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Bis endlich mit der fortschreitenden Genesung auch das Erinnerungsvermögen langsam wiederkehrte. Nach und nach erfuhr die Mutter alles. Man hatte ihr das Schicksal der Kinder solange als möglich verheimlichen wollen. Aber es ging wirklich nicht länger; denn der große Krankenjaal faßte Raum für zwanzig Frauen, und sämtliche Betten waren besetzt.
" Laßt mich zu den Kindern heim, habt ihr gehört? Wenn mir] Vor dem Ausbruch der Revolution herrschte in Deutschland der auch alles im Kopf umgeht wie ein Mühlenrad, aber das weiß ich: vollkommene politische Stumpfsinn und die fälteste politische GleichMutter und Kinder gehören zueinander; hört, ihr grausamen Leute: gültigkeit. Es war nicht nur Weltbürgertum, fondern auch Ekel laßt mich zu Franzel und Hede heim... vor dem sklavischen Zustand ihrer Heimat, das gerade die Besten sich vom Vaterlande abkehren ließ: Frühe verlor ich mein Vaterland", gestand Schiller , um es gegen die große Welt zu vertauschen", essing unterstrich:" Ich habe von Vaterlandsliebe keinen Be griff, und Hölderlin zürnte:" Wohl dem Manne, dem ein blühend Vaterland das Herz erfreut und stärkt! Mir ist, als würd' ich in den Sumpf geworfen, als schlüge man den Sargdeckel über mir zu, wenn einer an das meinige mich mahnt, als schnürte man mit dem Halsband eines Hundes mir die Kehle zu." Wo die politische Misere des Landes edelste Geister derart zur Flucht aus der Politik trieb, verhielt sich auch die Oberschicht der Gebildeten Massen, gleichgültig zu öffentlichen Dingen und flavt und verblödet, vegetierten im Stumpffinn dahin, ängstSereniffimus. Wenn denn in den Musenalmanachen dieser Zeit lich geduct unter Den Krüdstod irgendeines rabiaten Freiheitsgefänge nicht selten autauchten, so handelte es sich meist um akademische Reimereien sehr platonischen Charakters. Immerhin war es der Nachhall des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, der in den Versen der„ Berliner Monatsschrift" von 1783 tönte: Noch immer schreckt die rasende Despotie,
Die Mutter saß auf dem Bettrand. Sie war rings umgeben von Blumen, Obstkörbchen, Backwerk und Süßigkeiten. Der Professor, die Assistenten, ja ganz fremde Leute, die unter gewöhnlichen Umständen niemals daran gedacht hätten, einer armen Frau solche Präsente zu machen, hatten ihr zum Abschied Gaben gespendet; denn die Mutter sollte heute, nachdem sie viele Monate im Krankenhause zugebracht, geheilt" entlassen werden. Die Polizei war bereits verständigt.
Die Frau aß nicht von den guten Sachen; sie sah nicht die viel farbigen Blumen und roch nicht ihren Duft. Sie hielt ihre Blicke immer trampfhaft auf eine Stelle des Fußbodens gerichtet und schlürfte mit den Schuhsohlen darüber hin, als wollte sie Spuren
verwischen.
die
Die Gottes Rechte lügend, mur Großen fröhnt, Den Erdkreis!
Sie sah da immer zwei Blutfleden, einen größeren dunkelroten und einen kleineren blassen, rosenroten; und die wollten nicht von den Fliesen verschwinden, so eifrig sie auch mit den Füßen darüber Dem alten Erbteil zum Trost lang die Prophezeiung dieser Dde: fegte.
Der Professor tam auf seinem Visitengang mit den jungen Praktikanten zum Bette der Mutter:
„ Hier, meine Herren, diese Frau ist geivissermaßen mein Renommierfall!"
Er streifte mit ein paar flüchtigen, beiseite gesprochenen Worten die Krankheitsursache und fuhr dann laut fort:
Batientin wurde in einem jammervollen Zustande auf meine Abteilung gebracht; die gebrochenen Knochen standen ringsum auf wie Stoppeln auf einem Aderfeld; na, schauen Sie die Frau jetzt an! Der rechte Arm zum Beispiel war dreimal gebrochen! Und jest passen Sie mal auf, meine Herren! Liebe, gute Frau... heben Sie den Arm... ja? Recht so!"
Die jungen Mediziner konnten nicht genug staunen über die Beiveglichkeit des Armes und die glänzend verheilten Bruchstellen. " Der Unterkiefer war zweimal frakturiert; Splitterbruch, wohlgemerkt," fuhr der Professor fort: Und nun passen Sie mal auf, meine Herren! Liebe, gute Frau, öffnen Sie den Mund! So! Brav! Und jetzt beißen Sie die Zähne fest aufeinander.
Gut!"
So demonstrierte der Professor unter dem riesigen Beifall der Hörer den glatt verheilten Stieferbruch und noch einen ganzen Rattenkönig andever Brüche und Verletzungen, deren Heilung der chirurgischen Wissenschaft alle Ehre macht."
Die Fran saß auf dem Bettrand und gehorchte wie ein Automat. Sie ließ an ihrem kunstvoll zusammengeflickten Körper herumtasten und herumdemonstrieren, soviel man wollte. Nur die Stellung ihrer Füße wollte sie nicht verrücken lassen. Da mochte ihr der Professor noch so lieb und gut zureden die Füße hielt fie krampfhaft auf die Stelle des Fußbodens gepreßt, wo sie immer die beiden Blutfleden jah. Diese Stellen verbarg und deckte sie ängstlich mit ihren Schlen. Ihrer Kinder Blut sollte niemand sehen.
Sie konnte es kaum erwarten, bis der Professor mit dem Hörerschwarm weiter ging.
Ein junger Mediziner raunte seinem Kollegen ins Ohr: „ Wenn ich Professor wär, mit der Patientin würde ich reisen!" ( Schluß folgt.)
Der Widerhall der großen Revolution
Wie der gewaltige Sturm am Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts, der in Frankreich den Absolutismus samt dem Feudalismus wegfegte, auf die großen Geister Deutschlands , auf einen Goethe, einen Schiller, einen Wieland gewirkt hat, ist ziemlich all= gemein bekannt, obschon dieser Stoff zusammenfassend noch nirgends behandelt worden ist. Minder unterrichtet sind wir über die Wirkung der großen Revolution auf die Massen des deutschen Volkes, ein Mangel, der sich zum größten Teil daraus erklärt, daß es ein öffentliches Leben in Deutschland damals nicht gab und daß politische Zeitschriften und Zeitungen fast vollständig fehlten, aus denen der Eindruck jener Umwälzung auf die deutschen Zeitgenossen widergespiegelt werden konnte. So hat denn Dr. Eberhard Sauer sich feiner leichten Aufgabe unterzogen, als er es unternahm,„ Die französische Revolution von 1789 in zeitgenössischen deutschen Flugschriften und Dich tungen"( Alerander Duncker Verlag, Weimar 1903) festzuhalten und die Sprödigkeit des Stoffes mag vielfach die Schuld tragen, daß Sauer eigentlich nur eine Vorarbeit zu seinem Thema geliefert hat, die allerdings des Interessanten genug bietet.
Doch Du, Europa , hebe das Haupt empor!
Einst tommt auch Dir der Tag, wo die Kette bricht, Du Edle frei wirst, Deine Fürsten
ber
Scheuchst und, ein glücklicher Volksstaat, grünest. Aber nur an die Herzen weniger rührte solche Freiheitslyrik, und dumpf, verbockt, verdrossen und verständnislos stand das deutsche Volt im Jahre 1789 dem Ausbruch der französischen Revolution gegenüber. Kein Funke zündete hier, kein Hirn ahnte etwas von der weltumwälzendenden Bedeutung des Bastillensturms. Erst als die Revolution in den folgenden Jahren in Gestalt der republi fanischen Bataillone über den Rhein schritt, zwang die Anwesenheit der Franzosen , in Westdeutschland wenigstens, mit Für und Wider Stellung zu nehmen, In Mainz , wo beim Rahen der Jakobiner schon der verfaulte Kurstaat fraftlos zusammengesunken war, bildete fich das Klubistenregiment, hier erschien„ Der Patriot", hier suchte Georg Forster den Massen die Gedankenwelt der Losung: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! nahezubringen, aber verzagt mußte er bekennen:„ Es ist unglaubwürdig, wie stupid das Volk ist; jezt kommt seine Leere und Charakterlosigkeit erst recht zum Vorschein. Sie wissen gar nicht. wie ihnen geschehen ist, und vermiffen ihren gnädigen Herrn." Auch hier waren es denn nur wenige, die etwa beim fröhlichen Gelage sangen:
Seit langen Jahren mußten wir Des besten Trants entbehren.
Ihn soffen Mönch und tranken schier, Als ob sie Schläuche wären. Er wärmte nur ihr träges Blut Zur Lust mit feilen Dirnen.
Üns, Brüder, gibt er Freiheitsmut Trop unires Bischofs Zürnen.
Ein anderes Mainzer Revolutionslied frohlodte: Auf, Brüder, auf die Freiheit lacht,
Die Ketten sind entzwei;
1ns hat sie Custine losgemacht,
D Bürger, wir sind frei!
Nun drückt uns fein Despote mehr
Und raubt uns unsre Taschen leer,
Aber dem„ Aufruf zur Freiheit von einem jungen Mainzer Bürger" antwortete slugs aus der flaisischen Pfahlbürgerstadt Frant furt der Klassische Aufruf zur Rube":
Schet! Wie bisher in Frieden Frankfurts Untertanen blühten, Ohne einen Freiheitsbaum. Euer schöner Freiheitsgarten, Eure Fahnen und Kokarden Sind wahrhaftig nur ein Traum. Auf! laßt uns der Vorsicht danken, Daß der General der Franken Uns bisher noch nicht befreit; Denn ein solcher Volksbefreier Ist wahrhaftig viel zu teuer,
Denn er bringt uns schlechte Zeit.
Ueberhaupt spricht aus den meisten gegenrevolutionären Schriften der Zeit, ob es sich mun um Lieder, Flugblätter, Romane oder Theaterstücke handelt, die Angst der Geldsäcke vor den Hungerleidern der Revolutions heere, die getren ihrem Wahlspruch: Friede den Hütten! Krieg den Palästen!" und ganz dem in Deutsch land herrschenden Brauch zuwider die Armen ungeschoren ließen und die Reichen brandschatten. Ich habe“, sagte der Held einer