Brand ging ins Restaurant, rascher als notwendig ge- Wesen wäre, und hatte, nach Hause zurückgekehrt, schon um halb zwei Uhr seine Zigarre fertig geraucht. Dann wurde Toilette gemacht. Zylinder Nr. 2, dunkclgrauer Straßen- anzng Nr. 2. Alles sehr sinfi/JH, aber bürsten mußte Peter den Hut, den Anzug, die Stiefel, daß ihm das Herz weh tat um den Filz, das Tuch und das Leder. Brand warf sogar einen Blick in den Spiegel, schüttelte den Kopf und fah im- zufrieden aus. Ist auch an seinem Lebenstage früher Nach­mittag... oder naht schon der Abend? Es muß heute eine andere sein, dachte Peter. Zu den Besuchen bei der�liirdmiid' Mod'" wird mir Garderobe Nr. 1 angelegt. Nun ja, von so einer Putzgredl will man sich nicht spotten lassen. »Jetzt geh ich," sagte Brand, und hinter den armseligen Worten schwoll es empor wie komprimierter Jubel, dem man ein bißchen Luft macht.Wohin glaubst Du wohl?" setzte er nach kurzem Nachdenken hinzu und sah den guten Peter, und wußte selbst nicht, warum, streng an:Zur Frau Major von Müller."» Peter war verblüfft: er gestand sich ungern, daß er nicht wußte, was er denken sollte von seinem Rittmeister. So stieß er denn einen Seufzer aus und sprach:Die Frau Major von Müller, ja. Belieben jetzt in Klausenburg   zu sein, die Frau Major." Sie war dort, ist jetzt in Wien  ." Da muß sie g'rad hergereist sein, Herr Nittmeister," stotterte Peter, und ein Licht ging ihm auf, sonnenhell, sonnengroß, und er platzte aufleuckstenden Blickes heraus: »Die Frau Major sind jetzt auch eine Wittib." Was auch? Wer c�ich?" Ein solcher Esel! setzte er im stillen hinzu, ob man mit einem solchen Esel ein Wort reden darf, das nicht absolut zum Dienst gehört. Die kleine Verstimmung Brands verflog im Augenblick, in dem er aus dem Hause trat. So schlecht das Weier gestern gewesen, so wunderschön war es heute. In strahlender Herr- lichkeit stand die Sonne am lichtblauen Himmel: ein ver- klärender, wie von Millionen winziger Fünkchen durch- schimnierter Dunst lag über den Prachtbauten der Ringstraße und über den fernen Bergen. Das alte, ewig junge Wien  prangte im Frühlingsschmuck seiner Alleen, Rasenplätze und Gärten; aber noch lag ein winterlicher Hauch in der Luft und gab ihr etwas Kerniges, Stärkendes. Jeder Blick trank Schönheit, jeder Atemzug Kraft, und mit jedem Schritte, den Brand vorwärts machte, steigerte sich sein Glücksgefiihl, und sein Unternehmungsgeist wirbelte, wirbelte empor, bis er ins Uebermlltige umschlug. Dietrich trat in einen äußerst clegauten Spielereiladen und kaufte dort den gediegensten Malkasten, der sich auf Lager fand, und die größte Pariser Puppe; ein Wickelkind, von einem lebendigen nur dadurch zu unterscheiden, daß es im zartesten Alter schon beim leisesten DruckPapa" und Mama" quietschte. Da Brand durchaus nicht wünschte, beladen wie er war, einem Bekannten zu begegnen, nahm er einen Wagen und fuhr bis an die Ecke der Berggasse. Indessen fühlte er sich auch hier nicht ganz behaglich; die Puppe war schlecht verpackt, aus einem Spalt des Papiers kam eine ihrer blonden Locken zum Vorscheins und aus einem anderen ihre rosenfarbige Hand, und mit der schlug sie einem seiner Grundsätze ins Gesicht. Wie oft hatte er Mütter und Gouvernanten gewarnt: Von dem Tragen großer Puppen werden die Kinder schief." Und was wird Frack von Müller sagen, wird sie es nichl taktlos finden, daß er gleich beim ersten Besuch mit Geschenken angerückt kommt? lForttetzuiig tolgt.s R.orneo und Julia auf dem Dorfe- Seld Wyler Geschichte von Gottsried Keller. 1] Nachdruck verboten. Sali ging auch alsobald auf die stille, schöne Zlnböbe hinaus, über welche die drei Aecker sich erstreckten, und die prächtige, stille Julisonne, die fahrenden, Weißen Wolken, welch« über das reife, wallende Kornfeld wegzogen, der glänzende, weiße Fluß, der unten dorübcrwalltc, alles dies erfüllte ihn zum ersten Male seit langen Jahren wieder mit Glück und Zufriedenheit, statt mit Kummer, und er warf sich der Länge nach In den durchsichtigen Halbschatten des Kornes, wo dasselbe MartiS wilden Acker begrenzte, und guckte glückselig in den Himmel. Obgleich es kaum eine Viertelstunde währte, bis Vrcuchcn nach- kam und er an nichts anderes dachte, als an sein Glück und dessen Namen, stand es doch plötzlich und unverhofft vor ihm, auf ihn niederlächelnd, und froh erschreckt sprang er auf.Vreelil" rief er, und dieses gab ihm still und lächelnd beide Hände, und Hand in Hand gingen sie nun das flüsternde Korn entlang bis gegen den Fluß hinunter und wieder zurück, ohne viel zu reden; sie legten zwei- und dreimal den Hin- und Herweg zurück, still, glückselig und ruhig, so daß dieses einige Paar nun auch einem Sternbilde glich, das über die sonnige Rundung der Anhöhe und hinter derselben niederging, wie einst die sichergehenden Pslugzeuge ihrer Väter. Als sie aber einmal die Augen von den blauen Kornblumen auf- schlugen, �an denen sie gehaftet, sahen sie plötzlich einen anderen dunklen«tern vor sich hergehen, einen schwärzlichen Kerl, von dem sie nicht wußten, woher er so unversehens gekommen. Er mußte im Korne gelegen haben; Bronchen zuckte zusammen und Sali sagte erschreckt:Der schwarze Geiger!" In der Tat trug der Kerl, der vor ihnen herstrich, eine Geige mit dem Vogen unter dem Arm und sah übrigens schwarz genug aus; außer einem schwarzen Filz- Hütchen und einem schwarzen, rußigen Kittel, den er trug, war auch sein Haar pechschwarz, sowie der ungeschorene Bart, das Gesicht und die Hände aber ebenfalls geschwärzt; denn er trieb allerlei Handwerk, meistens Kesselflicken, half auch den Kohlenbrennern und Pechsiedern in den Wäldern und ging mit der Geige nur auf einen guten Schick aus, wenn die Bauern irgendwo lustig waren und ein Fest feierten. Sali und Vreachen gingen mäuschenstill hinter ihm drein und dachten, er würde vom Felde gehen und ver» schwinden, ohne sich umzusehen, und so schien es auch zu sein, denn er tat, als ob er nichts von ihnen merkte. Dazu waren sie in einem seltsamen Bann, daß sie nicht wagten, den schmalen Pfad zu ver- lassen, und dem unheimlichen Gesellen unwillkürlich folgten, bis an das Ende des Feldes, wo jener ungerechte Steinhaufen lag, der das immer noch streitige Ackerzipfelchen bedeckte. Eine zahllose Menge von Mohnblumen oder Klatschrosen hatte sich darauf ange- siedelt, weshalb der kleine Berg zurzeit feuerrot aussah. Plötzlich sprang der schwarze Geiger mit einem Satze auf die rotbekleidete Steinmasse hinauf, kehrte sich um und sah ringsum. Das Pärchen blieb stehen und sah verlegen zu dem dunklen Burschen hinauf; denn vorbei konnten sie nicht gehen, weil der Weg in das Dorf führte, und umkehren mochten sie auch nicht vor seinen Augen. Er sah sie scharf an und rief:Ich kenne Euch, Ihr seid die Kinder derer, die mir den Boden hikr gestohlen haben! Es freut mich zu sehen, wie gut Ihr gefahren seid, und werde gewiß noch erleben, daß Ihr vor mir den Weg alles Fleisches geht! Seht mich nur an, Ihr zwei Spatzen! Gefällt Euch meine Nase, wie?" In der Tat besah er eine schreckbare Nase, welche wir ein großes Winkel- maß aus dem dürren, schwarzen Gesicht ragte, oder eigentlich mehr einem tüchtigen Knebel oder Prügel glich, welcher in dies Ge- ficht geworfen worden war, und unter dem ein kleines, rundes Löchelchen von«inen, Mund sich seltsam stutzte und zusammenzog, aus dem er unaufhörlich pustete, pfiff und zischte. Dazu stand das kleine Filzhütchcn ganz unheimlich, welches nicht rund und nicht eckig und so sonderlich geformt war, daß es alle Augenblicke seine Gestalt zu verändern schien, obgleich es unbeweglich saß; und von den Augen des Kerls war fast nichts als das Weiße zu sehen, da die Sterne unaufhörlich auf einer hlitzschnellen Wanderung begriffen waren und wie zwei Hasen im Zickzack umhersprangen. Seht mich nur an," fuhr er fort,Eure Väter kennen mich wohl, und jedermann in diesem Dorfe weiß, wer ich bin, wenn er nur meine Nase ansieht. Da haben sie vor Jahren ausgeschrieben, daß ein Stück Geld für den Ebben dieses Ackers bereit liege; ich habe mich zwanzigmal gemeldet, aber ich habe keinen Taufschein und keinen Heimatschein, und meine Freunde, die Heimatlosen, die meine Geburt gesehen, haben kein gültiges Zeugnis, und so ist die Frist längst verlaufen, und ich bin um den blutigen Pfennig ge- kommen, mit dem ich hätte auswandern können! Ich habe Eure Väter angefleht, daß sie mir bezeugen möchten, sie müßten mich nach ihrem Gewissen für den rechten Erben halten; aber sie haben mich von ihren Höfen gejagt, und nun sind sie selbst zum Teufel ge- gangen. Item, das ist der Welt Lauf, mir kann's recht sein, ich will Euch doch geigen, wenn Ihr tanzen wollt!" Damit sprang er auf der anderen Seite von den Steinen hinunter und machte sich dem Dorfe zu, wo gegen Abend der Erntesegen eingebracht wurde und die Leute guter Dinge waren. Als er verschwunden, ließ sich das Paar ganz mutlos und betrübt auf die Steine nieder; sie ließen ihre verschlungenen Hände fahren und stützten die trauri- gen Köpfe darauf; denn die Erscheinung des Geigers und seine Worte hatten sie aus der glücklichen Vergessenheit gerissen, in welcher sie wie zwei Kinder auf- und abgewandelt, und wie sie nun auf dem harten Grund ihres Elends saßen, verdunkelte sich das heitere Lebenslicht, und ihr« Gemüter wurden so schwer wie vteine. Da erinnerte sich Vrenchen unversehens der wunderlichen Ge- sralt und der Nase des Geigers, es muhte plötzlich hell auflachen und rief:Der arme Kerl sieht gar z« spaßhaft aus! Was für eine Nase!" lind eine allerliebste, sonnenhelle Lustigkeit ver- breitete sich über des Mädchens Gesicht, als ob sie nur geharrt hätte, bis des Geigers Nase die trüben Wolken wegstieße. Sali sah Vrenchen an und sah diese Fröhlichkeit. Es hatte die Ursache aber schon wieder vergessen und lachte nur noch auf eigene Rech- nung dem Sali ins Gesicht. Dieser, verblüfft und erstaunt, starrte