Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 167.
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Geh gehorche meinen Winken, Nuze deine jungen Tage, Lerne zeitig flüger sein: Auf des Glückes großer Wage Steht die Zunge selten ein; Du mußt steigen oder sinken, Du mußt herrschen und gewinnen
Dder dienen und verlieren,
Leiden oder triumphieren,
Ambos oder Hammer sein.
Ein Mann.
Donnerstag, den 28. August.
Goethe.
1918
Hubert. Man darf's ihr nicht übelnehmen. Sie leidet un gemein durch ihren Rheumatismus."
Daran knüpfte er einige allgemeine Betrachtungen über den Einfluß der Krankheiten auf das menschliche Gemüt. Mit Entzücken lauschte Germaine seinen Redewendungen. Plößlich fragte sie sehr naiv:
Wo haben Sie denn das alles gelernt, Herr Hubert?" Er begann zu lachen.
,, Ach, was weiß ich! im Institut, in den Büchern; ich lese sehr viel."
,, Ach, ich möchte das auch so gerne! aber ich habe nie Beit!"
Sie sprach sehr geziert, ein wenig die Lippen verziehend und Dialektworte vermeidend.
Da machte er ihr eine Eröffnung:
Beinahe wäre ich in ein Seminar gekommen. Ich hätte Pfarrer werden sollen!"
Sie konnte nicht umhin, ihrem Staunen Ausdruck zu geben:
,, Nein, ist das möglich!"
Er vollzog die Vorstellung, mit einer großartigen stolzen Gebärde auf jeden einzelnen deutend. Germaine beschränkte sich darauf, mit einem verlegenen Lächeln, das ihre Zähne entblößte, zu nicken. Hubert riß hurtig die Müze vom Kopfe Augen bejahend nicken. Vielleicht war das das Rätselhafte, Als sie ihn anblickte, sab sie ihn mit niedergeschlagenen und hielt sie mit Anstand zwischen den Fingern, Frib, ara Geheimnisvolle in seinem Wesen! Sie mußte unwillkürlich vern irrt, bis in die flachsblonden Haare errötend, nahm seine lächeln, als sie sich ihn mit der Soutane.auszumalen versuchte, Bigaire aus dem Munde und schob sie dann mit dem brennen- die gleich einem Weiberrocke seine Beine umflatterte. Shre den Ende wieder hinein, was ihn erschreckt auſammen- Gedanken erratend, antwortete er ein wenig verschämt: zucken ließ.
Germainens Lächeln ging in ein boshaftes Blinzeln über. Sie betraten alle wieder das Haus. Drinnen erwartete fie bereits Frau Hayot, die den Kaffeetisch hatte decken lassen. Sie war eine fleine, magere Frau mit gelblichem Gesicht und einem leidenden Ausdruck in den Augen.
„ Oh! dazu hätte ich nicht getaugt! Ich lache gern!" Eben traten sie in die Kirche ein. Er öffnete das schwere Portal, sich so schmal wie möglich machend, um ihr den VorDa alle zugleich nach ihren Pläßen drängten, entstand ein tritt zu lassen. Zum Danke bewegte sie ein wenig die Lippen. lang nachhallender Lärm von Stühlerücken auf den steinernen Mit klagender Stimme begrüßte sie ihre Gäste: Kümmern Sie sich nicht um mich. Ich bin zu Hause der Fließen. Vom Altar her ertönte das Knistern eines Meßgewandes und dazwischen leises Gemurmel; der Gottesdienst Niemand. Der Pächter macht alles nach seinem Kopfe." Es wäre seine Schuld und nicht die ihre, wenn sie so übel nahm einen Anfang. Germaine zog ihr Gebetbuch hervor. empfangen worden seien. Hayot habe ihren Besuch nicht an- Doch fne sie nur zerstreut, zwischendurch forschende Seitengefündigt. Er wollte ihr ins Wort fallen. Doch sie unter- blicke auf Hubert werfend. Dieser Mann, der beinahe Priester unter- geworden väre, erschien ihr wie eine Kuriosität. Er hatte brach ihn wieder. Sie sich noch von seiner ersten Bestimmung her etwas Salbungsmit volles in seinem Wesen, eine eindringliche, verschleierte Seifte ein Bergleich zwischen diesem Hubert und dem anderen. Stimme berahrt. Und unwillkürlich vollzog sich in ihrem Der junge Fayot war doch um vieles sanfter.
Da legten sich die beiden Größeren ins Mittel. würden doch nicht schon wieder streiten wollen? Und schlecht verhehltem Verdruß nötigten sie die Mutter,
niederzusetzen.
sich
Germaine erriet die klägliche Rolle, die diese Frau im Hause zu spielen schien, und wie sehr sie unter der geheimen Tyrannei des Mannes leiden mußte. Hubert hatte sich neben sie gesetzt und sprach eifrig auf sie ein, sein stereotypes Lächeln auf den Lippen.
Sie war von der Weichheit seiner Stimme und seinen artigen Manieren angenehm überrascht. Er befliß sich eines ausgesucht höflichen Benehmens und drückte sich in gewählten Worten aus, die deutlich verrieten, daß er eine gute Erziehung genossen hatte. Er war groß gewachsen und fräftig gebaut, das konnte man an seinen strammen Knien und den ausgespreizten Fingern leicht erkennen. Ein rätselhaftes Etwas in Haltung und Blick machte bisweilen Germaine ganz befangen. Hayot lobte ihn mit plumber Offenheit:
"
Ein prächtiger Junge! Und gebildet! Auf alles weiß er eine Antwort. Selbst mit dem König würde er reden können."
In gewollter Bescheidenheit kräuselte Hubert die Lippen und schüttelte den Kopf.
,, Glauben Sie ihm nicht, Fräulein."
Sein Vater übertreibe; er sei durchaus nicht so gelehrt; und da der Bächter protestierte, erschien ihr Verhalten fast wie ein Wettstreit zweier geriebener Rumpane, die eine wohl einstudierte Komödie spielten.
Es wurde verabredet, gemeinsam zur Messe zu gehen. Hayot gab das Signal zum Aufbruch, indem er mit seinem Rosenkranz klimperte. Germaine und Hubert schritten voran, Hinterdrein folgten die anderen Burschen in einer Reihe mit den Eltern. Friz hatte seine Kappe tief in die Stirne gedrückt, um die wiegenden Hüften des fremden Gastes ungestört betrachten zu können. Auf seinem tüdischen Gesicht lag die boshafte Lasterhaftigkeit eines jungen Affen.
Unsere Mutter ist manches Mal etwas wunderlich," sagte
Gegen Mittag fehrten sie nach dem Hofe zurück. Den Gästen zu Ehren gab's eine Hammelfeule, mit Lorbeer und Thymian zubereitet. Der Reule ging eine fette Kräutersuppe voran. Dann fam noch eine Ueberraschung, bei der alle die Augen weit aufsperrten. Die Bächterin hatte eine große Schüssel voll Milchreis, mit Eigelb vergoldet, vorbereitet.
Von Zeit zu Zeit begab sich Hubert in den Keller und brachte eine beſtaubte Flasche nach der anderen zum Vorschein. Ueberdies wurde einem bitterlichen Bier wacker zugesprochen, das am Rande der Gläser in kleinen Bläschen zerplatte. Donat, der allmählich aufgetauf war, erzählte allerlei ulfige Geschichten, und Friß verschlang Germaine mit den Augen, während sein Messer auf dem Teller mächtige Bissen zerschnitt. Tiefe Röte bedeckte alle Gesichter, die sich von den weißen Hemdkragen grell abhoben.
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Subert, der neben Germaine saß, erwies dieser allerler Aufmerksamkeiten. Seine umflorte, ein wenig schleppende Stimme sprach eindringlich auf sie ein. Und unterm Reden füllte er immer wieder ihr Glas, sobald es sich leerte. Um es ihm gleichzufun, benahm sie sich ungemein geziert, indent sie beim Trinken den kleinen Finger in die Höhe hob und ihm mit einem leiſen Untertone von schelmischer Koketterie antwortete. Als der Bächter die beiden so vertraut miteinander sah, wurde er immer vergnügterer Laune und flüsterte Mathieu zu:
seid."
Das war wirklich eine famose Idee, daß ihr gekommen
Das Kaffeetrinken dehnte sich bis tief in den Nachmittag hin aus; dicke Zigarrendämpfe verdunkelten die Stube. Da schlug einer der Anwesenden einen Spaziergang nach dem