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Müde und schwer stehen die Arbeiter auf ihrem Posten. Riesenhafte, graue Schatten schlüpfen an den Wänden hin, Huschen über die Decke, winden sich durch das Gewirr der Seile und Bänder.

Wie huschende Gespenster sehen sie aus, wenn eine der großen Lampen jäh aufzudt. Sie verkriechen sich, sie springen über den Boden, sie tangen auf dem sausenden Schwungrad der Dampf­maschine, das mit zurüdgehaltenem Getöse seine mächtigen Speichen dreht, sie schnellen sich hoch hinauf und wirbeln an den Wänden wieder herab.

Wird nicht plößlich das Stan pfen der Maschine eiliger? Rennen nicht die Riemen, sich immer mehr überhastend? Sieht es feiner? Müd und schwer stehen die Arbeiter auf ihrem Poften. Droben zwischen den Niemen der großen Dampfmaschine ver­schwindet ein Schatten. Jebt taucht er wieder auf. Dort über bem großen Rad. Unbeweglich hält er dort, lauernd. Langt nicht eine Hand blitzschnell in das Getriebe?

Schneller, immer schneller drehen sich die Räder, lauter immer lauter knirscht das gequälte Metall, wilder, immer wilder rasen die Riemen im verrückten, wahnsinnigen Hin und Her. Das Sausen und Bischen und Grollen in der Halle wächst zum Getöse, Feuerregen stieben aus dem wütenden Stahl. Ein Angstgeschrei erwacht und erstirbt im starren Entsetzen, das alle lähmt. Be wegungslos stieren sie nach dem Hexentanze, der immer gräßlicher wird. Das sind keine Maschinen mehr, teine toten Massen, lebende, wildgewordene, blutdürstige Geschöpfe sind's, die brüllend und stöhnend und feuchend sich freizumachen suchen, um denen Ver­nichtung zu bringen, die sie fnechteten.

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will retten

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Sie zerreißen ihre Fesseln, sie werden frei, sie kommen! Droben in dem Riemenwerk fichert's und grinst's. Ein Hohn­schrei gellt in das Stöhnen der wütenden Bestien. Giner der starren Menschen stürzt vorwärts, stürzt zu dem großen, sausenden Schwungrad eine fnöcherne Hand schießt blih­schnell herunter, faßt ihn, ein Rud hoch fliegt er im Bogen gegen das Gebält der Decke, zurück, und wieder wird er aufge­fangen von den Knochenarmen und wieder in die Höhe geschleudert, wieder geborgen und wieder gegen die Eisenrippen des Daches ge­schnellt. Dann sinkt die unförmliche Masse mit dumpfem Klatschen zur Erde. Der droben biegt sich vor, sieht noch einmal grinsend in den Herenfabbat, nickt und gibt dem mächtigen Rad einen Fußtritt ein Krach! alles steht still. Wie ein Sput ist's ver­flogen, mit einem tiefen Seufzer haucht die Dampfmaschine den letten, hastig hervorgestoßenen Atem aus. Totenstille- die kleinen Bestien fuschen sich vor ihrem Herrn und Meister.

Kleines feuilleton.

Physiologisches.

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I durch chemische Stoffe unerfeßbar, noch ist dies bei den organischen Eiweißen, Fetten und Kohlehydraten der Fall. Das bedeutet aber nichts anderes, als daß es über kurz oder lang möglich sein wird, eine che mische Nahrung, die konzentrierter ist als die natür­liche, herzustellen. Die Arbeiten Abderhaldens gelten seit langem dieser Frage, und fast scheint es, als sollten wir von deren Lösung heute nicht mehr allzu weit entfernt sein.

Aus der Vorzeit.

Die altgermanische Holzkunst.. In der Gesellschaft für deutsche Vorgeschichte, die in Cöln   ihre fünfte Hauptversamm­lung abhielt, sprach Baurat Prof. Dr. Haupt- Hannover über das Thema:" Das Holz als maßgebender Stoff germanischer Kunst­betätigung". Aus tiefem Dunkel taucht, so führte der Redner aus, langsam das Bild der ältesten germanischen Kunst hervor. Der Grund, weshalb es so schwer ist, hier endlich Greifbares zu er ringen, liegt vor allem in der Vergänglichkeit des Stoffes der ein­stigen größeren Kunstleistungen. Während es den anderen Völkern gegeben war, ihre Werke in schwerem Gestein zu gestalten, war den Nordischen nur das rasch vermodernde Holz zur Hand. Bon alters her bereits besaßen die Germanen eine eigenartige bildende Kunst, vor allem eine Baukunst und ein Kunstgewerbe. Völlig abge­sonderte, ganz ausgeprägte, germanische Ausdrucksweise auf diesem Gebiete mußte sich, wie alles, erst entwickeln, und die ältesten Kunst­betätigungen des Germanentums stehen der in Europa   überall maßgebenden Art verhältnismäßig viel näher; insbesondere hat germanische Hallstadt  - und Latênefunst noch außerordentlich viel gemein mit dem im Nord- und Mitteleuropa   überall Verbreiteten. Erst die folgende Epoche findet hier eine völlig klare und unver­tennbare Scheidung und eine deutlich entwickelte Eigenart. Die ge­samte Kunstform unserer echt germanischen erhaltenen Kunst­arbeiten, also vorwiegend die Gegenstände in Metall, haben ihre Formgebung aus der Holzbearbeitung, aus der Tektonik des Holzes hergeleitet.

Die Kundigen wußten schon längst, daß in Norwegen   die letzten Reste altgermanischer Holzkunst, insbesondere in der Architektur, noch vorhanden seien. Aber man ging rasch darüber hinweg und fand diese Dinge damit ab, daß man sie als die ältesten Repräsen= tanten einer entstehenden künstlerischen Richtung bezeichnete; jetzt wissen wir, daß ihnen vorausging eine einzigartige, ganz ver­schwundene, prächtige, bildende Kunst in Holz, deren Nachzügler nur die bescheidenen Kirchlein und kleineren Kunstwerke in diesem Material darstellen. Die paar Funde von Schiffen, des Nydam, Gokstad- und zuletzt Cesebergschiffes, haben uns dies gelehrt. Jus besondere des letzten, dessen Inhalt der gebildeten Germanenwelt allzulange noch vorenthalten wird. Das Totenschiff einer germa­nischen Königin des 8. oder 9. Jahrhunderts, ausgestattet mit dem herrlichsten Schnitzwerk, wundervoller Ausstattung, vollendet schönen Möbeln, Wagen, Schlitten und Gerät, alles uns zeigend, daß damals eine Formenwelt dieser Richtung im höchsten Norden be­stand, die selbst schon die deutlichsten Züge nicht einer Früh-, sondern bereits einer Spätkunst trägt. Wenn Professor Gustafson endlich mit dem Ergebnis seiner Ausgrabung vor die Welt tritt, wird eine ganz neue Anschauung durchdringen. Dann werden wir erkennen, daß die Stabkirchen der ältesten Zeit schon die Spätlinge jener Kunst waren, deren Enkel und Urenkel sich bis ins 13. und 14. Jahr­hundert oder noch länger fortpflanzten.

Heilkunde.

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Die Aufnahme von Eisen durch den Organis­mu 3. Gewisse Krankheiten beruhen oder offenbaren sich in einem mangelhaften Gehalt der Organe an Salzen. So ist der Kalt, dessen Fehlen das Knochenwachstum beeinträchtigt, und das Eisen, das in Beziehungen zur Bleichsucht steht. Von altersher sucht man letz­teren Mangel abzuhelfen durch die Zuführung von eisenhaltigen Tropfen, Pillen, Wässern und dergl. mehr. Diese Behandlung wurde aber vor nicht allzu langer Zeit von zahlreichen Forschern für mußlos erklärt, da die natürlichen anorganischen Eisenpräpa­rate nicht vom Organismus verdaut werden sollten, mithin gar nichts zum Ersaße beitragen konnten. Es wurden daher in die Therapie jene zahllosen organischen Eisenpräparate eingeführt, die das Eisen an einem Eiweißstoff gebunden enthielten, also gewisser­maßen den Substanzen glichen, mit denen im Blute das Eisen zu Hämoglobin sich verbindet. Nun hat sich aber in neuester Zeit ein Umschwung in den Anschauungen über die Art der Aufnahme und Anpassung der Nahrung im lebenden Organismus vollzogen. Man weiß jest, daß die Eiweißkörper einen verwickelten Umbildungs­prozeh durchmachen müssen, ehe sie die verloren gegangenen Bau­steine des Körpers zu ersetzen imftande sind. Die Eiweißsubstanzen werden bis zu fast anorganischen Säuren, den Aminosäuren, abgebaut, um erst dann wieder zu einem förpereigenen Eiweiß auf Synthetischem Wege zurüdverwandelt zu werden. Der Entdecker dieser fundamentalen Tatsache, der Hallenser   Physiologe Profeffor Abderhalden, dehnte neuerdings seine Untersuchungen auch auf die in der Nahrung enthaltenen, zunächst organisch festgebundenen Eisen und Kaltsalze aus. Er stellte fünftliche Verdauungsversuche an, d. h. er unterwarf Fleisch dem Einflusse des Verdauungssaftes Transplantation( Verpflanzung). Das erste Zwischengelenk des Pankreatin und konnte nach einiger Zeit in diesem freies Eisen bermittelst chemischer Reaktionen nachweisen. Der Organismus übernimmt das Eisen also nicht in organisch gebundener, sondern in indifferenter Form als Element. Ebenso werhält es sich mit dem Kalt. Daß diese Vorstellung die richtige ist, geht auch daraus her­bor, daß es gelingt, Tiere mit Blutfalzen oder Knochensalzen als einzige Quellen anorganischer Nahrung zum Wachsen zu bringen. Man kann daher nicht mehr annehmen, daß die alten Gifenpräpa­rate wirkungsloser sind als die modernen chemischen. Aber weit über diesen Einzelfall hinaus weitet sich das Problem. Weder sind bie in der natürlichen Nahrung enthaltenen anorganischen Stoffe Berantw. Redakteur: Alfred Wielepp, Neukölln. Drud u. Verlag: Vorwärts Buchdruderei u.Verlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin   SW.

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Der Beh des Geigers. Professor Göbell, der Chirurg der Universität Kiel  , beschreibt in der Münchner   medizinischen Wochenschrift" vielleicht zum erstenmal einen Eingriff, der zur glück­lichen Uebertragung von einem Zehengelent auf einen Finger be­richtet. Der Fall lag besonders heitel, weil der Patient ein eifriger Geigenspieler war und seine linke Hand durch die Operation ge­brauchsfähig erhalten wollte. Er hatte seit einem Jahr im zweiten Gelent des kleinen Fingers Schmerzen verspürt, die zuerst nach einer besonders schweren Uebung aufgetreten waren. Das Leiden hatte sich so verschlimmert, daß das Geigenspiel überhaupt unmög­lich geworden war. Der Arzt stellte im Röntgenbild eine starke Verdickung der Gelenkenden fest, die auf eine schwere Entzündung deuteten. Wahrscheinlich war das Gelenk beim leben einer paga­ninischen Etüde ausgedreht worden, eine Möglichkeit, die der be= rühmte italienische Herenmeister sich wohl nicht hat träumen lassen. Die Anwendung von Wärme und Jod blieb erfolglos, und danach tam nur noch eine Operation in Frage. Da sonst durch eine solche der Finger sicher unbrauchbar geworden, der Geigenspieler also unbefriedigt geblieben wäre, entschloß sich Professor Göbell zu einer linken Zehs wurde herausgenommen und auf den kranken Finger verpflanzt. Nach beendeter Operation wurde der Kranke nach Haus entlassen. Es wurde ihm nur die Weisung mitgegeben, die operierte Hand möglichst viel in der Ofenröhre zu wärmen. Die Wunden waren schon nach zehn Tagen glatt geheilt, und nicht ein­mal der Nagel des Fingers löste fich ab. Die Heißluftbehandlung im Bratofen wurde fortgesetzt, als bereits Bewegungsübungen be­gonnen wurden. Nach zwei Monaten bekundete der Operierte, daß er schon fast ohne Schmerzen geigen könnte. Als zehn Monate ver­gangen waren, konnte er zum erstenmal wieder in einem Konzert auftreten.