-

279

Er hatte die Augen weitgeöffnet nach oben gefehrt, und der fun­dige Blick des Centauren fand auch an den nadien Gliedern noch nicht die Farbe der Verwesung.

Staunen.

Er redete den armen fleinen Mann mit seiner freundlichsten Stimme an, fragte, um welches Verbrechen man ihn so schwer büßen lasse, ob er ihm vielleicht von seinem Marterholz herunter­Helfen und die Wunden verbinden solle. Als er keine Antwort er­hielt, berührte er sacht die Brust des stummen Dulders. Da merkte er, daß es nur ein hölzernes Bild war. Ein Rosenstrauch war neben den Stamm des Kreuzes gepflanzt. Von dem pflüdte er einen fleinen Zweig, roch daran, wie um wieder etwas Liebliches zu ge­nießen, und verließ dann die Stätte mit immer unheimlicherem Im Dorf hatte gerade der Pfarrer, ein altes Männlein, das den Kirchweihfreuden längst abgestorben war, für die anderen zu zu dem die kleinen Buben das Geläut besorgten. Wie nun der Fremdling, dem alles, was ihm links und rechts in die Augen fiel, ein Rätsel war, an die offene Kirchentüre fam, hielt er an und spähte neugierig in das halbdunkle Innere. Ein Sonnenstrahl fiel durch das kleine Seitenfenster neben dem Altar und beleuchtete das Bild einer wunderschönen Frau mit goldenen Haaren in blau und rotem Gewand, die einen Knaben auf dem Arm und eine Lilie in der Hand trug. Sie hatte die großen, sanften Augen gerade auf ihn gerichtet, als wolle sie ihn einladen, näher zu treten. Bu ihren Füßen, ihm den Rücken zuwendend, stand der fleine Pfarrer im Ornat, und die sämtliche Gemeinde fniete jekt, gleich ihm, vor der schönen Frau. Du solltest doch hineintreten und sie dir etwas näher betrachten, sagte der Fremde zu sich selbst. Und gedacht, getan. Er trabt, ohne an etwas Arges zu denken, durch das Portal und gerade­wegs über die Steinfliesen, die von seinem mächtigen Hufschlag

dröhnten, auf den Altar zu.

"

Welch einen Spektakel das gab, kann man sich denken. Im ersten Augenblick freilich versteinerte der Schreden über diese Tempelschändung durch ein so unerhörtes, geradewegs der Hölle entitiegenes Ungeheuer die ganze andächtige Gemeinde samt ihrem Seelsorger. Dann aber befann sich dieser, der trop seiner achtzig Jahre durchaus fein Don Abbondio war, daß der Eindringling niemand anders als der leibhaftige Satan sein könne, erhob was er gerade Geweihtes in der Hand hatte und rief, es gegen den Ver­sucher schwingend, mit lauter Stimme sein Apage! Apage! und nochmals Apage!"( Hebe dich weg!) Beim, Zeus," sagte der Zentaur, das freut mich, endlich einen redenden Menschen zu begegnen, der noch dazu griechisch spricht. Du wirst mir 111111 wohl auch sagen fönnen, Alter, wer diese schöne Frau ist, ob sie noch lebi, was Ihr hier treibt, und wie sich überhaupt alles seit gestern so fabelhaft verändert hat." Den Pfarrer überlief es eiskalt, als er sich von dem bösen Feinde anreden hörte, noch dazu in einer Sprache, die ihm natürlich Griechisch war. Wieder erhob er seinen Ruf und schlug ein Kreuz über das andere, wich aber doch ein wenig vom Altar zurück, da ihn die Unbefangenheit des hohen Fremden einschüchterte, und hätte sich dieser nicht umgesehen, wer weiß, wie es abgelaufen wäre. Jeht aber kam die Reihe, sich zu fürchten, an unseren Roßmenschen. Denn wie er die vom Schreck verstörten Wadeitöpfe der alten Männer und die verwelkten Gefichter der greisen Weiblein unter ihren hohen Belzhauben jämtlich ihn anstarren sah, überkam ihm plötzlich die Furcht, er möchte in ein Konventitel von Hegen und Zauberern geraten sein und Strafe leiden, wenn er ihr geheimes Wesen noch länger störe. Also machte er, nachdem er der schönen Blauäugigen noch einen verehrungsvollen Blid zugeworfen, auf einmal sehrt und stob mit gewaltigen Säßen, den Schweif wie zur Abwehr böser Geister hoch um den Rücken schlagend, über das Hallende Pflaster zur offenen Tür hinaus.

-

Werter Freund, jagt' ich, als er mir das alles treuherzig ge­beichtet und meine Aufklärungen nur halb verstanden hatte, Ihr seid in einer verwünschten Lage. Wie Ihr da geht und steht, möchte es schwer halten, Euch in der modernen Gesellschaft einen Platz aus­findig zu machen, der zu Euren Gaben und Ansprüchen paßte. Wäret Ihr nur ein paar Jahrhunderte früher aufgetaut, so etwa im Cinquecento( fünfzehnten Jahrhundert), so hätte sich alles machen laffen. Ihr hättet Euch nach Italien begeben, wo damals alles Antike wieder sehr in Aufnahme kam und auch an Eurer heid­nischen Nacktheit fein Mensch sich geärgert haben würde. Aber heut­zutage und unter dieser engbrüstigen, breitstirnigen, verschneiderten und verschnittenen Lumpenbagage, die sich die moderne Welt nennt ich fürchte, mein Lieber, Ihr werdet es sehr bedauern, nicht lieber bis an den jüngsten Tag im Eise geblieben zu sein! Wo Ihr Guch sehen laßt, in Städten oder in Dörfern, werden Euch die Gaffenbuben nachlaufen und mit faulen Aepfeln bewerfen, die alten Weiber werden Beter schreien und die Pfaffen Euch für den Gott­seibeiuns ausgeben. Die Zoologen werden Euch betaften und be­gaffen und dann erklären, 3hr wäret ein unorganisches Monstrum und fönntet nichts Befferes tun, als Euch einer Heinen Vivisektion unterziehen, damit man sähe, wie Euer Menschenmagen sich mit Eurem Pferdemagen vertrage. Seid Jhr aber der Scylla der Naturforscher entronnen, so fallt Ihr in die Charybdis der Kunst­gelehrten, die Euch ins Geficht sagen werden, daß Ihr ein scham Lofer Anachronismus, eine totgeborene und nur galvanisch belebte

-

Relique aus der Zeit des Parthenonfriefes feid no die Künstler, die nur noch Hosen und Wämser und feine wigige Armseligkeiten malen fönnen, werden sich in ihren tugendhaften Armenversorgungs­anstalten, genannt Kunstvereine, zusammenrotten und bei der Polizei darauf antragen, daß Ihr ausgewiesen werdet, als der öffentlichen Moral im höchsten Grade gefährlich. Daß Ihr Praxis bekommen könntet, auch nur als Pferdearzt, ist vollends undenkbar. Man hat jetzt ein anderes Naturheilverfahren als zu Euren Zeiten, der vielen anderen gelehrten Systeme zu geschweigen, und daß ein Doktor seine Equipage bors Krantenbette mitbringt, ist unerhört. Bliebe also nichts als der Zirkus oder die Menagerie, um Euer Brot zu verdienen, und fern sei es von mir, einen Mann von so guter Familie, wie Ihr, eine solche Erniedrigung zumuten. Nein, Bester, bis uns etwas Gescheiteres einfällt, will ich selbst mein bißchen Armut mit Euch teilen. Wenn ich es recht bedente, bin ich ja nicht viel beffer daran als Ihr, muß mir auch von Gaffenbuben und bi­gotten Wetteln, Aesthetikern und meinen eigenen werten Kollegen die größten Schnödigkeiten gefallen lassen, und seht, ich lebe noch und fühle mich in meiner Haut tausendmal wohler, als all das Gewürm und Gefindel, das mir nicht das Leben gönnt. Mut, lieber Freund! Dieser rote Wein ist zwar nur ein säuerlicher Nachen­puber, aber Ihr werdet Euch auch nicht zu oft in Nektar gütlich getan haben, und corpo della Madonna!( beim Körper der Ma­donna!) wenn zwei rechte Keris miteinander Brüderschaft trinken, so adeln sie den ordinärsten Tropfen.

Damit reichte ich ihm meine Flasche, welche die Nanni wieder gefüllt hatte, und lang, das Glas erhebend, mit ihm an, wozu er als zu einem ganz neuen Brauch ein verdußtes Gesicht machte. Ich winkte dann dem Mädel, für neue Zufuhr zu sorgen, und so schwammen wir bald im Neberfluß und wurden guter Dinge. Nach und nach machte unsere Kordialität auch das Bauernvolt vertrau lich. Einige der Beherzten wagten sich wieder in den Hof und zogen, da ihnen nichts zuleide geschah, bald die anderen nach sich. ( Schluß folgt.)

Osterkuriositäten.

Dftern ist das Fest des Frohfinns: das Erwachen der Natur löst im Herzen eine Jubelstimmung aus, die unfere Urväter so gut empfanden wie wir, die aber in jener robusteren Zeit einen ganz anderen Ausdrud fand und fich in Gebräuchen äußerte, die dem heutigen Geschlecht als Kuriositäten erscheinen. Selbst die Diener der Kirche suchten den Gegensatz zwifchen der düsteren Fastenzeit und den freudigen Feste der Auferstehung dadurch zu betonen, daß fie in den Gottesdienst allerlei Späße und Poffen einflochten. Gute Nacht, Stockfisch, willkommen Dchs", so fonnte im Jahre 1506 ein Mönch seine Osterprebigt beginnen und ein fröhliches Lachen der Gemeinde war die Antwort. Einige geistliche Dfter scherze dieser Art find berühmt geworden: der Geistliche Matthefius er habe in seiner Jugend berichtet, oft das Märchen erzählen hören, wie der Sohn Gottes an die Vorburg der Hölle ge­langt und mit seinem Kreuze anpocht. Zwei Teufel, die den un­gebetenen Gaft eripähen, fuchen ihm den Eintritt zu verwehren, in dem sie ihre langen Rasen als Riegel vor die Tür schieben, aber gegen die Kraft des Kreuzes sind sie machtlos, die Tür fliegt mit lautem Krach auf und die beiden Teufel find je um eine Nase ärmer! In Waiblingen befahl einmal am Dftersonntag ein Prediger dieses Dsterfuriofum berichtet der Humanist Bebelius Männer, die wirklich zu Hause das Regiment führten, sollten das Lied Chrift ist erftanden" anstimmen; eine ganze Zeitlang ein mäuschenstill, bis schließlich Mann blieb ärgerlich über das lange war wahrscheinlich unverheiratet Schweigen, sich zu dem Gesange verstand. Nachher trugen die Männer den Retter der Ehre ihres Geschlechts im Triumph nach Sause und bewirteten ihn reichlich. Ein andermal richtete ein Prediger an die Frauen die Aufforderung, es sollten alle die, welche die Hosen im Hause anhätten", den Ostergesang anstimmen, und sofort segte der Choral laut ein.

-

#

es

-

alle

er

Besonders beliebt waren dramatische Einlagen in dem Gottes­dienste. Sie entwickelten sich im 10. Jahrhundert aus dem lateinischen Wechselgesange zwischen den Engeln und den drei Marien am Grabe. Um nun der Gemeinde eine Augenweide zu bieten, legten die Geistlichen eine Art Verkleidung an und gestalteten den Gesang durch Dramatisierung von Bibelstellen aus. Die Zahl der Darsteller wuchs, ein Salbenhändler bandelte mit den drei Marien ein realistisches Moment und schließlich unters nahmen die Apostel Betrus und Johannes einen Bettlauf, um möglichst rasch zum Grabe des Herrn zu kommen! Diefer Bettlauf ist der erfte erheiternde Zug in diesen Spielen und in der Tat geht das fomische Drama auf ihn zurüd.

-

-

In der gallikanischen Stirche war es üblich, daß bei dem Mysterium von der Auferstehung Chrifti einem Juden eine fräftige Dhrfeige verabreicht wurde; die Ausführung dieser Handlung galt als eine Ehre, die dem vornehmsten Gemeindemitglied überlassen wurde, und das Opfer, der Jude, wurde zu der Handlung durch Gewalt oder durch Bezahlung veranlaßt. War im Drie fein Jude vorhanden, so mußte sich ein Chrift als Jude verkleiden und die Dhrfeige in Empfang nehmen.

Auch in den alten Voltsbräuchen des Gründonnerstags gibt es ber