Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 186.

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Mittwoch, den 24. September.

Rittmeister Brand.

Erzählung von Marie von Ebner- Eschenbach . 5.

1913

und machte jedes Fenster, das sie beschien, zu einem Brenn spiegel , und jeden Pflasterstein zu einem kleinen Ofen.

Mit Behagen empfand der Heimgekehrte den Kontrast zwischen der drückenden Schwüle, dem grellen Lichte auf der Straße und der angenehmen Temperatur in seinem hohen, luftigen Zimmer. Leicht gedämpft durch die herabgelassenen Stores fiel das Licht herein, ein mildes, grünliches Licht, bet dem man ungemein gut lesen konnte. Brand zündete eine Bigarre an, setzte sich auf seinen Sessel vor dem Schreibtisch und nahm ein Buch, das aufgeschlagen neben der Mappe ge­legen hatte, zur Hand: Möllhausens Reisen im Felsengebirge

Nordamerikas .

Gescheitert, wie Robinson, richtete er sich auf seiner Insel ein. Er änderte, als Feind der halben Maßregeln, seine Lebensweise aus dem Grunde, verschenkte seine Pferde, seine Waffen an arme, einstige Kameraden, 30g nach der Stadt und vegetierte dort wie ein pensionierter Hofrat. Er mied die Kaffeehäuser, in denen Offiziere verkehrten, machte große Spaziergänge, besuchte Museen, Kunstausstellungen, Kon­Von Zeit zu Zeit unterbrach er seine Lektüre, um einen zerte, Theater und populäre Vorlesungen. Er holte manches Blick nach der riesigen Weltkarte zu werfen, die über der nach, was ihm an literarischer Bildung fehlte, las die Klassi- Ottomane hing. Einen scharfen durchdringenden Blick aus fer, las auch moderne Poeten, konnte sich erfreuen an einem feinen grauen, tiefliegenden Augen, die von ihrer ungewöhn­schönen Buch, einem schönen Bildwerk und an guter Musik. lichen Sehkraft noch nichts verloren, obwohl achtundvierzig Diese wohltuenden Eindrücke gingen aber nicht tief; hinter der Jahre verflossen waren, seitdem sie sich zum ersten Male auf­flüchtigen Wärme und dem Interesse, die sie erregten, geschlagen hatten. Dabei zog er seine dichten Brauen zu schauerte es falt, gähnte die Leere.

Der Zeit wilder Aufregung war eine unausbleibliche Reaktion gefolgt. Brand hatte einem gebieterischen Müssen gehorcht, als er alles hingab, was den besten Inhalt seines Daseins ausmachte, um einen Verbrecher bestrafen zu können. Er hatte nicht rechts noch links geschaut, nur, nach dem einen, einzigen Ziele hin; nicht gefragt: wenn es erreicht sein wird, was dann? Und als dieses„ dann" zur Gegenwart wurde, erschien sie ihm recht öde, nuklos und armselig, und der Blid in die Zukunft wie ein Blick ins Grab.

Die Wohnung, die er für sich und für seinen ehemaligen Privatdiener gemietet hatte, lag im zweiten Stod eines schönen Hauses der Rathausstraße, war hell und freundlich und zeichnete sich durch die höchste, eine wahrhaft erfinderische Reinlichkeit aus. Wer die drei Zimmer durchschritt, aus denen sie bestand, brauchte keinen besonderen Scharfsinn, um zu er­tennen: hier haust ein einfacher und solider Mann, der eine Vorliebe hat für mattgeschliffenes Nußholz und für die grüne Farbe.

Sammen, und auf der viereckigen Stirn entstanden zwei tiefe Furchen, die ihm einen klugen und strengen Ausdruck gaben.

Eine halbe Stunde verging. Die Tür des Salons wurde geöffnet, und jemand trat ein. Brand wußte, ohne sich um­zusehen, wer es war. Er kannte den festen und zugleich dis­freten Schritt, den sein Diener sich hatte angewöhnen müssen, er kannte auch dessen Art, die Tür zu öffnen und zu schließen. Wer hatte sie ihm denn beigebracht?

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Die äußere Klinke gefaßt, du Waldmensch. Eins! niedergedrückt: 3wei! Tür auf! Vorwärts, und die niedergedrückt: Zwei! andere Klinke gefaßt: Eins! Tür zu!"

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Diese Uebung zehnmal nacheinander durch drei Tage wiederholt, und ein ehemaliger Waldmensch war für den ganzen Rest seines Lebens befähigt, als ein Gesitteter unter Gesitteten zu erscheinen. Ist solcher Gewinn nicht der kleinen Mühe wert? Peter Peters war also eingetreten. Ein weiteres Lebens­Zwischen der Tür, die aus dem konventionell ausgestatte- zeichen gab er nicht. Was willst Du?" fragte Brand nach ten Salon herein führte, und dem ersten Fenster links, ragte einer Weile, ohne sich umzusehen. Peter zögerte, seine Stimme war furchtbar gepreßt, als ein hoher Bücherschrank fast bis zur Dede, und die Bücher darin waren nett gebunden und sorgfältig eingereiht. Dem er sie endlich erhob, um seine gehorsamste Mitteilung" vor­Bücherschrank gegenüber, zwischen dem zweiten Fenster und zubringen. der Tür des Schlafzimmers, machte sich ein großer Schreib- Eigentlich wurde die Mitteilung hinterbracht, denn er tisch breit; ein Strohsessel mit runder, niederer Lehne stand fagte, was er zu sagen hatte, in seines Herrn Rücken, der vor ihm, und über ihm hingen zwei schöne Kupferstiche: Erz- ihm wohl auch imponierte, aber doch nicht so sehr wie seines herzog Karl, nach dem Gemälde von Kellerhoven, und Laudon, Herrn Gesicht. nach L'Allemands prächtigem Reiterbilde.

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Wenn er gesehen hätte, was auf dem vorging, während Die Längswand wurde zur Hälfte von einer großen er sprach, würde er seine Rede schwerlich zu Ende gebracht Ottomane, eine der Eden von einem Stachelofen eingenommen, haben. Bestürzung, Zorn, Wehmut spiegelten sich in den der in sanftem Maigrün schimmerte, die andere von einer Zügen des erregten Mannes um, als sein Diener schwieg, Etagere mit Rauchrequisiten, alles gediegen, lauter brave einer rasch erkämpften eisernen Ruhe zu weichen. Jetzt wen­Arbeit von tüchtigen Handwerkern, natürlich auch der Tisch, den stehenden großen Beter von oben herunter und sagte, die dete er plößlich den Kopf. Er, der Sibende, der Kleine maß die Fauteuils und die Stühle, die mit der Ottomane zu- Ellbogen auf die Sefsellehne gestützt, die Zigarre zwischen den fammen eine Familie bildeten. Sie wieder hatte ein wür­diges vis- à- vis in der zwischen den Fenstern angebrachten Bähnen: Heiraten willst Du, wenn ich nichts dagegen habe? -Was soll ich dagegen haben? Du heiratest und Du Konsole, der Trägerin einer vortrefflichen altdeutschen Uhr. Neben ihr standen zwei Armleuchter aus Messing. Das gehst. Einen mit Familie behafteten Diener fann ich nicht mattfarbige und weichliche Silber wird in Brands Haus bauchen. Und wie heißt die Gans, die Dich nimmt?" Nicht ein protestierendes Wort zugunsten seiner Er. haltung nur in Gestalt von Eßbestecken geduldet. Wohl ver­backt steht der Schatz an schönem Silbergerät, der von seinen Pistolenkugel hatte es ihn getroffen." Er wunderte sich, daß forenen fam über Peters Lippen.„ Du gehst." Wie eine Eltern und Großeltern herstammt, im Schranke und wird auf Unmöglichkeit Dietrichs nicht gerade lachende, aber auch nicht weinende er noch aufrecht stand." Du gehst." Diese Erben übergehen, entfernte, wohlhabende Verwandte. Mit hatte er nicht erwogen. Fug und Recht darf er sich sagen, daß sein Tod keinem seiner Zonlos, mit verglasten Augen vor sich hinstarrend, gab sogenannten Angehörigen eine Stunde trüben oder erheitern wird. Und dessen freut er sich. Wo er gleichgültig ist, will Beter die Antwort: Magdalena Sänftenträger. Kinderlose er auch gleichgültig lassen. Das Aergste wäre ihm, in der Witwe. Das Delikatessengeschäft grad gegenüber gehört ihr. Schuld eines anderen zu stehen, ob sich's nun um Gulden ban- Wo ich zum Souper für den Herrn Rittmeister die falte Küche hole." delt oder um liebevolle Empfindungen.

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Wie heißt sie?" wiederholte Brand.

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Die kalte Küche, schön. Bei der haben die Herzen Feuer gefangen. Gut. Abgemacht. Geh."

Es war an einem heißen Mainachmittag des Jahres Beter ging, und die grollenden Gedanken Brands folgten 1890, und Brand eben aus dem Restaurant zurückgekommen, ihm nach. Der will heiraten, der will sich etablieren, einen in dem er seine einfache Mahlzeit einzunehmen pflegte. Die Haushalt gründen, dieser Peter, an dem immer noch erzogen Sonne brannte mit sommerlichen Gluten zur Erde nieder werden muß, der nichts kann und nichts ist ohne seinen