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Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 97.

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Der Kakadu.

Donnerstag, den 21. Mai.

1914

und sang und starrte den hellgrünen, frühjahrlichen Weiden­baum an, der seine Zweige tief, tief, bis in den Wies senkte. Er hatte an seinem alten Filz die Krempe ganz herunter gestülpt und eine lange Hahnenfeder darauf gesteckt, das Hemd stand offen, er rauchte aus einer kurzen weißen Ton­pfeife und sah in seiner fräftigen, braunroten Derbheit aus, wie ein Bauer auf einem alten Niederländer. Dem Bengel des Hausherrn, der Frieda Stakadu getauft, kam er höchst ver­wunderlich vor, und da Huller sich schlecht hielt und einen runden Rücken machte, nannte er ihn von da ab das Dromedar. Der Herr Papa wollte nicht hinter dem Wiz des Sohnes zurückbleiben und hieß das Rückgebäude den Raritätenkasten. Zudem war die Hausmeisterin schon vorher von ihm Sylphide  benamst worden, sie sah ungefähr aus, wie ein Dickhäuter, und ihr Mann, es war gerade nichts Auffallendes an ihm, als daß er Plattfüße hatte, Sylphiderich.

Erzählung von Anna Croissant- Rust  . ..Kakadu" hatte sie der zwölfjährige Bengel des Haus­besitzers genannt, als er sie zum erstenmal ohne Hut über den Hof gehen sah, und seitdem nannten alle im Hause das Fräu­lein den Kakadu". Der Name paßte auch gar nicht so schlecht. Frieda trug nämlich das Haar aus ihrer zurückgehenden Stirn straff nach hinten gekämmt, es bäumte sich aber ein widerwilliger, frauser Schopf von ehemaligen Locken direkt in der Mitte über der Stirn auf, dann erst senkte sich das Haar jäh hinunter und endigte in einem hartgeflochtenen fleinen Zöpflein, das sich im Genick ein paarmal um sich selber wand, und den grotesken Schopf noch mehr hervorhob. Ueber­mäßig eitel schien sie nicht, denn man sah sie immer nur in demselben altmodischen Regenmantel und in demselben Feder hut mit den sehr dünnen schwindsüchtigen Federn über den Sof trippeln. In ihrem Gang lag etwas Vogelartiges, etwas von dem Unruhigen und zierlich Scheuen fleiner Vögel; so ähnlich war auch ihr Blick, schnell und ängstlich, und wenn sie grüßte, tat sie immer einen fleinen Hupf zur Höhe und zur Seite, was sehr possierlich aussah und immer ganz unerwartet fam; sie wollte wohl auch von feinem angesprochen werden. den Kakadu" nicht; die Sylphide  " hatte ihm in ihrer Nicht daß sie unfreundlich war, sie grüßte alle aus dem Hause höflich, wenn sie ihnen auf ihren seltenen Gängen begegnete, aber sie wich augenscheinlich einer Anrede aus. Und keine von den Frauen und es waren einige sehr neugierige Weiber unter den Bewohnern hatte sich getraut, mit ihr anzu­binden, obwohl sie es recht gern getan hätten. Die scheue und groteske Höflichkeit des Kakadu zeigte doch zugleich so viel Stälte und Stolz, daß das Vorderhaus nichts weiter wagte, troß aller Neugierde. Es ging nämlich die Sage, der Kakadu im Rückgebäude sei eigentlich von Adel  ; bei den Seutschers­leuten, die die Hausmeisterstelle zugleich versaben, war er schon zur Baronin" avanciert. Besonders als die Möbel beim Einzug sich zwar als alte, aber dennoch höchst gediegene Herr­schaftsmöbel erwiesen, stieg der Kakadu in der Hochachtung des hausmeisterlichen Paares.

Auf der Visitenkarte stand freilich nur Frieda Kausnit, aber der Hausbesizer begrüßte sie immer mit Nachdruck und lant als Fräulein von Kausniß", denn er bielt auf die Feinheit" seiner Parteien, auch wenn sie im Rückgebäude wohnten.

Viel wußte er auch nicht von ihr, nur daß sie Stiderin war und ihre Arbeiten in eines der ersten Geschäfte lieferte. hm hatte sie den Eindruck einer gebildeten Person gemacht, die gute, aber altmodische Manieren hatte, wahrscheinlich, weil sie nicht mehr mit ihren Kreisen in Berührung fam. Sonst erschien sie ihm etwas exaltiert, ungemein schüchtern, lächer­lich stolz und verdreht. Einmal hatte er versucht, eine zu dringliche Frage nach ihrem früheren Leben zu tun, war aber von ihr mit einer zwar zitternden, jedoch sehr verständlichen Bestimmtheit zurückgewiesen worden. Seitdem zuckte er die Achseln, wenn von ihr die Rede war und brummute von über­spannten, dummen, hysterischen Frauenzimmern. Was ging's ihn an Eine stille Mieterin war sie jedenfalls; sie bekam nie Besuch, tat sich alle Arbeit selbst und ging nur aus, um ihre Stickereien abzuliefern. In dem kleinen Rückgebäude im Hofe wohnte niemand als die beiden Hausmeistersleute, in der ersten Etage neben ihr, während die Wohnung neben dem Stall, unter der ihrigen gelegen, leer stand. Weil es so billig war, und weil das Haus samt Rückgebäude unter grünen Bäumen lag, in der Vorstadt draußen, hatte der Kakadu da eingemietet.

Das war also der Raritätenkasten, für das ganze Vorder­Haus fortan ein Gegenstand der Neugier. Man wartete mit einer gewissen Spannung, wie die Dinge zwischen den neuen Mietern sich entwickeln würden. Es entwickelte sich aber gar nichts, wenigstens vorderhand nicht. Das Dromedar" grüßte den Kakadu" und der dankte genau so wie jedem anderen und machte auch den gewohnten Hupf dazu. Im übrigen be­suchte das Dromedar" niemanden im Vorderhaus und auch graziösen Art angeboten, seine Zimmer in Ordnung zu halten, er hatte angenommen, und sie besorgte es nun auf ihre Weise. Oben saß der Kakadu und stickte, unten fnetete das. Dromedar Lehm und pfiff und sang den ganzen Tag, während oben alles ruhig blieb, denn der Kutscher, der Sylphiderich, hatte genug in Haus und Stall und Hof zu tun, die Sylphide aber feinen allzu großen Hang zur Arbeit und zum Lärm, sie stierte lieber in eine Ecke, wenn sie in ihrem Zimmer hockte, auch erwartete sic ein Kind.

Weil es nun drüben so einförmig weiterging und gar nichts vorkommen wollte, erlahmte das Interesse, und der Raritätenfasten wäre beinahe in Vergessenheit geraten, wenn sich nicht einige bedeutsame Dinge drüben ereignet hätten.

Eines Nachts, nach elf Uhr, als alles schon schlief, faß der Kakadu noch wach und stickte. Das Zimmer, in dem sie ar­beitete, war ein niederer Raum mit zwei Fenstern und einer hellen Tapete, altmodisch mit Mahagonimöbeln eingerichtet. Ein paar große Rofofoporträts waren vielleicht von Wert, aber schon etwas zerfressen und die Farbe da und dort ab­gesprungen. Verblichene Daguerrotypen hingen über der Nähmaschine und auf der Kommode standen Porzellanfigürchen und Gläser, im ganzen sab es stark nach dem ausrangierten Stram einer vornehmen Familie aus.

Frieda hatte den Tisch mit der Lampe ans offene Fenster gerückt, um frische Luft zu haben; der Mond war hoch­gekommen, und sein heller Schein lag über dem Garten und den Kieseln des Hofes. Der Wind brachte Düfte von blühen­den Bäumen und jungem Laub, es war ein zitterndes, gleich­mäßiges Rauschen in der Luft vom englischen Garten her. Der Kakadu hielt im Arbeiten inne, die Erinnerung an das Rauschen der Bäume um das Elternhaus, an die Mondnächte im Park kam plötzlich mit dem Nachtwind, der die Vor­hänge hob. Dawas war das? Ein Stöhnen? Frieda horchte auf. Nichts, nur das weiche, seidenweiche Raunen der Frühlingsnacht. Von der kleinen Kirche hörte sie die Stunde schlagen. Und dieser harte, falte, eifrige Ton brachte ihr eine schmerzhafte Unruhe, brachte ihr auf einmal das Gefühl des Alleinseins, eine Angst vor der Einsamkeit, ein Bangen nach Menschen. War sie denn noch immer nicht ge­wöhnt, ihr Leben allein zu tragen? Brauchte sie immer noch die anderen? Es war doch hon lange genug, daß sie allein lebte.

Aber jetzt hatte sie auf einmal förmlich Furcht, denn da war wieder das Stöhnen. Gewiß, ganz deutlich, dicht unter ihr, wieder und wieder. Ein Kranfer. Ein Unglück? Sie rührte sich zuerst nicht vom Plaze, zitterte war und Horchte,

Bierzehn Tage, nachdem Frieda eingezogen, mietete ein junger Bildhauer die zwei unter den ihrigen gelegenen Zimmer. Er war ganz enthusiasmiert von der freien Lage, Sem Blick ins Grüne und auf die blühenden Bäume des Gartens, Hals über Stopf ließ er seinen ganzen Strempel herausschaffen. Biel   war's nicht, aber für eine Schlafzimmer- ob niemand in Haus erwacht sei und herbeifäme, um zu einrichtung reichte es, und auch dazu, das vordere Zimmer notdürftig zum Atelier herauszustaffieren.

Am Abend schon stand er mit roten Backen im Hof, pfiff

belfen. Ihr Herz schlug. Herrgott! plötzlich warf sie die Stickerei weg, die sie noch in der Hand gehalten hatte, nahm die Lampe   und rannte zur Türe. Das Stöhnen dauerte fa