Peter Kolegger. Heute bor siebzig Jahren wurde Peter Rosegger zu Alpel, einer „aus etwa vierundzwanzig auf Höhen und in Engtälern zerstreuten Bauernhäusern' bestehenden Gemeinde unweit dem steirischen Pfarr- dorf Krieglach „beim Klupenegger" geboren. So hieß nämlich sein Hcimathaus, wo auch der Vater, Groß- und Urvater schlecht und recht als Kleinbauern gelebt hatten. Der Dichter selbst beschreibt die Kurve seines äußeren Lebensganges mit nur wenig Worten:„Also ist aus dem Waldbauernbübel der Guckinsleben, aus diesem der Schneiderbub. auS diesem der Student, aus diesem der Schriftsteller und aus diesem endlich der Großvater geworden." Ganz so einfach war das doch nicht. Seine Jugendjahre ber» liefen nichts weniger als rosig. Bei einem vazierenden Schulmeister lernt er notdürftig schreiben, lesen und rechnen. Dabei blieb es auch, nachdem die Alpeler Bauern jenem ein Wohnhäuschen zu Unterrichts- zwecken angewiesen halten.„Mein Schulbesuch war ein sehr Mangel- haster; da war's die größere Entfernung, oder ich wurde zu häus- lichen Arbeiten— besonders zum Schafe- und Ninderhütcn, oder als Botengeher, oder zum Futterschülten in der Mahdzeit, oder zum Garbentrogen im Schnitt, oder zum Ochsenführen bei Fuhr- werken, oder zum Furchenaushauen beim Ackern— verwendet; dann wieder war's der ungestüme Winter, oder meine körperliche Schwäch- lichkeit und Kränklichkeit, die mich am Schulgehen hinderten." Die Eltern hätten den„leicht lernenden' Jungen ja gern Geistlicher werden lassen— aber es war, außer ihren sieben Kindern, kein Ver- mögen da. Mit dein.Bauerwerden' hatte es auch so seinen Haken. Seine schwächliche Körperbeschaffenheit war hierfür ungeeignet, und die aufkeimende Neigung zum Schrifttum hatte ihm alle Lust dazu genommen. So tritt Rosegger dann siebzehnjährig bei einem Schneidermeister zu Kathrein am Hauenstein in die Lehre. Fast fünf Jahre blieb er da und wanderte mit ihm von HauS zu Haus, um den Bauern die Kleider zu machen.„Ich habe in mehr als sechzig Häusern gearbeitet, und diese Zeit und Gelegenheit war meine Hochschule, in der ich das Bauernvolk so recht kennen lernen konnte". Weil Rosegger eben mindestens so emsig gedichtet als ge- schneidert hatte und weil er als„ein Lllgendichter und Leutaus- richter' insgeheim verschrien war,— so trug eines Tages der Chef« redakteur der„Grazer Tagespost" Verlangen nach des Gesellen Musenkindern. Nicht weniger als fünfzehn Pfund mit Versen und Prosa vollgekritzelten PapierS hatte Roseggers Firmpate im Buckel- korb dorthin zu tragen. Und nun begab sich ein großes Wunder, auf das sonst unzählige begabte Proletarierkinder vergebens hoffen. Dr. Albert Svoboda— so hieß der wackere Zeitungsmann— warb ihm wohlhabende und einflußreiche Gönner. Er konnte auf mehrere Jahre die Grazer Handelsakademie beziehen, bekam, als er sie sechsundzwanzigjährig verlieb, ein Stipendium, um Reisen zu machen, und wieder beim- gekehrt, seine Studien an der Grazer Universität zu betreiben— im übrigen aber ungehemmt seinem schriststcllerischtn Triebe nach- zugehen. Mit Poesien in steierischer Mundart und einem beschreibenden Werkchen„Sittenbilder auS dem steierischen Obcrlandc' setzte Roseggers Produktion ein. Waren eS auch nur die Niederschläge eines zwar hübschen aber vorläufig noch unsicher tastenden Talents — der Ton war doch gegeben und die Richtung, in der es sich hernach entwickeln sollte. Des Dichters Gemütsart wurzelte in demselben Landvolke, dem er entsproffen. Im Grunde seines Herzens und Geistes blieb Rosegger immer der naive bäuerlich empfindende Sohn des steierischen WaldviertclS. Das hatte seine Schatten- und Lichtseiten. Es stand zu befürchten, daß die in so enge Grenzen gewiesene Begabung sowohl sich als ihr Stoffgebiet vorzeitig er- schöpfen würde. Und das hat denn auch bald so geschienen. Da er aber seine ganze Persönlichkeit mit intensivster Macht in dies kleine Volkstum versenkte, konnte wohl für die Literatur Gewinn erwachsen. Der erste Sprung vom folkloristischen Schilderer zum Erzähler wurde mit einem Baucrnroman„In der Einöde' unter- nommen. Hier steht aber Rosegger noch unter dem Bann Adalbert Stifters, des breit behaglichen Naturschilderers. Allein schon in seinem nächsten Werke, den„Schriften des Waldschulmeister S' hat sich sein Talent zu freier Selbständigkeit durchge- rungen. Diese Dichtung ist als Ausgangstor für das nachfolgende Schaffen zu betrachten; außerdem offenbart sie zugleich zwei Seiten seines Wesens. Hatte er als Schilderer seine Stoffe„aus der Regel' gezogen, so zieht er sie als Novellist„ans den Ausnahmen', Das andere Merkmal ist e r z i e h e r i s ch e r Art. Der VolkserzShler kündigte sich da. Nun hatte Rosegger seinen festen Weg geftmden. Wohl an dreißig Bände kleinerer und größerer Geschichten und Novellen hat er jeitdem geschrieben. Sind'ö auch immer dieselben Steicrwälder— welche Skala eines volltönigen Hervorbringens, welche Mannigfaltigkeit der Charaktere ergibt sich dal Lichte Ge- stalten und tragische,„NixnutzigeS Volk', Schildbürger f.Abels- berger'), Wildlinge, Sonderlinge im guren wie bösen Sinne, Halb- trottel, Bettelleute, Komödienspieler und viel viel andere Typen. Um die Weibgestalten steht es ähnlich. Sie sind so zahlreich als grundverschieden. Da sind eitle und mannstolle, poesieumwobene und rauhhartc Dorsschöne, rachesüchlige Verführte und ihr Geschick in die eiocne Schwielenkanst nebmende Kämpferinnen oder anne Dulderinnen— wie sie aus der Wurfschaufel der Natur fallen. Mit dem heimischen Menschenvolk schaltet und waltet der Dichter als tiefft vertrauter Gestalter. Fast allemal jedoch, wenn er hinübergreift auf städtische» Gebiet, mengt sich eine gewisse Beklommenheit und ein gewisses Experimentieren hinein. Selbstverständlich gelingt es ihm wohl, da» Gegensätzliche zwischen städtischer Verfeinerung und landständiger Derbheil zu zeichnen. Aber er ist ehrlich genug zu bekennen, daß es immer wie Heimweh über ihn kam, so oft er versucht wurde, aus seinem bäuerlichen Kreise zu treten und daß ihm nur wohl war, wenn er das, was er erfahren,„einfach, frei und treu' erzähle. Iiur indem er an große Probleme des bäuerlichen Lebens im Zusammenprall mit der städtischen Kultur herantrat, mußte er Landsassen und Städter zu einer gemeinsamen Handlung in Kontraste stellen. Inzwischen begannen sich nämlich auch in der Steiermark ge« wichtige Veränderungen vorzubereiten. Die Konflikte waren zunächst religiöser und kirchlicher Art. Es genügt an Anzengrubers„Pfarrer von Kirchseld' zu erinnern; desgleichen an die Konkordatskämpfe. Dann war auch bereits das Mürztal durch einen Schienenstrang, die Südbahn , mit der Außenwelt verbunden ioorden. Die Industrie und kapitalistische Gewerbstätigkeit baute Fabriken. Der Nerv eine» neuzeitlichen Wirtschaftslebens begann mächtiger zu vibrieren. Mehr und mehr zog die Aussicht aus sicheren Verdienst das ländliche Pro« letariat nach den Fabriken. Eine Veränderung oder Verschiebung gebar die andere. Die Berührung mit der städtischen Bildung war nicht ohne tiefgehende Einflüsse auf die Anschauung und Lebens« Haltung; alle bauernvölkische Seßhaftigkeit drohte mit deren ein» fachen Sitten und ererbten Gewohnheiten zu verschwinden. DieS alles sah Rosegger mit wehem Herzen; denn er liebt sein Bauernvolk viel zu sehr, als daß er ruhig zusehen mochte, wie eS, nach seiner Meinung, allmählig zu Grunde gehe.«Ich habe", gesteht er in seiner„Lebensbeschreibung', die er den, erste» Bande seiner nunmehr in vierzig Bänden endgültig„gesammelten Schriften" sS. Staackmonn, Leipzig ) vorangestellt hat,„Zeiten durchlebt, da ich es für die größte Narrheit hielt, den Leuten Gutes tun zu wollen. Aber, wenn ich ihr Elend sah und das Uebermaß ihrer Leiden, da dauerten sie mich. Ich bin ja einer von ihnen. Ich sehe den Jammer einer jahrtausendelangen Geschichte— aber ich sehe auch, daß wir heute lange nicht auf dem rechten Fleck stehen. Lieber nach vorwärts und ins Ungewisse hineinstürmen, als hier stehen bleiben! Aber wenn ich sehe, wie im rasenden Flug, oder sogen wir in der rasenden Flucht nach„vorwärts' das Gemüt zu Schaden kommt, dieses unser größtes Gut, und ich keinen Ersatz dafür zu ahnen vermag, so blase ich zur Rückkehr in die Wildnisse der Natur, zu jenen kleinen patriarchalischen Verhältnissen, in welchen die Menschheit noch am natürlichsten gelebt hat.' An diesem Wendepunkt wurde Rosegger , der VolkserzShler, zum Volkserzieher. Des festen Glaubens, daß in der Landeinsam- keit große Kulturprobleme lägen, erachtete er es als seine �Mission, sie bloßzulegen und dichterisch zu verklären. In allen seinen Schriften offenbart sicb sein Ideal, da« hinweist auf ein arbeitsames, boden« ständiges Volkstum von patriarchalischer Einfachheit. Er will daran nicht gerüttelt wissen.„Aus der Scholle sprießt Kraft für die ganze Welt und Segen für den, der sie berührt." Alle seine besten Romane, voran. Erdsegen',„DaS ewige Licht",„Jakob der Letzte " handeln davon. Man hat den ersteren sogar mit Zola» „Fruchtbarkeit" in Parallele gestellt, weil beide in dem Grund« gedanken übereinstimmen, daß es aus dem Sumpfe der nwderncn Ueberkultur nur einen Weg der Rettung und Genesung gebe: die Rückkehr zur Ackerscholle. Im Roseggerschen Sinne: zur Einfalt, Genügsamkeit, Freude zur Arbeit. Bruderliebe und natürlich« heiteren Auffassung des Lebens— allerdings auch zur ehrbaren Moral und Gottgläubigkeit. Denn auch sie drohe dem steierischen Landvolk abhanden zu gehen. Zwar bemerkt Rosegger die Differenzierung des Bauerntums— wofür er die Steuerlast für Militär und sonst unkulturelle Zwecke des heutigen Staates verantwortlich macht. Aber die Ursachen des bäuerlichen Verfalls lägen doch auch im gesteigerten Luxus, in der Gewinn- und Genußsucht, freilich auch im rückständigen Starrsinn des vom„Welt« gift" angefressenen Landvolkes. Wohl verkennt Rosegger nicht das sozial« Moment. Aber sein Evangelium hat wenig mit dem Welt« sozialiSmus gemein. Daß beispielsweise die einheimischen Landler nach den Städten gehen, will ihm nicht passen. Daß sie es not- gedrungen tun. um aus dem Elend herauszukommen, ja daß sie ein Recht haben auf ökonomische Besserstellung und es fordern, sieht er nicht ein. Aller Einfluß moderner Ideen ist ihm„Weltgist". Gewiß wünscht er. daß auch das Landvolk teilnehme an der Bildung. Aber viel mehr als daß die Bildung dem Hausgebrauch entspreche und die Religion nicht Schaden leide. soll'S nicht sein. In seiner theoreti- scheu Schrift„Mein Himmelreich' äußert sich Rosegger über sein Ideal der Volkserzichung so:„Die Arbeitsleutc sollen eine Berufs- und zeitgemäße Aufklärung erhalten sie haben mitzuarbeiten an dem großen Werk der Kultur und Gesittung, und die mittaten, sollen auch mitraten können aber einS muß ich immer wieder betonen: die ursprünglich ideale Kraft dcsGlaubenS, wo sie noch vorbanden, soll auch bei diesen Leuten nicht der„Auf» klärung" geopfert werden.' Christliche, wenn auch nicht kirchlich approbierte Gottgläubigkeit erscheint Rosegger als das ureigenste Ideal für die Landbevölkerung. Sein Roman„Gottesacker" zeugt davon.
Ausgabe
30 (31.7.1913) 147
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