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1796 erschienenen Komödie Die Märtyrer der Freiheit und Gleich­heit", in meinem Leben noch keinen tüchtigen Weltbürger im Braten rock gesehen. Allen guckten die bloßen Hacken zu den Schuhen und die nackten Lenden zu den Hosen heraus". und statt daß die deutschen Spießbürger im Bratenrod von der aufstürmenden Weise des Ça ira mitgerissen waren, höhnten sie das Lied mit dem kennzeichnenden Trommelmarsch der Schweizer ":

Geira, feira, feiraffa!

Geld ist besser als Assigne. Assigne ist Lumpengeld, D'Patriote ziehnd in Feld

Ohne Strümpf und ohne Schuh,

Kehre sie wieder deheime zue.

Eine Schilderung der Jakobiner überbot die andere an grauen­hafter Verzerrung. Nimm", hieß es in einem Göttinger Revo­Intionsalmanach, die 7 Todsünden, und die 3 Weltplagen, Best, Hunger und Krieg, mische alles wohl durcheinander, löie es in Menschenblut und Tränen auf, foche es mit Mart und Hirn der größten Böiewichter der Vorzeit zu einer dichten Maffe, fnete eine Menschengestalt daraus, und der Jakobiner ist fertig." Robespierres Tod auf der Guillotine wurde in einem Soldatenlied gemütvoll begrüßt:

Bluthund, Bluthund, du mußt sterben, Wie du Tausend umgebracht! Fahr zum Teufel ins Verderben, Du verdienst die Höllennacht!

Auf der anderen Seite brachte es ein Theaterstück: Der Emigrant" von Bunsen fertig, das anrüchigste Gesindel, das je die Weltgeschichte gefehen, zu verherrlichen, nämlich französische Herren von und zu, die nach Deutschland geflüchtet waren, hier die Luftfeuche verbreiteten und Hochverrat gegen ihr Vaterland spannen, und Ludwig Capets Hinrichtung wurde in einem Gedicht be­sungen, das wie die föstlichste Parodie anmutet:

Falsche Freunde, Heuchler, Toren, Hatten ihm den Tod geschworen, Die ihn dann nach Mörderart

Im Gefängnis aufbewahrt...

So starb Ludwig, Frankreichs König, Welcher an dem letzten Tag

Seines Lebens zwar sehr wenig, Aber mit Verstand noch sprach.

Angesichts dieser zwerchfellerschütternden Komik spricht selbst Sauer, der an sich eine gewisse Neigung zu reaktionärer Betrachtung der Dinge nicht verleugnet, von dem beispiellofen Tiefstand der An­griffsschriften gegen die Anhänger der französischen Umwälzung".

Von der Sense des Todes gemäht, atemlos und bleich, Liegt hier das heilige römische Reich.

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Biffern fehlerfrei nach Belieben rückwärts oder vorivärts wiederzus geben. 102 Biffern lernt er in 4 Minuten auswendig. Eine Grenze für den Umfang seines Gedächtnisses scheint es nicht zu geben. Was gewöhnlichen Sterblichen überhaupt nicht gelingt, nämlich fich 204 8iffern einzuprägen, leistet Dr. Rüdle in 7 Minuten. 408 Ziffern prägt er sich in 26 Minuten und 48 Sekunden ein. Dr. Rückle, ein Mathematiker von Fach, war zulegt im Jahre 1906 untersucht" worden. Seit 1908 tritt er öffentlich auf. Wie hat sich bis 1912 sein Gedächtnis entwickelt? Bu 204 Ziffern brauchte er im Jahre 1906 noch 19 Minuten, im Jahre 1912 nicht einmal die Hälfte der Zeit( 712 Minuten). Er hat ein ausgeprägtes Ge­dächtnis für Zahlen. Anderes Lernmaterial liegt ihm weniger. Das scheint den alten Satz der Gedächtnislehre zu widerlegen, daß stärfen. Aber dem ist nicht so; vielmehr beweisen die Versuche an Uebungen auf irgend einem Gebiet das Gedächtnis im allgemeinen Rückle, daß seine Leistungen gar keine reinen Gedächtnisübungen sind. Seine staunenswerte Fähigkeit ist bedingt durch die Anwendung von Hilfsmerkmalen, die N. in den Beziehungen von Zahlen findet. Merkt er sich die Ziffern 228 619, so weiß er sofort, daß 2282X6X19 ist. Renntnis der Mathematik und gutes Bablen gedächtnis ergänzen sich bei ihm. R. arbeitet regelmäßig wissen­schaftlich auf mathematischem Gebiete( bis zu acht Stunden täglich). Insbesondere beschäftigt er sich mit Zahlentheorie. Diese Be­schäftigung ersetzt ihm die gedächtnismäßige Uebung. Professor Müller fordert daher auch mit vollem Recht, daß sich einmal Mathematiker darauf einlassen sollten, die Wege der prafti schen Mathematik, die N. einschlägt, zu studieren.

Aufgaben in öffentlichen Vorträgen löst N. nach eigenen An­gaben leichter als in Laboratoriumsversuchen. Beim Zurufen von Bahlen entstehen größere Pausen, die er zur innerlichen Wieder­holung benutzt. Da öfters die Aufgabe gestellt wird, Zahlenreihen nach längeren Zwischenpausen nochmals wiederzugeben, sind diese Hilfen sehr wertvoll. Einen gewissen Anhaltspunkt bietet auch die Kombination der zugerufenen Zahl mit dem Standort des Rufers. An sich ist Rückles Gedächtnis für räumliche Beziehungen freilich recht schlecht.

Die Veriudhe an Dr. Rückle führen das Problem der mathematischen Begabung wenigstens insofern weiter, als ein bloßes Bahlengedächtnis nicht dabei entscheidend sein kann. Vielmehr ist umgekehrt die gedächtnismäßige Rechenleistung stets abhängig von einem Verständnis, das in höheren seelischen Funktionen( mehr logischer Natur) zu suchen ist.

Erziehung und Unterricht,

Schulleistungen und soziale age. Daß die Leistungen von Schulkindern häufig mit der wirklichen Begabung Geistreicher war die Satire auf das sterbende römische Kaiser - nicht im Einklang stehen, ist eine allgemein bekannte Tatsache. reichsteutscher Nation. Da gibt es das Testament und Hinscheiden Besonders fällt das in den sogen. Hilfsschulen ins Auge, in denen des heiligen römischen Reiches am letzten Dezember im Jahre 1797. Die angeblich minderbegabten Kinder, die das Pensum der Volks­Mainz, gedruckt im 6. Jahre der Republik ", das verkündet: Am schulen nicht zu absolvieren vermögen, Unterkunft finden. Die breißigsten Dezember 1797 am Tage des llebergangs von Mainz , nach Untersuchungen eines Halleschen Stadtschularztes( Med. Klinik" mittags um 3 Uhr starb zu Regensburg in dem blühenden Alter 1914, Nr. 6) stellten fest, daß dabei namentlich die häuslichen Ver­von 955 Jahren 5 Monaten 28 Tagen fanft und selig an einer hältnisse auf das Kind und seine Leistungsfähigkeit in der Schule gänzlichen Entkräftung und hinzugekommenen Schlagflusse bei von großem Einfluß sind. Nicht nur die in dem Kinderreichtum völligem Bewußtsein und mit allen heiligen Sakramenten versehen der ärmeren Familien begründete mangelhafte Aufsicht und Kon­das heilige römische Reich, schwerfälligen Andenkens." Eine Grab- trolle der Schulaufgaben, sondern vor allem die im Hause herr= schrift war beigefügt: schende Not und die damit verbundene schlechte Ernährung be wirken, daß die zur Erzeugung der geistigen Spannfraft not­wendige Energie von den Kindern nicht mehr aufgebracht werden fann. Die Untersuchung der Körperbeschaffenheit von Kindern der Volks- und Hilfsschulen ergab, daß in den Volksschulen dreimal mehr förperlich gute Schüler als in den Hilfsschulen und in diesen fast viermal mehr Schüler von schlechter Konstitution als in den Volksschulen vorhanden waren. Krankheiten wie Mittelohr= fatarrhe, Schwerhörigkeit, Sprachfehler kommen in den Hilfsschulen doppelt so oft vor wie in den Volksschulen, Ungeziefer gar mehr bei allen Schülern findet sich bei vielen chronischen Leiden, vor= als dreimal soviel. Eine erhebliche Herabsetzung der Leistungen nehmlich Nasen-, Rachenleiden sowie bei Augenfehlern und Ohren­Pubertätsjahren und dann auch bei den gut Lernenden deutlicher krankheiten. Die Blutarmut, die allerdings meist erst in den hervortritt, ist bei den schlechten Schülern doch in einer größeren Zahl vorhanden.

Wanderer, schleiche Dich leise vorbei, Du möchtest es erwecken, Und der Erstandene uns dann von neuem mit Stontlusen bedecken. Ach! Wären die Franzosen nicht gewefen, Er würde nicht unter diefem Steine verwesen.

Des hier hier vorausgeahnten Zusammenbruchs des heiligen römischen Reiches bedurfte es aber samt seinen Folgen, Fremd­Herrschaft und Freiheitskriegen, um den deutschen Pfahlbürger etwas wenigstens aus dem heillosen Stumpfsinn aufzurütteln, von dem die Wirkung der großen Revolution auf zeitgenössische deutsche Literatur beredtes Zeugnis ablegt.

Kleines Feuilleton.

Psychologisches.

hw.

Wenn man bedenkt, daß alle diese Krankheiten um so weniger Beachtung finden und auch aus pekuniären Gründen weniger Aussicht auf sachgemäße Behandlung haben, je dürftiger die Einkommensverhältnisse der betreffenden Familien sind, so Ein Rechenphänomen. In öffentlichen Schaufiellungen ergibt sich von neuem die Notwendigkeit, mehr Schulärzte anzu­hat man öfters Gelegenheit, Rechenmeister" zu sehen, die durch ihre stellen. Das Kind soll nicht nur für die Zeit seines Schulbesuches, Leistungen auf dem Gebiete verblüffen, auf dem die meisten Menschen sondern auch für das spätere Leben, in dem förperliche Fehler noch recht schwach sind. Aber fast immer bleibt es bei solchen Vorträgen viel schwerer wiegende Schäden für das Fortkommen anrichten bei dem Staunen; eine Erklärung für die Leistungen erhält man fönnen, durch dauernde fachmännische Beobachtung und Behandlung nicht. Für eines der lebenden Rechengenies ist nun der Versuch ge- einen Fonds von Gefundheit erhalten. Allerdings wird dadurch macht worden, hinter das Geheimnis feiner rätselhaften Leistungen nicht die Grundursache der schlechten Leistungen berührt und abge­zu gelangen. Der Göttinger Biychologe G. E. Müller hat vor stellt. Sie zu beseitigen vermag nur eine Umwälzung auf sozialem mehreren Jahren eine ausführliche wissenschaftliche Studie über den Gebiete, die auch den unteren Bevölkerungsschichten die Möglichkeit Mechentünstler Dr. Ridle veröffentlicht. Jetzt berichtet er über neue gibt, gesund zu wohnen, sich ausreichend und zweckmäßig zu er= Versuche, die er im Sommer 1912 an Dr. Ridkle im psychologischen nähren und ihren Kindern die Hauptbedingung für den Erfolg in Laboratorium vornahm. Dr. Rüdle ist unbestritten ein staunens der Schule und im Leben zu bieten: einen gefunden, leistungs= wertes Phänomen. Nach einmaligem Hören vermag er sechzig fähigen Körper.

Berantw. Redakteur: Alfred Wielepp, Neukölln. Drud u. Verlag: Borwärts Buchdruckerei u.Verlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin SW.

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