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Das Menschlein Matthias.

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Erzählung von Paul JIg.

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allgemeinen, zum Himmel gerichteten, die das Festwetter betraf. Es regnete den Veranstaltern seit zehn Stunden höhnisch ins Konzept, und da die Wolken so niedrig hingen, Das war nun soweit alles gut und schön. Wenn aber daß man die Dreilindenhöhe nicht sehen konnte, prophezeite der vielbefragte Hafenmeister eine regelrechte Patsche. die Mutter fich ferner sträubte? Wie hatte sie doch heute so Der unerbittliche Geschichtskalender erlaubte keinen Auf­töricht gegen den Wohltäter gezetert und gewettert! Ohne schub. Am siebenten August jährte sich der Tag, da die Treu­diesen Widerstand fäße er jetzt vielleicht schon an einem städter Eidgenossen wurden. Daran war nun einmal nicht zu schmackhaften Kuchentisch oder in einem Garten mit seltenen rütteln. Aber die patriotische Flamme hielt wacker stand in Früchten vergnügt wie der Vogel im Hanffamen. Als dann der Dessinateur Oberholzer unverhofft leib- dem strömenden Regen. Tausend Hände regten sich, Gesimse zu schmücken, Fahnen auszuhängen, Triumphbogen zu er haftig über die Schifflände schritt, konnte Matthias nicht richten. Der herbe Duft von zerstückeltem Tannenreisig, Efeu anders er mußte ihm wie am Schnürchen folgen. Zuerst und Buxbaum durchzog die Gassen, grünweiße und rotweiße hatte er zwar noch schwere Bedenken und hütete sich wohl, dem Flaggen klatschten gegen die Mauern: sie verfingen sich zu­Bater zu nahe zu kommen. Auf der Hafenmauer wurde es weilen und boten so ein recht anschauliches Bild von der thm sogar schwindelig; sie war feine zwei Meter breit und Vereinigung der Stadt mit dem Stammland. undurchsichtiges Wasser drohte auf beiden Seiten. Bald zog's ihn nach rechts, bald nach links, er mußte sich ducken, einzelne Steinplatten schwankten merklich unter seinen Füßen. Die Gefahr des Ertrinkens zeigte sich mit faltem Schauer an. Er wäre am Ende auf allen Bieren wieder zurückgekrochen, wenn thn der Dessinateur nicht gerade noch erblickt hätte. Der Mann warf verblüfft seine Hände von sich.

Holla, Bürschle, was treibst denn Du da draußen? Bist etwa mir nachgelaufen?"

Matthias spürte nur Wohlwollen in dem Zuruf und brauchte gottlob seine Todesangst nicht länger zu verbergen. So ließ er sich heulend auf die Knie nieder und legte beide Hände flach auf die Steinplatte, um von der magneti­schen Tiefe nicht verschlungen zu werden.

Ueber diesen Anblick lachte Herr Oberholzer, bis ihm die Seiten weh taten, die Augen überliefen, aber gleichzeitig war er auch wieder so gerührt, daß er dem Kleinen hurtig zu Hilfe fam, ihn mit starker Hand auf die Beine stellte und ihm ein Gefühl sicheren Schutzes einflößte.

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Was so ein Angstpeter bist Du noch? Heiliger Se­ bastian  ! Schäm Dich. Schau, dort am Leuchtturm draußen, wie die Buben herumspringen und hinaufklettern. Die sind auch nicht größer als Du und können sicher schon schwimmen wie die Fische!" schalt der Alte zum Schein, indem er sich spöttisch zu dem Knaben niederbeugte.

Ich bin halt auf dem Berg daheim gewesen!" schluchate Matthias unsäglich beschämt, aller Ehre bar und fast gewiß, daß der große Gönner nun nichts mehr von ihm wissen wolle. Es kam jedoch anders. Der Dessinateur fragte nicht lange hin und her; er nahm das Bürschchen wie ein Bündel unter den Arm, sekte ihn auf Steuerbord ins Boot und legte höchlich belustigt die Ruder an. Bald hatte der Passagier die Angst nahezu verwunden, ein großes Vertrauen zu Fahr­zeug und Lenker gewonnen.

Aus Weinen wurde Lachen, die Geschichte versprach einen herrlichen Fortgang. Der Vater, der des Kindes wachsende Butraulichkeit wie ein schmackhaftes Weinchen schlürfte, ließ es an Aufmunterung nicht fehlen.

Für das Arbeiterheer kam es schon weniger aufs Wetter an. Ob naß, ob trocken: es war jedenfalls ein gefundener Ruhetag, eine würzige Prise Freiheit, die ein allseitiges " Profit" auslöfte. In der Bleiche gab es doppelt so viel ver­gnügte Mienen wie an einem gewöhnlichen Feierabend. Den Ausfall der Arbeit mußten ja die Herren tragen, die's auch beffer vermochten und sich natürlich nicht merken ließen, wie wenig sie im Grunde für den patriotischen Gedenktag übrig hatten. Hier gebot einmal der Volkswille, vor dem sich in seltenen Ausnahmefällen auch Hirsch senior beugen mußte. Das Bleichevölklein freute sich schon deshalb auf den Festzug, weil es zu diesem die eigentliche Hauptperson entsandte. Daß der Dessinateur Oberholzer alle anderen Darsteller ausstechen werde, galt als sicher. Nach den Berichten der Eingeweihten gab es zwar noch viele andere Größen im Buge: einen Fürstabt mit kirchlichem Pomp und Gefolge, einen eidgenössi­schen Feldhauptmann mit seinem Fähnlein von Lands­fnechten, einen berühmten Reformator neben anderen Ge­lehrten sowie einen französischen   Generalissimus vom Stabe des Korsen, aber gegen der Herzog von Desterreich mit seinen Rittern fonnten sie schwerlich aufkommen.

Besonders die Mädchen der amerikanischen Abteilung, mit denen der Zeichner so manchen Schabernad trieb, er­zählten halb bewundernd, halb entrüstet von der prachtvollen Rüstung, die er von fernher kommen ließ; fie foſtete mehr, als eine arme Familie in zwei Jahren zum Leben brauchte. Eine Verschwendung und Ueberheblichkeit, derer hierlandes gewiß kein anderer fähig war. Ganz Treustadt befand sich in Erwartung des großen Trumpfes, den der einstige Schützen­könig auszuspielen gedachte.

Wenn er in diesen Tagen durch den großen Saal ging, bekam er einen lebhaften Vorgeschmack der Huldigungen, die ihm beim Umzug zuteil werden mußten. Die Neugier der Bleicheleute erfuhr indessen noch eine Steigerung durch das Gerücht, er gedenke sich nächstens mit dem Musterfräulein zu verheiraten. Das war eine Neuigkeit, für die sich das Schnüffeln und Klatschen wohl verlohnte. Auf den ersten Wer hätte das gedacht! Wohl empfand Matthias noch Blick erschien sie allen einfach aus der Luft gegriffen; eher einen feltsamen Schwindel, aber diesmal vor lauter Glück, noch hätten sie für möglich gehalten, daß der hochtrabende Stolz und Dankbarkeit. Das Boot glitt gemach, sicher an Herzfeld junior einen derartigen Vorsatz zur Tat mache. ben großen Dampfern, am Leuchtturm vorbei und hinaus ins Oberholzer, der kühne Junggeselle und Kostverächter auf dem breite blaue Gefilde, so daß der Hafen, die Stadt bald, wie Krebsgang? Es kam ihnen vor wie ein pater peccavi. ein Spielzeug anzuschauen, weit, weit dahinter lag. Am Ende Heimliche Nachforschungen bei den Großen, die am ehesten des Häusermeeres war die Bleiche zu sehen, wo die Mutter Bescheid wußten, begegneten ironischem Achselzucken, hingegen jezt saß, der Roßbühl mit der Dreilindenhöhe türmte sich auf, schien Brigitte Böhis Freundin, die alle Frager mit einem Guggisau und die Kurfürsten kamen zum Vorschein. Nun wichtigtuerischen: Ich will nichts gesagt haben!" abwies, das erst begriff Matthias, wie schön die Welt da unten war. Gerücht zu bestätigen. Wie es überhaupt aufkommen konnte, Schon getraute er sich, die Hand ins laue, sprudelnde Wasser wußte niemand, wenn nicht durch den Zufall, daß der Zeichner su tauchen, über den Schiffsrand zu blicken und frei heraus schon von dem und jenem in Begleitung des kleinen Matthias zu lachen, wenn das Boot vom Wellenschlag geschaukelt wurde. Böhi gesehen wurde. Das ließ tief blicken. Verdächtig war Der Gipfel seiner Seligkeit war erreicht, als der Fischer die allerdings auch das Gehaben der Jungfer Braut", die schon Ruder einzog, die lange Angelrute zusammenfügte, die Schnur seit Wochen allen, die mit ihr zu tun hatten, merkwürdig auf­mit dem blinkenden Silberfischlein auswarf und sachte spielen geregt, verschroben, unzugänglich vorkam. ließ, die Rute sich dann plößlich schier zum Brechen bog und endlich gar ein braunes Stacheltier ein mächtiger Barsch mit schnappendem Maul und gesträubten Flossen auf dem Schiffsboden sprang. Es tat ihm nur leid, daß die Mutter nicht auch dabei sein konnte. Aber er nahm sich vor, ihr mit Inbrunst zu erzählen, welch großes Glück ihm begegnet sei. Nun konnte sie nichts mehr gegen den Vater sagen. Nein, einen besseren gab's auf der ganzen Welt nicht mehr.

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5. Der Umzug. Streckenweise wurde in Treustadt am Vorabend der großen Feier fast jede andere Sorge verdrängt von der einen

An diesem Tage fühlte sie. fich wirklich in ihrer über­mächtigen Not bis an den Rand der Verzweiflung getrieben, kaum mehr fähig, den geschäftlichen Vorkommnissen ordent lich standzuhalten. Es hatte sogar bereits einen scharfen zu­sammenstoß zwischen ihr und der ersten Ausrüsterin gegeben, bei dem sich Brigitte gegen ihre sonstige bescheidene Art zu überheblicher Betonung ihrer Selbständigkeit hinreißen ließ und die Erste" fast handgreiflich zum Musterzimmer hinaus­jagte. Der Vorfall wurde dem Amerikaner gemeldet und das Musterfräulein mit einem beschämenden Verweis bedacht, der sie vollends aus dem Häuschen brachte. Niedergeschmettert entgegnete sie, wenn es so stehe, wolle fie lieber gleich für