142
Inzwischen wandert Annakatrin von Sand zu Sand, so Spitallebens. Sie wissen alle, daß er ein ausgezeichneter Arzt und daß ihr strähniges Haar schließlich ein unentwirrbarer Wuft und Operateur ist, dazu ein feinfühliger, liebenswürdiger Mensch. ift. Doch fie lacht unter diesem Wust hervor und endet schließ- und alle sprechen sie in den höchsten Lönen von ihm, so wie man lich bei dem hellodigen Knecht, mit dem sie bald darauf in geselle haben eilig mein Zimmer verlaffen. Steiner versäumt die bon feinem Wohltäter spricht. Der junge Russe und der BäderDas Schlafzimmer verschwindet. Gelegenheit, ihm zu begegnen.
Am Fenster drüben stehen ein Knecht und ein Mädchen allein. Sie hat ihr Talglicht an die Fensterbank gedrückt und fle beugt sich über seinen franken, geschwollenen Finger, von dem sie vorsichtig den Leinwandverband löst. Er stöhnt mit berzerrtem Gesicht und flucht. Doch fie lockert den Verband Immer mehr, und ihr leises Sprechen flingt beschwichtigend and beruhigend.
Der bläuliche Nagel liegt ganz lose in einer gelblichen Masse, und der dicke, entzündete Finger zittert wie vor Kälte, als er ihn ausstreckt, während sie den heißen Berband holt. Ringsumher im Bimmer wird gespielt und gefoft. Um Maren bemühen sich zwei: Nis und ein Fallinger Knecht.
Sie ist groß und blühend. Ihre Wangen glühen in einem feinverzweigten Netz blauroter Adern und ihre Augen funkeln in starker Sinnlichkeit.
-
Ich stehe an dem übergroßen Fenster meines Zimmers und sehe, wie der Herbstwind schonungslos die letzten Blätter von den Bäumen reißt. An einem heißen Sommertage war ich gekommen. und wie so oft in diesen Tagen abgeschnitten von dem Toben tann es nicht. In diesen Mauern erhielt es eine Bresche. Zwischen der Welt suche ich mein Leben zusammenzuftüdeln. Aber ich dem Augenblid, da ich unter der Chloroformmaste das Bewußtsein berlor bis zu dem Laut menschlicher Stimmen, der mich erwachen ließ, ist etwas, das ich nicht einfügen kann. Herausgerissen aus meinem Erdendasein liegt es ein Edelstein von unbeschreiblichem Wert stillos und fremd auf einem schlichten grauen leide. Meine Phantasie sucht nur saghaft, mit einer Art geheimnisvoller Furcht, die Welt auf, der ich im Zustand der Narkose ber nicht für menschliche Dimensionen bestimmt ist. Und nur ein angehörte. Gleichsam, als ob es sich unt einen Bereich handelte, starker Wissenstrieb, unstillbare Neugierde kann die sonderbare Scheu, das Bittern in mir überwinden vor fenen rätselhaften Augenbliden, die das Erhabenste meiner bisherigen Lebenseindrüde sind. Ich habe mir vorgenommen, fie, so sehr sie mich auch immer wieder erregen, einfach und schlicht ohne jeden Ueberschwang zu erfassen. Nur dann können sie mir in der kristallenen WahrMis runzelt die haftigkeit, der ich nicht bis ans Ende meiner Tage verlustig gehen möchte, erhalten bleiben. Denn das ist das Wunderbare dabei: nicht schemenhaft, nicht erlogen, kein Traum war dieser Zustand. Am Traume hängt alle irdische Beschwerlichkeit, der Traum wiederholt Erscheinungen, Vorkommnisse aus der Wirklichkeit oder aus der Phantasie wenn auch tausendfach variiert, märchenhaft, verrüdt. Der Mensch, das Leben, die Welt erscheint im Traume in Richtung gleichsam farifiert. Wenn also auch durchaus nicht mit unerreichbarer Schönheit, Häßlichkeit, Größe in jeder möglichen der Wirklichkeit identisch, geben beim Traum doch existierende, irdische Gefühlsgusammenhänge den Ausschlag, die Bedeutung.
Es ärgert Nis, daß sie dem Fallinger Knecht den Vorzug gibt, und darum sagt er spöttisch:„ Neulich abends warst Du weniger fißlich, als ich bei Dir war."
Du bei mir, das ist Lüge!" ,, Was heißt das, Du Schlampe!" Brauen.
Jawohl
-
denn ich war ja bei Dir."
Sie lacht laut auf.
Das tun die anderen auch. Mit Ausnahme von Nas. Seine Augen funkeln. Denn Sophie neigt fich zärtlich über Per Holt, der in der Ecke sitzt und den Arm um ihren Leib geschlungen hat.
Während so überall laute Fröhlichkeit herrscht, geht die Zür auf, und ein Weib schreitet durch das Rimmer. Es ist Malle; fie befindet sich im letzten Stadium der Schwangerschaft.
In der Spinnstube herrscht einen Augenblick lautlose Stille.
Sie nimmt etwas aus einer Kommodenschublade und geht wieder.
„ Ach, das arme, dice Ding!" sagt Sophie mitleidig. „ Es fann fürwahr jede Stunde losgehen. Und dabei ist so wenig Stroh in ihrem Bett!"
Nun, dafür wissen wir Rat!" fagen ein paar junge flinke Knechte und springen auf. ( Forts. folgt.)
Operation.
[ Schluß.] Wechselvolle Wochen vergehen. Körper und Aerzte bleiben Sieger. Auf den Spaziergängen im Garten, in den weiten, luftigen Korridoren, im Gesellschaftsraum lernen sich die Kranten tennen, besuchen einander auf den Zimmern, sprechen fich aus. Wieviel förperliches Elend, von dem der Gesunde draußen keine Ahnung hat, wieviel bewundernswerte ärztliche Sunst! Der Bädergeselle und der junge russische Fürst sind bei mir zu Gaste. Der Bädergeselle erkundigt sich in seiner stillen demütigen Art, b Westfalen weit sei, ob man dort billig lebe, ob es schön sei und eb dort gute Menschen wohnen. Er hätte da einen Vetter und möchte in ein paar Tagen nach seinem Austritt aus der Selinik hin. Der gute Kerl weiß noch nicht, daß er in ein paar Tagen auf dem Operationstische liegen wird. Der bereits schweroperierte junge Susse sucht uns mit übertriebenen lebhaften Gesten, die den Taubstummen eigen sind,- auf dem Boden knieend die Tragödie feines Lebens verständlich zu machen. Der Vater ermordet, feine, Ses Sohnes Mission, an dem hochgestellten Meuchelmörder nach dessen Freilassung aus dem Wefängnis blutige Rache zu nehmen. Er hebt zähnefnirschend acht Finger in die Höhe in acht Jahren # es so weit. Mit offenem Munde starrt der Bäder in das unheimliche Temperament ciner ihm fremden Welt. Vom Korridor schallt plötzlich eine helle Stimme in die Bimmer und Süle.„ Der Stabsarzt, der Stabsarzt!" sagt einer zum anderen, als wenn er ihm etwas Liebes, Freudiges sagte. Ein warmes Gefühl der Dankbarkeit und Freundschaft huscht über Jedes Gesicht. Sie lieben ihn alle. Der Lehrer, der Tapezierer, ber Elfenbeinschnitzer, der Redakteur, der Ziegeleiarbeiter, der Doktor, der Schneider und was sie noch alle sind.
-
-
Er hat für jeden einen guten Blid, ein freundliches Wort. Er bringt zu jeder Stunde Leben und Licht. Sein frisches, siegbaftes Lachen flingt wie Musik in der eintönigen Gesetzmäßigkeit des
Ios
-
-
-
-
-
Dies hier hat nichts mit Traum oder Rausch zu tun. Neue, vom Körperlichen unabhängige Empfindungen Gesichte von so unerhört flarer, bestimmter Eindringlichkeit, daß sie aufhören, Gesichte zu sein, erkannt, respektiert in voller Deutlichkeit als etwas einer anderen Wirklichkeit Angehörendes, dort mit uns, in uns Lebendes- bazu ein wundervolles Gefühl der Bewegung mit dahin ins Unendliche sicher, furchtlos, majestätisch. Störperfeiner anderen Bewegung im entferntesten vergleichbar. Man fliegt ohne jede Zeit- und Raumvorstellung. Dieser Zustand ist nicht füß, nicht paradiesisch eher frei, groß, mächtig, obgleich man sich dessen nicht bewußt ift. Ohne Erstaunen, ohne Bewunde rung hat man plötzlich von etwas Selbstverständlichem, einem Zuund nichts- und doch ist es, als ob einem in den unermeßlichen fommendem Besiz ergriffen. Man hört und sieht niemand Weiten nichts entginge. Man ist allein hat keine Nächsten, feine Freunde, keine Angehörigen, auch nicht die Vorstellung von ihnen-- und doch ist man wie von wärmender Liebe erfüllt. Man fühlt sie alle! Sie müssen da sein, irgendwie mit uns vereinigt.
-
-
-
-
Spreche ich von Gefühlen, die im Bereich des Pantheismus flegen? Nichts liegt mir ferner. Ich versuche redlich, meinen da. maligen Zustand in mein irdisches Begriffsvermögen zu übersehen. Ich spüre, wie ich dabei jeden Augenblid auf Widersprüche stoße. ch möchte die einfachsten Worte wählen aber die Erinnerung reißt mich gebieterisch zu den Superlativen. Sie springen in grotester Gilfertigkeit an die Erklärung dieses Unerhörten. Und jedes Bild zerrt es auf ein abscheulich fleines menschliches Niveau. Alle unsere Begriffe haben hier ihre Bedeutung verloren. Es ist, als hätte man das Wesen der Unendlichkeit plötzlich er faßt. Man ist in ihr, mit ihr, man ist selbst die Unendlichkeit. In einem Meere edelster Wonnen, schrankenloser Freiheit-da- da Wonnen, gigantischer Größe, Ruck, wie wenn die Gondel eines Luftballons auf die Erde schlägt. was ist das?! Ein jäher Ein ungewohnter Laut, mißtönend. Jegt höre ich es deutlich eine menschliche Stimme ruft! Laßt mich!! Ich will nicht!! Noh , aufdringlich, vücksichtslos ist Ich will nicht!! dieser Eingriff. Alles in mir sträubt sich gegen die Rückkehr in das alte Leben voll Häßlichkeit und Qual. einer unsichtbaren Hand zurüdgehalten- aber im nächsten AugenNoch bin ich wie von blide hat mich etwas Stärkeres in einem gewaltigen Sprunge herübergerissen au ihnen, die eben zu mir sprechen. Müde öffnen sich die Augen die Hände regen sich unter freundlichem Druc und schon bin ich erdenhaft und klein. Ein leises Glücksgefühl zicht durch meinen Körper. Dies also ist das Erivachen aus der Narkose. Glücklich überstanden." Ich werde wieder gesund! Welche Freude, daß ich wieder unter Menschen bin! Ich sehe sie erstaunt an und höre andächtig ihre Stimmen. Wie gut und edel erscheinen mir alle. Gerührt drücke ich ihnen die Händel Glüdlich überstanden!" Alle meine Lieben werde ich wiedersehen! O, und was werde ich leisten, jeßt, da ich meine Gesundheit wieder habe! Schon regen sich Hoffnungen, Pläne der Ehrgeiz peitscht mit den ersten Hieben den eben dem Tode enironnenen Körper. Einem Märchen gleich ist das rätselhafte Land eines furgen Glüdes fortgezogen.
"
-
"
-
-
-