese Weise. Doch daß der Tod auch durch natürliche Auflösung eintreten kann, ohne blutende Wunden, das versteht er nicht. Es fehlt nach seiner Ansicht jegliche Todesursache, und da er diese nicht erkennt, so sucht er nach einer ihm verborgenen übersinnlichen Ursache, das heißt: er führt den natürlichen Tod auf einen Eingriff irgendwelcher un- bekannter Einflüsse, auf Zauberei zurück. In Anerkennung dieser Tatsache sagt zutreffend John Fräser über die eingeborene Bevölkerung der australischen Kolonie Neu, südwales : Wenn ein Eingeborener im Gefecht getötet oder so schwer ver- wundet wird, daß er stirbt, wenn er durch einen herabfallenden Baumast erschlagen oder durch ein anderes sichtbares Ereignis getötet wird, so wundern sich seine Genossen nicht, denn die Ursache des TodeS ist deutlich zu erkennen. Aber ganz etwas anderes ist es. wenn jemand ohne solchen erkennbaren Grund erkrankt und stirbt. In diesem Fall wird stets als Ursache seines Todes die geheime Bosheit eines bösen Geistes, eines verschlagenen Zauberers oder Hexemneisters angenommen, der entweder auf eigene Hand oder auf Wunsch anderer dem Kranken durch Zauberkünste irgend etwas in seinen Körper hineingebracht hat, das ihn dahinsiechen und sterben läßt. Nach dem allgemein verbreiteten festen Glauben unserer Eingeborenen stirbt ein Mensch nicht, weil seine Lebens- Maschine abgenutzt ist, sondern weil er von irgendeinem Feind be- hext worden ist." Wie aber entsteht der Tod? Der Wilde sieht beim Menschen wie bei dem erlegten Jagdticr, daß der bisher bewegliche, belebte Körper, wenn das Ivarme Blut abfließt und die Atmung aufhört, starr und kalt wird bewegungslos. Er schließt entsprechend seiner sinnlichen Anschauung daraus, daß mit dem Blute oder dem Atem das, Ivos bisher den Körper bewegte, aus dem Körper ent» wichen, das heißt herausgefahren'ist. Wo ist nun aber dieses Leben?