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und hat boch alle Fähigkeiten des Menschen. In belebtem Zustand aber mir blieb fein Zweifel. Der Mord, so furchtbar er war, tann fie Nahrung zu sich nehmen hatte dieses Puppengesicht aus seiner Starre gelöst. Um den Mund lag ein Lächeln, rührend glücklich.

Er reichte ihr ein Glas Wasser und befahl ihr zu trinken. Sie ergriff es, führte es zum Munde alles aber mit automa tifchen, steifen, edigen Bewegungen und trank. Ich sah wie ihre Kehle sich schluckend bewegte. Da lachte ich über den plumpen Betrug. Aber der Mann, der mich zu erraten schien, ehe ich noch ein Wort gesagt, rief laut: Stirb, sei Puppet" Und sie ließ im selben Augenblick das Glas fallen, das Gesicht erstarrte, und weich fiel sie in sich zusammen.

Der Mann lächelte höhnisch. Es steht Ihnen frei, mein Herr," sagte er ironisch, den Balg zu berühren". Aber das ver­mochte ich nicht. Ein Grauen überfam mich vor diesen beiden, dem unheimlichen Bauberer und seiner Puppe. Ich wollte aufstehen, gehen, aber etwas wie ein Bann hielt mich fest. Und schon wieder hatte sich auf Befehl ihres Besizers die Puppe erhoben und lächelte und ging auf und nieder.

" Sie ist, mein Herr," tönte die klare, helle Stimme, in diesem Zustand auch empfindungsfähig. Bitte, beachten Sie."

Er nahm eine lange Nadel und stach sie der Puppe in den Arm. Und die Puppe schrie auf, leise, verhalten, wie ein Stöhnen im Traum war es. Das Gesicht verzog sich für einen Moment schmerz­lich. Ich betrachtete den Arm: es war kein Tröpflein Blut ge­flossen. Aber der Mann bückte sich und sagte lächelnd: Bitte, da ein wenig Hädsel." Und er ließ ihn aus den Fingern rieseln.

Ich glaubte plößlich! Ich glaubte, ein Wunder zu erleben. Warum hatte mir nur niemand in der Stadt von dieser Zauber­bude erzählt? Das war ja eine Szene, so großartig grotest, so dämonisch unheimlich und geheimnisvoll, daß die ersten Varietés fich darum reißen mußten.

Und schon fuhr der Mann wieder fort:" Ja, sogar Gefühle fann sie produzieren, das heißt: ich ihr injizieren. Tyrsa, Tyrsa, ich bins, Du liebst mich, hörst Du, Du liebst mich! Komm, tüsse, umarme mich, liebe mich, liebe mich!"

Und die Puppe näherte sich ihm, langsam, wie widerstrebend. In ihr lebloses Wachsgesicht trat ein Ausdruck und verlebendigte es plößlich. Steif, ungelenk hob sie die Arme, legte sie dem Manne um den Hals, dessen Gesicht plöblich in Lust aufglänzte oder in einem grausamen Triumph, dann glitt sie an ihm nieder, um schlang seine Knie und sprach.... Ja, sie sprach, sie flüsterte, ein Hauch war es, ein lauter Atemzug:" Gib mich frei." Und zugleich sah ich: sie lebte, war ein Mensch, ein Mädchen, von dem rätselhaften Willen eines Verbrechers in einen Bann geschlagen und soeben, durch ein unerträgliches Gebot aufgerüttelt, für eine Sekunde zum Bewußtsein erwacht.

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Ich sprang auf. Schurke." schrie ich, bergewaltigst Du einen Menschen?" Und ich ergriff das Mädchen am Arm, um es fortzureißen. Da sagte der Mann und bei dem ruhigen Klang seiner Stimme kam ich zu mir er sagte: Bitte, wollen Sie fie sanfter anfassen! Sie haben ihr fast den Arm abgerissen." Und wirklich, da lag eine Puppe, ein fnochenloses Wesen mit Wachsgesicht. Er hob ihren Arm, schlenkerte ihn, drehte ihn um sich und sagte gelassen:" Nun, der Schaden ist nicht so arg. Gute Nacht, mein Herr, Sie haben die Vorstellung mutwillig unter­brochen, nun gehen Sie, bitte. Ihr seid nicht reif, nicht reif. zu früh, viel zu früh habe ich den künstlichen Menschen erfunden." Er hob die Puppe auf, setzte sie auf ihren Stuhl, lüftete den Vorhang und schob mich sacht hinaus. Da war das Licht der grünen Laternen, war falter nasser Wind, Laubgeruch. Ich kam zu mir, ich eilte fort, ich sah einen Menschen zehn Schritte vor mir. Es war ein Wachmann. Ich hielt ihn an, erzählte ihm in Gile, was ich erlebt, und verlangte, er solle den Budenbesizer nach Papieren fragen und auf Untersuchung der Puppe bestehen. Ich zweifelte nicht mehr: es war ein lebendes Geschöpf, ein unglüd­feliges Mädchen, das der Schurke mißbrauchte. Hypnotische Spielereien, Hypnotische Verbrechen waren das alles.

Der Wachmann sah mich kopfschüttelnd an und fragte nach der Bude. Dort," rief ich, da, drei Schritt von hier, mit zwei grünen Laternen." Ich wandte mich um. Die Bude stand nicht mehr.

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Ich spürte, wie mein Blut gefror. War ich verhert? Selbst in einem Bann? Da, wo die Bude mit der Puppe gestanden hatte, erhob sich dunkel, schmal, geschlossen ein Flohtheater. Keine Spur von zwei grünen Laternen, von dem merkwürdigen Manne und seinem Bretterhaus.

Also gehen's nach Haus," sagte der Wachmann beschwich­tigend, gehen's heim und schlafen's sich halt aus. Nicht wahr, mein Guter." Und er klopfte mir auf die Schulter und ging lachend seine Runde ab.

Aber ich vergaß mein Abenteuer, meinen Traum, mein Gesicht oder was es gewesen sein mag nicht.

Schnell entschlossen fuhr ich zu einem Bekannten, der Ber­bindung mit der Polizei hat.

Ich sagte ohne weiteres: Jene Tote heißt Thrsa, und ich fenne ihren Mörder." Mein Bekannter war vorsichtiger als mein Wachmann, denn als ich ihm mein Abenteuer erzählt hatte, sagte er nicht:" Du hast einen Rausch, schlaf Dich aus!" Sondern er fuhr mit mir ins Polizeipräsidium und ließ mir das Verbrecher­album vorlegen. Nach einer halben Stunde fand ich das Bild jenes seltsamen Mannes mit dem langen Haar und dem alters. losen Gesicht. Es war ein etwa fünfzigjähriger Artist, schon einige Male vorbestraft wegen Delikten, die einen gänzlich entsittlichten Menschen verrieten.

Drei Tage später fand man ihn in Budapest  , wo er Fremden als Führer durch Lasterhöhlen diente. Er gestand zhnisch: er war mit dem jungen Mädchen, das er in Wien   gefunden und sich hörig gemacht hatte, auf Jahrmärkten und Messen herumgezogen und hatte sie, die ein vollendetes hypnotisches Medium war, als lebende Puppe gezeigt. Sie war ihm untertan, troßdem sie ihn haßte. Aber. dann, eines Tages, war sie erwacht, hatte sich auf sich selbst besonnen und war nach Wien   geflohen. Aber er hatte sie ge funden, und als sie seinem Willen nicht mehr erlag, getötet. In jener selben Nacht und zur selben Stunde, als ich das Gesicht ge habt hatte.

Kleines Feuilleton.

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Kampf

Aus der Geschichte des Schnurrbartes. Der Korpsbefehl des tommandierenden Generals des Gardedukorps, der den Soldaten die moderne Barttracht Abschneiden des Schnurrbarts bis auf wenige Haare unter der Nase- verbietet, erregt vielfaches Aufsehen. Solche Haar- und Bartfragen sind ja in unserer Armee nichts Neues. Gerade vor 100 Jahren ist ein heftiger Kampf um 8opf und Schnurrbart ausgefochten worden. Auch in den feind lichen Begriffen Zopf und Bart haben sich damals und Sieg der neuen Zeit über die alte ausge drückt. Das friderizianische Heer stand unter dem Zeichen des Zopfes. Der Kurfürst von Hessen  , der ja auch noch nach 1813 als einziger Landesfürst an dem geliebten Bopf festhielt, pflegte fast jede Stritit mit dem Slageruf zu schließen:" Ach, Herr General, es ist grausam schwer, einen guten Zopf zu machen." Die Offiziere trieben in dieser Hinsicht noch einen besonderen Lurus; manche hatten so lange Böpfe, daß sie dafür 80 Ellen Zopfband brauchten und sie sie auf der Straße in die Rocktaschen stecken mußten. Dabei war das Heer im 18. Jahrhundert die einzige Stätte, wo sich noch die Pflege des Schnurrbartes, dieses Attributes der Männlich feit" erhalten hatte. Die großen Puderperücken verlangten ja not­wendig ein glattes Gesicht, und so war denn die Bartlosigkeit so all­gemein, daß Bartmenschen", wie der Bildhauer Permoser   oder der Rektor Funt, wie seltene Wunder betrachtet wurden. In der preußischen Armee war der Schnurrbart einzelnen Truppenteilen, wie den Grenadieren und dem Regiment des alten Dessauers, der sich nie von dieser Lippenzierde getrennt hatte, direkt anbefohlen. Die Husaren trugen ihre herabhängenden Schnauzbärte nach alter Ge­wohnheit; fie mußten selbst falsche anlegen, wenn die natürlichen nicht lang genug wuchsen. Die Soldatenbärte blieben aber stets die Ausnahme, und bis 1806 sah man im preußischen Heer fast nur glatte Gesichter.

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Die französische   Revolution, die den Bopf so gewaltsam- manchmal mit dem Kopf dazu abgeschnitten hatte, brachte auch den Bart wieder zu Ehren. Die Soldaten der napoleonischen Heere trugen zumeist Schnurrbärte; die Garde pruntte sogar im Schmuc breiter Backenbärte, und den Sappeuren waren auffallend lange Bollbärte vorbehalten. Erregten diese 30pflosen Sansculotten" zu­nächst nur Abscheu", wie der französische   Gesandte Sieyes  , der bei der Huldigungsfeier nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms III. als einziger mit natürlichem Haar erschien, so verwandelte sich der Stolz auf den friderizianischen Bopf nach dem Zusammenbruch des alten Heeres im Jahre 1806 geradezu in Haß. In einem Spott­gedicht auf die Offiziere nach der Niederlage bei Jena  " Rückkehr der Helden ohne Zopf" heißt es z. B.: Heil blieben Haut und Füß' und Kopf: Denn Hieb und Schuß traf nur den Bopf". Die Leutnants schämten sich nun, noch die alte Bier zu tragen und machten die Böpfe immer fleiner. 1807 schnitt sich der König den Zopf ab. Mit dem Verschwinden des Bopfes aber begann der Kampf um den Schuurrbart. Die allgemeine Mode war vorangegangen; sie brachte um 1805 einen stoppeligen Anflug um die Lippen und Kinn, den man den Puzel- oder Knaster­bart" nannte, weil seine Träger zumeist Tabak rauchten. Dieser Puzelbart" wird nun seit 1808 auch im Heere gestattet. Den Voll­bart brachten 1813 die Kosaken nach Deutschland   und der Enthusiasmus, mit dem sie begrüßt wurden, erstreckte sich auch auf ihre Lippenzier. Von Ernst Moritz Arndt   wird nun der Vollbart als männlichster und teutschester" Ausdruck friegerischer Tapferkeit gepriesen; Jahn erscheint mit seinem Patriarchenbart, und nach ihm richten sich die Turner, richten sich die deutschen Patrioten.

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Ein paar Tage später las ich, daß in den Praterauen die gräßlich verstümmelte Leiche eines jungen Mädchens gefunden worden sei; es gab nicht den geringsten Anhalt zu ihrer Rekognoszierung oder zur Feststellung des Mörders. Es wurde eine Belohnung ausgeschrieben von tausend Kronen zur Eruierung des Verbrechens, und auf roten Anschlagzetteln war diesem Auf­ruf ein Bild der Ermordeten beigegeben. Als ich im Vorübergehen dieses Bildchen streifte, zudte mein Herz erschrocken: es war die Buppe aus meinem seltsamen Erlebnis! Ich betrachtete es genau, Berantw. Rebatteur: Alfred Wielepp, Neukölln. Drud u. Verlag: Vorwärts Buchdruderei u.Verlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin   SW.

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