Mnterhaltungsblatt des Horwiirts Nr. 163. Freitag, den 29. August. 1913 28z Sin 1>Iann. Von Camille Lemonnier . Er näherte sich ihr, seine Finger irrten an ihrem Ann hinab, um ihre Hand zu finden. Versonnen lächelnd lieh sie ihn gewähren. „Wie Seide sind Ihre Händchen," flüsterte er nach einer kleinen Weile, als er über ihre Handflächen strich. „Das hat man mir schon einmal gesagt," lachte sie. Dabei glitt ein leiser Schauer über ihre Gestalt. Langsam suchten sich dann ihre Hände, und Seite an Seite geschmiegt, mit schlenkernden Armen und kindlichen- beholfenen Bewegungen schritten sie längs der wogenden Nehren dahin. Als ihr in den Sinn kam, daß sie ebenso an- einandergeschmicgt mit Cachaprös auf schmalen Waldpfaden gewandert war, empfand sie einen seltsamen Genuß, alle beide zu hintergehen. Der junge Hayot kam ihr wie gerufen, um ihre regelmäßigen Beziehungen mit jenem zu unier- brechen. In der Monotonie ihrer alten Liebe erweckten ihr seine liebkosenden Finger ganz neuartige Sensationen. „Da sind sie ja," riefen plötzlich ein paar Stimmen. Es war der Pächter mit seinen Söhnen, die sie beim Eingange des Wäldchens erwartet hatten. In den Augen des Alten funkelte eine schalkhafte Bosheit. Es war sein Lieblings- gedanke, seine Söhne reich zu verheiraten: eine Ehe mit dem Fräulein Hulotte wäre ihm hochwillkommen gewesen. Man betrat gemeinsam das Wäldchen, das Eigentum eines reichen Bankiers, dessen türmchengeschmücktes Schloß im Hintergrunde zwischen den Bäumen aufragte. Die regel- mäßig zugestutzten Gebüsche bildeten einen massiven Wall, der an mehreren Stellen von Durchblicken unterbrochen wurde. Dazwischen schlängelten sich die mit einer rötlichen Schicht zerstampfter Ziegel bedeckten Fußwege. Eine der Alleen führte zu einer steinernen Brücke aus rohen Quadern. mit düsteren, schweren Gewinden von üppigen Efeuranken drapiert. Kurzgeschorene Rasen breiteten unter den Bäumen ihre dunkelgrünen Teppiche aus, die in den Lichtwellen des Nachmittags in sniaragdenem Glänze funkelten. Diese peinlich-korrekte Symmetrie der Natur flößte ihnen ehrfürchtige Bewunderung ein: als Hayot die Geschichte seiner Beziehungen zu dem Bankier zum besten gab. dämpfte er unwillkürlich seine Stimme wie beinr Betreten einer Kirche. Ein sehr leutseliger Herr, trotz aller seiner Millionen, der mit den Leuten wie mit seinesgleichen plauderte. Uebrigens sei das Wäldchen nicht allgemein zugänglich, aber er, Hayot, habe die besondere Erlaubnis, es jederzeit zu betreten. Lange blieben sie vor der Brücke stehen, die weit und breit als Sehenswürdigkeit berühmt war, und Hubert benützte diese willkommene Gelegenheit, um Germainen in wohlgcsetzten Worten alle Schönheiten im einzelnen zu erklären. Stach einigen hundert Schritten gelangten sie zu einem antiken Tempel, zu Jiem eine Sandsteintreppe führte. An den Nischen zu beiden Seiten des Portals standen bis zum Gürtel ent- blößte Marmorfiguren. Daraufhin bemerkte Hubert, über- legen lächelnd, daß es in alten Zeiten nicht Brauch war, Kleider zu tragen. „Davon habe ich auch schon gehört," versetzte Germaine. die große Augen machte. Nun erlaubte sich einer der Jungen einen Scherz, wo- rüber alle in schallendes Gelächter ausbrachen. „Pst! der gnädige Herr könnte in der Nähe sein!" mahnte vorsichtig Vater Hayot, die anderen zum Fortgehen nötigend. Die Jungen, noch versunken in den Anblick der heraus- fordernden Rundungen des Marmors, schlugen nur zögernd den Rückweg ein. Auf dem Hofe angelangt, zog Mathieu den Schimmel aus dem Stalle und spannte ihn vor den Wagen. Doch der Pächter wollte sie durchaus nicht wegfahren lassen, ehe sie nicht noch eine letzte Flasche mit ihm getrunken: seine überschweng- liche Liebenswürdigkeit wuchs, je näher der Abschied heran- rückte. Die Flasche wurde auf Germainens Wohl, des schönsten Mädchens, das Hayot jemals gesehen, geleert. Ein wenig feierlich, mit den Gläsern in der Hand, standen alle im Kreise herum. Da Hubert nicht zugegen war. stockte das Gespräch ein wenig. Germaine empfahl Frau Hayot ihre Schneiderin, eine sehr geschickte Person: und sie hob ein wenig ihren Rock, um ihr dessen kunstvollen Aufputz zu zeigen. Da vernahm man Pferdehufe auf dem Pflaster des Hofes. Als Germaine durchs Fenster blickte, gewahrte sie Hubert, mit der Reit- peitsche unterm Arme, im Begriffe, seinem Pferde einen Sattel festzuschnallen. Von seinem grauen, am Rücken schlotternden Reitanzuge hob sich eine hochrote Krawatte grell ab. Dann kam Mathieu nochmals herein, um sich zu verab- schieden. „Herr Hayot, wahrhaftig, Sic haben uns zu viel Ehre erwiesen. Ich werd' es daheim erzählen." „Freut mich, niein lieber Junge," erwiderte der Pächter, ihm die Hand schüttelnd.„Viele Empfehlungen an de» Herrn Vater." Germaine hatte im Wagen Platz genommen. Während' sie die Falten ihres Kleides zurechtstrich. warf sie einen lauernden Blick zu Hubert hinüber, der, mit einem Fuß im Steigbügel, mit der Hand dem Pferde in die Mähne griff. Plötzlich schwang er sich mit dem Ausruf in den Sattel: „Ich begleite Sie." Nochmals wurden Händedrücke gewechselt. Hayot sprudelte unermüdlich einen Schwall freundlicher Worte her- vor. bei denen er sich innerlich gar nichts dachte: alle Stimmen schwirrten auf einmal durcheinander. Fritzens Augen hingen wie festgebannt an einem Stückchen von Germainens weißem Strumpfe, der unter ihrem Kleide hervorschimmerte. Dann aber ergriff Mathieu die Zügel, schnalzte mit der Zunge, Und das Wägelchen rollte davon, von Huberts Reitpferd gefolgt. So gelangten sie auf die Chaussee. lieber den Feldern lohte der rotglühende Sonnenball, die weiten Flächen in purpurnen Tinten badend. Ein warmer Dunst stieg am Horizonte auf. Langsam sank die Sonnen- scheibe in die Dämmerung hinab, in ihrem oberen Teile be- reits umdüstert, während der untere Rand noch immerdar glühte. Die ganze Ebene schien in einem grauen Meere unterzusinken, dessen Wellen schließlich auch alle Anhöhen, Bäume und Häuser verschlang. Der Wagen wirbelte am Boden leichte Staubwölkchen auf, die hinter ihm in dieHöhc stiegen, einenAugcnblickin denLllften schwebend und einen herbtrockenen Geruch verbreitend, der den würzigen Duft der Sträucher ertötete. � Zur Rechten ihres Gefährtes ritt Hubert mit gespreizten Beinen, die Hand in die Hüfte gestützt und ab und zu seinem Tier mit der Reit- peitsche einen Streich über die Flanken ziehend. Wenn der Weg sich verengerte, ließ er den Wagen voranfahren, und Germainc konnte dann bei jedem Sattclstoße den flatternden Zipfel seiner Krawatte sich heben und senken sehen. Unter seinen halbgeschlossenen Lidern warf er ihr schmachtende Blicke zu. bisweilen tief aufseufzend. Seine ver- schleierte Stimme, vom Klaptiern der Hufe übertönt, erreichte nicht immer ihr Ohr: sie konnte bloß Bruchstücke seiner Rede, ein wirres Gestammel unzusammenhängender Galanterien vernehmen. Er nannte sie bei ihrem Vornamen, sie sagte kurzweg Hubert zu ihm. Als die Wege sich gabelten und der Wagen auf die Land- srraße einbog, wollte sie, daß er umkehre. Aber er bestand darauf, sie bis zur Hütte der Cougnole zu begleiten. Da erst würde er kehrt machen. Als sie ihn diesen Namen aussprechen hörte, zuckte sie leicht zusammen. „Sie kennen die Alte?" „Ja und nein. Vor Zeiten einmal kam sie zu uns auf den Hof, um einer Kuh beizustehen." „Ach so!" Unter den Bäumen wuchs die Nacht. Das graue Dunkel lagerte sich über die Steine der Chaussee wie steigende Flutwellen, die in weiteren Fernen bereits das Gehölz über- strömten. Zwischen den hohen Laubkronen schimmerte der helle Himmel durch, von zitterndem Sternengcfnnkcl bewegt. Wie bleiche Nebelstreifen zerflattcrten ihre Gestalten in den von Sekunde zu Sekunde wachsenden Schatten. Die Finster- »is ließ nun den Pächtersoh» kühner werden: mit eindring- sicher Stimme fragte er sie. ob er sich Hoffnungen machen dürfe. Halb hingegossen in ihrem Wagen, den Oberkörper
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30 (29.8.1913) 168
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