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waren. Sie sah wie ein junges Mädchen aus, und fein nicht. Er fab fortwährend dies Bild, als ob es vor ihm stände, und und elegant in ihren alten Kleidern. Owie alt, wie abge- fühlte feinen angenehmen Einfluß, und doch sah er es nur wie etwas, das man eben nur einmal gesehen, in deffen Gewalt man tragen! Brand verlangsamte seine Schritte und ging wieder hinterliegt, und das man doch nicht kennt. Er erinnerte sich genau der ihr her; und als ein Lümmel, der ihr entgegen kam, sie beinahe vom Trottoir gestoßen hätte, schob er ihn zur Seite mit solchem Nachdruck und so aggressiver Miene, daß der Mensch ein Bardon" stammelte und sich davon machte. Sie waren am Ziele. Frau von Müller lief mehr als sie ging ins Haus, und Brand dachte daran, heimzugehen. Aber er tat es nicht, er brachte sich nicht fort. Er hatte ja die Möglichkeit, sie noch einmal zu sehen, ihr noch einmal zu folgen, sie vielleicht noch einmal in Schuß zu nehmen vor irgendeinem Lümmel und sich dann ein Wort des Dantes von ihr zu verdienen... Daß fie doch in eine große Gefahr geraten möchte, daß er ihr Leben um den Preis seines eigenen retten und ihr sterbend sagen könnte:„ Frau von Müller, jezt find wir quitt!"
Sie war nicht die breite Treppe zum ersten Stockwerk hinaufgestiegen, die links in die Salons führte, sondern die Seitentreppe rechts, über die man zur Privatwohnung Madame Amélies gelangte. Brand hatte sich in den Hof zurückgezogen und beobachtete von dort aus, was unter dem Torwege vorging. Nach kaum zehn Minuten kam Sophie die fleine Treppe wieder herab. Ihre Wangen waren leicht gerötet, ein heller Ausdruck von Freude verklärte ihr Gesicht. Die angenehme Ueberraschung, die Brand ihr zugedacht, war gelungen; Madame Amélie hatte ihre Sache gut gemacht. ( Fortsetzung folgt.)
Gesichtszüge, welche das kleine Dirnchen einst gehabt, mit großem Wohlgefallen, aber nicht eigentlich derjenigen, welche er gestern gesehen. Hätte er Brenchen nie wieder zu sehen bekommen, so hätten sich seine Erinnerungskräfte schon behelfen müssen und das liebe Gesicht säuberlich wieder zusammengetragen, daß nicht ein Zug daran fehlte. Jetzt aber versagten sie schlau und hartnäckig ihren Dienst, weil die Augen nach ihrem Recht und ihrer Rust verlangten, und als am Nachmittage die Sonne warm und hell die oberen Stod werke der schwarzen Häuser beschien, strich Sali aus dem Tore und seiner alten Heimat zu, welche ihm jezt erst ein himmliches Jerufalem zu sein schien mit zwölf glänzenden Pforten, und die sein Herz flopfen machte, als er sich ihr näherte.
Er stieß auf dem Wege auf Vrenchens Vater, welcher nach der Stadt zu gehen schien. Der sah sehr wild und liederlich aus, sein grau gewordener Bart war seit Wochen nicht geschoren, und er sah aus wie ein recht böser, verlorener Bauersmann, der sein Feld verscherzt hat und nun geht, um anderen Uebles zuzufügen. Dennoch sah ihn Sali, als sie sich vorübergingen, nicht mehr mit Haß, sondern voll Furcht und Scheu an, als ob sein Leben in dessen Hand stände, und er es lieber von ihm erflehen, als ertropen möchte. Marti aber maß ihn mit einem bösen Blicke von oben bis unten und ging seines Weges. Das war indessen dem Sali recht, welchem es nun, da er den Alten das Dorf verlassen sah, deutlicher wurde, was er eigentlich da wolle, und er schlich sich auf altbekannten Pfaden solange um das Dorf herum und durch dessen verdedte Gäßchen, bis er sich Martis Haus und Hof gegenüber befand. Seit mehreren Jahren hatte er diese Stätte nicht mehr so nahe gesehen; denn auch als sie noch hier wohnten, hüteten sich die verfeindeten Leute gegenseitig, sich ins Gehege zu kommen. Deshalb war er nun erstaunt über das, was er doch an seinem eigenen Vaterhause erlebt, und starrte voll Verwunderung in die Wüstenei, andere abgepfändet worden, er besaß nichts mehr als das Haus und den Platz davor nebst etwas Garten und dem Ader auf der Höhe am Flusse, von welchem er hartnädig am längsten nicht lassen wollte.
Romeo und Julia auf dem Dorfe. bie er vor fich fab. Dem Marti war ein Stück Aderland um das
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Seldwyler Geschichte von Gottfried Keller . Nachdrud verboten. Sein Vater war des anderen Tages wie zerschlagen und wollte nicht aus dem Hause. Der Handel und das ganze vieljährige Elend nahm heute eine neue, deutlichere Gestalt an und nahm sich bequemlich Platz in der drückenden Luft der Spelunke, also daß Mann und Frau matt und scheu um das Gespenst herumschlichen, aus der Stube in die dunklen Kämmerchen, von da in die Küche und aus dieser wieder sich in die Stube schleppten, in welcher fein Gast sich sehen ließ. Zuletzt hockte jedes in einem Winkel und begann den Tag über ein müdes, halbtotes Banken und Vorhalten mit dem anderen, wobei sie zeitweise einschliefen, von unruhigen Tagträumen geplagt, welche aus dem Gewissen tamen und sie wieder weckten. Nur Sali sah und hörte nichts davon, denn er dachte nur an Vrenchen. Es war ihm immer noch zumute, nicht nur, als ob er unsäglich reich wäre, sondern auch was rechtes gelernt hätte und unendlich viel Schönes und Gutes wüßte, da er nun so deutlich und bestimmt um das wußte, was er gestern gesehen. Diese Wissenschaft war ihm wie vom Himmel gefallen, und er war in einer unauf hörlichen glücklichen Verwunderung darüber; und doch war es ihm, als ob er eigentlich von jeher gewußt und gekannt hätte, was ihn jetzt mit so wundersamer Süßigkeit erfüllte. Denn nichts gleicht dem Reichtum und der Unergründlichkeit eines Glückes, das an den Menschen herantritt in einer so flaren und deutlichen Gestalt, vom Pfäfflein getauft und wohl versehen mit einem eigenen Namen, der nicht tönt wie andere Namen. Dieses ist eine feine Sache, und in ihr ruht das Geheimnis oder die Offenkunde von der Wohlfahrt des Lebens, von dem Aufbau der Familie und dessen, was viele Familien zusammen sind. Es ist die Frühlingsblüte, aus welcher die Frucht der guten Familie erwächst; manche Gewächse müssen zwei bis drei oder gar viermal blühen, bis eine Frucht geraten will, und alsdann hat die Weisheit der Natur oder der Götter es so eingerichtet, daß den Blühenden die letzte Blume immer die feinste dünkt, und sie meinen, es sei noch nie so schön gewesen. Und ob nun die Natur allein oder die Götter es so geordnet, so ist es wirklich ein gutes und zweckmäßiges Ding. Viele blühen aber nur einmal, und auch diese Blüte zerschlägt der Sturm, tötet der Frost oder erfäuft ein anhaltendes Regenwetter, und nie wird eine Frucht daraus; viele blühen in einer Wildnis oder in einem wüsten Sumpfe in der Einsamkeit, und es wird auch nichts daraus, als zuweilen eine herbe, verkrüppelte Holzfrucht; denn alle guten Früchte wachsen in großer Gesellschaft, die Aehre steht neben der Aehre und die Traube hängt neben der Traube tausendfältig. Aber Blumen sind es immer gewesen, ob etwas daraus geworden oder nicht, und ob sie gesehen oder ungesehen verblühten, und der Frühling ist schön, was auch aus ihm wird.
Sali fühlte sich an diesem Tage weder müßig noch unglücklich, weder arm noch hoffnungslos; vielmehr war er vollauf beschäftigt, fich Vrenchens Gesicht und Gestalt vorzustellen, unaufhörlich, eine Stunde wie die andere; über dieser aufgeregten Tätigkeit aber verschwand ihm der Gegenstand derselben fast vollständig, das heißt, er bildete sich endlich ein, nun doch nicht zu wissen, wie Vrenchen recht genau aussehe, er habe wohl ein allgemeines Bild von ihr im Gedächtnis, aber wenn er sie beschreiben sollte, so könnte er das
Es war aber feine Rede mehr von einer ordentlichen Bebauung, und auf dem Ader, der einst so schön im gleichmäßigen Korne ge= wogt, wenn die Ernte kam, waren jezt allerhand abfällige Samenreste gesäet und aufgegangen, aus alten Schachteln und zerrissenen Tüten zusammengekehrt, Rüben, Kraut und dergleichen und etwas Kartoffeln, so daß der Ader aussah wie ein recht übel gepflegter Gemüseplatz und eine wunderliche Musterkarte war, dazu angelegt, um von der Hand in den Mund zu leben, hier eine Handvoll Rüben auszureißen, wenn man Hunger hatte und nichts Besseres wußte, dort eine Tracht Kartoffeln oder Kraut, und das übrige fortwuchern oder verfaulen zu lassen, wie es mochte. Auch lief jedermann darin herum, wie es ihm gefiel, und das schöne, breite Stück Feld sah beinahe so aus, wie einst der herrenlose Ader, von dem alles Unheil hertam. Deshalb war um das Haus nicht eine Spur von Aderwirtschaft zu sehen. Der Stall war leer, die Türe hing nur in einer Angel, und unzählige Kreuzspinnen, den Sommer hindurch halb groß geworden, ließen ihre Fäden in der Sonne glänzen vor dem dunklen Eingang. An dem offen stehenden Scheunentor, wo einst die Früchte des festen Landes eingefahren, hing schlechtes Fischergeräte, zum Zeugnis der verkehrten Wasserpfuscherei; auf dem Hofe war nicht ein Huhn und nicht eine Taube, weder Kaze noch Hund zu sehen, nur der Brunnen war noch als etwas Lebendiges da, aber er floß nicht mehr durch die Röhre, sondern sprang durch einen Riß nahe am Boden über diesen hin und setzte überall fleine Tümpel an, so daß er das beste Sinnbild der Faulheit abgab. Denn während mit wenig Mühe des Vaters das Loch zu verstopfen und die Röhre herzustellen gewesen wäre, mußte sich Brenchen nun abquälen, selbst das lautere Wasser dieser Berkommenheit abzugewinnen und seine Wäscherei in den seichten Sammlungen am Boden vorzunehmen, statt in dem vertrockneten und zerspällten Troge. Das Haus selbst war ebenso kläglich anzusehen; die Fenster waren vielfach zerbrochen und mit Papier verklebt, aber doch waren sie das Freundlichste an dem Verfall; denn sie waren, selbst die zerbrochenen Scheiben, klar und sauber gewaschen, ja förmlich poliert und glänzten so hell wie Vrenchens Augen, welche ihm in seiner Armut ja auch allen übrigen Staat ersetzen mußten. Und wie die frausen Haare und die rotgelben Kattunhalstücher zu Vrenchens Augen, stand zu diesen blinkenden Fenstern das wilde, grüne Gewächs, was da durcheinander rantte um das Haus, flatternde Bohnenwäldchen und eine ganze duftende Wildnis von rotgelbem Goldlack. Die Bohnen hielten sich, so gut sie konnten, hier an einem Harkenstiel oder an einem verkehrt in die Erde gesteckten Stumpfbejen, dort an einer von Rost zerfressenen Hellebarde oder Sponton, wie man es nannte, als Vrenchens Großvater das Ding als Wachtmeister getragen, welches es jetzt aus Not in die Bohnen gepflanzt hatte; dort fletterten sie wieder lustig eine verwitterte Leiter empor, die am Hause lehnte seit undenklichen Zeiten, und hingen von da in die klaren Fensterchen hinunter wie Vrenchens Kräuselhaare in seine Augen. Dieser mehr malerische als wirtliche Hof lag etwas beiseite und hatte keine näheren Nachbarhäuser, auch ließ sich in