Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 171.

31]

Ein Mann.

Mittwoch, den 3. September.

Bon Camille Lemonnier . Nun das Schweigen gebrochen war, ließ sie ihn gar nicht mehr zu Worte kommen. Bittere Vorwürfe machte sie ihm wegen seiner Gleichgültigkeit; ihm sei das recht einerlei, ob fie daheim Szenen habe oder nicht; täglich gäb's jetzt Ber­druß, zum Schlusse würde sie noch auf und davon gejagt

werden.

Das alles sprach sie sehr hastig, voll Mitleid für sich selbst, und schließlich dahin gelangend, zu glauben was fie sagte. Ja, so vollständig wußte sie sich in ihre Rolle einzu­leben, daß ihr plößlich die Tränen aus den Augen stürzten. Sie hoffte bei ihm auf eine gute Regung, vielleicht einen Verzicht, und während sie sich ihre geröteten Lider mit dem Taschentuche trocknete, schielten ihre tränenumflorten Augen heimlich zu ihm hinüber.

Er wiegte nur den Kopf auf den Schultern und schwieg

immerzu.

Nun ereiferte sie sich. Nichts anderes als Egoisten seien die Männer, die nur an ihr Vergnügen dächten. Die Frauen seien für sie lediglich zum Zeitvertreib vorhanden, und sie wollten sie beständig bei der Hand haben wie ein Spielzeug. Sie hatte sich arg in Hike geredet. Das Blut rötete ihre Wangen. Entschlossen blickte sie ihn jest an, um seine Ant. wort herauszufordern, den Oberkörper weit vornübergebeugt und mit ihren Händen heftig gestikulierend, als ob sie ihm jedes einzelne Wort an den Kopf schleudern wollte. Doch es geschah das gerade Gegenteil von dem, was sie erwartet hatte. Statt ihn zu erweichen, verhärtete sie ihn; sein angeborenes Mißtrauen ließ ihn hinter dieser Fülle von Vorwürfen eine Falle wittern.

Langsam löste sich seine Gestalt von der Mauer, und mit den Händen in den Hosentaschen stellte er sich breitspurig vor ihr auf:

Na also, wo soll das hinaus? Willst Du etwas von mir? So rede!"

Sie überlegte einen Moment, erhob sich dann und warf sich, in Schluchzen ausbrechend, mit einer großartigen, hin­gebungsvollen Gebärde an seine Brust:

Ich kann Dir nicht alles sagen. Ich bin mit Dir nicht mehr so glücklich wie früher. Wir sollten uns seltener sehen. Wer weiß, was später einmal sein wird, vielleicht wird dann noch alles gut."

Er war gerührt; an ihren warmen Tränen schmolz seine Härte.

Ich bin noch viel unglücklicher als Du," sprach er. Und doch denk' ich nie daran, Dich zu verlassen!"

Sie wollte ihm begreiflich machen, daß sich bei ihm die Dinge ganz anders verhielten; und während sie nach triftigen Argumenten suchte, bekamen ihre Augen ienen seltsam los­gelösten Blick nach Ausflüchten ringender Menschen. Aber er schüttelte, keineswegs überzeugt, den Kopf.

,, Du kannst bis morgen so weiterreden, ich werde Dir doch nicht glauben," sagte er. Vielleicht bin ich anders als andere Menschen."

Er nahm sie in seine Arme und bettete ihr Haupt an seine Brust.

,, Vor allem hätte ich Dich nicht tagelang warten lassen, ohne zu kommen. Du hättest bloß ein bißchen in den Wald zu laufen gebraucht und gleich wieder zurück können. Das wäre für mich eine Wohltat gewesen. Aber Du bist nicht ge­fommen!"

Sie erwiderte ihm mit allen erdenklichen Ausreden: erstens wäre sie gar sehr beschäftigt gewesen, sogar gestern, Sonntags, habe sie nichts anderes getan, als gearbeitet.

Diese offenkundige Lüge ließ ihn erschreckt zusammen­fahren; doch scheinbar gleichgültig fragte er fie in fühlem Tone:

"

Gestern hast Du also auch gearbeitet?"

Nichts ahnend, machte sie ein bejahendes Beichen mit dem Kopfe. Da überkam ihn eine schreckliche Angst, Schweiß­tropfen standen ihm auf der Stirne.

Bis zum Abend?"

1918

Seine Beharrlichkeit warnte sie, auf ihrer Hut zu sein: eine Ahnung durchzuckte sie. Sie zauderte und streifte ibn mit einem raschen Blick; dann aber behauptete sie fed: Ja, bis zum Abend."

schrie er, sie von sich stoßend: Da packte ihn wieder seine alte Raserei, und gellend

,, Du lügst!"

Das Haupt stolz in den Nacken werfend, richtete sie sich Kampfbereit empor und maß ihn mit einem herausfordern den Blick:

Was, ich sollte lügen?"

trüge ihn mit ihren Galanen, " Ja! und wie!" Jept errate er alles, alles! Sie be­trüge ihn mit ihren Galanen. feines gestrigen Wutanfalles schleuderte er ihr die fürchter­Und in einer Wiederkehr lichsten Wahrheiten entgegen: ihretwegen habe er beinahe einen Menschen erschlagen, doch sie sei es nicht wert. Schon feit langem betrüge sie ihn. Und er war so dumm gewesen, ihr aufs Wort zu glauben. Ah! das gnädige Fräulein ließ sich von Pächtersöhnen heimbegleiten, denen sie ihr Händchen gab und am Ende gar weis machte, daß sie noch ein Jüng­ferlein ſei!

Mit verschränkten Armen, den Oberkörper weit vorge­beugt, streďte er ihr sein wutverzerrtes Antlig entgegen. Er stickt zischten die Worte zwischen seinen zusammengepreßten Zähnen hervor, von bitterem Lachen unterbrochen, das wie Peitschenhiebe dazwischen faufte. Ihr waren die Arme herab­gefunken. Die Augen starr auf den Boden geheftet, lauschte fie ihm wie betäubt. Was sie am ärgsten traf, war nicht so sehr die Nachricht, daß er sie gesehen, als daß er den jungen Hayot unterwegs überfallen hatte. Wie, beinahe umgebracht hätte er ihn. Aber da würde doch die ganze Geschichte auf­Sie hatte eine Anwandlung von Troß. Einen Schritt nähertretend, sprach sie kühn:

femmen!

,, Also ja, es ist wahr, ich hab' ein Verhältnis." Sie hatte kaum die Worte ausgesprochen, als sie schon Angst bekam und die Hände vors Geficht schlug.

Das Geständnis hatte Cachaprès wie ein Keulenschlag getroffen. Mit einem Wehruf taumelte er zurück wie ein zu Tode Getroffener, der, nichts ahnend, den tödlichen Streich empfangen. Aber schon im nächsten Augenblick, nachdem die Worte wie spike Nägel in sein Hirn eingedrungen waren, deutete er mit dem Ausdruck eines Wahnsinnigen nach der Tür und schrie:

,, Hinaus, Du Dirne!"

Da gewann die weibliche Feigheit wieder Oberhand in ihr. Sie hoffte, daß dies das Ende sei und er sie endlich ver­lassen werde. Befreit aufatmend, lief sie nach der Türe. Da fühlte sie sich von einer Hand an den Röcken festgehalten. Sierher!"

Er zog sie zu sich heran, schob den Riegel vor und schleu­derte sie dann mit einem heftigen Stoße zurück, daß fie in einen Stuhl niederfiel. Sie sah sich in seiner Gewalt, und mit schlotternden Armen, wachsbleich im Gesicht, äußerlich aber scheinbar ruhig, wartete sie. Das war ihre Freiheit, die es jest galt: sie war fest entschlossen, diese um jeden Preis zu erobern.

Anfangs durchmaß er das Zimmer mit heftigen Schritten, an allen Tischen und Stühlen anstoßend; sein feu­chender, harter Atem verriet das Ungeheuere seiner innerlichen Qual. So oft er an ihr vorüberkam, schloß er die Augen. um sie nicht zu sehen.

Allmählich nahm eine kalte Entschlossenheit von ihm Be­sit. In seiner Wanderung innehaltend, begann er mühsam und stockend:

"

Was geschehen ist, ist geschehen, Germaine. Da läßt sich nichts mehr ändern. Der Mann saß auf seinem Pferd. Ich hab' ihn' runtergeworfen. Ich hätt' ihm am liebsten sein Blut gezapft. Bis morgen, vielleicht schon jetzt, in diesem Augenblick, werden alle Leut' es wissen, daß Du einen Ge­liebten hast, und daß ich dieser Geliebte bin. Und er wird vor Dir ausspuden. Das ist gar kein richtiger Mann!- Also, hör' mich jetzt an. Ich hab' mein verdammtes Leben satt! Ich mag's nicht mehr, möcht' ein Ende machen! Du, Du bist auch fertig. Man wird erzählen, daß Du die Ge­