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atmet und so fort. So viel begreift sich immerhin: folches Radiolar| wenn dieses Radiolar, das lebte, kristallartig rhythmische Gebilde ist im Vergleich zu jenen herrlichen Zell - Teppichen der höheren so formte: warum nicht das„ tote" Kristall und das lebende" Tiere ein rechtes armen Flöckchen Leben nur. Tief unten muß es Radiolar bloß ein Unterschied des Grades, nicht der Art?
tehen in der Reihenfolge. Welcher Abstand: der Mensch oben, aus Myriaden Zellen gebaut, die zu funstvollsten Geweben, zu den vollTommensten Pracht- Organen für jede einzelne Lebensbetätigung zueinander geordnet sind, und das Radiolar, bei dem eine einzige Belle alle diese Funktionen auszuüben hat, weil der ganze Körper nur aus einer einzigen Zelle besteht.
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Und nun doch das Wunder! Ein solches lebendiges Schleimtröpfchen, wie es unscheinbar, wie ein häuflein Speichel, durch die blaue Welle von Messina segelt, besitzt eine ganz besondere Eigenschaft doch noch. Es weiß sich einen Stoff anzueignen, den der Chemiker Kieselstoff nennt, es ist derselbe, der rein chemisch fristallisiert jene herrlichen allbekannten Bergkristalle liefert. Diesen Kieselstoff( und gelegentlich noch eine ähnliche Substanz) weiß das Radiolar dann keiner weiß wie- aus seinem weichen Gallertleibe gleichsam wieder herauszuschwißen in einer Form, die durchweg so reizend, ästhetisch reizend ist, daß selbst ein Kind, das fie im vergrößernden Mikroskope sieht, in die Hände flatschen muß und rufen: Wie hübsch!" Sagen wir, das Radiolar bildet sich aus Kieselstoff einen Panzer. Man kann auch sagen: ein Floß. Denn das harte Kieselgebilde dient ihm sicherlich mit zum Balancehalten beim Schwimmen, wie wenn ein loser Gallertklumpen sich um eine schwimmende Scheibe Kork Klammert. Jedenfalls entstehen da bald runde Gitterschalen, durch deren Löcher jene Gallertfortfäße, die als Ruderchen dienen, beliebig herausgestreckt werden können, bald allerlei Dinger wie gezadte Räder, Ordenssterne, sonnenhafte Strahlenbündel und so ins Tausendfache. Denn das ist das vollends Wunderbare: es ist, als habe jede Art dieser Strahlinge ihren völligen Privatgeschmack und baue überlieferungsgemäß eine andere harte Kieselfigur als die sämtlichen anderen. Und hier jetzt fängt der eigentlich ästhetische Zauber dieser Kleinsten und Niedrigsten an, der sie mit einem Schlage obenan in die Reihe der von Schönheit tiefst beseelten Naturobjekte rückt. Was überhaupt möglich ist an Varianten streng mathematischer Ornamentik, innerhalb der Grenzen bestimmten Zwecks, wird da geleistet. Ins schier Unendliche getriebene fristallmäßig prachtvolle Variationen über das Thema Gitterfugel, Stern, Strahlenschild, Kreuz, Hellebarde. Man muß die Ausdrücke geradeswegs vom menschlichen Kunstgewerbe holen, denn ein anderes Vergleichungsgebiet besteht in der gesamten Natur nicht. Radiolar ist einfach ein Tier, das, bei größter Einfachheit seines lebenden Leibes, in Gestalt von Kieselgebilden durch irgend welche Kraft die größte ästhetische Mannigfaltigkeit und Schönheit erzeugt, die unterhalb des kunstübenden Menschen überhaupt in der Natur, lebendiger wie toter, erreicht wird.
Auf diese Radiolarien führt jetzt sein guter Genius Haedel. Die Geschichte ihrer Erkenntnis war vor ihm bis zu diesem Winter 1859/60 ein dünnes Kapitelchen. Wenn ein solches Radiolar stirbt, so ist sein weiches Gallertleiblein natürlich im Handumdrehen gerflossen und dahin. Aber das Kunstwert seines Lebens, der Stern oder Schild aus steinernem Kieselstoff, bleibt bestehen und sinkt entweder in den Grund oder treibt ans Ufer, wo ihrer die Masse sich schließlich häufen mag. Kommt von da eine Prise Schlamm oder Sand unter ein Mikroskop, so mögen die köstlichen Kunst- Reliquien den Beschauer baß entzücken und fragen lassen, woher dieses Mirakel stamme. Ehrenberg zu Berlin , der alte, ehrwürdige, war der erste, dem es so ging. Er war noch keiner, der selber an die See zog. Er ließ sich Grundproben schicken und entdeckte darin Radiolarien- Panzer. Ob sie nun klein waren an Format, so erschien ihm doch die Kunst darin so gewaltig, daß er hohe und weit entwickelte Tiere etwa vom Seestern- und SeeigelSchlage für die Meister ansprach. Daß es Konterbande einzelliger Urtiere ohne höhere Organe mit einem bloßen Gallertleibe gebe, bestritt er unter dem Beifall der besten Zeitgenossen ohnehin und allgemein.
Als jetzt bei erster Bootsfahrt im tiermimmelnden Hafen von Messina ein zierliches Kränzlein gesellig zusammengehefteter Radiolarien sich Haeckel zeigt, da erscheint es ihm auf einmal wie ein dankbares Totenopfer für den früh geschiedenen Heros seiner zoologischen Träume: er wird die Radiolarien weiter erforschen. Alsild aber zeigt es sich, daß er den Schatz des Märchens berührt hat. Als die Kampagne im Hafen von Messina April 1860 beendigt ist, da sind nicht weniger als 144 neue Arten hinzu entdeckt, und jede Art ist eine neue Meisterin individueller Ornamentalfunst. Erforscht ist aber zugleich das Wesen dieser Gallertleiblein. Für immer vernichtet ist Ehrenbergs Theorie. Seßen sich der Erfenntnis, daß es echte einzellige Wesen seien, auch noch gewisse ( später beseitigte) Hemmnisse entgegen, so ist doch über die Natur folcher fast organlosen Schleimwejen überhaupt und den Lebensschleim selber, der sie baut( Sarkode oder Protoplasma genannt) eine unendliche Fülle des Neuen und Aufklärenden gesammelt. In der Stille dieser Messina - Tage, während der ästhetische Beschauer still in sich versunken vor der Schönheit dieser Kieselpanzer stand, ist auch in dem Denker vieles gereift. Abgefallen wie eine leere Puppenhülle ist von ihm der letzte Skrupel über die alte religiöse Tradition von der Schöpfung. Wenn ein nacktes Schleimflümpchen wie solch ein Radiolar das zierlichste Kunstgebilde aus feinem Leibe ausscheidet. warum soll nicht auch der Mensch, der im Glanz der italischen Farben aquarelliert, bloß ein einfaches Naturwesen, verwandt und wesensgleich dem Radiolar, sein? Und
Der Mann mit der Puppe.
Von Kurz Münzer.
Am windigen Abend eines regnerischen Herbsttages war es, als ich in Einsamkeitsgelüften aus der Stadt hinausfuhr. Ich war in den ersten besten Wagen gestiegen, und als er an der Endstation hielt, fand ich mich im Prater, in der stillen leeren rauschenden Hauptallee. In Träumen, ich weiß nicht woher, in Wünschen, ich weiß nicht wonach, ging ich achtlos dahin, und wie ich endlich auf blickte, stand ich in einer Budengasse des Würstipraters. Ganz allein auf dem nassen Wege, in dessen Pfützen verlorene Laternenstrahlen spiegelten.
Die Kinos und Ringelspiele, die Zaubertheater und Glücksräder, die Schießstände und Waffelbäckereien alles war schon geschlossen. Verschlissene Vorhänge flatterten, Plakatfeßen zitterten an den Holzwänden, hier war noch ein Mann am Kafffeetisch und zählte laut, und dort, bei der Schaufel, feifte eine Frau, indes das Kind weinte. Eine grenzenlose Traurigkeit strömte aus dieser Brettergasse; furchtbare Verlassenheit schauerte auf allen Schwellen. Die Verzweiflung der Menschheit, die armselige Lust des sehnsuchtsvollen Volkes, die Bitterkeit verlorener Existenzen, das alles ging hier um.
Ich eilte davon, gelangte auf den Platz, den die großen Buden einrahmen, und wollte gerade jenseits in den Park hinunterlaufen, da sah ich vor mir ein seltsames Bild: vor einer kleinen schmalen Bude, von zwei grünen Laternen beleuchtet, stand ein großer Hagerer Mann, der regungslos mit einem langen weißen Stab auf ein Bild wies, darauf eine Puppe in grellen Farben abgebildet war. Er schien in dieser Pose vom Tage her erstarrt. Die flackernden Richter belebten sein grün beschienenes Gesicht unheimlich. Er trug langes Haar, sein Gesicht war glatt, zerfurcht, alterslos. War er ein Jüngling? ein Greis?
In diesem Augenblick schien er mich zu erblicken. Es kam Bewegung in ihn, und er rief mit einer heiseren, widrigen Stimme: Treten Sie ein, mein Herr, treten Sie ein. Hier ist zu sehen die lebendige Puppe, ein künstliches Wesen, dem ich Leben einflöße. Es ist das letzte Wunder der Welt, die letzte Errungenschaft der Technik, die Grreichung des Unmöglichen. Mein Herrr, treten Sie ein und besichtigen Sie das einzige Phänomen. Es ist die überhaupt letzte Vorstellung. Zwanzig Heller, mein Herr. Treten Sie ein!"
Ich ging. Unter welchem Zwange? zu welchem Ende? Ich erlegte das Geld, der Mann, der in der Nähe noch abstoßender und geheimnisvoller aussah, hob einen dunklen Vorhang und ich trat in einen kleinen dämmerigen Raum. Roter Kattun war über die Bretterwände gespannt, ein Dußend Stühle war aufgereiht, und zwei sacht schwankende Petroleumlampen gaben das notdürftige Licht und einen üblen dicken Dunst.
Aber in einem Winkel lag ein greller, wenn schon abgenutter Teppich, darauf stand ein weißes Stühlchen, und darin saß eine Puppe. Lebensgroß, in einem verschliffenen rosaseidenen Babyfleidchen, mit weißen Strümpfen und hohen schwarzen Stiefelchen, mit einem rosa Gazehut und einem Geficht!! ein süßes, unschuldiges Kindergesichtl war es mit großen blauen Augen und so sanft gerundeten Wangen, Reinheit in jeder Linie. Nur der Mund hatte etwas Befümmertes, einen leisen gramvollen Zug. Ja, aber war es eine Puppe? Lebend schien dieses Wesen, aber erstarrt. Kein Atemzug hob die zarte Brust, und doch schien warmes Menschenblut unter der Haut zu fließen.
Hinter mir war der Mann eingetreten. Er wies mit einer großen Gebärde auf einen Stuhl und sagte:„ Also erleben Sie ein Geheimnis des Lebens. Ich ermögliche Ihnen, in die Wirkung verborgener Kräfte zu schauen. Sie haben eine Puppe vor sich, ein Gebilde aus Wachs, Häcksel und Zwerch. Wollen Sie sich überzeugen, mein Herr?"
Er trat an die Puppe und hob einen Arm, ein Bein. Die Glieder fielen schlaff oder steif hinab, sobald er sie losließ. Er gab ihr einen Sioß, und das ganze Puppenwesen fiel vom Stuhl, stürzte zu Boden, sank in sich zusammmen. Ohne Zweifel, es war ein ausgestopftes Ding. Ich lächelte und setzte mich, kaum neugierig auf das Kommende. Ein wenig Schlaftrunkenheit hielt mich umfangen. Ich sah die Gegenstände verschwommen und fern. Und was ich nun erlebte, schien ganz ein Traum. Der Mann nämlich riß sich zusammen, er sammelte seine Kräfte und zitierte innere Energien. In diesem Augenblick schien er schön. Ich sah eine weiße Strähne in seinem Haar, in seinem belebten Gesicht leuchteten blaue Augen auf, er wuchs, und er hatte eine neue, helle, flare Stimme, als er befehlend sprach:" Thrsa, steh auf, atme, lebe, wandle." Und nun geschah das Wunder: die Puppe, das häckselgefüllte Ding, richtete sich auf, erhob sich, Knochen schienen sich in dem weichen Leib zu spannen, schon stand sie, die Augen bewegten sich, der Mund ging ein wenig auf und zeigte kleine funkelnde Zähne, zaghaft probierte sie einen Schritt, schon sicherer den zweiten, und dann aing sie langsam auf den Mann zu. Der wandte sich zu mir. ,, Mein Herr," sagte er, sie ist mein Werk. Sie ist tot, Puppe,