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Plötzlich wird Bolette von einem von draußen herein­bringenden Geräusch unterbrochen. Alle Tauschen. Gott im Himmel, was ist denn das!" sie stürzt hinaus, den Hühnerflügel in der Hand.

Es ist des roten Jens' Peter, der Jakobus' Schwein Herausgelassen hat. In Peters Heim ist der Schweinestall schon seit undenklichen Zeiten leer gewesen, darum ist er hin­gegangen, um Jakobus' Schwein mit einem Stock zu frauen, und zu öffnen. Nun fährt das Tier hin und her zwischen Kisten, Eimern und den andern Dingen, die in den kleinen Höfen umher stehen. Wo immer das Schwein erscheint, halten die Kinder im Spielen und Weinen inne, verfolgen es, umschwärmen es, schließen sich fester und fester um das Tier zusammen, gleich einem Bienenschwarm, der sich im Fliegen um einen Weiden­zweig sammelt.

Und sie fuchteln mit den Armen, freischen und schreien, fallen, erheben sich und stolpern weiter, das Schwein immer voran, die Kinder hinterdrein und zuletzt Bolette, die drohend den Hühnerflügel schwingt.

Das Kreischen ihrer Stimme übertönt zuweilen das brausende Geräusch der Rufe, Schreie und Lachsalven.

Hin und her geht die wilde Jagd zwischen den Gyld­Holmer Kätnerhäusern. Die Frauen stürzen aus den Türen. Die Männer rewachen aus ihrem Sonntagnachmittagsschlaf, kommen ans Licht, blinzeln und schütteln sich. Krän Sows, Niels, Klein- Laffe. Palle...

Es wimmelt von Menschen vor den Häusern und nur die Säuglinge bleiben zurück in den leeren Stuben.

Doch jetzt zeigt sich etwas, das die laute Fröhlichkeit dämpft, genau so, wie wenn der Schulmeister in die Klasse tritt.

Oben auf dem Wege erscheint ein geschlossener Wagen. Er ist mit zwei mausgrauen Pferden bespannt. Es ist der Jägermeister des Klosters Sörig. In der Ferne erblidt man noch zwei geschloffene Wagen. Auf dem Schlosse ist Mittags­gesellschaft.

Das Schwein wird eingefangen. Die Kinder werden zur Ruhe ermahnt und in den Hintergrund gejagt. Die Frauen halten Ausgud hinter den Türen. Die Männer stellen sich an die Ecken der Häuser oder fangen an, an diesem oder jenem herumzubasteln.

Und sie ziehen die Mützen sehr tief, als die mausgrauen Pferde gerade vor ihnen sind. ( Forts. folgt.)

[ Schluß]

Amerikanische Reiseskizzen.

Von Philipp Scheidemann . Der Massenmord in Chicago .

Zu den interessantesten amerikanischen Städten, die ich ge­fehen, gehört Chicago . Von der Größe dieser Stadt kann man sich eine Vorstellung machen, wenn man bedenkt, daß Berlin etiva 65 Quadratkilometer in Anspruch nimmt, Chicago aber 495. Die Michigan- Avenue am gleichnamigen See, eine Prachtstraße Chica­ gos , ist nicht weniger als 35 Kilometer lang!

Von den vielen Denkwürdigkeiten, die Chicago aufzuweisen hat, nenne ich nur das Denkmal, das auf einem sehr gut gepflegten Wald- Friedhof den vor mehreren Jahrzehnten hingerichteten Anar­chisten errichtet worden ist. Das Denkmal darf als ein ganz her­vorragendes Kunstwerk bezeichnet werden. Auf einem hohen Sockel liegt ein toter Arbeiter, neben dem stolz erhobenen Hauptes ein ebenso jugendschönes wie energisches Weib steht und hellseherisch in die Ferne weist. Das Denkmal, aus Bronze gegossen, ist von ergreifender Schönheit.

Die berühmtesten Sehenswürdigkeiten Chicagos sind die foge­nannten Stockyards, die Schlacht- und Viehhöfe. Die bekanntesten sind die der Firmen Armour und Swift. Jede dieser Firmen be­fchäftigt an die 20 000 Arbeiter, deren Tätigkeit im Töten und Bu­bereiten von Hammeln, Kälbern, Schweinen und Rindern besteht. Ich habe die Armourschen Unternehmungen besucht. Es ist schwer, bie Arbeit, die da geleistet wird, zu beschreiben. Ich will es trotzdem versuchen. Man stelle sich vor, daß Tausende von Ar­beitern nebeneinander stehen, durch viele Säle und Höfe hindurch. Jeder dieser Arbeiter hält ein Instument in Händen, mit dem er tagaus, tagein nur einen einzigen Schlag, Stich oder Schnitt zu vollführen hat. Und vor diesen Menschen wird in immer gleichem Tempo ein Tier hinter dem andern auf einer finnreich fon­struierten Bahn vorbeigeführt. An jedem Tier macht jeder Mann immer nur die eine Manipulation.

Ich will von der Schweineschlächterei sprechen. Die Ge­schichte fängt so an: In einen Pferch innerhalb der Anlage wird ein Schivein nach sem andern getrieben. Ein Mann legt jedem Schwein eine Hai schlinge um das linke Hinterbein. An einem

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ctwa fünf bis sechs Meter Durchmesser haltenden massiven Rad, das sich in immer gleichem Tempo dreht nach Art der sogenann Erde nahekommenden Hafen wird stets die Schlinge, von der ich ten russischen Schaukeln befinden sich vier Haken. An den der Schweine mit dem Kopf nach unten durch die Luft gedreht werden. soeben sprach, befestigt, so daß ohne Unterbrechung immer vier Rechts von dem Rade steht ein Mann, der dem ihm nahekommenden Tier einen Stoß gibt, so daß es auf eine Schiene gleitet, auf der es einen Meter weiter seinem Mörder vor das Messer kommt. Der Mann sticht das Schwein in das Herz; er hat kaum Zeit, das Messer herauszuziehen und am Stahle zu schärfen, da ist das er. stochene Schwein schon weiter geleitet, ein neues hängt vor ihm, um den tödlichen Stich zu erwarten. So gehen in endloser Reihe die Tiere von Mann zu Mann weiter. Wenn sie etwa zehn Meter weiter befördert und die Bäuche bis dahin schon gänzlich auf­geschlitzt sind, kommen die Stopfschnitte. Der eine schneidet mit einem einzigen Sieb die rechte Halsseite ein, der nächste die linke. So fommen die Tiere schließlich in nahezu vollständig zerlegtem Zustande, obwohl noch alle Organe zusammenhängen, vor eine Reihe von Tierärzten. Der eine läßt seinen Blid prüfend über das ganze Tier schweifen, um eine Markierung anzubringen, wenn das Tier ihm irgendwie verdächtig erscheint. Der zweite schaut weiteren. Der vierte schneidet ein bestimmtes Organ beziv. eine schon nach einem bestimmten Körperteil, der dritte nach einem bestimmte Muskelpartie heraus, die dann von anderen Tierärzten mikroskopisch untersucht wird. So werden die Tiere auf das ge­wissenhafteste geprüft. Bei dem geringsten Bedenken werden die Tiere mit Merkmalen versehen und bei der nächsten Weiche" von der Hauptschiene auf ein Nebengleis abgeschoben. Von da aus geht dann das Schwein noch einmal in gründliche Spezialunter­ſuchung. Zum Genuß untaugliche Tiere werden zu Seife ein­

gefocht.

Interessant ist auch die Art und Weise, wie die Borsten von den Schweinen rasiert werden. Alle dazu bestimmten Männer machen stets nur die ihnen vorgeschriebenen Striche. Da die Borsten an bestimmten Stellen, so in den Höhlen zwischen Körper und Beinen, in der kurzen Spanne Zeit, die sie vor dem betreffen­den Manne hängen, nicht mit dem Messer beseitigt werden fönnen, so werden die Borsten an diesen Stellen mit einer Stidhflamme abgefengt.

So kann man stundenlang mit den Tieren gehen, bis man fchließlich fieht, wie sie als Wurft verpackt oder als Seife eingefocht werden. Die Herstellung der blechernen Konservenbüchsen geschieht im selben Betriebe, ebenso die Herstellung der Holzgefäße für Schmalz und Seife. Das Abwiegen erfolgt automatisch. Ist das vorgeschriebene Gewicht an Schmalz in der Büchse oder an Seife im Holzfaß, dann hört der Zufluß von selbst auf. Der Angestellte, der mich durch den in allen feinen technischen Einrichtungen ge­radezu wunderbaren Betrieb geführt hat, erzählte mir, daß der Mann, der den Schweinen den tödlichen Stich beizubringen hat, seit mehr als dreißig Jahren Tag für Tag, Sonntags aus­genommen, durchschnittlich 15 000 Schweine tötet!

Der Geruch des warmen Blutes und des frischen Fleisches stellt allerlei Anforderungen an die Nerven der Besucher, nicht minder das Geschrei der dem Tode geweihten Tiere. Dieser Schrei der Schweine ist übrigens wirklich das einzige, was in den Stod hards nicht verwertet wird wenigstens bis jetzt nicht. Zwei Tage lang nach dem Besuche dieser Riesenschlächterei vermochte ich keinen Bissen Fleisch zu verzehren.

In Colorado .

Jch müßte ein dickes Buch schreiben, wenn ich auch nur einen wesentlichen Teil dessen aufzählen wollte, was ich in Amerika für mich Bemerkenswertes gesehen habe. Davon kann keine Rede sein. Deshalb müssen die Leser im Fluge mit mir durch Pennsylvanien, Ohio , Michigan , Indiana , Wiskonsin, Illinois , Jowa und Nebraska nach Colorado eilen, damit wir auf dem schnellsten Wege über Kansas , Missouri , Kentudi, Tennessee und Virginia wieder an den Atlantic gelangen.

Ich war abends in Chicago in den Pullmannwagen gestiegen, fuhr die Nacht durch, den ganzen anderen Tag, mit einer Unter­brechung in Kansas- City, und fuhr noch eine weitere Nacht im gleichen Wagen, bis ich endlich nach nahezu 36stündiger Fahrt in Denver ( Colorado ) ankam.

Von allen Städten Amerikas hat Denver mir am besten ge fallen. Es ist freundlicher gebaut als die meisten Städte, die ich gesehen, und liegt 1600 Meter über dem Meeresspiegel. Dieser Umstand war es wohl auch, der mir die Stadt besonders sympathisch machte. Kaum vier Stunden vom Felsengebirge, den Rocky Moun­ tains , gelegen, war es für mich schon bei Antritt der Reise ganz felbstverständlich, daß ich da irgendeine Kragelei würde unter­nehmen können. Auf die von mir geplante Tour mußte ich freilich verzichten, weil ungeheure Schneemassen bis tief unten im Tale lagen, so daß die Zufuhrbahnen ihren Betrieb hatten einstellen müssen. Zu bielstündiger Talwanderung im Schnee fehlte mir die Zeit. So machte ich denn in Begleitung einiger Genossen, denen mein Beginnen zunächst sehr verrüdt vorgekommen ist, einige Touren, von denen hier wenigstens eine kleine Episode erzählt sei.

Wir fuhren mit der Bahn so weit es möglich war und stiegen dann führerlos und des Weges vollkommen unkundig in den Garten der Riefen und roten Felsen" hinauf. Es ist das ein