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habe dort viel gelernt, was ich nicht missen möchte. Das hatte Ringen, Bei ungeschwächter Kraft hätte er mich sicher über­ich hauptsächlich der Eigenart meiner Stellung zu verdanken. Mein wunden; denn er war troß seiner neunzehn Jahre hünenhaft ge. Vorgänger, ein Charakter von unanfechtbarer Lauterkeit, war drei- baut; aber heute gelang es ihm nicht. Schon wollte ich auf den undzwanzig Jahre an der Anstalt als Lehrer tätig gewesen; er Knopf der elektrischen Glocke drücken, um einen Aufseher herbei­hatte das edelste Herz und war ein wahrer Vater seiner Bög- zurufen; doch seine Kräfte ließen nach. Wozu also noch Zeugen linge; sie achteten und liebten ihn auch alle. Diese Achtung und herbeirufen. Der Unglückliche war ganz erschöpft; ich strich ihm Liebe übertrugen sie auf mich, sobald sie merkten, daß ich ihrem das zerzauste Haar ein wenig zurecht und redete mit leisen und Unglück Verständnis entgegenbrachte; ich tonnte mir das Ver- hastigen Worten auf ihn ein: Was soll das? Warum solche Dumm trauen der Sträflinge" um so eher erwerben, als der Direktor heiten! Sie sind Vater eines Kindes! Und sind noch so jung! ein harter und despotischer Mann war, der bei der geringsten Es wird noch alles gut usw. Er sah mich völlig hilflos an; Kleinigkeit Dunkelarrest bei Wasser und Brot verhängte. Und dann seßte er sich mit meiner Hilfe aufs Bett und schluchzte der Pastor? Na, wie die meisten Pastoren wollte er die räudigen unaufhörlich. Ich sah nach der Uhr; gleich mußte die Predigt zu Schäflein mit Hilfe frommer Bibelsprüche und Gesangbuchverse Ende sein; ich mußte zurück in die Kirche. Da kam der wacht. befehren". Ja, und das geht nun mal nicht; darüber sind die habende Aufseher, der trotz meiner Vorsicht aufmerksam geworden vielerfahrenen, mit allen Hunden gehezten Insassen der Straf war. Er übersah sofort die Sachlage. In aller Eile versprach anstalten längst hinaus; fie lachen höchstens, wenn jemand ihnen ich meinem Bögling, nach beendigtem Gottesdienste wiederzukom mit der frommen Weisheit imponieren will. Aber das merken men, und ließ ihn dann mit dem Aufseher allein. Doch hatte die salbungsvollen Herren in ihrer hartnädigen Kurzsichtigkeit ich in der Kirche keine Ruhe und eilte, als der leßte Ton ver­nicht. Unser Anstaltspastor merkte es auch nicht; er war auch flungen war, sofort wieder nach Nr. 17. Er hatte sich etwas viel zu oberflächlich dazu. Da war es kein Wunder, daß die Leute beruhigt und hörte geduldig an, was ich ihm von seinem Kinde weder zum Direktor noch zum Pastor Vertrauen hatten. Und erzählte, das klein und hilflos des Vaters bedürfe. Er förme doch hatten auch sie das Bedürfnis, sich mitzuteilen, und dieses noch ein tüchtiger Mensch werden; denn er sei noch jung und Bedürfnis war um so berechtigter, als in O. Einzelhaft herrschte. ich wolle ihm helfen und hätte nun das feste Vertrauen zu ihm, Einzelhaft! daß er keine Dummheiten wieder begehe usw. Er hörte mich zerknirscht an; aber er sagte kein Wort. Also, D..., das machen Sie nicht wieder!" Er drückte mir die Hand. Dann verließ ich ihn.

Nur die wenigsten fönnen wissen, was das bedeutet. Tagaus tagein in einer kahlen Belle allein sißen und kein freundliches Menschenwort hören, zu niemand sprechen dürfen; nur immer Korsetts nähen, Rohr puben, Kaffeebohnen berlesen und der= gleichen! Das ist eine unerträgliche Folter. Darum betamen die meisten Infassen auch bald nach ihrer Einlieferung eine Art Raptus, in dem sie törichte und schreckliche Dinge bollführten. Der Erfolg war dann in der Regel die Dunkelfammer bei Wasser und Brot. In solchen schweren Zeiten, wenn sie sich von aller Welt ausgestoßen sahen, bin ich dann, wenn irgend mein sehr anstrengender Dienst es zuließ, zu ihnen gegangen, um ihnen Gelegenheit zu schaffen, sich einmal aussprechen zu können. Nur einmal aussprechen! Es ist mir unmöglich, au schildern, wie dankbar sie waren für jedes beruhigende Wort. Für mich waren das schöne, aber auch häufig schwere und aufregende Besuche.

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Der erste Weihnachtstag war herangekommen. An diesem Tage hatte ich dreimal den Gottesdienst auf der Orgel zu begleiten: im Zuchthause, im Gefängnis, und in der Weiberanstalt"; da blieb nicht viel Zeit übrig zu Zellenbesuchen. Damit die Gefangenen an diesem Fest der Liebe auch in ihrer Zelleneinsamkeit nicht ohne Gottes Wort" blieben, mußte ich das Hannoversche Sonn­tagsblatt" in die Zellen tragen. Um nun nicht jede einzelne Belle aufschließen zu müssen, wartete ich, bis die Predigt begann, und schlüpfte dann in den Zuchthausflügel, warf in jede während des Gottesdienstes offenstehende Belle ein Sonntagsblatt und sag nach einer Viertelstunde wieder auf der Orgelbant. Das hatte ich immer ganz glatt erledigen können; nur am heutigen Weih­nachtstage sollte mir ein unerwartetes Hindernis begegnen. Als ich auf meinem Eilgange bei der Zelle Nr. 17 im dritten Stod des Zuchthauses anlangte, war sie verschlossen; das war nicht weiter auffällig; denn es tam häufiger vor, daß Gefangene sich trant meldeten. Sie wurden dann vom Kirchenbesuch entbunden und durften auf ihrer Zelle bleiben. Also Nr. 17 frank. Im Augenblick kam mir nur der Gedanke: Wie kann ein solcher Hüne krant werden? Aber er hatte seinen Raptus; denn er war noch nicht lange hier. Ich öffnete also den dreifachen Nachtver­schluß und trat ein. Aber entfekt prallte ich zurück. Er hatte sich erhängt!

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Der wachthabende Aufseher war verpflichtet, den Vorfall so fort zu melden, und der Gedanke, daß der hartherzige Direktor den unglücklichen Selbstmordkandidaten in den Dunkelarrest schicken würde, ließ mir keine Ruhe. Nachmittags war Konferenz der Oberbeamten über den Fall; ich stellte ihn so milde wie möglich dar und bat dringend, von einer Bestrafung abzusehen usw. Zu meiner großen Freude wurde meine Bitte erfüllt. Versuchsweise! D.... war ja ein frecher Straßenräuber" und war dem trans­portierenden Gendarmen aus dem in voller Fahrt(!) befindlichen Eisenbahnzuge entsprungen. Also er blieb straffrei, ja noch mehr; ich erreichte es bei dem Direktor, der besonders guter Laune sein mochte, daß Nr. 17 sogar die übliche Weihnachtsbescherung erhielt: einen Teller mit Aepfeln und Nüssen.-

Am nächsten Morgen war mein erster Gang nach Nr. 17. Guten Morgen, D....! Gut geschlafen? Das ist schön. Wie geht es Ihnen denn sonst?" Er antwortete nicht und sah mich " Kann ich Ihnen noch irgendwie gefällig sein?" auch nicht an. Er antwortete wieder nicht und blickte zu Boden. Fehlt Ihnen etwas, D....?" Da sprang er mit plöblichem Stud auf seinen Brettscheme! und langte vom kleinen Wandspind, wo er seine Weihnachtsäpfel der Reihe nach aufgestapelt hatte, den schönsten herunter, drückte ihn mir stumm in die Hand und weinte wie Nie habe ich mich über ein Weihnachtsgeschenk mehr gefreut als über diesen Apfel. Jürgen Brand.

ein Kind.

Christbaumnüsse.

Kehrt der Weihnachtsabend wieder, Friedvoll und verheißungshold. Schmidt man viele tauben Nüsse Festlich mit dem Flittergold.

Und die gold'nen Nüsse leuchten Herrlich in dem Lichtermeer, Wundersame Märchenfrüchte Innen aber find sie leer.

Und wie reich die schönen schimmern, So von außen, so von fern, Höher wären sie zu schäßen, Bärgen sie den füßen Kern:

Was nun folgte, fann ich so schnell nicht erzählen, wie es sich ereignete. Im nächsten Augenblick sah ich, daß er noch lebte, und stürzte hinzu, um die Schlinge zu lösen. Ich Tor! Es ging natürlich nicht. Er hatte sich an seinem Hosenträger an der eisernen Bettstelle erhängt. Messer heraus und abschneiden! Hart fiel der schwere Körper auf den Gipsboden der Belle. Jetzt löfte ich die Schlinge, riß ihm das Beug auf und rieb und schüttelte, was ich konnte; er war im Gesicht blaurot. Nach fünf Minuten angestrengtester Tätigteit fingen Bauch und Brust erst schwach, dann in mächtigen Stößen an zu atmen. Nun legte ich ihm den Baden Sonntagsblätter als Kissen unter den Kopf und beneste ihm das Gesicht mit dem Wasser aus seiner Bellentanne. Es dauerte auch nicht lange, so schlug er die Augen auf und blidte mich verzweifelt an; dann richtete er sich halb auf, und nun geschah etwas Schreckliches. Er fuchtelte wild mit den Armen umber, stieß mich plöblich heftig zurüd und tastete nach den zer­schnittenen Hosenträger, um sich von neuem aufzuhängen! Ich fuchte ihn zu hindern, und nun entstand ein kurzes, berzweifeltes| Berantwortlicher Redakteur: Alfrey Wielepp, Neukölln. Für den VorwärtsBuchdruderei u.Verlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin   SW

Dienten sie nicht bloß den Bäumen Eine Stunde oder zwei,

Gäben sie auch brav zu zehren, Wenn das Friedensfest vorbei.

Hanns von Gumppenberg  .