Unterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 18. Dienstag, den 27. Januar. 1914 Lichtes Lebenskampf Ich kann mir die gegenwärtige Lage der Menschheit schlechthin nicht denken als diejenige, bei der es nun bleiben könne; schlechthin nicht denken als ihre ganze und letzte Be- stimmnng. Dann wäre alles Traum und Täuschung; und es wäre nicht der Mühe wert, gelebt, und dieses stets wiederkehrende, auf nichts ausgehende und nichts bedeutende Spiel mit getrieben zu haben. Nur inwiefern ich diesen Zustand betrachten darf als Mittel eines besseren, als Durchgangspunkt zu einem höhern, vollkommnern, erhält er Wert für mich; nicht um sein Selbst, sondem um des Bessern willen, das er vorbereitet, kann ich ihn tragen, ihn achten und in ihm freudig das Meinige vollbringen. In dem Gegenwärtigen kann mein Gemüt nicht Platz fassen, noch einen Augenblick ruhen; unwiderstehlich wird es von ihn» zurückgestoßen; nach dem Künftigen und Bessern strömt unaufhaltsam hin mein ganzes Leben." 5Mnftehcu und klagen über das Verderben der Menschen, ohne eine 5) and zu regen, um es zu verringern, ist weibisch. Strafen und bitter höhnen, ohne den Menschen zu sagen, wie sie besser werden sollen, ist uufmindlich. wandeln I wandeln! das ist es, wozu wir da sind." Johann Gottlieb Fichte entstammt jener sächsischen Handwerker- fchicht, an dem sich zuerst da? Schichal deS JndustrieproletariatS vollzog. Als Sohn eines Handwebers wurde er am IS. Mai 1702 in dem Dorfe Rammenau i» der Oberlansitz geboren. Eine trübe Kindheit. Die Familie ist halbbäuerlich. ES lastet auf ihr also auch die Unmenschlichkeit der Erbuntertänigkeit. Die Mutter frömmelt und zankt. Schon dem Kinde entsteht wohl der Zweifel an der Autorität der Familie und früh mag in ihm der Grundsatz seiner Weltanschauung aufgedämmert sein: Nicht« darf in der menschlichen Gesellschaft dem Zufall überlassen bleiben. Denn er selbst war völlig dem Zufall ausgeliefert. Ihm erschloß sich der einzige Weg des Aufstiegs, der damals möglich war: er fand einen adligen Gönner. Die Guts- Herren hatten Bedarf an Pfarrern, denen die Aufgabe zufiel, ihre Untertanen in christlicher Unterwürfigkeit zu erhalten. Ein Freiherr v. Miltitz wurde der Gönner des Knaben, auf den er aufmerksam geworden sein soll, weil er die SonntagSpredigt deS heimischen Pfarrers fertig herzusagen verstand. Der zwölfjährige Fichte, der bisher die Säue hütete oder mit den Bändern des Vaters hausierte, wurde erst in die Stadtschule zu Meißen , dann in das Schulkloster Pforta (bei Naumburg ) verbracht. Aber noch im selben Jahre stirbt sein Schutzherr. Seitdem sorgt niemand mehr für ihn; er ist nun ganz auf seine eigene Kraft angewiesen. In Pforta herrscht die Tyrannei der älteren Schüler. Der jüngere Schüler ist eine Art Sklave deS Obergesellen, dem er zu- geteilt ist. In dieser Zeit schreibt Fichte statt seines Namens den Horazischen Trutzspruch in seine Bücher: Wenn die Erde zusammen- bricht, die Trümmer treffen einen Furchtlosen. Schon in diesem frühen Alter finden sich die beiden Triebe FichteS nebeneinander: Auf- lehnung und Fluchtneigung: dem Bestehenden die Stirn oder den Rücken bieten I Defoes Robinson entzündet in ihm die Sehnsucht nach der fernen Insel, wo der Mensch ganz aus sich selbst sein Dasein geschichtslos neu zu schaffen vermöchte. Er wird ober zurück- geholt und erhebt sich über da? Elend, indem er die streng verbotenen Schriftsteller lieft: Wieland, Lessing. Goethe. Mit 18 Jahren wird er Theologiestudent in Jena , treibt aber nicht eigentlich irgendein Fachstudium, sondern rafft unruhig, sehnsüchtig durch die Fakultäten schweifend, Allgemeinbildung. Acht Jahre gehen in dem leeren Elend eines öden HauslehrertumS hin, das dem Mittellosen, dem ewigen Studenten, den Hunger notdürftig fristet. Dann ist seine Kraft erschöpft. Aber er will dem brutalen Zufall sich nicht beugen, sondern in Freiheit über sich selbst entscheiden. Er ist entschlossen, seinen 26. Geburtstag nicht mehr zu erleben. Am Borabend wird er seinem Leben ein Ende setzen. Da im letzten Augenblick bietet sich ihm ein Erzieheramt in der Schweiz . Er geht nach Zürich und hier schlägt sein Leben Wurzel; findet auch in einer Nichte Klopstocks die Freundin und spätere verständige und hochgemute Lebensgefährtin. 1790 ist Fichte wieder in Deutschland , wieder in Leipzig ; Haus- lehrert und hausmeistert. Wieder ein Zufall entscheidet über seine geistige Richtung. Er soll einen Jmiker in Kants Philosophie ein- führen; so_ versenkt er sich selbst in sie, inmitten schwerster Be- drängnis führt er zum erstenmal ein seliges Leben im Geiste der Wahrheit. Die Kritik der reinen Vernunft, die er selbst später in den verschiedenen Entwürfen seinerWissen- schaftSlehre" weiterbildet, erzieht ihn zur Strenge Wissenschaft- lich bewußten Denkens. Aber seine Art wird mehr bestimmt durch diu prakti'che Vernunft, die soziale Ethik Kants. in der die Idee der gleichen und freien Menschheit zum erstenmal die wissenschaftliche Grundlage gesellschaftlich hau- delnder Sittlichkeit bildet. Von hier aus entwickelt sich dann sein Lebenswerk: In seinen Systemen der Sittenlehre und des Staatsrecht?, wie in seinen auf volkstümliche Wirkung berechneten kleineren Schriften und Vorlesungen(Bestimmung deS Menschen und Geschlossener HaiidelSstaat 1800, Reden an die deutsche Nation 1803) wirkt sich immer klarer und tiefer die Idee und daS Bild einer sozialistischen Gesellschaft auS. In einem adligen Haufe zu Warschan soll er Erzieher werden. Aber angewidert durch den feudalen Dünkel der Herrschaft wirft er sofort den Bettel hin. Er war ja eigentlich doch nur nach Warschau gegangen, um die Möglichkeit zu gewinnen, in Königsberg zu sein und Kant persönlich kennen zu lernen. Bald ist er in Königsberg und durch einen in stürmischer Hast hingeworfenenVersuch einer Kritik aller Offenbarung" gelingt es ihm, das Vertrauen deS zurück« haltenden Alten zu gewinnen. Der verschafft ihm auch einen Verleger. Die ohne Namen erscheinende OffenbarungSschrist wird für ein Werk Kants gehalten und deshalb überschwenglich ge« lobt. Dies Mißverständnis begründet seinen Ruhm. Inzwischen erfaßt wie Kant auch Fichten mit hinreißender Ge- tvalt das ungeheure Schauspiel der französischen Revolution. Wieder in der Schweiz , wird er zu ihrem sprachgcwaltigcn Propheten. So lodern seine kühnen Jugendschriften auf. in denen er von den Fürsten die Denlsreiheit zuriickfordert und die Anschauungen deS Publikums über die französiiche Revolutionberichtigt". Schon 1792, als die Zensur in Halle die Drucklegung der Offenbarungskritik untersagte, hatte er in einem Brief die kecke Regel all seiner künftigen Schrift- stellerei und Gednnkenpropaganda aufgestellt:Ich für meine Person spreche der Preußischen Inquisition unter der Nase Hohn". Die geringe Meinung, die man am klassischen Musenhof zu Weimar von der Echtheit und Dauer politisch-revolutionärer Tempe« ramente in Deutschland hatte, veranlaßte das Mißverständnis seiner Be­rufung nach Jena . Man brauchte einen Lehrer, der Studenten und also auch Geld nach Jena zöge. Es gab keine zugkräftigere Beredsamkeit als die Fichtes, des Propheten. Und diedemokratische Phantasie oder Phantasterei" würde er sich schon in Brot und Würden ebenso abgewöhnen wie alle anderen, die einmal jung gewesen und für Frei- heit und Menschenerlösung unreif geschwärmt. So gänzlich fremd war den Aestheten von Weimar die Vorstellung, einem Menschen könne Politik unlösbarer Daseinsinhalt und LebeuSernst sein. Der Erfolg des Lehrers entsprach mehr als den Erwartungen. Die Jugend strömte begeistert zu dem Propheten der Freiheit, dem auch daS Geld sich häufte. Und all das Glück und all den Glanz setzte der Unsinnige aufs Spiel. Seine Jenenser Jahre treiben Konflikt auf Konflikt. Die Verbindundsstudenten stört er in ihrer rüden Zügellosigkeit. DaS neidische Professorentum hetzt er gegen sich auf. Die Weimarische Regierung wird ängstlich. Durch die deutschen Gaue schreitet immer drohender der Schreckensruf: Ein Jacobiner auf einem deutschen Lehrstuhl I Aufsätze in dem von Fichte herausgegebenen philosphischen Journal wurden des AtheiSmuS angeklagt. Das Journal wird in einigen hundert deutschen Vaterländern verboten. Fichte trotzdem nach Preußen und Berlin geholt zu haben, dieses Ruhmesblatt preußischer Freiheit ist freilich zerfetzt, seitdem man die 5kabinettS- order Friedrich Wilhelm? III. vom tiö. Mai 1799 kennt: Der König ist zivar auch peinlich berührt, daß der Verfasser sich bemüht habe, das Dasein GotleS als eines selbständigen Wesens wegzuräsonnieren", auch bemitleidet die Majestät höhnisch dieHalbphilosophcn, die ihre Vernunst in dem Grade verlieren". Aber in keinem preußischen Buchladen sei das Journal zu finden, ebensowenig ein Anhänger seiner traurigen Lehre, wofern die Schriften,die der Aufmerksam« keit der Regierung ganz unwürdig sind, nicht durch öffentlich« Schritte aus der Dunkelheit hervorgezogen werden, in der sie bis- her gar nicht bemerkt wurden". Preußen duldete Fichte, weil der vertrackte Träumer kein Unheil anrichten konnte, das Asyl, da? dieser