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Disziplin" der Stunden, die Strafen für etwas, das dem Kind in dem Alter vielleicht noch schwer fällt; es hat mal sein Lesen ..nicht gefonnt", seine Rechenhäuschen zu machen vergeffen usw. Da kommen die schönen Dinge: Nachsißen, Prügel, Extraarbeit.

Und eines Tages fieht das Kind: die schönen neuen Griffeln sind au armseligen, häßlichen Stumpen abgeschrieben. Und das ist auch ein Symbol! Daß das Leben junge, hoffende Anfänge ins Aschgraue aiebt. Muß es sein? Wir träumen: mein! Wir ahnen eine Möglichkeit, daß die Schule als Crganisation, als In­titution anders aussehen könnte als sie ist. Und daß mehr Freude n ihr herrschen könnte. Wessen bedarf es dazu? Einer generellen Menderung der Lehrpläne und Bensen. Einer Aenderung des arren, oft finsteren oder unfreundlichen Unterrichtsgeistes bei nem großen Teil der Lehrerschaft. In der Lehrerschaft aber Tber regen sich gang langsam die Geister, die mehr Luft, Licht, be und Freudigkeit in die Schulen hinein hätten. Wichtig er ist auch, daß die Eltern sehen, welch großes Erlebnis für das Mind der Schulanfang ist wichtig auch, daß das Kind weiß oder fühlt, Gedanken und Blick der Eltern folgen ihm in die Schule. Ein Lehrer.

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Crainquebille.

Von Anatole France  .

Ich will den Schuhmann Matra durchaus nicht einer böfen Abficht bezichtigen, aber er verrichtet, wie wir bereits fagten, ein mühseliges Amt. Er ist zuweilen übermüdet, überbürdet, überan strengt. Unter solchen Umständen ist es möglich, daß er das Opfer einer Gehörs Ballugination gewesen ist. Und wenn er soeben be hauptet hat, der Herr Doktor David Matthieu, ein Offizier der Ehrenlegion und Oberarzt am Hospital von Ambroise Paré  , eine Leuchte der Wissenschaft und ein Weltmann, habe ebenfalls Ber­fluchter Polyp" geschrien, so sehen wir uns genötigt anzunehmen, day Matra damals nicht ganz llar bei Sinnen war, ja ich möchte fagen, obgleich es etwas schroff erscheinen mag: der Mann leidet an Berfolgungswahn.

Und selbst wenn Trainquebille Berfluchter Polyp gesagt hätte, so ist es noch die Frage, ob dies Wort in seinem Munde eine Beleidigung, also ein Bergehen ist.

Erainquebille ist das uneheliche Stind einer herumziehenden Händlerin, die eine notorische Trinterin war, er ist also ale Alkoholiler geboren. Sehen Sie sich den Mann an und urteilen Sie selbst, was fechzig Jahre des Glends aus ihm gemacht haben. Meine Herren, Sie müffen zugeben, daß man ihn nicht ber antwortlich machen kann."

nun

Maitre Lemerle setzte sich, und der Präsident verlas zwischen den Zähnen das Urteil, wonach Crainquebille au vierzehn Lagen Gefängnis und 50 Frank Geldstrafe verurteilt wurde.

Das Gericht hatte seine Ueberzeugung auf die Aussage des Schumannes Matra geftüßt.

Als Erainquebille durch die langen, düsteren Gänge des Ge­richtsgebäudes geführt wurde, fühlte er ein ungeheures Bedürfnis nach Mitgefühl. Er drehte sich nach dem Soldaten um und rief ihn an:

Se, Sie Sie!." aber der beachtete ihn nicht und Crainquebille seufzte.

Ach Gott, wer mir das vor vierzehn Tagen gesagt hätte, daß ich das erleben muß! Die Herren sprechen so schnell," flagte er. ..Sie sprechen gewiß sehr schön aber zu schnell, au schnell. Ich fann sie nicht verstehen und sie verstehen mich nicht Sie nicht auch, Soldat, die Herren sprechen zu schnell?"

Finden

Aber der Soldat ging weiter, ohne zu antworten oder auch nur den Kopf zu wenden.

Crainquebille fragte fummervoll:

Warum geben Sie mir feine Antwort?"

Und als der Soldat immer noch schwieg, rief der alte Mann voll Bitterleit:

Mit' nem Hund hat man Mitleid, und. Sie wollen nicht mal mit' nem armen alten Mann sprechen, Sie machen wohl das Maul nie auf, find Sie nicht bang, daß es stinken wird?"

*

Einige Neugierige und gtvei oder brei Rechtsanwälte verließen den Saal, nachdem das Urteil gefällt war, und der Gerichtsdiener fündete schon eine neue Sache an.

Die Fortgehenden dachten nicht weiter über den Fall Crainque­bille nach, der fie faum intereffiert hatte. Nur Herr Jean Lermite, ein Kupferstecher, den der Zufall in die Sigung geführt hatte. stellte seine Betrachtungen über das eben Gehörte an.

Er flopfte den Advokaten Joseph Aubaret auf die Schulter und meinte:

Es ist bewunderungswürdig, wie der Präsident Bourriche es versteht, sich aller citten Neugier zu enthalten und sich vor perfön­lichem Hochmut, der alles wissen will, au bewahren.

Wenn der Nichter die widersprechenden Aussagen von dem Doktor Matthieu und dem Schußmann Matra gegenüber gestellt hätte, so wäre er auf einen Weg des Zweifels und der Ungewiß­heit geraten.

Die Methode, welche darin besteht, einen Fall nach allen

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Regeln der Kritik zu beleuchten, fft unvereinbar mit einer guten Berwaltung der Justiz. Wenn das Tribunal so unvorsichtig fein würde, eine derartige Methode zu befolgen, so müßte ja sein Urteil von seinem eigenen Scharfsinn abhängen, der des öfteren gering ist oder von der menschlichen Fehlbarkeit, die nie aufhört. Wo bliebe da die Autorität! Auch fann man nicht leugnen, daß die historische Methode ebens falls unzulänglich ist, um dem Richter jene Gewißheit zu ver schaffen, deren er bedarf.

Man erinnere sich nur an Sir Walter Raleighs Abenteuer. Als Sir Walter Raleigh   im Tower of London   gefangen faß und eines Tages an dem zweiten Teil seiner Weltgeschichte arbeitete, entspann sich unter seinen Fenstern ein Streit. Er sah eine Weile an und ging dann wieder an seine Arbeit mit der Ueberzeugung, die Streitenden sehr gut beobachtet zu haben.

Als er aber Tags darauf mit einem seiner Freunde über die Angelegenheit, sprach, der bei dem Borfall zugegen gewesen war und sich sogar an dem Streite beteiligt hatte, tvidersprach dieser ihm in allen Punkten.

Da erkannte Raleigh die ungeheure Schwierigkeit, fernliegende Ereignisse in ihrer Richtigkeit zu erfaffen, wenn es möglich war, daß er sich über das, was vor seinen Augen geschah, getäuscht hatte, und entmutigt warf er sein Manuskript ins Feuer.

Wenn die Richter ebenfolche Bedenken trügen wie Raleigh, so müßten sie wohl ihre ganze Gelehrsamkeit ins Feuer werfen. Aber dazu haben sie kein Recht. Sie würden damit die Justiz verleugnen und ein Verbrechen begehen.

betrachtet werden.

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Man kann wohl darauf verzichten- zu wiffen, aber man zu richten. darf nicht darauf verzichten methodische Nachforschungen gegründet find, müssen als gefährliche Diejenigen Leute, welche wollen, daß die Gerichtsbeschlüsse auf Sophiften und hinterlistige Feinde des Zivil- und Militärgerichtes als daß er sein Urteil von dem Verstand oder von der Wissen­Der Präsident Bourriche hat einen viel zu juristischen Sinn, fchaft beeinfluffen ließe, deren Schlüsse ewigen Streit und Zweifel hervorrufen. Er gründet es auf bestimmte Dogmen und Tra ditionen, so daß seine Urteile an Autorität den Geboten der Kirche gleichen, sie sind sozusagen kanonisch.

Sie sehen z. B., daß er die Zeugenausfagen nicht nach einer unbestimmten trügerischen Wahrscheinlichkeit ordnet, sondern nadz innerlichen, permanenten, handgreiflichen Tatsachen.

Er wägt sie nach dem Gewicht der Waffen. Gibt es ein ein­facheres und weiseres Mittel?

Das Zeugnis eines Schußmannes erscheint ihm als unwider­legbar. Der Mensch als solcher tommt hier gar nicht in Betracht, nur die Kategorie, der er angehört die hochwohllöbliche Polizei die heilige Hermandad.

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Bastien Matra, gebürtig aus Cinto- Monte( Korfila), erscheint ihm durchaus nicht als unfehlbar. Er weiß, daß der Mann weder eine besonders scharfe Beobachtungsgabe befibt, noch daß er bei der Prüfung der Sachlage fehr genau und methodisch verfährt. Ju Wahrheit existiert überhaupt Bastien Matra in diesem Fall nicht für ihn, sondern nur der Schußmann Nr. 64. Ein Mensch kann sich täuschen, denft er sich. Peter und Paul fönnen fich irren. Descartes und Gaffendi, Leibniz   und Newton, Bichat   und Claude Bernard  , die alle haben sich irren fönnen. Wir alle irren uns, und zwar sehr häufig.

Die Möglichkeit, fich au irren, ist sehr groß und mannigfaltig. Die Wahrnehmung unserer Sinne und das Urteil unseres Ver­standes sind oft nichts weiter als bloße Einbildungen und die Ür­fache von Ungewißheit und Zweifel.

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Man darf sich nicht auf das Zeugnis eines Menschen verlassen. Testis unus testis nullus.( Ein Zenge lein Zeuge.) Aber auf eine Zahl kann man sich verlassen. Bastien Matra von Cinto- Monte ist fehlbar aber der Schuß­mann Nr. 64 wenn man von seiner Person als Mensch absicht täuscht sich nicht. Darum hat das Gericht auch nicht gezögert, daß Zeugnis des Doktor David Matthieu zu verwerfen, denn er ist nur ein Mensch", und er erkennt die Aussage des Schuhmannes Nr. 64 als richtig an, denn er ist eine reine Idee", cin Strahl Gottes, der zu uns her­niederstieg.

Wenn er auf diese Weise urteilt, so sichert der Präsident sich eine Unfehlbarkeit zu, und zwar die einzige, worauf ein Richter Anspruch erheben kann.

Trägt ein Mensch, der als Zeuge figuriert, einen Säbel, so soll der Richter auf den Säbel hören, nicht auf den Menschen. Der Mensch ist unvollkommen und kann sich irren ein Säbel nicht, er bat immer recht..

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Der Präsident Bourriche ist vollkommen in den Geist des Ge­fehes eingedrungen.

Die Gesellschaft ruht auf der öffentlichen Macht, und die öffent liche Macht muß als eine erhabene Institution der Gesellschaft re­spettiert werden. Die Justiz aber hat die Berwaltung der öffent lichen Macht.

Der Präsident weiß, daß der Schuhmann Nr. 64 ein Teil des Fürsten   ist der Fürst regiert sozusagen in jedem seiner Offigiere.

Ver