Wesenheit Notiz zu nehmen. Sie hatte ihre gewohnte Be° schäftigung wieder aufgenommen. Bald in der Küche, bald im Stalle war sie wieder die rüsttgste Haushälterin von ehe- dem geworden, und das Verlangen, sich mit Arbeit zu be- täuben, spornte sie zu außerordentlicher Betätigung an. Nur bei den Tieren fühlte sie sich ein wenig leichter ums Herz; bei den Rindern auf der Weide waltete ein wohltuender Friede, der sich auch ihr mitteilte. Kaum heimgekehrt, brach aber die Erinnerung ihrer Schmach überwältigend über sie herein. Der Pächter schien mit seinen Söhnen eine geheime Ab- rede getroffen zu haben, sie ruhig sich selbst zu überlassen. Man mied sie. An Stelle des guten Einvernehmens von ehedem war kühle Zurückhaltung getreten, die sie inmitten des Getriebes des Pachthofes vollständig isolierte. Bisweilen wurden einige Worte gewechselt, jedoch nur hastig und scheu. So zogen sich die Nachmittage stumm und träge dahin, und zu ihrem Kummer gesellten sich noch die lähmenden Gluten der Junisonne. Erst die Abende waren ihr wie eine Erlösung. Namentlich die Mittagstunden lasteten auf ihr. Da flu- teten brennende Hitzewellen in den Hof; das glühende Schieferdach schleuderte einen vernichtenden Atem in das Treppenhaus: der Düngerhaufen kochte. Eine große Mattig- keit, die zeitweise auch auf ihren Geist übergriff, befiel ihre Glieder. Wozu war sie sürder noch gut. An Heirat durfte sie nicht mehr denken: jeder Freier, der ihre Geschichte erfuhr, würde sich anderwärts ein besseres, sittsameres Mädchen suchen. Unbeachtet würde sie in einem Winkel verkommen, mit jeder Jahreswende ein wenig mehr verbitternd. Und düster, dräu- end, in schier endloser Reihe zogen an ihr die trostlosen Jahre des reiferen Alters vorbei. tLorstetzuiig solgt.l Zur pfychologie des fümdramas. Einige unserer Schriftsteller, die da einenNamen" haben, haben es für nötig gehalten, die künstlerisch empfindende, literarisch geschulte Welt baß in Erstaunen zu setzen, indem sie die Verfilmung ihrer Werke gestatteten oder selbst Filmdramen schrieben. Welche dieser beiden Taten das größere Verbrechen ist, das zu untersuchen ist ziemlich zwecklos. Zweierlei an den Begleiterscheinungen war interessant: einmal die Laxheit in den Ausführungen, mit denen einige der Schriftsteller diesen Schritt zu rechtfertigen� suchten (während andere verlegen ganz schwiegen) und die die Sache als ganz harmlos hinstellten. Andererseits wird es noch der psychologi- schen Erklärung bedürfen, weshalb der Schrei der Entrüstung in Presse und sonstiger Oeffentlichkeit so schwach, o so sehr schivach er- tönte. Um so besser verstand die interessierte Fachpresse das Er- eignis auszubeuten, Reklame damit zu machen und mit reizender Eifrigkeit festzustellen, daß es nun eine Kinokunst gäbe, da ja drei deutsche Dichter sie anerkannt hätten. Nun, Hauptmann hat jetzt durch die Vergewaltigung der Freiheit der Kunst durch Hofschranzen in Breslau   gewaltig viel Sympathien erworben. Es ist daher ein wenig unklug, gerade in diesem Moment ihn in der Kinofrage an- zugreifen. Aber es läßt sich doch nicht umgehen; zumal alle Zeitungen von der beginnenden Verfilmung derAtlantis" reden. Es muß also gesagt werden: Wie deutsche Dichter es vor ihrem künstlerischen Gewissen verantworten, daß sie ihre jtzunjt in den Dienst der Kinematographentheater stellen, das wird der deutschen Kunstgemeinde stets ein Rätsel bleiben, auch wenn gewissenlose Schreier, wie Hanns Heinz Ewers   zwei Stunden lang im Kino reden. Es ist natürlich der leidige Mammon, dem die Kunst dabei zum Opfer fällt. Munkelt man doch von einigen Millionen, die der brave Sienkicwicz mit seinemQuo vadis" gemacht hat. Man glaubte aber doch der ganzen Aktion ein Mäntelchen umhängen zu müssen und sprach deshalb von der Hebung des Kinos. Doch einer aus dem eigenen Lager der Filindichter ivar mutig genug, auch diese trügerische Illusion zu zerstören. Wolzogen bekannte: .Jm allgemeinen fürchte ich, daß wir uns um die Hebung des Kinos ziemlich vergeblich bemühen werden." Wir können heut schon sagen, daß Kitsch wieVilla Stillfried" usw. beweisen, daß man sich absolut vergeblich bemüht hat, trotz Tolstoi u. a., und daß man sich völlig vergeblich mühen wird, trotz Hauptmann u. Gen. Nie- mand wird im Ernst Wolzogens Satz zitieren wollen:Braachbare Filmdramatiker werden sicherlich nur solche Dichter werden, die spannende Handlungen, packende Situationen zu erfinden und mit ihrer Tendenz das Massenempfinden zu treffen wissen." Es tut mir leid, solche Schundliteraten vermag ick vor meinem künstleri- schen Gewissen nicht Dichter zu nennen. Nein, nie und nimmer wird sich das Filmdrama mit dem Begriff der Kunst vereinen lassen. Doch eben d'avon soll jetzt die Rede sein; das ist zu beweisen. Du schäumst vor Autoritätsgefühl; Du liebst, was'Großen" einst genehm, Weil Du nicht viel zu denken brauchst. Das ist hoch so bequem. Schreib drüberdem Deutschen  " und glaubs. Wer nur keine Furcht, mein Freund, ich will Dich ja nichtschlecht machen". Ich will mich ja nur rechtfertigen, wenn ich mit Zitaten komme. Da Hab ich hier ein nettes Buch: Technik des Dramas von Gustav Freytag  . Nicht wahr, den Mann solltest Du kennen? Und sei's nur von denAhnen" her. Hoffentlich glaubst Du ihm einiges denn mir allein glaubst Du's ja doch nicht. Was ist dramatisch? so wollen wir ihn einmal fragen. Und er sagt:Nicht dramatisch ist die Aktion an sich...; nicht die Darstellung einer Begebenheit an sich, sondern ihrer Reflexe auf die Menschenseele ist Aufgabe der dramatischen Kunst. Schilderung fesselnder Begebenheiten ist Aufgabe des Epos." Und nun höre meine ketzerischen Worte: Ein Filmdrama gibt es gar nicht. Was man da spielt, das sindaufgeführte" Romane, ja Romane. Muß ich denn erst den Geist(Pardon: Eid) des Stephau Huller aus demB. T." zitieren? Siehst Du, das nannten sie Filmdrama, und das war ein Roman. Und bald werden sie Atlantis" das große Sensations-Filmdrama nennen und ist doch ein Roman. Es ist eigentlich recht verwunderlich, daß man dieser Verwischung der Grenzen von Roman und Drama, ja mehr, dieser vollkommenen Verkennung des Charakters beider Dichtungsarten durch die Kinematographie noch niemals besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat. Es mutzte doch Bedenken erregen, daß eine neue Kunstgattung(und das will doch die Kinokunst sein) so rücksichtslos gegen alle bisherigen Kunstgesctze verstieß. Man trat in theoretische Erwägungen über diese Erscheinungen deshalb nicht ein, weil man in den meisten Künstlerkreisen die ganze Asfäre für viel zu belang- los hielt und weil die anderen Kreise doch nicht kritisch und Urteils- fähig genug waren. Freytags oben zitierte Definitionen für dramatische Kunst gelten unangefochten noch heute und werden gelten, solange es überhaupt Kunst gibt, denn sie nennen nicht die Umgrenzungen einer Kunstgruppe, sondern das Wesen derselben, und am Wesen des Dramas ändert man nichts, ohne dieses selbst zu vernichten. Es fragt sich also jetzt: kann die Kinematographie die Aufgabe erfüllen, die Reflexe einer Begebenheit auf die Menschenseele wiederzugeben? Die Antwort lautet: NeinI Der Film vermag kein Drama zu geben. Da nämlich die dramatische KunstMen- schen darstellt, wie ihr Inneres nach außen wirkt oder durch Ein- Wirkungen von außen ergriffen wird, so mutz sie konsequent die Mittel benutzen, durch welche sie dem Publikum diese Prozesse der Menschennatur verständlich machen kann. Diese Mittel sind Rede, Ton, Gebärde. Sie muß sie vorführen als sprechend, singend, in mimischer Tätigkeit." Schreib drüber:Todesurteil des Film- dramas" und drunterGustav Freytag  ". Rede, Ton, Gebärde und die Rede ist die größte unter ihnen. Das weiß man ja längst in der Kinematographie. Da stellt man denschwungvollen" Er- klärer hin, der von demtreulosen" Weibe erzählt, das sich mit der Schwiegermutter nicht vertragen will. Da gibt man den ein- zclnen Teilen grausige Überschriften, die alles im voraus verraten: Er ißt Sie ißt. Man hat diesen Ueberschriftenrummel letzthin nicht schlecht imMann mit der grünen Maske" glossiert. Man braucht eben diese Ueberschrifien und Erklärer; es verstände ja kein Mensch die Handlung. Auf zwei Sinne wirken zu dürfen, das ist der Vorzug, den die dramatische Kunst jeder anderen voraus hat; wer ihr die eine Seite raubt, indem er nur hopsende Menschen bewundert, der bläst ihr das Lebenslicht aus. Hat man denn nicht das dumpfe Empfinden gehabt, daß man auch den Gehörsinn be- schäftigen müsse, als man Klavier und Harmonium, ja Orchester in das Kino brachte? Und all das: Erklärer, Ueberschrifien, Schauermusik würde ja nichts helfen. Trotz allem Verraten der Ueberschriften, trotz des übertreibenden Ertlärers, trotz der bald jubelnden, bald schau rig-klagende» Musik würde die Handlung doch zum Teufel gehen und von niemand verstanden werden, wenn nicht die Schauspieler unmäßig in Mienen und Gebärden übertrieben. Muß ich erst aus LessingsLaokoon" Kunstgesetze zitieren? Ich denke, das Wort:In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister" ist Urteil genug. Kunst mutz immer Beschränkung bleiben, sonst wird sie Karikatur. Ein Schritt nur vom Erhabenen zum Lächerlichen. In der Kunst heißt er immer Uebcrtreibung. Der Kinokitsch tut diesen Schritt immer. Hat denn schon ein einziger Mensch mit gesundem Knnstcmpfinden ein Filmdrama gesehen, ohne über die Schauspielerkaritaturen selbst einer Asta Nielsen   zu lachen? Das grobe Unterstreichen, das Verzerren der Gesichtszüge, das zur Klarheit der Handlung unbedingt nötig ist, wirkt auf jeden wahrhaft empfindenden Menschen verekelnd oder lächerlich. Die fein andeutende, zarte Bewegung, die beherrschte Erregung, die der Phantasie des Zuschauers noch Spielraum lassen, sie sind Kunst. Die grelle Pose und der lächerliche Schwung des Kinodebütanten hat mit Kunst nichts zu tun. Ich habe früher einmal an anderer Stelle geschrieben:Man spiele doch im Film einmal denWallcnstein" oder Hauptmanns Versunkene Glocke". Ist der Gedanke allein nicht lächerlich?" Ich habe damals die Schamlosigkeit und Kunstvcrachtung des Kino- dämons unterschätzt. Man hat denFaust" verfilmt. Ich verbürge mich mit meinem Kopf, daß ich diesen tvahnsinnigen Frevel an der deutschen Literatur und Kunst mit eigenen Augen gesehen habe. Man hat denParsifal  " verfilmt. Nun, beide Wahnsinnstaten haben ein so glänzendes Fiasko gezeitigt, daß selbst die Branche- presse ihren Unmut über derartigen Unsinn nicht unterdrücken konnte. Nichtsdestotrotz man verfilmt auch SchillersVerbrecher