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lang. Und zuletzt blieb er wie ermüdet am alten Bilde mit der bergilbten Stahlstichzeichnung haften. Immer um dieselbe Stunde. Einige Zeit hing er da, um dann langsam zu erblassen. Genau wie früher jedesmal wenn der Frühling ins Land zog, bis zum Spätherbst. Doch diesmal seltsam! Mit stiller Feierlichkeit hält er zum ersten Male seinen Einzug, traumverloren flutet das Sonnengold in der Stube.
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Refert saß dicht neben dem Tische auf dem Sofa und machte fich mit ihrer Puppe, der die vordere Hälfte des Kopfes fehlte, zu schaffen. Jaferl rangierte mit dem Fußschemel, der seine Lokomo tive borstellte, aufs Ganze Halt". Heutee achtet man faum meiner. Die Mutter lag im Bette, den Kopf zur Seite, dem Sonnenstreifen zugewendet, der jetzt mitten über der Tischfläche stand und Rejerls rotblonde Haare in Goldfäden verwandelte. Da geschah etwas Sonderbares! Ich werde es nie vergessen.
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Unsere Mutter hörte nicht mehr.
Der Schein oben an der Stubendecke warf fahle Lichtstreifen auf ihr bleiches Antlik und füßte zum letzten Male die blutleeren Lippen; gleichsam als Sendboten des ermüdeten Sonnenstreifens, den die Mutter nie wieder sah.
Kleines feuilleton.
Erdkunde.
am
Im Krater des Vesuvs. Ueber den Kühnen Abstieg in den Krater des Besubs, den Prof. Malladra vom Vesuv- Observatorium gemeinsam mit zwei deutschen Forschern am 9. September unternommen hat, berichtet der neapolitanische Korrespondent des„ Corriere Vom Ofen her fliegt ein kleiner Brummer, reibt sich den della Sera" Einzelheiten. Die jüngsten Beobachtungen des Kraters Winterschlaf aus den Augen, badet im Sonnenschein, nascht von den im Vesuv hatten gezeigt, daß die Tiefe des Kraters 300 Meter vom winzig fleinen Brotsamen, die spärlich zerstreut auf der ausgefegten oberen Rande entfernt eine Art riesige Plattform darstellte, die mit Tischplatte liegen. Als Refert den unerwarteten Besuch bemerkt, gewaltigen Felsblöcken besät und von zahlreichen Fumarolen durchpatscht sie in die kleinen Hände und ruft außer sich vor Freude: brochen war. Am 10. Mai d. J. vollzogen sich hier sehr weit" Mama, happ, happ!" Die Mutter wendet den Kopf. Auch Jakerl greifende Veränderungen; durch Einsturz und Senkungen bildete läßt seine Lokomotive im Stich. Wir sehen alle unverwandt zur sich ein neuer Hohlraum von 160 Meter Durchmesser und gegen Fliege hin, die seelenvergnügt auf und ab spaziert, mit einem 70 Meter Tiefe. Aus der Tiefe dieser Deffnung stiegen Freimut, als wenn ihr Dasein Gott befohlen wäre. starke gashaltige Dämpfe auf, und 5. Juli brach ein Da schwindet plößlich der Sonnenschein. Reserl fängt laut Feuerschlund auf, dessen Wiederschein vom Meere aus wochenlang zu weinen an, kauderwelscht happ, happ dazwischen, was bei ihr beobachtet werden konnte. Am 5. August trat eine weitere Senkung Brot, Brot bedeutete. Auch Jakerl wird unruhig, drückt den im Innern des Kraters ein, durch die anscheinend in einer gewissen Kopf betrübt an Mutters Bett, schielt dabei zur Komode hinüber, Tiefe die Vulfanöffnung teilweise versperrt wurde; jedenfalls verauf dem der blecherne Brotfessel stand. Am Deckel war die In- schwand der Feuerschein und es blieben nur die raftlos aufsteigenden schrift:„ Unser täglich Brot gib uns heute! Doch der Kessel dichten Rauchwolken. Die im Zusammenhang mit diesen Wahrnehmungen im Innern des Vefuvs eingetretenen weitgreifenden Vers schiebungen und Veränderungen mußten begreiflicherweise auf die Bulkanologen eine starke Anziehungskraft ausüben, und so entschloß sich Profeffor Malladra, dem Drängen des Professors Mar Story von der Münchener Universität und des Münchener Mineralogen Jacobi nachgebend, gemeinsam mit den beiden deutschen Forschern den Einstieg zu wagen.
war leer.
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Ich fand nicht den Mut, beide zu trösten. Versprechungen zogen nicht mehr. Silsesuchend sehe ich zur Mutter, die noch immer starr ihren Blick auf die Stelle, wo bor kurzem die Fliege sich sonnte, hingewendet hat. Als mir ihre tieftraurigen Augen begegnen, rinnen ihr die Tränen über die blassen abgezehrten Wangen. Mit einem tiefen Seufzer läßt sie den Kopf in die Kissen sinken.
Da glimmte noch einmal der Sonnenstreifen an der Wand empor. Als wenn sie helfen wollte, die lebenspendende Sonne! Im Nu verwandeln sich die Gesichter von Reserl und Jakerl in wonnige Freude. Reserl wischt sich beschämt mit dem Rockärmel die Tränen ab. Jakerl nimmt seinen Schemel, trollt sich damit in die Ecke und sitt mäusestill. Die Mutter, den Kopf in das da. Kiſſen bergraben, liegt
Es dauert eine ganze Weile, nichts rührt sich. Wie auf leisen Sohlen stiehlt sich ein Sonnenfaden nach dem andern hinaus, begleitet von dem Sum- Sum der Fliege, zarten Akkorden gleich, von tiefer Schwermut getragen.
Refert ist unterdessen, ihre Puppe im Arm, eingeschlafen. Safert fommt etwas gedrückt auf mich zu, ich bette ihn neben Neserl aufs Sofa.
In den Ecken der Stube ziehen bereits dünne Schleier der anbrechenden Dämmerung gespensterhaft ihr Gewebe. Am Fenster erstirbt der letzte Glanz des sintenden Tages. Es wird immer stiller. Schwarz und dumpf steigt die Nacht herauf.
Jetzt steht sie mitten in der Stube, majestätisch, hoch aufgerichtet, einer ehernen Gestalt gleich, um ewiges Schweigen zu gebieten.
Mir wird es ängstlich zumute. Gewaltsam drängt sich das Bild von vorher vor meinen Augen. An mein Ohr gellt der Schrei meiner Geschwister nach Brot. Ich sehe Jakerls Augen nach dem Brotfessel schielen und Reserls happ, happ schneidet mir ins Herz. Wenn sie ernachen? Und die Mutter?
Mich hält es nicht länger in der Stube, ich will hinaus, doch lähmend wirkt die unheimliche Ruhe und hält mich zurück. Mit unter flirren die Fensterscheiben von dem Getöse des hastenden Tages, draußen. Nebenan an der Wand mißt das Tick- tack einer Uhr erbarmunglos Sekunde um Sekunde. Unten werden Schritte hörbar.
Es zündet jemand die Hoflaterne an, die jetzt mitten durchs Fenster ihren fahlen Schein im Viereck oben auf die Stubendecke wirft. Im Halbdunkel liegt die Stube. Die alten Möbel stehen grau umriffen da. Nur drüben an der Wand die Linnen von Mutters Bett find blendend weiß, als zögen sie gierig den dumpfen Lichtfleck an der Stubendecke an sich.
Doch taum hat sich der Duft vom Innern des Korbes in der Stube verbreitet, als Referl und Jakerl erwachen.
Er begann an der Südwestwand des Kraters und führte von hier in einer halsbrecherischen Kletterpartie über gewaltige Lavablöcke in die Tiefe hinab. Man benutzte an Eisenringen befestigte Seile als Hilfsmittel und außerdem lose Seile, wie sie bei Hochtouren berwendet werden. Nach 1stündiger Arbeit war der Rand der großen Plattform im Strater erreicht. Hier ließen die Forscher ihre Rucksäcke und alle nicht unbedingt erforderlichen Gegenstände zurück, um sich nun unter Beobachtung aller gebotenen Vorsichtsmaßregeln bis zum Rande der neugebildeten Krateröffnung herabzulassen. Sie famen bis 370 Meter hinab, und erreichten damit die größte Tiefe, die bisher im Krater eines aktiven Vulkans betreten wurde. Die Deffnung ist völlig von den leberresten und Stalaktiten neuer Lava bedeckt. Ueberall fand man neuen Lavagrus, und auf Grund dieser Funde kann es als gewiß gelten, daß im Juli dieses Jahres die flüssige Lava über 70 Meter hoch emporgetrieben worden ist.
Am Rande der neuen Strateröffnung war die Temperatur un erträglich hoch, wie an der Tür eines Schmelzofens; die drei Forscher hatten dadurch an Händen und Gesicht große Schmerzen zu ertragen. Der Versuch, die Temperatur genau zu messen, miẞlang: als man das Eisengeflecht, das man mit dem Thermometer hinabgelassen hatte, wieder emporzog, war das Eisen verkohlt und das Thermometer verschwunden und bei einem zweiten Versuche glühte das Eisengeflecht ab, so daß nur ein furzes Stüd davon wieder emporgezogen werden konnte. Es scheint, daß sich unter der Deffmung eine gewaltige gluterfüllte Höhlung in südwestlicher Nichtung hinzieht. Die Atmung am Rande des inneren Kraters war infolge der aufsteigenden Gase außerordentlich erschwert, besonders wenn Windstöße die aufsteigenden Rauchwolfen auseinandertrieben. In der großen gelben Fumarole" im südwestlichen Teile der Krateröffnung fonnten 330 Grad Celsius gemessen werden.
Nachdem zahlreiche photographische Aufnahmen gemacht worden waren, begannen die drei wagemutigen Gelehrten, die Laft aufgelesener Steinproben mit sich fchleppend, wiederum den Aufstieg, wobei sie unter den nachdringenden Dämpfen besonders schwer zu leiden hatten, während sich über ihren Häuptern immer wieder Lavastücke lösten und über sie hin polternd in die Tiefe stürzten. Trotz der Schwierigkeit gelang es schließlich, ohne größere Unfälle den Kraterrand wieder zu erreichen; es war 4 Uhr nachmittags, die gefähr liche Expedition hatte insgesamt acht Stunden gedauert.
Da geht die Türe auf. Toni zwängt sich sachte herein, stellt Die wissenschaftliche Bedeutung der angestellten Beobachtungen den großen Korb nicht ohne Mühe auf den Tisch." Pst... ft... liegt in der Feststellung, daß der Vesuv in diesen Monaten eine sie schlafen!" " Hawai- Phase" durchmacht: eine Periode, in der die Lava flüssig und die Temperatur ungewöhnlich hoch ist, Erscheinungen, wie man sie vor allem auf dem Kilauea - Bultan auf Hawai beobachtet. Die Senkungen im Kraterschlunde und alle gesammelten Feststellungen weisen darauf hin, daß der Vesuv einer neuen Ausbruchsperiode entgegengeht. Dieses Uebergangsstadium wird lange dauern, vielleicht Jahre, während derer sich der Berg zu neuer gewaltsamer Tätigkeit rüstet. Es wird die Aufgabe des Vesuv - Observatoriums sein, während dieser Zeit die Beobachtungen mit erneutem Eifer fortzusehen und sozusagen den" Pulsschlag des Besubs" beständig unter Augen zu behalten, um fünftige Katastrophen, soweit dies möglich ist, beizeiten vorauszusehen.
Als sie den Korb im Halbdunkel vor sich stehen sehen, steigen beide auf den Tisch und fallen, ohne einen Laut zu geben, mechanisch über den Inhalt her. Mit einer Gier grapfchen sie alles zusammen, als wenn jemand dahinter stände, der es ihnen streitig machen
wollte.
Kurz darauf bleibt Toni vor Mutters Bett stehen und frägt: Schläft die Mutter?"
"
Mutter, Mutter!
Bange Erwartung.
Mutter!!"