Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 187.
5
Donnerstag, den 25. September.
Rittmeifter Brand.
Erzählung von Marie von Ebner- Eschenbach .
Neun Jahre hatte er schon gedient und sich mit seinem Stande immer gleich zufrieden gefühlt, als die große Katastrophe im Leben Brands eintrat, als das Unerwarteſte, Unglaublichste geschah, als er den Dienst aufgab. Da bewährte sich Peter Peters, da betätigte er die Liebe und Dankbarkeit, die sich allmählich in ihm gesammelt, aber nie einen Ausdruck gefunden hatte. Ohne ein Wort darüber zu verlieren, als ob es nicht anders sein könnte, brachte er sein Opfer. Er verließ den Dienst, das Regiment, seinen Sinbad und folgte dem Rittmeister, der ihn vor Jahresfrist zu seiner Ordonnanz gemacht hatte ,,, ins Zivil".
1913
lief hinüber zum Herrn Rittmeister, um zu sehen, ob der Neue" die Lampe angezündet und das Bad ordentlich hergerichtet habe. Und am nächsten Morgen fam er, sich zu überzeugen, wie denn der Kaffee gemacht und die türkische Pfeife gestopft worden war. Einmal da, blieb er auch gleich beim Aufräumen.
Als Brand ihn erblickte, fuhr er ihn an: ,, Was willst Du hier, närrischer Kerl? Geh zu Deiner Frau." Aus diesen Worten fühlte Peter die Eifersucht seines Herrn auf seine Herrin heraus, und Tränen traten ihm in die Augen. Die Eifersucht rührte ihn und der„ närrische Sterl" auch. Wer besser dran war mit seiner Vernunft, wußte Peter gar gut, respektierte aber die Täuschung, in der der Rittmeister sich über diesen Punkt befand. Möge er nur in ihr fortleben und wenigstens die Freude haben, der sonst keine hat.
Um das grausame Lebewohl, das Brand gesprochen hatte, Lügen zu strafen, fand er sich alle Finger lang bei ihm ein und wünschte ihm eine gute jeweilige Tageszeit.
Dummer Peter, treuer Peter, dachte Brand, als diese Erinnerungen in ihm aufstiegen, und mit ihnen zugleich alle die anderen, die er nie wissentlich, nie mit Willen heraufbeschwor, die er am liebsten ruhen ließ. Er seufzte schwer. Was vorbei ist, ist vorbei; ein Schwächling, der widerbellt Arbeit gab es„ drüben" immer. Der elegante Kammergegen die Notwendigkeit. Wenn er noch so tief überlegte, diener überließ ihm neidlos die ganze. Seine eigene Tätigmußte er sich sagen: Alles, was geschehen war, war regelrecht feit beschränkte sich darauf, das Haus durch seine Gegenwart geschehen. Brand hatte gehandelt, wie er seinem Charakter zu schmücken. Aber auch das wurde ihm nach und nach lästig, nach handeln mußte, wie er, in dieselbe Lage versett, noch und eines Abends verschwand er, nachdem er vorher mit seinen einmal handeln würde. Keine Neue darüber nicht. wohlgepflegten Händen den Schreibtisch Brands erbrochen Er ließ den Kopf auf die Brust sinken darüber nicht! und eine reich gefüllte Brieftasche daraus entnommen hatte.
Schattengleich zog eine schlanke Mädchengestalt an seinem innern Auge vorbei, und er streckte mechanisch abwehrend die Hand gegen sie aus, die in ihrer Lieblichkeit vor ihm aufgetaucht war.
Verdrießlich über die Träumerei, in die Peters scheinbare Treulosigkeit ihn versetzt hatte, richtete er sich entschlossen auf und schrieb an ein Dienstvermittelungsbureau, das er täglich in seiner Zeitung angekündigt fand. Dann erhielt Peter Peters den Befehl, den Brief abzugeben. Das war für den Mann ein großer Schmerz. Er hätte gern Einwand erhoben und brachte es doch nur zu einem:" Aber, Herr Nittmeister", weil seine Stimme in einem Schluchzen erstickte, das um keinen Preis vor dem strammen Herrn laut werden durfte.
So trug er das unselige Schreiben ins nächste Postkästchen und ging dann sich ausweinen, zu seiner Magdalena. Am nächsten Vormittage schon stellte sich eine Anzahl Bedienter, vom Dienstvermittelungsbureau entsendet, dem Rittmeister vor. Er wählte den, dessen Aeußeres den schärfften Kontrast zu dem Aeußeren Peters bildete: einen feinen, wunderhübsch frisierten Menschen, der ausgezeichnet gute Manieren und wohlgepflegte Hände hatte.
Vier Wochen später, am Hochzeitstage seines Vorgängers, trat er den Dienst an, und zwar, wie er sich ausbedungen hatte, mit dem Range eines Kammerdieners.
Bevor Peters seine Braut zum Altar führte, mußte fie mit ihm zu Brand, der die schöne, von Kraft und Gesundheit strogende Witwe ernsthaft betrachtete und sprach:
"
Stattlich, stattlich. Du hast Dir eine gewichtige Lebensgefährtin ausgesucht, Peter." Peter strich über seinen dicken, roten, an den Enden leicht gelockten Schnurrbart und versezte: Ich mag die Mageren nicht." Und ich," sprach Magdalena und warf dabei einen zärt lichen Blick auf den Auserwählten ,,, habe mir vorgesetzt; wenn ich wieder heirate, nehmeich einen Großen. Ein Kleiner fann grad so grob sein und mach kein Ansehen."
Brand meinte, dem Peter seien noch andere gute Eigenschaften nachzurühmen als seine Größe, und als ganz armer Schlucker käme er ihr auch nicht ins Haus. Damit legte er ein auf zweitausend Gulden lautendes Sparkassenbuch in die Rechte des Bräutigams und schloß:
Ueber diese kurze Majordomus- Epoche im rittmeisterlichen Interieur wurden nicht viel Worte gemacht. Wie von selbst famt alles ins alte Gleise. Höchstens, daß Peter früher als sonst die kalte Küche zum Souper holen ging und später als sonst zurückkehrte, wozu Brand regelmäßig bemerkte: Bist schon wieder da?"
daß
Einmal fragte er:„ Was sagt denn Deine Frau dazu, sie Dich so wenig sieht?" Und die Antwort lautete: Die sagt niemalen nichts. Die hat eine Cousin, der ihrer trifft nur alle vier Wochen einmal nach Haus."
6.
Genau am ersten Jahrestage ihrer Vermählung erschien Magdalena Peters bei Dietrich Brand und brachte ohne viel Umstände die Bitte vor, er möge im Fall, daß es ein Bub werden sollte, sich gütigst herbeilassen, ihn aus der Taufe zu heben. Die Erfüllung ihres Wunsches wurde ihr sogleich und mit großem, feierlichem Ernste zugesagt. Brand holte sofort die genauesten Erkundigungen über die Pflichten ein, die er mit der Taufpatenschaft auf sich nahm. Er gedachte sie pünktlich zu erfüllen und erhielt Gelegenheit dazu, denn es wurde ein Bub, ein niedlicher Peter junior.
Sei Vater übergoß ihn mit Tränen der Rührung, das Kindlein nieste, und Dietrich selbst, sehr bewegt durch den ihm völlig fremdartigen Anblick eines neugeborenen Menschen, führte Peter von der Wiege fort und sagte:
Blamiere Dich nicht vor Weib und Kind." Brands Fürsorge wuchs mit ihrem Gegenstande. Er schrieb sich Eigentumsrechte über das Knäblein zu und forderte, daß ohne Unterlaß an ihm erzogen werde.
Dein Frau Magdalena verlor endlich die Geduld. Rittmeister," sagte sie zu ihrem Manne, wie der's treibt. Bald wird niemand mehr wissen, bin ich die Mutter oder ist er's!"
Peter hatte Mühe, sie mit der Versicherung zu beschwichtigen, darüber könne kein gescheiter Mensch im Zweifel sein. Das Interesse, das der Rittmeister für den kleinen Peter gefaßt hatte, breitete sich allmählich auch auf andere Kinder aus. Man muß doch vergleichen, den Blick schärfen, Erfah rungen sammeln. Dietrich, der bisher ziemlich gleichgültig an allem vorübergegangen war, was nicht im Alter der Militärpflicht stand, begann nun, dem Kindervolke seine Aufmerksamkeit zu schenken. Es traf sich, daß er mit kleinen Schulbesuchern, Knaben und Mädchen, die mit ihm im selben Hause wohnten und denen er täglich auf der Treppe begegnete, einen Gruß tauschte. Zu dem Grüße fam bald eine Ansprache, und aus der entwickelten sich nach und nach förm liche Konversationen, die man nicht schon unterm Zor abVom Hochzeitsmahle sprang er auf, als eben die Torte brechen wollte. Nicht selten geschah's, daß Brand dem oder mit den verschlungenen Lettern P und M serviert wurde, ljenem jugendlichen Geschöpfe das Geleite gab bis zur Schule.
" Ich danke Dir für Deine freuen Dienste. Werde ein so braver Ehemann wie Du ein braver Diener warst. Leb wohl."
Peter schluchzte laut während der ganzen Fahrt zur Kirche, und vor dem Altare stieß ihn der Bod so heftig, daß er sein" Ja" mehr bellte als sprach.