Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 178.

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Ein Mann.

Freitag, den 12. September.

Von Camille Lemonnier .

Einer von ihnen erhielt die Mission, ihn in einen Hinterhalt zu locken. Er zechte mit ihm, ließ ihn im Karten­spiel gewinnen und eröffnete ihm schließlich geheimnisvoll, er wisse eine prächtige, wildreiche Stelle, und bot sich an mit ihm zu teilen. Cachaprès nahm das Anerbieten sonder Argwohn an, trop all seiner sonstigen Schlauheit.

Gemeinsam gingen sie ans Auslegen der Schlingen. Es war eine wundervolle klare Nacht. Der Mond wob zwischen die Bäume einen bläulichen Dunst wie zarte Spinnengewebe. Hell leuchteten die taubeperlten Gräser und Moose. Zwischen den Bäumen hing noch ein Rest der Tageswärme, die einen scharfen Gegensatz zu der Abkühlung in den Feldern bildete. Behutsam schlichen sich die beiden Männer durch die Büsche. Sie waren vom Wirtshause spät aufgebrochen; da lohnte es gar nicht der Mühe, sich noch schlafen zu legen. Plaudernd und ab und zu aus Cachaprès' Flasche trinkend, erwarteten sie den Morgen. Nun begannen filberne Strahlen über den Himmel zu züngeln, der Forst erschauerte leicht, in den Blättern lispelte der Wind, fie hörten das Erwachen der Nester; und mit langsamen Schritten näherten sie sich der Stelle, wo die Schlingen lagen.

Eine Häsin!" rief Cachaprès. Mit einent Sake war er bei dem gefangenen Tier, bückte sich und zuckte heftig zusammen. Jemand hatte an seine Schlinge gerührt; das war nicht sein eigener Knoten! " Ich bin verraten worden!" schrie er gellend. Im selben Augenblicke raschelte es im Gebüsch, und drei Männer stürzten hervor, die ihn mit den Armen umschlangen. Es waren die Gendarmen. Der Verräter war verschwunden. Mit einem Ruck warf Cachaprès den Aeltesten, Bastogne , zu Boden, drang auf Bayonnet ein und hieb dessen Schädel mit aller Gewalt gegen einen Stamm. Ein Blutstrom quoll ihm entgegen und rötete seine Hände. Er versuchte mit einem Seitensprung ins Didicht zu fliehen, aber schon fühlte er sich von zwei eisernen Händen umflammert, die wie ein Schraubstock seinen Hals umschnürten. Es war Malplaquet, der sich ihm angehängt hatte.

Der Förster war kräftig und schlau, hatte auch in jungen Jahren ein wenig gewildert. Aus jenen Zeiten hatte er fich seine Gewandtheit, seine List und die treffsicheren Schüsse bewahrt. Unter den eisernen Fingern, deren Druck sich von Minute zu Minute steigerte, wurde Cachaprès blau im Ge­ficht. Malplaquet hielt sich wacker.

Nun tamen ihm Bastogne und Bayonnet zu Hilfe und sie bemühten sich zu dritt, ihn festzuhalten. Bayonnet schlang einen Strid um feine Beine. Den zerriß er und stieß dem armen Tropfe seinen Absatz in den Unterleib, daß er schluch­zend und betäubt zusammenstürzte. Fast gleichzeitig zer­schymetterte er mit einem fürchterlichen Fausthieb Bastogne das Nasenbein. Malplaquet fühlte seine Kräfte schwinden. ,, Wacker! Wacker!" schrie er den andern zu, da er spürte, daß seine Finger in einem Krampfe erschlafften.

Bayonnet, halb von Sinnen, schleppte sich mit Aufgebot seiner legten Kraft zu Cachaprès und hieb diesem mit der Faust übers Auge. Einen Moment blieb der Bursche wie gelähmt. Malplaquet, mit seinen Kräften zu Ende, brüllte um Hilfe. Seine Hände waren erschlafft wie verdehnte Federn, und er spürte an gewissen Bewegungen des bis dahin gebändigten Körpers, daß dessen Ausbrechen nahe bevorstand. Plötzlich warf sich Cachaprès zur Erde, Malplaquet mit seinem Gewichte nachziehend.

1918

er befand sich mitten drin und brachte alle erdenklichen Kriegs­listen in Anwendung. Bastogne mußte für seinen Angriff mit einem Schädelhieb büßen, der ihn kampfunfähig machte. Bayonnet fuhr er mit zwei Fingern in die Augen und zer­fragte ihm die Bindehaut, daß er, aufbrüllend vor Schmerz, hilflos in die Luft schlug. Und abermals war Cachaprès Malplaquet allein gegenübergestellt.

Der Zorn hatte ihn um die Besinnung gebracht; in seinen Adern wirbelten Feuerströme; da fuhr er mit der Hand in die Tasche, zog das Messer hervor, öffnete es und stieß es dem Förster zwischen die Rippen. Dann richtete er sich empor und sprang zerfekt, zerfleischt, mit blutüber­strömtem Gesicht über Bayonnet und Bastogne hinweg in den Wald.

Da knallten zwei Schüsse hinte ihm. Malplaquet hatte sich auf den Knien aufgerichtet und mit einer letten An­strengung angelegt. Das Blei pfiff an ihm vorbei, schlug ins Laub, und er war im tiefen Meer der grünen Blätter verschwunden.

Gerettet, doch von Stund' ab im offenen Kampfe mit dem Gefeße, was soviel bedeutete wie gejagt, verfolgt, von Schlupfwinkel zu Schlupfwinkel gehetzt, genötigt, beim ge­ringsten Geräusch zusammenzuzuden. Noch ein anderer er­schwerender Umstand trat hinzu: Malplaquet starb nach zweitägigem Leiden. Er erfuhr es durch einen Bauer, der ihm heimlich bei Nacht Brot in den Wald brachte.

So unerschöpflich er auch im Ersinnen neuer Kriegslisten war, so mußte der Rebell doch einsehen, daß diesmal feine Position unhaltbar geworden sei. Mochte er sich auch ducken, berkriechen, oder auf die höchsten Wipfel der Bäume klettern: einmal würde er dennoch gefangen werden.

Der Landmann hatte ihn auch benachrichtigt, daß der Forst von einer Schar von Waldhütern abgestreift werde; überdies sei ein starkes Gendarmerieaufgebot herangezogen worden, und diese ganze Truppe umziehe das Revier mit einem weitausgebreitetem Neb . Eine einzige Hoffnung blieb ihm noch: die dunklen, heimatlichen Wälder in nächtlicher Wanderung zu erreichen. In jenem Walde war er daheim; jede Bodenwelle war ihm dort liebvertraut, dort wurzelte er mit allen Fasern feines Seins. Den wollte er sehen, der ihn dort aufspüren könnte!

Für ihn bedeuteten zehn Meilen einen einzigen Nacht­marsch, vorausgefeßt, daß er nicht behelliat wurde. So ver­sah er sich denn mit Pulver und Blei, nahm seine Flinte und machte sich auf den Weg, den Richtungen ausweichend, hinter den Bäumen Deckung suchend, manchesmal neben den Büschen friechend. Er schritt gewaltig aus, nur ab und zu in seiner Wanderung innehaltend, wenn ihm irgendein Geräusch ver­dächtig erschien; dann lief er wieder weiter, flink und ge­schmeidig wie ein Reh.

Einen Moment lang schien seine Lage kritisch. Aus der Ferne drangen vom Winde getragene Stimmen zu ihm. Lauschend stand er still. Seiner Schäßung nach rührten die Stimmen von acht bis zehn Mann her, die zu seiner Rechten durch den Wald marschierten. Bisweilen konnte er deutlich das Geräusch ihrer Schritte unterscheiden. Er rannte davon, blieb nach einer Weile tief Atem schöpfend stehen und horchte wieder. Es war nichts mehr zu hören auker dem Rascheln der Blätter.

Als er vor der Hütte der Cougnole vorüberfam, begann ein fahler Schimmer das Firmament zu bleichen. Er war hungrig, durstig, von Schlaf halb betäubt. Die Alte lag im fiefften Schlummer; fie erwachte erst, als die Fensterscheiben unter seinen trommelnden Fingern dröhnten.

Wer Ihr auch seid, geht Eures Weges." rief sie; hier wohnt eine arme, alte Frau, der nur der liebe Herrgott helfen fann."

Er nannte flüsternd seinen Namen durchs Schlüsselloch. Alsbald schlürften nadte Sohlen über die Fliesen und die Türe wurde aufgetan.

Nun gab's ein wüftes Kunterbunt auf dem Boden. Unter wilden Zuckungen wälzte sich der schreckliche Bursche herum, mit dem Schädel wie ein Widder stoßend und einen nach dem anderen übern Haufen werfend. Bisweilen auch fam er mit dem Gesichte zur Erde unter ihnen zu liegen, von ihrer Last halb erstidt. Gellende Hilferufe erfüllten nebst dem Getöse der aufeinanderprallenden Körper die Luft. Mit wilden Arm- und Beinverrenkungen verkrampfte und ver- Er riegelte hinter sich die Türe ab und ließ sich erschöpft zerrte sich dieses dreirückige Ungetüm auf dem Boden, einem aufs Bett der Alten fallen. Uff! er war gänzlich zerschlagen. formlosen Klumpen von zappelndem Fleische gleichend. Und Er erkundigte sich nach Germaine. Sie zuckte die Achseln; fie

Du bist's, Bursche?" Trinken möcht' ich!"