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Vorsprung. Noch eine letzte Anstrengung bersuchte der Gendarm; dann blieb er stehen, da er einfah, daß die wachsende Distanz eine Verfolgung unmöglich machte, legte an und schoß. Cachaprès wankte.
Ein fürchterlicher Schlag hatte ihm Kopf und Schultern erschüttert. Betäubt ließ er sich auf die Hände fallen. Feuerwirbel freisten vor seinen Augen, der Garten schien in Flammen zu stehen; ein wüster Lärm erfüllte sein Hirn, in einen Schläfen dröhnten wütende Glockentöne. Aber plözlich erhob er sich wieder und begann mit verdoppelter Geschwindigkeit, wie ein angeschossener Wolf, zu entlaufen. Ein Wächter tauchte vor ihm auf und versperrte ihm den Weg.
Knirschend schleuderte er ihm eine Verwünschung ent
gegen.
,, Du Aas!" schrie er, und seine Flinte wie, ein Beil über dem Kopfe schwingend, schlug er ihn nieder.
Ein paar Schritte hinter ihm brüllte eine Stimme: Mörder! Mörder!"
Der
Das war der Gendarm, der ihn eingeholt hatte. Wächter hob mit der unversehrten Hand seine Flinte empor und schoß blindlings, ohne zu zielen.
Mit einem Satz hatte sich Cachaprès gerettet, und die Rugel schlug in eine Eiche. In atemloser Haft lief er geradeaus, mit dem Wind seines Laufes die Blätter peitschend. Er hatte seine ganze Raltblütigkeit wiedererlangt. Deutlich konnte er in der Entfernung die Schritte eines ganzen Trupps vernehmen, ja, es schien sogar, daß die Zahl seiner Verfolger noch gewachsen sei. Die Fäuste in die Hüften geſtüßt, flomm er die Hänge hinan, oder wand sich durch Schluchten, elastisch, geschmeidig und flink, den Boden kaum mit den Sohlen berührend. Er wandte sich nach rechts, ein bestimmtes Ziel vor Augen, die Hütte der Ducs . Unfern von dieser verstrickte fich ein dichtes Dornengestrüpp. Er würde die Ducs im Vorüberlaufen verständigen und sich im Dickicht verbergen. Das müßte schon nicht mit rechten Dingen zugehen, wollte man ihn dort aufspüren.
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Sein Geficht bedeckte eine noch stärkere Blässe als früher; er wankte. Da sprang die Kleine in einer schönen Regung auf ihn zu: Stüt' Dich auf meine Schulter! Ich führe Dich hin." Noch einmal versuchte er zu prahlen:
Aber was Dir nicht einfällt! Ich bin doch ein Mann!" Und gegen die Schwäche, die ihn zu übermannen drohte, gewaltsam ankämpfend, trat er hinaus, den Lauf der Flinte wie einen Stab umklammernd. Sie folgte ihm, halbnadt; die mageren Schultern guckten aus dem Hemdchen hervor, um die Hüften hatte sie ein kurzes Rödchen gebunden. Und so oft er schwankte, sprang sie hinzu, ihn mit ihrem Körper zu stüßen, indem sie fich resolut wie ein Junge auf ihre dünnen Beinchen stemmte.
Endlich gelangte sie zu dem Gestrüpp. Das Eindringen in das verworrene Dickicht der Dornenranken verursachte Cachaprès unsägliche Qualen. Er mußte sich den Weg mit dem Meffer bahnen, nachdem er vergebens hindurchzukriechen bersucht hatte. Die Kleine trat mit ihren nadten Beinchen tapfer in die Dornen, der Wunden nicht achtend. An den furchtbaren Krallen des Gestrüpps blieben Fezen ihres Rödkchens zurück. ( Schluß folgt.)
Jenenfer Streifgang.
Von der Universität zum Phyletischen Museum. Wolfen ziehen über den Herbsthimmel und in beweglichem Spiel fämpfen Licht und Schatten um den Besitz der bewaldeten Fürstengraben, eine der schönsten Straßen von Jena . Hier stehen Täler und Höhen. Mein Weg zur Universität führt mich durch den aus alter Zeit vornehme Patrizierhäuser in gut gepflegten Gärten; Nelken, Geranien und Rosenstöcke blühen vor den Fenstern. leppig rankt sich der wilde Wein an den Wänden empor; in flammendes Not hat der beginnende Herbst seine Blätter getaucht. Dort, in Ein heftiger Schmerz nagte anfallsweise an seiner linken jenem ehrwürdigen Hause, vor dem sich jetzt der botanische Garten Schulter; die ganze Seite, vom Oberarm bis in die Hüfte, ausbreitet, hat Goethe oft geweilt, hier hat er seine Untersuchungen Vor den Fenstern des schien aus den Fugen gegangen; Nadelstiche fribbelten in über den Bau der Pflanzen gemacht. Zimmers, das er zu bewohnen pflegte, erhebt sich noch heute der= seiner Haut, als würde diese mit glühenden Spizeisen ge- jelbe, damals als größte Seltenheit aus Japan importierte Baum, foltert. Er griff mit der Hand nach der verlegten Schulter ber Gingko biloba, den Goethe in Versen besang. Dieser Baum und zog fie, mit einer warmen Flüssigkeit beneßt, zurück. erregte damals das Staunen der gelehrten Welt dadurch, daß er Doch Lungen und Brustkorb waren unversehrt. Er hatte sich sich weder zu den Laubhölzern noch zu den Nadelbäumen zählen seinen kräftigen Atem bewahrt, sein leicht federndes Knie ge- ließ. Die Universität Jena ist stets eine Stätte regster naturhorchte ihm noch. Und von Kraft und Stolz geschwellt, kam wissenschaftlicher Forschung gewesen und bis heute geblieben. ihm wieder sein teuflisches Lachen aus früheren Tagen zurück. Goethe selbst, als Leiter des Erziehungswesens in seinem DuodezAllmählich hatte das Getümmel nachgelassen; er hatte staate, hat eifrig dafür gesorgt, daß die Naturwissenschaften an der Es genügt, zwei Schüsse knallen gehört, die wahrscheinlich irgendeiner Universität durch tüchtige Gelehrte vertreten waren. verschwommenen Erscheinung im Dickicht gegolten hatten. den Namen des großen Oken zu nennen, der sich auch als freiheitlich gesinnter Politiker in der Burschenschaftsbewegung in den Dann war das Stimmengewirr allmählich in den Tiefen des Zeiten der Reaktion und Demagogenverfolgung betätigte. Später Waldes erstorben. Er verminderte ein wenig die Schnellig- wirkte hier Schleiden , einer der Begründer der Zellenlehre. feit seiner Flucht, fest überzeugt, seine Verfolger auf eine und heute ist es der greise a edel, der die große Tradition fortfalsche Fährte gelockt zu haben. Sie hatten sich nach links jetzt, als tapferer Künder der Entwickelungslehre, die in dem Kopfe Goethes und der anderen Forscher zu Beginn des 19. Jahrhunderts gewandt, irregeleitet von falschen Spuren. zu feimen begann.
Noch vor Morgengrauen erreichte Cachaprès die Hütte der Ducs . Er pochte.
Die Kleine war allein im Hause. Der Greis und die Greisin hatten eine Meile weit entfernt einen Baumschlag auszuholzen; sie übernachteten an Ort und Stelle im Freien, um den Tag besser zu nußen. Unter dem Gewirr des struppigen Haares, das ihr über die Augen fiel, betrachtete sie ihn mit einem Gemisch von Haß und Freude in ihren tückischen Blicken. Er verlangte Schnaps; doch war keiner vorhanden. Seine Kehle war trocken wie das Innere eines Ofens. Er leerte einen großen Napf voll Wasser auf einen Zug.
Die Kleine schlich beunruhigt, erstaunt, mit hochgezogenen Brauen um ihn herum: da gewahrte sie das sickernde Blut; fie schrie auf, und seinen Arm ergreifend, stieß sie hastig die Frage hervor:
Die Gendarmen?"
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Wie sich hier in Jena Vergangenheit und Gegenwart, Altes und Neues durchdringt, das zeigt vor allem der wundervolle Bau der neuen Universität, die von dem bedeutenden Münchener Architetten Theodor Fischer errichtet wurde. Nicht alte, tote Formen werden hier nachgesprochen; und gleichwohl fügen sich die neuen Formen dem Stadtbilde in voller Harmonie ein. Besonders glücklich hat der Architekt das Problem der Verteilung der Massen zu lösen gewußt. Luftige, herrlich weite Höfe werden geschaffen, und in mannigfaltigen Formen gliedert sich der Raum und das einfallende Licht. Einfach und schlicht, nur von sparsamstem Schmuck geziert, präsentieren sich die Innenräume, die Aula, das Sißungszimmer des Senats. Sicherlich lohnt es sich für die Genossen, die iebt in Jena versammelt sind, in einer freien Stunde sich an diesem Kunstwerk zu erfreuen und zu erfrischen.
Einen besonderen Ruf genießt das in einem der Korridore der Universität aufgestellte Temperagemälde des großen Schweizer Malers Hodler , das den Auszug der Jenaer Studenten im Jahre 1813 darstellt. Ein Bild von starker, eigener Originalität, Er nickte bloß; ein unbeschreiblicher Schmerz hinderte in das man sich lange und eindringlich versenken muß, um es sich ihn am Sprechen. Die Zähne aufeinander preffend, hielt er zugänglich zu machen. Hodler selbst hat mir vor vielen Jahren, gewaltsam den Atem zurück, von jedem eindringenden Luft- als er mir seine Gemälde in Bern zeigte, erklärt, daß es sein Beftrome wie von Messerstichen durchbohrt. Doch raffte er fastreben, die Grundrichtung seines fünstlerischen Schaffens sei, die gewaltsam auf und erzählte in abgerissenen Worten von dem Kampfe, der Verfolgung und dem Gestrüpp, worin er sich zu berbergen gedachte.
Du wirst mir zu trinken bringen!" fügte er hinzu. In meiner Gurgel brennt alles Feuer der Hölle!"
zu bemalende Leinwandfläche, auf Kosten der knechtischen Nachahmung der Wirklichkeit, in rhythmische Formen zu gliedern und die Hauptlinien durch gleichmäßige Wiederholung in parallelen Gebilden zu unterstreichen. Dieses Prinzip erfährt auch auf seinem hiesigen Jenabild seine Entfaltung. Auf dem oberen Teil des Gemäldes ziehen in Reihen die akademischen Infanteristen hinaus ins