Anterhaltungsblatt des Honvärts Nr. 147. Donnerstag, den 31. Juli 1913 71 Sin 1>Iann. Von Camille Lemonnier . Einige Monate vergingen. Die Türen und Fenster in dem kleinen Häuschen blieben so fest geschlossen wie in früherer Zeit. Hier hatte der Tod nicht das Leben zu er- höhen vermocht. Bloß die Kleine, nicht mehr von der Väter- lichen Strenge niedergedrückt, begann nach Kinderart laut zu werden. Die Sonne konnte im Garten ihre blühenden Bäckchen mit den bunten Schmetterlingen zwischen den Blumenbeeten um die Wette gaukeln und bisweilen, glüh- rot vom Eifer des Spieles, unter dem buschigen Pelz der hohen Gräser verschwinden sehen. Mit einem Male begann sich in ihrer Umgebuna eine große Wandlung zu vollziehen. Sie sah jetzt öfters einen großgewachsenen Mann in der Nische beim Herde sitzen, an- fangs seltener, später immer häufiger und für längere Zeit. Und eines Tages hob sie dieser Mann zu seinem Munde empor und sprach: „Germaine wird jetzt unser Kind sein." Dann wurde sie auf einen großen Pachthof gebracht, wo sie inmitten einer geräuschvollen Umgebung aufwuchs. Ihre Mutter hatte ihr gesagt:„Du wirst diesen Herrn wie Deinen Vater lieben." Und allmählich ward ihr klar, daß ihre Mutter wieder geheiratet habe. Schon seit langem hatte Hulotte für die schöne stille Frau ein warmes Gefühl empfimden, während er selbst all die Bitternisse einer schlecht zusammensfimmenden Ehe an sich erfahren mußte: daher war er herzlich froh, daß er sie frei fand, als er mit seinem achtzehnjährigen Jungen als Witwer zurückgeblieben war. So kam Madcleine auf seinen Hof und setzte mit ihrem um fünfzehn Jahre älteren zweiten Gatten dasselbe geregelte, pflichtgetreue Leben fort, das sie an Seite ihres ersten Mannes geführt hatte. Sie hatten zwei Söhne miteinander, und nichts störte ihr gutes Einvernehmen bis zu dem fiirchterlichen Tage, da Madeleine einer bösartigen inneren Entzündung erlag. Nun waren seither bereits drei Jahre vergangen, allein der Bauer war total gebrochen. Mit jeder wechselnden Jahreszeit ließ er ein wenig mehr von seinen geschäftlichen Sorgen auf die Schultern seines Aeltesten, W a r n a n t. gleiten und überließ Germaine die Aufsicht der Ställe, des Geflügelhofes und des Hauses. Sie hatte die herbe Zurückhaltung und Verschlossenheit ihrer Mutter geerbt und deren gleichmäßige, ruhige, inner- liche Stärke: von ihrem Vater hatte sie die Energie und Ent- schlossenheit und seine nach außen hin schroff ablehnende Hal- tung. Doch glich sie ihm bloß durch diese Charaktcreigentüm- lichkeiten: in ihrer äußeren Erscheinung war sie ihrer Groß- mutter väterlicherseits sehr ähnlich, einer fruchtbaren. liebedurstigen Frau, in deren Wangen ebenfalls das heiße Blut der Brünetten brannte. Auch Germaine schien zum Lieben und Gebären geschaffen: fest saß der kräftige Hals auf ihren breiten Schultern, ihre Hüften waren wohl gerundet, der Busen üppig entfaltet: und alle männlichen Beschäftigungen hatten für sie etwas Lockendes, Als sie noch jünger war, pflegte sie mit Vorliebe mit gleichaltrigen Knaben zu raufen, und nicht immer hafte sie dabei den kürzeren gezogen. Sie verstand sich darauf, einen Karren abzuladen, einen Sack Mehl aufzuheben, sich vor die Egge zu spannen oder den fetfigen Dünger auf den Zinken einer Mistgabel zu trans- Portieren. Gernraine Maucord würde vom Pächter wie seine eigene Tochter gehalten. Er wollte keinen Unterschied zwischen dem Stiefkinde und seinen leiblichen Söhnen machen. Im Torfe nannte man sie nicht anders als Germainx Hulotte . Sie war sehr klug, aufgeweckt und hatte ihre Augen überall. Noch vor den Mägden aus dem Bette, buk sie das Brot, legte mit Hand an bei der Wäsche, plättete das.feine Linnen und half bei allen groben, häuslichen Arbeiten aus. Sie war weder verschwenderisch, noch besonders putzsllchtig veranlagt. Ein inuntcrcs Ding, das gern lachte und auch mit Männern un- befangen scherzte. Bisweilen nahmen sie ihre Brüder zu einer Kirmes mit. Namentlich eines dieser Feste, bei dem herzhaft geschmaust und getanzt worden war, hatte sie in an- genehmster Erinnerung behalten, zu der sich die ver- schwommene Gestalt eines Tänzers, eines hübschen Studenten, gesellte. Lange hatte sie an seinen zarten Teint, an den goldigen Flaum, der seine Wangen beschattete, sein artiges Benehmen und die leise kitzelnden Liebkosungen, mit denen er ihre Handflächen berührte, denken müssen. Bei anderen Gelegenheiten hatte sie mit Pächtersöhnen getanzt, lauter flotten Burschen, die als die„jeuukLse doröe" des Landes galten. Und als sie so Brust an Brust, dicht angeschmiegt an die Tänzer lag, deren Knie sich zwischen die ihren schoben und deren Hände ein Weilchen auf ihrer Taille ruhten, da durchschauerte es sie süß und erweckte in ihr die Ahnung von noch viel Köstlicherem. Ganze Nächte lang war sie dann weinend im Bette gelegen, sich unsäglich einsam fühlend, während alle ihre Freundinnen bereits einen Gatten oder einen Bräutigam hatten. Die Sehnsucht, das Verlangen nach dem Manne gerieten ihr zur tiefsten Qual. Eine große Un- ruhe war in ihr, eine dumpfe Auflehnung ihres heißen, jungen Blutes, die dann bisweilen in tiefe Wehmut zerfloß. Ihre Stellung als heiratsfähiges Mädchen war eben nicht so recht klar: die Freier zauderten mit der Bewerbung: schließlich war sie bloß Maucords Tochter, und die Maucords hatten nur in bescheidenen Verhältnissen gelebt. Ja, wenn sie wirklich die Tochter des alten Hulotte� gewesen wäre! Da hätten sie sich nicht lange besonnen! So aber hemmte den Eifer der reichen Pächtcrssöhne eine kluge Vorsicht, und von Jahr zu Jahr machte sich ihre Umgebuna mit dem Gedanken vertrauter, daß sie ledig bleiben werde. Und einen schlichten Bauern zu heiraten, lag ihr ferne. Auch hätte Hulotte nie zugegeben, daß sich ein minderwertiger Schwiegersohn neben ihm auf dem Hof einnistete. Der Gram, noch unverheiratet zu sein, dämpfte mit der Zeit Gcrmaines frohe Laune. Bis- weilen überkam es sie wie ein Gefühl der Empörung, eine ingrimmige Wut gegen all diese Männer, die töricht genug waren, sich nicht ihrer Schönheit zu bemächtigen.— Der Anblick des hübschen Burschen, der so verliebt unter den Bäumen gelegen und ihr zugelächelt, hatte sie wie eine Verheißung von Glück entzückt. Er schien in starrer Be- wunderung wie festgebannt auf dem Flecke. Sein zagen- des Lächeln war bebend und süß, wie ein Gebet zu ihr ge- brungen. Sie sah ihn, seine breiten Schultern, sein energisches, stolzes Haupt ein Urbild prachtvoller Männ- lichkeit—, und das ward für sie bestimmend. Sie ertappte sich dabei, wie auch sie ihm zulächelte, und in diesem Lächeln lag es wie die stumme Bitte ihres Blutes, sie nicht länger schmachten zu lassen. Als sie ihn dann wieder auf dem Baume sah, ward es ihr warm ums Herz. Er war also wieder ge- kommen! So war es denn richtig, daß sie ihm gefiel! Und sie sann über Mittel und Wege nach, mit ihm zu sprechen, sein Gesicht, die Farbe seiner Augen, die Form seiner Hände aus nächster Nähe zu sehen. Zu Mittag, als alles schlief, war sie ins Kleefeld gegangen, fest überzeugt, daß er ebenfalls kommen werde. Und er war gekommen! Da hatte sie die seltsame.Kunde vernommen, daß der Verwegene, der ihr zu- gelächelt hatte und nun voll listiger Verschmitztheit vor ihr stand, niemand anderer war als— Cachaprds. Das hieß: ein Räuber, ein Strolch, ein Vagabund, der im Gefängnis oder noch schlimmer enden würde, wenn anders er nicht irgendwo in einem Gestrüpp elend verkam. Zugestanden! allein dieser Bandit trieb ein mannhaftes Gewerbe, war ein Prachtbursche, so recht nach ihrem Ge- schmack, stämmig und stark und kannte das Fürchten nicht: er war beinahe ein Held. Ihr kamen allerlei Geschichten in den Sinn. Sie erinnerte sich der Sagen, die sich um seine Person spannen: das Försterblut ward in ihr rege, und sie konnte nicht umhin, seine Verschlagenheit, vermöge der er die Tiere überlistete, im tiefsten Dickicht hauste und stärker als alle Forsthüter war, zu bewundern. Und wie sie so nachsann. dämmerte ihr eine Ahnung auf, daß eines solchen Mannes Liebe doch etwas weit Gewaltigeres sein müsse, als die eines armseligen Bauernliimmels mit schlotternden Schultern und fahlem Gesichte.
Ausgabe
30 (31.7.1913) 147
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten