Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 200.

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Dienstag, den 14. Oktober.

Rittmeister Brand.

Erzählung bon Marie von Ebner Eschenbach  . 18.

Die Stellung Sophiens im Hause Vernon war seit der Abreise ihrer Gönnerin ungemein schwierig geworden. Die Untergebenen legten offene Feindseligkeit an den Tag. Fräulein Julie veränderte den Ton. Kein Entgegenkommen mehr, nicht die geringste Freundlichkeit. Ja, sie trug nun einmal die Verantwortung für das strengste Aufrechterhalten der Disziplin im Geschäfte. Sie bedauerte sehr, daß Frau von Müller ein frankes Kind zu Hause hatte, schlug aber ihre Bitte, durch wenige Tage nur etwas später als sonst ins Atelier kommen zu dürfen, rund ab. Nicht sie hatte Gnaden auszuteilen, dieses Vorrecht genoß einzig die Prinzipalin. Etwas anderes ist es, wenn Frau von Müller Urlaub nehmen will; den kann sie jede Stunde haben, selbstverständlich mit Verzicht auf ihre hohe, sehr hohe Besoldung.

Dietrich nannte das Vorgehen Fräulein Juliens ganz forrekt, als ihm Sophie, so gelassen es ihr möglich war, von ihrem Mißerfolg berichtete.

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Aber," meinte fie ,,, man fann noch etwas mehr als forreft, man kann barmherzig, man kann sein wie Sie. Was tun Sie für uns! Nie vermag ich Ihnen zu danken..." Er blickte sie vorwurfsvoll an:" Danken! Sie werden doch mir nicht danken. Wenn Sie wüßten, wie mir vor aller Dankbarkeit graut..

Seitdem Sie aus Dankbarkeit den Major von Müller geheiratet haben," hätte er hinzufügen müssen, wenn Sophie den Grund seines Abscheues gegen eine so schöne Tugend hätte erfahren wollen. Aber sie fragte nicht, und er schwieg.

Sehr bald darauf erfüllte sie ihm den sehnlichen Wunsch, den auszusprechen er nicht gewagt hatte: sie nahm Urlaub. Ich bringe alles wieder ein, was ich jezt versäume," sagte sie, ich werde doppelt fleißig sein, sobald Georg nur wieder hergestellt ist."

An der Ueberzeugung, daß er genesen werde, hielten Brand und sie unerschütterlich fest, diese Hoffnung ließen sie sich nicht rauben.

Zwei Nächte hatte Sophie, aufrecht auf einem hölzernen Sessel sigend, neben dem Bette des Kranken gewacht. Am nächsten Abend stand auf einmal ein großer, bequemer Fauteuil da. Peter Peters hatte ihn gebracht mit tausend dringenden Entschuldigungen seines Herrn, und an das Fuß­ende von Georgs Lager gestellt. Und dann war Brand ge­kommen mit neuen und noch dringenderen Entschuldigungen. Lassen Sie das Ding nicht hinauswerfen, haben Sie die einzige Gnade; es ist ein Rekonvaleszentenfauteuil, dulden Sie ihn hier eine Zeitlang wenigstens, dem Kinde zuliebe." Sie staunte, daß er so flehentlich bat. Er fürchtete, ihren Stolz zu verlegen, und sie hatte dem Wohltäter ihres Kindes gegenüber feinen mehr.

Aber, Herr Rittmeister," sagte sie, wie können Sie noch daran zweifeln, daß ich Ihr Geschenk freudig annehme? Ich nehme ja so viel von Ihnen an, das Opfer Ihrer Zeit, Shres

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Er unterbrach sie: Opfer? Sie betrüben mich. Wissen Sie denn nicht, daß, was Sie mein Opfer nennen, mein Glück ist? Vor kurzem noch war ich ein ganz armer Teufel, ein alter, vergrämter Mann, der nichts mehr vor sich sah als eine Reihe eintönig, einförmig hinschleichender Sabre; jetzt bin ich reich..." Er suchte ein allzu warmes Wort zu vermeiden:" Durch meine Zeilnahme für Sie, und meine Liebe zu Ihren Kindern."

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Sophiens Augen hatten sich ein wenig verschleiert, aber sie sprach in munterem Tone: Und zu Dietrich Peters." ,, Gott   segne den Kleinen, die erste Aufrichtung verdanke ich ihm. Aber er hat ein robustes Elternpaar... es ist doch etwas anderes, etwas..." Seine Stimme geriet in Gefahr umzukippen, alle moralischen Rippenstöße, die er sich zur Stärkung versetzte, blieben wirkungslos. Der Grimm, den er darüber empfand, spiegelte sich in seinem Gesichte wider nd gab ihm ein so bärbeißiges Aussehen, daß Sophie, die

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schon einen Schritt auf ihn zugemacht hatte, sich ganz er­schrocken abwendete, und die Hand, die sie ihm hatte reichen wollen, liebkosend auf das Haupt ihres Kindes legte.

Als es Abend wurde, sprach sie nicht wie sonst: Herr Rittmeister, Sie müssen heim." Sie saß in dem bequemen Lehnstuhl, ihre Füße ruhten auf einem Schemel, ihr Kopf sank in die Kissen zurüd.

schlafen, und Du erzähl mir eine schöne Geschichte." Die Mutter schläft," flüsterte Georg, lassen wir sie

,, Eine schöne Geschichte. Ja, mein Junge, was für eine" denn?"

,, Etwas von Feen, das habe ich am liebsten." Das Kind richtete seine fieberglänzenden Augen voll Erwartung auf ihn. Er besann sich. Der Kopf war ihm so seltsam wist. Bon Feen, gut, bon alten, uralten ein Kind kann sich's nicht vorstellen, wie alt sie sind."

,, Aber, Du, Herr Rittmeister, fannst Dir's vorstellen, Du kannst alles, Herr Rittmeister," sprach Georg aus tiefster Ueberzeugung.

Glaub doch das nicht, ich kann nur erzählen von uralten Feen," versette Brand in einschläferndem Tone. Sie haben graue Kleider an, Schleppen und schweben hin und her. Denk Dir wie das Pendel an einer großen Uhr ein langes, langweiliges Pendel, so schweben die grauen Feen hin

und her."

Es kommen aber auch rote, und die tanzen."

Richtig! Brand sah richtig rote Feen tanzen, wie Funken unter Bäumen mit flingenden Blättern, und im Hinter­grunde zogen Landschaften vorbei von wundersamer Schön­heit, und ein Licht lag über ihnen, milder als Sonnen, anders als Mondlicht, ein Licht, wie es auf Erden keines gibt und von dem sich einen Begriff nur machen kann, wer es ge­schaut hat, denn schauen muß man's, nicht sehen... Er unterbrach sich. Was er da alles zusammenredete.

Sag nur weiter," bat Georg ,,, ich weiß, was das heißt. Ich sehe Dich und schaue die Feen."

Dietrich war unglücklich; statt das Kind sanft einzu­lullen, regte er es zum Denken an. Voll Zärtlichkeit und Reue strich er ihm über den Scheitel: Weißt Du was? Dent nicht, schlafe. Lieber Junge, wenn Du einschlafen könntest, das wäre so gescheit und so gut!"

Georg feufzte tief auf, preßte die Wange an das Kissen, schloß die Augen und regte sich nicht mehr. Sophie schlief fanft und fest. Es war so still, daß Dietrich das Tiden seiner Taschenuhr hörte, die er auf den Tisch gelegt hatte neben das Nachtlämpchen und die Arzneiflasche. Merkwürdig hell drang der leise, gleichmäßige Schall durch ein seltsames Brausen in feinem Kopf hindurch.

Seine Adern klopften, eisige Schauer schüttelten ihn, und im Nacken fühlte er sich gepackt von einer Riefenlast, die ihm den Kopf zusammenpreßte.

Teufel, Teufel, was soll das heißen? In der vorigen Nacht schon wollten ähnliche Sinnestäuschungen ihn narren; aber er hatte sich ihrer erwehrt, war aufgeftanden wie ge­wöhnlich, und wie gewöhnlich in die Berggasse gegangen.

Allerdings hatte der Doktor, den er dort traf, ihm auf die Schulter getippt und gesagt:

,, Es gibt heute einen glühend heißen Tag, fahren Sie zeitig nach Hause, Herr Rittmeister, Sie haben Fieber."

Fieber? In seinem ganzen Leben hatte Dietrich nie Fieber gehabt, außer damals nach seiner Verwundung. Fieber! Wenn man wissen will, ob jemand Fieber hat, greift man ihm an den Puls. Sich aber hinstellen vor ihn, ihm nur einen Blick zuwerfen und gleich wissen: Der fiebert das fann man auch dann kaum, wenn man Seberaugen hat, wie dieser Doktor.

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Dietrich stand leise auf ihm war, als zöge er an jedem Fuße einen Zentner mit und sah nach der Uhr. Bald zwei; die Stunde, zu der Bauline kommen sollte, um die Gebieterin am Krankenbette abzulösen. Als Brand zu seinem Plate zurückkehrte, war Sophie eben erwacht.

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,, Um Gotteswillen, wieviel Uhr?... Das Medika­ment Ich habe versäumt...

"

Nichts, nichts," beruhigte Brand. Sehen Sie, da ist Pauline. Verlassen Sie sich nur auf uns zwei."