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Abbe gibt weiterhin Beweise dafür, daß auch die echten Haut- Doch das Schreckbild von einem Weibe fah in Wirklichkeit ganz frebfe( Epitheliome) der Radiumbehandlung fast stets zugänglich anders aus! Ganz ruhig begrüßte sie mich, frug, warum ich sind, wenn genügend große Mengen des strahlenden Stoffs ver- draußen stehen bliebe und ob ich nicht zu ihr kommen wolle. wandt werden. Diese Hautkrebse können lebensgefährlich werden, Die Stimme war ganz unvereinbar mit den freundlichen wenn sie z. B. am Augenlid auftreten, dann auf die Augenhöhle Worten. Sie erinnerte mich an die Stimme eines Seemanns, der und weiter auf das Gehirn übergreifen. Der Chirurg kann dieser in falter Winternacht sein Schiff gegen die hereinbrechenden Wogen Gefahr nur durch Herausnahme des ganzen Auges vorbeugen und verteidigen mußte. Und nun versuchte sich diese Stimme einzuschmeicheln hat auch damit nur selten einen dauernden Erfolg. Eine rechtzeitige und klang dabei so demütig, wie eines armen Bettlers Bitte. und richtige Behandlung mit Radium dagegen scheint immer zur ,, D, laß uns plaudern zusammen", bettelte sie. Dabei ging fie Heilung zu führen. Als Beispiel dafür, daß solche Hoffnungen zwei Schritte vorwärts und trat aus dem Schatten in die aus dem durchaus nicht auf den Hautkrebs beschränkt sind, wird ein Fall Kellerhals strömenden Lichtwelle. Da stand ste mun, mehlgrau und angeführt, der verzweifelt genug aussah. Es handelte sich um eine eifrig gestikulierend. Gesicht und Hände ließen alle die Qualen der Geschwulst von der Größe eines halben Hühnereies, die an der Geldsorgen erkennen. Die Riesenschatten ihrer Hände fuhren hin Nackenwurzel saß und so fest an die Halsschlagader angewachsen und her über das beleuchtete Gaffenende hinter ihr. Sie sperrte die war, daß ihre völlige Entfernung mit dem Messer unmöglich wurde. großen weißen Augen weit auf und ich sah durch diese Gucklöcher in Der Chirurg mußte infolgedessen einen Rest der Geschwulst übrig eine Grabfammer. laffen. Unmittelbar nach der Operation wurde nun 8 Stunden Auf einmal wurde der Mehlsack tokett und knigte. Aber es waren lang eine starke Bestrahlung ausgeführt, und seitdem ist der Kranke einige wunderliche und spaßige Zappeleien, welche das Weib machte. schon 4 Jahre lang gesund geblieben. Dies Ergebnis ist um so Des ganzen schweren Körpers gewaltige Masse hob und senkte fich merkwürdiger, als einmal die krebsige Natur des Leidens durch wie die Wogen am Meeresstrand. das Mikroskop unzweifelhaft festgestellt worden war, und da Und als ich gehen wollte, lachte sie hell auf ein entsetzliches zweitens der Rest der Geschwulst mit dem Finger immer noch Lachen! Grobe und zarte Töne schlugen mir nach, kalte, wilde gefühlt werden konnte, aber keine Beschwerden mehr verursachte. Laute waren es, ausgestoßen von einer leeren, eiskalten Bruſt. Es hat also den Anschein, als ob die Gammastrahlen die Fähig Und dieses schreckliche Lachen lockte mich! Ich blieb bei ihr. keit haben, die gefährlichen Eigenschaften der Krebszellen gleichsam Wir frochen beide hinein in den dunklen Gang und redeten ver­auszulöschen. Die Radiumbehandlung als Unterstüßung und Voll- nünftig.

endung der Operation erhält eine um so größere Bedeutung, als leber was wir sprachen?!

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das Leben vieler Kranken durch eine tiefgreifende Operation an Natürlich begannen wir mit der Brotspekulation! Sie hatte nun fich bereits bedroht wird. Ist also auf das Messer nicht Verzicht für 14,50 M. Kleider in dem Leihhaus. Mit der großen breiten Hand zu leisten, so kann es doch in viel milderem Umfang gebraucht unter dem Kinn, gerade als ob sie den schweren Kopf stüßen müßte, werden, ohne daß eine Heilung dadurch vereitelt wird. Namentlich begann sie alle ihre Habjeligkeiten, die sie einmal besessen hatte, werden die Chirurgie und die Radiumbehandlung immer dann zu aufzuzählen: ein grauwollenes Kleid, ganz neu, ein Paar gelbe sammen arbeiten, wenn die Masse der Geschwülste zu groß ist, Stiefel, Wäsche, einen Hut, und alles das war versetzt. Sie um eine genügend kräftige Wirkung der Strahlen bis in die nötige schwelgte ordentlich in dem Gedanken an diese Schätze, die Er­Tiefe hinein zu gestatten. Immerhin wird es viele Fälle namente innerungen weckten an bessere Zeiten, an frohe Tage mit Geld in lich von Brustkrebs geben, die den Strahlen ohne jede Operation der Tasche.

zugänglich sind. Bei anderen dagegen wird wenigstens ein Ein- Plötzlich hielt sie inne und horchte. Auf der Gasse hörte man schnitt nötig sein, um die Radiumröhre nahe genug an die Wuche- das Klappern schwerer Holzschuhe. Sie kannte den Tritt. Augen rung heranzubringen. Auf eine dauernde Heilung wird freilich blicklich ging sie hinaus, tam jedoch bald darauf ganz atemlos zurück. nicht immer zu rechnen sein, aber auf eine Verlängerung des Sie hatte sich geirrt. Lebens für eine ganze Reihe von Jahren.

Außerdem hofft Dr. Abbe mit vollem Recht, daß die noch junge Radiumbehandlung durch technische Verbesserungen von Jahr zu Jahr größeren Erfolg bringen werde. Das ist insbesondere auch für die gefürchteten Krebse der Zunge, der Speiseröhre, des Magens, des Mastdarms und der Gebärmutter zu erhoffen. Eine starke Radiumbehandlung führt. schon jetzt beim Krebs der Zunge und der Speiseröhre meist auch in vorgeschrittenem Zustand des Leidens eine schnelle und deutliche Besserung herbei, aber eine jahrelange Heilung ist nur ganz ausnahmsweise gelungen. Beim Darmkrebs winft bereits eine günstige Aussicht, und jedenfalls ist schon die Erleichterung der Beschwerden hoch zu veranschlagen, ebenso beim Gebärmutterkrebs. So ist auch dieser Bericht voll von Tatsachen, die den Gammastrahlen des Radiums die Eigen­schaft von Hoffnungsstrahlen geben, die ein besonders düsteres Gebiet menschlicher Leiden zu erhellen berufen sind.

Ein Menfchenfchickfal.

Von J. P. Brochmann.

Ueber die dichten Häuserreihen der Kleinen Brunnenstraße sentte sich langsam der Abend hernieder. Hier, wo die Sonne täglich nur einen furzen Besuch machte, gerade als ob sie sich scheute, in all das Elend der Großstadt hineinzusehen, wurde es früher dunkel, als in den breiten, lichten Boulevards, die zudem noch durch Hunderte von glühenden Bogenlampen fünstlich erleuchtet wnrden, während die schmalen, schmuzigen Seitengassen in all ihrer Trostlosigkeit im Dunkel dahinlagen. Nur hier und da schimmerte ein fleiner grauer Stern am dunklen Himmel, gerade so wie das weißliche Auge in einem Negerantlig.

Unten am Ende der Gasse wechselten Licht und Schatten schnell miteinander. Aus der Kellerkneipe herauf wälzte sich eine dicke licht­graue Nebelwelle über die Pflastersteine, die dadurch aufleuchteten, und eine Wasserpfüge in der Straßenrinne erglänzte wie Silber. Aber hinter dem Rinnstein war alles dunkel. Hier gähnte eine grauschwarze Tieröffnung, ein häßliches viereckiges Loch, in einer geborstenen, grundlosen Mauer. Ein muffiger Geruch, eine erstickende Luft strömte heraus.

In diesem Loche stand eine weißgekleidete Gestalt, die sich mit irgend etwas beschäftigte. Es war ein Weib mit großem, fettem Gesicht, das aussah, wie ein fleiner, schlecht gefüllter Mehljack. Das Geficht war graubleich, unförmlich, mit herunterhängenden Fleisch flumpen. Und dieses mehljackartige Gesicht saß auf einem größeren Mehliac, einem gewaltigen, runden Körper in einem hellen Kleide. Geh' in großem Bogen um sie herum!" war mein erster Gedanke. Sie kann sich über dich wälzen, dir dein Geld stehlen dich treten, schlagen mit ihren dicken, flebrigen Fäusten!" Und schon watschelte sie langsam und schwer vorwärts, herunter auf die Gasse.

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Und die alte Vettel hat heute auch noch kein Geld bekommen!" sprach sie nach einer Bauſe weiter. Bier Mark soll sie haben für dieses fleine, schmutzige Loch! Vier Mart pro Tag ist das nicht ungeheuerlich?!" Und dabei fragte sie sich bedenklich in ihrem grauen Haar.

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In's Armenhaus will man trotzdem nicht gerne, nachdem man hier durchgekommen ist so'n 25 Jahre lang."

Das Armenhaus stand drohend vor ihr, und sie ließ die dice, graurote Unterlippe schlaff herunterhängen. Dahinter sah man den Schwazen Mund mit den abgefaulten Zahnstummeln. Aller Mut war von ihr gewichen, sie stand da gänzlich in sich zusammen­gesunken. Blötzlich richtete sie sich auf, erfaßt von einem Drang, ihr Lebensschicksal völlig vor mir zu entblößen.

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Unvermittelt begann fie: So ein Schlag in den Nacken tut niederträchtig weh", jammerte sie. Hier sehen Sie! Nein, zünd' erst ein Streichholz an Sie soll'n mal eine Beule sehen! Gerade in den Nacken hat mich mein Verlobter heute morgen ge­schlagen."-

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Wir gingen weiter hinein in den stinkenden, stockfinsteren Gang. Sie zündete ein Streichholz an, und unsere Schatten flatterten an einer schwarzen Mauer und über eine alte Holztreppe.

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Sieh fühl'!" fagte sie, und dabei beugte sie den mächtigen Kopf und feufzte hohl wie ein abgeradertes Pferd. Sieh' hier!" begann sie wieder, indem sie sich das Haar zur Seite fragte mit ihren breiten, schwarzgeränderten Fingernägeln.

Und es stimmte! Eine große, blutunterlaufene Beule, umgeben von dünnem grauen Haar, hob sich hervor von der dunklen un­gewaschenen Stopfhaut.

Das Streichholz verlöschte, und die schwarze Finsternis schlug wieder über uns zusammen.

Er schlägt sonst nicht oft, aber hin und wieder doch einmal!" Und sie zog, während sie das sagte, ihre breiten Schultern in die Höhe, und der ganze Oberkörper bebte unter dem dünnen Kleide. Nach einigen Minuten begann sie wieder zu erzählen. Zunächst gab er ihr ein paar Ohrfeigen es geschah drinnen in der neben dem Gange liegenden Stube. Doch diese Ohrfeigen Klatschten nur- fie taten weiter nicht weh. Sie lachte darüber, und da wurde er wütend. Er packte sie an der Kehle, drehte ihren Kopf nach der Seite und sie lachte nicht mehr. O nein, die Schläge fielen so schwer und hart, und es schmerzte sie so, als ob er ihr ein glühendes Eisen mit einem Hammer in den Nacken schlage. Ja, ja!" Und sie zog wieder die Schultern und zitterte. Aber was fonnte es nügen, darüber viel zu reden! Prügel hatte sie ja immer bekommen, ihr ganzes Leben lang! Es regnete Prügel für sie, ihr Leben war ein wahres Spießra.tenlaufen!

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Als Mädchen von sieben Jahren stahl sie eines Abends vier Groschen, die ihr Vater in der Schublade versteckt hatte, und wofür er Branntwein kaufen wollte. Aber Marie hatte Hunger und wollte Essen dafür kaufen. Also nahm sie das Geld.

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Das alte Mädchen schwieg plötzlich. Sie sah sich im Geiste, wie sie als fleines, allezeit hungriges Kind in voller Angst die