Andret et« fast neues Geschirr erstanden, auf dessenlackiertem Leder leuchtende Kronen aus Messing funkelten:dieses Geschirr wurde nur bei ganz außergewöhnlichen An-lassen in Gebrauch genommen.Sie brachen auf. Germaine trug ein leichtes, rot-getüpfeltes Kleid und einen runden Strohhut mit einergelben Tüllschleife. Zwischen dem feinmaschigen Netzwerkder seidenen Halbhandschulze schimmerte die braune Hautihrer ringgeschmückten Hände durch; um die Schultern trugsie einen fransenverzierten Umhang aus schwarzer Seide, dieam Rücken ein klein wenig schadhast war. Und über ihremganzen Wesen lag ein Glanz frischfroher Jugend und Freude.Sie kamen am Häuschen der Cougnole vorüber. Bei demGedanken, Cachaprds könnte möglicherweise drinnen sein undsie sehen, �begann Germainens Herz stürmisch zu klopfen:ohne zu wissen warum, bangte ihr vor irgendeinem Zunschen-falle. Kaum hatten sie jedoch das Häuschen hinter sich, alsjede Furcht geschwunden war. Sie lehnte sich in ihren Sitzzurück und gab sich süß versonnenen Träumen hin, die lieb-lich wie der Morgen im Walde waren.Sie fuhren nahezu zwei Stunden auf der Chaussee, dannzweigte ein gepflasterter Fahrweg ab. der querfeldein zuHayots Meierhof führte. Sie rollten durch düsteres Dämmer-dunkel, zu beiden Seiten von dem dichtbelaubten Wall derBäume umschlossen. Hie und da mündete in den Fahrwegeine Allee, in deren Hintergrund helle Lichtfluten einbraclzen.Dann schloß sich von neuem die starre Mauer des Dickichtsmit seinen tiefen Schatten und breitausladenden Blätter-kuppeln. Und dem Boden entströmten herbe Düfte, ein Ge-misch von Thymian und würzigen Säften. Ueber der Land-straße blaute ein saphirfarbener Himmel, der hier und da auchzwischen den Bäumen durchguckte.Munter trabte der Grauschimmel seines Weges; wenndie Straße bergan ging, lebhaft mit dem Kopfe nickend, seinenSchritt von selbst verlangsamend nnd der lästigen Fliegensich zu erwehren suchend, indem er mit seinem Schweife umsich schlug oder mit seiner langen Zunge nach ihnen leckte.Sobald die Steigung erklommen war, schnalzte Mathieu mitder Zunge, und ihr Ardenncr setzte sich wieder in kurzenTrab. Das regelmäßige Aufschlagen der Pferdehufe be-gleitete taktmäßig das dumpfe Rollen ihrer übers Straßen-Pflaster rasselnden Wagenräder. In der Ueberzeugung, nochvor der großen Messe an Ort und Stelle zu sein, eilte esihnen nicht sonderlich mit dem Vorwärtskommen. In weich-liche Trägheit versunken, zum Reden zu faul, lagen sie beidetraumverloren in den Wagen zurückgelehnt, vom Rhythmusder schaukelnden Federn in Schlummer gewiegt.lFortsetzrnig folgt.)Soziale Kirnft von Roefer JVIarx.Um kunsterzieherische Bestrebungen Hot sich in dem ersten Jahr-zehnt dieses Jahrhunderts auch in Frankreich eine Reihe künstle-rischer Persönlichkeiten gemüht. Drei von diesen sind schon dahin-gegangen: der Maler Eugene Carriere, der PlakettenkünstlerAlexandre Charpentier und der große Kunstglaser und-schreinerEmile Galle. Unter den Lebenden wirkt noch der meisterlichePlakatzeichner Jules Cheret. Im Verein mit namhaften Gelehrtenund Schriftstellern, von denen manche als Philanthropen bekanntsind, hatten sie zunächst auf Anregung des MaschinenschlossersMassieux den Verein l'Art pour tous(Die Kunst für alle) ge-gründet, aus dem sich später die Sondergruppe I'licole de la rue(die Schule der Straße) entwickelte, die durch belehrende Führun-gen im Volke Aufnahmefähigkeit für höhere Genüsse entwickelnsollte. Die mit Vorträgen verbundenen Führungen erstrecken sichnicht nur ausschließlich auf Kunstsammlungen, sondern es werdengleichfalls naturwissenschaftliche und historische Museen, Meister-ateliers, Werkstätten und landschaftliche Schönheiten besucht. Diewertvollsten dieser Vortragsbesuche pflegt die Gesellschaft nochin Broschürcnform darzustellen und zu diesen gehörten seinerzeitCarriercs Führungen durch das großartige naturgcschichtliche Mu-seum zu Paris. Wer sich eingehender über alle diese Bestrebungenund die Männer zu unterrichten wünscht, die ihnen Leben, Geistund vor allem Wärme gaben, der lese das soeben erschienene treff-liche Buch von Roger Marx: l'Art social,*) zu dem AnatoleFrance ein schönes Vorwort geschrieben hat.Was Emerson für Amerika und Morris für England gewesen,das bedeutet Roger Marx für Frankreich; er ist der begeisterteApostel der sozialen Kunst. Seine Verdienste sind kaum schon ihremvollen Werte nach abzuschätzen. Er hat internationale Ausstcllun-*1 Paris, Charpentier.gen für dekorative, bezw. Handwerkskunst zustande gebracht undüberhaupt der Handwertskunst die Zulassung zu den„Salons",den regelmäßig wiederkehrenden Pariser Kunstausstellungen, ver-mittelt; er hat mit warmer Liebe den Wert künstlerischer Erziehungfür die Jugend gepredigt und der Kunst die Tore der Schule ge-öffnet. Jbm ist unter anderem auch die Initiative zu ver«danken, daß nunmehr hervorragende Plakettenkünstler mit demEntwerfen der französischen Münzen betraut werden,Von seiner segensreichen Lebensarbeit, sowie von allen, die ihndabei unterstützt haben, in erster Linie aber von den Grundsätzen,die ihn und seine Helfer leiteten, berichtet nun das vorliegendeWerk.Anatole France nennt es ein Buch der Initiative, der Lehrenund des Kampfes, ferner der bereits durchgeführten Reformen aufdem Gebiet einer innerhalb des sozialen Lebens zu verwirklichendenKunst und rühmt dabei seine glückliche Vereinigung von Schönheitund Gerechtigkeit.„Denn mit welchem Recht", ruft er aus,„dürfteeine Minderheit von Begünstigten, die durch Zufall mit einer aus-gezeichneten Erziehung und gesteigerter EmpfindungLfähigkeit be-dacbt wurden, den Handwerkern, dem Volke jene unvergleichlichenSchätze entziehen, die das Erbteil der ganzen Menschheit sind unddem, der sie Pflegt, die köstlichsten Genüsse bereiten. Heißt es nichtdessen ästhetische Genüsse verzehren, die lange und geduldig ge-arbeitet und gelitten haben, um sie zu schaffen und zu erhalten?Ungerecht und unheilbringend ist diese Verschiedenheit der einzelnenGeschicke, die nicht von der Natur ausgeht."Weiter führt er an: Die Verbreitung der Künste, einschließlichder dekorativen, entspringt der innersten Anlage der menschlichenGesellschaft; es ist der Menschheit würdig, allen denkenden Wesendie Teilnahme an edlen Stimni.igen zu verschaffen, wie sie durchKunstwerke hervorgerufen werden. Verdienstlich ist es, das Lebender Armen zu bereichern, indem man sie die Schönheit von Kunstund Natur verstehen und lieben lehrt. Wie der Saft den Stammund die Zweige eines Baumes nährt und die Frische der Blätter.das Leuchten der Blumen, den Wohlgeschmack der Früchte hervor-bringt, so werden die Lehren der Schönheit, sofern sie der Hand-werker versteht, seinen durch geisttötende Arbeit verarmten Geistwieder bereichern und der gesundende Anblick des Schönen wirdseinen Gedanken eine harmonische Richtung verleihen.In den Dienst dieser wertvollen Aufgabe hat Roger Marx seinschönes Talent seit fünfundzwanzig Jahren gestellt. Heute zeigter uns in seinem neuen Buche die zivilisatorische und erzieherischeRolle, die die Kunst in der modernen Gesellschaft spielt. Er zeigtsie uns als für jeden Fortschritt von Nutzen. Er fordert für sie— ganz im Gegensatz zu Ruskin, mit dem er sich lebhaft aus-einandersetzt,— die Mithilfe der Maschine, die Arbeitsteilung, dieVerwendung aller technischen Erfindungen. Als Gegner Ruskins,dessen Ziele jedoch auch die seinen sind, stellt er die modernen Er-rungenschaften allem voran, was er als ästhetische Forderungenbetrachtet; sie sind ihm ein unerläßliches Mittel zur Verwirklichungdes Grundsatzes: Kunst für alle und durch alle!Und Anatole France beschließt sein Vorwort mit dem Aus-sprach Emcrsons:„Gesegnet sei, der die Massen erregt, den Stumpf-sinn aufrüttelt, Leben und Bewegung schafft."Und nun zu Roger Marx' Buche selbst! Ich übergehe dieKapitel feinster Kunstkritik, die er darin den französischen Meisternderjenigen Sonderkünste widmet, die als phantasievolle Kleinakünstler in das Gebiet der dekorativen Kunst oder des Kunstge-wcrbeS übergehen. Von ihnen dürften nur bekannt sein die bereitsfrüher erwähnten Meister Galle und Charpentier sowie derJuwelier Lalique. Was verstanden sie nun und was versteht RogerMarx mit ihnen unter den Worten„Soziale Kunst" und welcheGrundsätze werden zu deren Förderung aufgestellt?Die soziale Kunst, führt Roger Marx aus, steht mit den Funk-tionen des Lebens selbst in engster Verbindung; sie vermischt sichmit ihnen und drückt ihnen ihr Gepräge auf. Zur sichtbarenmalerischen oder plastischen Schönheit gesellt sich dann ein intimerReiz, den man Zwcckschönheit nennen konnte. Die Natur in ihrerunendlichen Mannigfaltigkeit läßt uns erkennen, auf welch har-manische Art sich das. Urgesetz der Anpassung an einen bestimmtenZweck vollzieht. Die Antike wie das Mittelalter hatten die Ge-meinsamkeit des ästhetischen Empfindens und Genietzens niemalsin Frage gezogen; ihre Kunst wendete sich einfach an alle. Mühevollund auf langen Umwegen kehren sie endlich wieder zu einer solchenAnpassung der Kunst zurück. Und mit dem ikarischen KommunistenCahet stellt Roger Marx den Grundsatz auf:„Die Freude derAugen ist ein wesentliches Element zur Gesundheit." Alle Schön-heit, mit der ein zum täglichen Gebrauch dienender Gegenstandgeschmückt wird., nacht ihn lieb und wert. Hierin ist die hellenischeKultur vorbildlich gewesen, indem sie ihre hehren Kunstgesetze, ihreminentes Stilgefühl auch dem bescheidensten Gerät aufprägte.Marx verlangt nun vor allem höchste Qualität des Modells, umdann alle Hilfsmittel der modernen Technik aufzurufen, da? schöneNützliche oder das nützliche Schöne herzustellen. Hierbei bringt ersich in vollen Gegensatz zu Ruskin, der, das gleiche Ziel des Nützlich-Schönen ins Auge fassend, die moderne Technik als kunstwidrigempfand, sie ganz ausschalten wollte und ferner blind war für alldie strenge Sachlichkcitsschönheit, die gerade mit Hilfe der Technikgeschaffen werden kann. Marr befreit auf die glücklichste Weisevon einem hemmenden Historismus und erblickt gerade in unserengroßartigen Fortschritten auf dem Gebiet des Jngenieurwescnsunendliche neue Schönhcitsquellen.