Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 251.

Donnerstag, den 25. Dezember.

Festsprüche der Bedrängten.

Beduldige Armuf.

Es ist kein Mensch so arm geboren, Daß er der Armut ging verloren,

Sie lag auf Stroh vor zweitausend Jahr, Dort liegt sie noch und immerdar.

Wer hat's bejjer?

Reicher und armer Mann gingen jeder auf sein Feld, Sie zählten beide Halm um Halm wie gutes, goldnes Geld, Urmer Mann brauchte sich nicht lange zu quälen, Reicher Mann muß noch immer und immer zählen.

Der ermst e.

Ein Blinder kann die Armut sehen, Ein Lahmer tann zur Armut gehen,

Sie schreit aus den Stummen, es hören sie die Tauben, Der Reiche nur kann an die Armut nicht glauben.

Hans Ryser.

Die Weihnacht meiner Kindheit.

1913

In alter Zeit strahlte die Weihnacht ja einen kurzen Frieben über alle Friedlosen aus: die Ausgestoßenen wagten sich aus dem Waldesdickicht hervor und näherten sich den Wohnungen der Men schen. Noch in meiner Kindheit war Weihnachten die Freistatt für so mancherlei Menschliches, das sonst schonungslos von der Beik harjagt ward, und das dann von diesem notbürftigen Zufluchtsort aus gewachsen ist und den Alltag erobert hat. Darum dehnten wir Weihnachten so lange wie möglich aus und wünschten, das Fest möge gleich bis Ostern dauern.

Was es aber an Handgreiflichem brachte, war häufig nicht viel wert. Nicht nur das Jahr geht ja um Weihnachten zu Ende: für die Vielen fällt das Fest ans schlechte Ende des Daseins. Damals begann der arme Mann schon im November an den Fingern zu saugen, wenn der Winterschlaf unser Hafenstädtchen befiel. Mit der Wohlbeleibtheit des armen Mannes ist's nie weit her; er eignet sich nicht dazu, einen Winterschlaf zu halten; wenn Weihnachten kam, war die Not oft groß. Die wichtigste Frage konnte leicht werden: Wollen Kaufmann und Bäder Kredit geben, noch einmal? Der Weihnachtsmann von damals war nicht sentimental; brachte er etwas zu Weihnachten, so hatte er dafür getreulich das ganze Jahr gebrandschaßt.

Nach Weihnachten wurde der Winter ja strenger; aber das Jahr führte trotzdem aufwärts, und der kleine Mann ist wie ge­schaffen für den Aufstieg.

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Für ihn war Weihnachten auf eigentümliche Art mit ber Sonnenwende und der Geburt des Heilands verknüpft. Die färg­lichen Freuden des Festes bauten sich auf aus allen den Ent­behrungen des Jahres; aber dafür brachte Weihnachten auch wenn es einigermaßen gut ablief die Erfüllung des Traumes von menschlichen Lebensbedingungen, der in einem jeden wohnt. Gibt es überhaupt ein anderes Weihnachten als das der Das Kind brauchte nicht zu arbeiten, sondern durfte spielen Kindheit? Für mich jedenfalls nicht, und ich entsinne mich auch an allen Weihnachtstagen und obendrein vielleicht in den guten nicht gesehen zu haben, daß andere Erwachsene für eigene Rech- Kleidern. Es kam Besuch oder man ging selber aus Weih­nung Weihnachten feiern. Am Heiligabend will man am liebsten nachten wurden die Kinder immer mit eingeladen. In den bei Kindern sein; wer das nicht kann, möge sich glücklich preisen, Versammlungshäusern wurden bei Anbruch der Dunkelheit die wenn er auf eine gute Kindheit zurückzublicken vermag.

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Man beachte den Weihnachtsabend der Erwachsenen. An ihrem Wesen und Benehmen kann man leicht sehen, ob die Mind­heit für sie licht oder düster gewesen ist. Kinder vergießen ja von Tag zu Tag so manche Träne und lachen im nächsten Augenblid; aber die Kindertränen, die Heiligabend geweint wer­den, werden spät getrocknet- für so vieles haftet das Weihnachts. fest den Kindern. Viele von ihnen sind später zu schlechter Aus­saat geworden, und vielleicht wird der Menschheit darum zur Weihnachtszeit so weich ums Herz. Wer zieht wohl freiwillig Disteln für seinen eigenen Ader groß?

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Sich mit Weihnachten beschäftigen, Heißt die Kindheit von neuem hervorgraben,

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großen Weihnachtsbäume angezündet und ließen Hunderte von Kinderaugen erstrahlen, so daß die ganze Stadt in Glanz gehüllt war. So vergingen die Tage, und wenn Gott und der Schlächter dem Schweinebraten ihren Segen gaben, tam es vor, daß er nicht nur Heiligabend und an den Feiertagen reichte, sondern Neujahrs­abend mystisch wieder auftauchte. So verknüpfte sich innerlich das Ganze zu einem langen Gastmahl, und Weihnachten wurde, was es werden sollte: eine Verheißung des Daseins auf bessere Zeiten, eine Art Mustersendung auf die Zukunft vom lieben Gott. O, wie verstand man es, daß der Erlöser gerade damals gekommen war und wie verstand man, was er auf dem Herzen hatte!

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Wie gesagt, nicht selten schlug es fehl. Und dann war Weih­nachten selbst wohl nichts anderes als das schlimme Ende eines schlimmen Jahres, das Tekle schwere Stück des Hügels. Aber da. hinter lag jedenfalls das neue Jahr als sichere Tatsache welche Hoffnungen birgt jedes neue Jahr!

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und

Waren die Schneehügel damals wirklich höher, war die Kälte Strenger, das ganze Dasein um einen Grad schlimmer für die unteren Stände? Oder besteht der Unterschied zwischen einst und jezt nur in der Phantasie des Kindes? Ich glaube, es ist so manche Eins leuchtet hervor durch jede Weihnachtserinnerung und Aenderung erfolgt wenn nicht in den äußeren Verhältnissen, so macht sie noch heute festlich: Mutters unermüdlicher Kampf, uns boch in der Fähigkeit der Menschen, ihnen entgegenzutreten. Die Kindern die Freude unversehrt zuteil werden zu lassen. Fast Häuser erheben sich jetzt mehr von der Erde: nicht ohne weiteres jedes neue Weihnachtsfest sah einen Mund mehr: aber so reich deckt ein Schneebügel das Fenster und reicht bis ans Vordach an Kindern sie nach und nach auch wurde, reicher war sie immer auch bei der Hütte. Die kleinen Leute drängen sich nicht mehr noch an Auswegen für sie, und um Weihnachten verdoppelten sich im Dunkeln zusammen um eine Sputgeschichte ihre Fähigkeiten und ihre Fürsorge. Ich gehöre nicht zu denen, um Licht zu sparen; sie nehmen an mehr Dingen teil und haben mehr Wider- die sich die entschwundene Zeit zurückwünschen; auch das habe ich Standskraft. Lebensmutig, wie sie ist, hat sie ein für allemal meinen Sinn der Zukunft zugewandt. Aber im Schuße ihrer Fürsorge möchte ich trotzdem die Weih nacht meiner Kindheit noch einmal erleben.

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Darum bedeutet das Weihnachtsfest nicht mehr dasselbe. Das Jahr hat jezt andere Festtage, darunter Tage, die der Arme selbst hat schaffen helfen: der Feierabend ist hinzugekommen und hat Bedingungen für ein Zusammenleben daheim hervorgebracht. Für immer mehr Menschen trägt jeder Tag ein Fünfchen vom Feste des Lebens in sich.

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In meiner Kindheit war Weihnachten die Oase in der Wüste des Jahres. Eine Begrenzung der Arbeitszeit tannte man nicht, und dem Gesinde war es- fast bei Todesstrafe berboten, das Bereich des Brotherrn ohne seine Erlaubnis zu verlassen. Nicht einmal die Nacht gehörte einem; man war, praktisch gesprochen, ein Leibeigener. Aber von Heiligabend bis zu Dreifönige hörte die Arbeit bei Anbruch der Dunkelheit auf, und man sagte bloß: Ich geh beut abend aus!" In diesen vierzehn Tagen fühlte man fich als Mensch.

von meiner Mutter.

Martin Andersen Nexb

Ich will mitzählen.

Es ist

Eine Prebigt, die gut zu Weihnachten paßt. Weihnachten ist das Fest des kommenden Lebens. das Fest der Heiligung des Kornes, das in der Frucht keimend lebendig wurde. Es berherrlicht die Hoffnung auf die werdende Kraft der Zukunft. Das Kind ist das Symbol dieser Kraft.