Der Nachahmungstrieb.
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Eine psychologische Studie von Dr. med van Troy.
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Jahmen, wobei allerdings sicherlich noch eine Freude an den Nache ahmen an sich vorhanden ist. Ein anderes beliebtes Objekt für solche Versuche der Kinder gibt bekanntlich das groteske Benchmen der Affen ab. Auch lächerliche Eigenschaften einer Person sind ein Wenn Aristoteles in feiner Ars poetica auf die Mimejis, die gangbarer Stoff für Nachahmung. Hier ist der psychische MechaNachahmung, als die Wurzel des dramatischen Schaffens hinweist, nismus ein anderer und komplizierterer. Der Nachahmer schätzt so ist damit wenig Charakteristisches für diesen Zweig seelischer den Nachgeahmten wegen seines Fehlers oder Lasters gering ein. Betätigung gesagt. Denn überall, wo wir das pfychische Treiben Das verschafft ihm das Lusigefühl der Ueberlegenheit. Und er weiß der belebten Wesen zu untersuchen beginnen, finden wir eine Fülle fich dieses wertvolle Gut nur so zu bewahren, indem er selbst seinem von Erscheinungen, bei den höheren Tieren sowohl wie im Leben Opfer nachmacht", um sich über dessen Handlungen immer wieder Des einzelnen Menschen und in den Strömungen der Menge, die amüsieren zu können. fich als wurzelnd in dem Triebe zur Nachahmung deuten lassen. An jedem Triebe hängt etwas Tierisches. Das populäre Beiwort ist durchaus charakteristisch. Es bezeichnet das, was man sonst als ein hemmungsloses Schalten und Hervordrängen von Strebungen unter Umgehung des Bewußtseins und seiner intellektuellen Funktionen, ja oft gegen deren Willen betrachtet. Dem Tiere fehlt ja die Vernunft, pflegt man wohl zu sagen. Triebe werden ihm aber von jeder Seite zugestanden.
Auch den Nachahmungstrieb findet man in der Tierwelt weit verbreitet; wahrscheinlich viel verbreiteter als wir heute wissen. Aber die schönsten Beispiele, allen voran die Mimicry der Schmetterlinge, jene Anähnelung eines lebenden Objektes in Farbe und Form bis zum äußersten an ein Pflanzenblatt, bringen uns teinen Schritt weiter in der Erkenntnis der Bedingungen, unter denen Nachahmungstriebe betätigt werden, geschweige denn in der Erkenntnis ihres Wesens. Denn jede: Hypothese, die wir darüber aufstellen, muß, da wir sie durch unser Denken gewinnen, von dem Wesen des Menschen abfärben. Allerdings zwingt uns eine Notwendigkeit im biologischen Denken dazu, eine steigende Entwickelung nicht nur des körperlichen, sondern auch des seelischen Lebens anzunehmen. Damit stimmen denn auch unsere analogen Erfahrungen überein. Wir finden das Triebleben beim Tiere deutlicher ausgedrückt, in der menschlichen Psyche den Intellekt als die höhere Entwickelungsstufe, die Triebe zwar noch vorhanden, aber Sach im Dunkeln hausend und unterdrückt.
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Der Nachahmungstrieb verbreitet sich mit der Gewalt einer Infektion. Das bekannteste Beispiel ist dafür die Ansteckungsgefahr, die von einem Beitstanzkranten ausgeht. Der Beitstanz ist cine nervöse Erkrankung, die sich in dem Auftreten tonischer ( Starr-) und ffonischer( Schüttel-) Krämpfe des Gesichts und der Extremitäten äußert. Es entstehen dadurch die abenteuerlichsten Verrenkungen der Glieder und Verzerrungen des Gesichts. Daß es epidemisch auftritt, weiß man schon seit dem Ausgange des Mittelalters. Kulturhistorisch haben diese Epidemien ein großes Interesse. Ist doch die in Deutschland im 15. Jahrhundert auftretende Tanz wut nicht viel anderes als ein Massenveitstanz. Ihre letzten Ueberreste treten noch in unserer Zeit in der Echternacher Springprozession zutage. Auch die Sage vom Rattenfänger von Hameln, der auf einent Instrument spielend die Kinder tanzend aus der Stadt lockt, hängt wohl mit derartigen Ereignissen zusammen. Wie rasch der Beitstang übertragen werden fann, lehren jene Beobachtungen, bei denen ein davon befallenes Individuum noch in krankem Zustande unter seine Altersgenossen den größten Anteil daran hat das weibliche Geschlecht zurückkehrte, etwa in feine Schulklasse. In fürzester Zeit greift dann die Erkrankung auf eine große Zahl der Klaffenangehörigen über. Man muß dabei annehmen, daß die Befallenen dazu schon von vornherein einer nervösen Schwäche und einer gesteigerten Suggestibilität disponiert sind. Eine derartig gesteigerte Empfindlichkeit ist das Kennzeichen für einen hysterischen oder wie man neuerdings auch sagt, psychoneurotischen Charakter. Die Hysterische liebt ihrem Es ist reizvoll, die Wege, die der universellste aller Triebe, der Temperament nach die Wechsel des Spieles, sie ist bereit, sich furz Nachahmungstrieb, sich bahnt und durch die er in Erscheinung tritt, hintereinander in die verschiedensten Situationen hinein zu verzu verfolgen. Sowohl die, auf denen er, aus der Unterwelt hervor feßen, ja geradezu hineinzuleben. Dies kann bei weiter vorgebrechend, gewaltsam das Individuum zwingt, sich ihm hinzugeben, schrittenen Stadien zu einer tiefen Spaltung", einer Verdoppelung als auch dort, wo er sich unauffällig einschleicht und unerkannt nun der Persönlichkeit, führen, dent sog. zweiten Gesicht, wobei nicht mehr den einzelnen, sondern auch die Masse meistert. Da dann gewöhnlich in einem dieser Zustände das Tierleben besondas Tierleben keineswegs mit dem tierischen Bewußtsein in Ver- ders ausgeprägt erscheint, und mit ihm die Betätigung des Nachbindung ist, bekommt es seine Triebhandlungen auslösenden Reize ahmungstriebes. anderswo her, von der Gefühlssphäre. Schon diese beurteilt Aber es ist vielleicht noch interessanter, innerhalb der Grenzen die Außenwelt und ihre Erscheinungen nicht objektiv; sie ist in des Normalen die triebhafte Einfühlung in eine fremde Persönlichihren Aeußerungen nicht berechenbar. Bald überträgt sie einen feit und deren Nachahmung zu verfolgen. Man nimmt dann nicht bestimmten Ton, nur weil er noch von einem früheren Erlebnis felten bei leicht labilen Individuen wahr, wie sich auf einmal in nachhallte, auf ein neues, obgleich gar keine Ursache dazu vorhanden ihr Gebaren neue Züge einschleichen. Bisher nicht gebrauchte Ausist, bald versucht sie es mit dem Kontrastgefühl. Die Anregungen, brudsmittel werden angewandt, die Färbung der Stimme verändert die von hier aus die inaktiven Triebe treffen, sind widerspruchsvoll. sich, es wird mit besonderer Betonung gesprochen, so daß man sich Es entstehen so psychologische Antinomien", indem ein Ereignis des Eindrucs nicht erwehren kann, daß hier eine fremde Persönsich nicht logisch stets aus derselben Ursache ableitet, sondern aus lichkeit unbewußt wiederzugeben versucht wird. zweien, die das gerade Gegenteil voneinander darstellen. So wird nachgeahmt, nicht nur was gefällt, sondern auch das, was geradezu mißfällt; es wird nachgeahmt, was nur selten in Erscheinung tritt, und das, was in steter Wiederholung dauernd vor Augen steht. Einige Beispiele mögen das erläutern: Kinder, bei denen sich der Nachahmungstrieb noch frei und unbekümmert meldet, fuchen soviel, als ihnen nur möglich ist, von der Welt und deren Erscheinungen für ihre kleine Welt nachzuschaffen. Alle Erlebnisse, die von draußen famen und das Kind selbst oder doch seinen Gesichtskreis betrafen, werden noch einmal lebendig gemacht. Am liebsten werden sie geradezu wiederholt. So entsteht das Spiel, in dem das Kind nachahmend und infolge seiner bescheidenen Mittel stilisierend verfährt. Es ist die Lust an den Dingen, die den Nachahmungstrieb
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Während der einzelne meist nur unter pathologischen Bedingungen seinen Trieben derartig die Zügel schießen läßt, ist das Berhalten der Masse in diesem Puntte ein ganz anderes. Die Massenpsyche ist stets suggestibel und geneigt, das mit- und nachzuahmen, was ihr von der Stelle, auf die sich die Aufmerksamkeit der Menge konzentriert, direkt oder indirekt anbefohlen wird. Man hat darüber lehrreiche Versuche angestellt: Ein Experimentator trat vor eine Gesellschaft und beschäftigte sich zunächst durch eine Mitteilung; plöglich zwischendrein flatschte er in die Hände, und eine große Zahl der Anwesenden folgte seinem Beispiele, fast automatisch, ohne zu wissen, warumi sie es taten. Bekannt es auch, daß Gähnen ansteckt, und daß man eine ganze Gesellschaft zwingen fann mitzugähnen. Das gleiche gilt vom Lachen. Man kann die Stärke dieser Triebe messen an dem Widerstand, den man aufIn mehr als einer Beziehung werden auch bei den Erwach- bieten muß, um sie zu überwinden. Andere Aeußerungen des Nachsenten diese Triebe entfesselt, wenn sie von Luftgefühlen angeregt ahmungstriebes der Menge sind so häufig, daß man sie gar nicht werden. Man kann es heute fortwährend mit ansehen, wie eine mehr bemerkt. Die jeder größeren Gemeinschaft eigentümlichen aufkommende Kleidermode, ein neuer Schnitt, eine neue Farbe Ausdrucksbezeugungen, durch die sie sich von jeder anderen Klasse Begeisterung und Nachahmung auslöst. Daß das weibliche Ge- unterscheidet, der Gang, die Haltung, die Geften, der Tonfall, entschlecht in diesem Falle den Vortritt vor dem männlichen hat, stehen ebenfalls durch Absehen oder Abhören, das unbewußt seit stimmt damit gut überein, daß bei ihm das Gefühlsmäßige sich früher Kindheit vor sich geht. Indem so eine Einheit hergestellt mehr Geltung zu schaffen imftande ist. Aber schon in die Er wird, adelt sich der Nachahmungstrieb zu einem sozialen scheinung der Mode spielen jene unauflöslichen Widersprüche hinein. Instinkte. Es werden Farbenzusammenstellungen gepflegt, die früher als scheußlich galten. Irgend eine Stimme mit Suggestivkraft beginnt für eine derartige Kombination Propaganda zu machen, und sofort sammeln sich Scharen von Anhängerinnen um sie, die das neue Muster wiederholen. Wir erleben ja heute noch mit: bald fleine Rapotthüte, bald Riesenpilze, gestern Schleppen, heute ganz kurze Röde. Der Gegensaß wird in der Mode zum Ereignis. Aesthetische Momente können es doch nicht sein, die diesen jähen Wechsel veranlassen. Vielmehr liegt diesen Strömungen das rein Triebhafte zugrunde. Von der Nachahmung des Nicht- an- sichGefallenden zu der des Mißfallenden ist nicht mehr els ein Schritt. Vielleicht die ist hier Nachahmung ein Hilfsmittel, sich der Unlust zu erwehren, in dem man sich in das unlusterregende Objekt einfühlt" und es imitiert. So sieht mon nicht gar zu selten Kinder die Gebrechen Kranker nach
Heimkehr.
Lang war ich in der Fremde aus, jetzt trägt der Schnellzug mich nach Haus. Ich will fein prächtig Wiedersehn, ich will still bei den Meinen stehn. Da lugt ja schon das rote Dach, mein schnellster Traum rennt hintennach. Was tut wohl meine Mutter jetzt? Sie schafft im Garten, gräbt und fest.