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Jm Kofatendorf.

Bon Magim Gorki.

I.

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Der Wind jagt über die Steppe dahin und prallt gegen die Bergivand des Kaukasus , der Bergrüden schwillt und bläht sich wie ein gewaltiges Segel, und die Erde fliegt pfeifend durch die boden­Tofen, tiefblauen Gründe und läßt die vom Winde zerrissenen Wolten hinter fich, deren Schatten über die Erde dahinfriechen und fich an ihr festzuhalten suchen, jedoch immer wieder abgleiten und darob weinen und stöhnen

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Die Bäume neigen sich vor, als wenn sie liefen; die Sträucher schütteln sich wie zottige Hunde und breiten sich an der schwarzen Erde hin, die zu rauchen scheint von den aufsteigenden Staub­wolten; unaufhörlich erschallt ein trodenes Rauschen, Pfeifen und Heulen, die Störche flappern, die fatten Krähen frächzen, die Steppengrillen girpen, und über alles hin tönen wie befehlend die lauten Rufe der stämmigen, großgewachsenen Kosaten. Von der fahlen Steppe fliegt goldgelbes Weigenstroh heran, das die Dresch maschinen zerklopft und zertnüllt haben, und auf dem Marktplage der schmuden Kosatenjtaniza( Dorf) tangen graue Wirbel, fliegen Hühnerfedern, Zwiebelschalen und von der Sonnenhite versengte gelbe Blätter empor. Gilig erscheint die Sonne, und rasch verschwindet sie wieder, als jage sie hinter der davoneilenden Erde her und sei der Ver­jolgung bereits müde: weiter und weiter bleibt sie zurück und fintt matt vom Himmel herab in das rauchige dunkle Chaos im Westen, wo gleichfalls schneeige Bergwipfel emporragen und feuchtes Ge­wölf, schwer wie frischgepflügte Erde, rötlich schimmert.

Von Zeit zu Zeit erglänzt zwischen den Wolfenmassen der fifbergeschmiedete Sattel des Elbrus und die kristallene Zahnreihe der übrigen Berge: sie haben sich in die Wolken verbissen und fuchen fie festzuhalten. So deutlich fühlst du das Hinjagen der Erde durch den Raum, daß der Atem dir stockt von der Spannung in der Brust, von dem Entzücken darüber, daß du mit ihr zugleich dahinfliegst mit ihr, der Herrlichen, Teuren. Du blidst auf diese vom ewigen Schnee bekrönten Berge, und du meinst, daß dort, hinter ihnen, ein uferloses blaues Meer liegen müsse, in dem noch weitere wunderbare Erden sich erstrecken, oder einfach die azurblaue Leere, wo ganz fern und kaum noch sichtbar unbekannte bunte Planetenkugeln, Schwestern meiner eigenen Erde, ihre Bahnen ziehen...

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Von der Steppe her nahen endlose Reihen von Wagen mit dem ausgedroschenen Getreide; in dem Staube, der so schwarz und so fett ist wie Ruß, schreiten die teilhörnigen grauen Zugoden gesett und schwerfällig daher, die runden Augen mit dem Ausdruck der Geduld zu Boden gerichtet; auf dem Wagen liegt ein Rosat, sein Hemd ist ganz grau von Staub, die gottige hohe Müße fibt ihm tief im Naden, das Gesicht ist schwarz gebrannt von der Sonnen glut, die Augen find rot vom Winde, und der vom Schweiß zu­sammenklebende, staubbedeckte Bart erscheint wie aus Stein ge­meißelt. Ab und zu geht er dem Wagen voran, neben dem Joche her; der Wind bläst ihm in den Rüden und bläht sein Hemd auf; er ist wohlgenährt und gefeßt, wie seine Tiere, und seine Augen haben denselben geduldig- flugen Ausdrud; seine Bewegungen find ruhig, ohne jede Spur von Hast, als wenn er alles wüßte, was ihn in der Zukunft erwartet.

..He!.. He!..." ruft er von Zeit zu Zeit den Ochsen zu. Sie haben in diesem Jahre eine gute Ernte, sie sind alle gesund und satt, ihr Blic aber hat etwas Finsteres, und sie sprechen nur ungern, durch die Zähne. Vielleicht sind sie müde von der Arbeit... Ich habe jedoch den Eindruck, daß man in diesem Lande der wohlgenährten Leute nur wenig lacht, und nur selten bekommt man ein Lied zu hören.

Mitten im Dorfe ragte der rote Ziegelbau der Kirche mit den fünf Kuppeln und dem Glockenturm über der Borhalle empor; die Fensterverkleidungen find mit Mörtel beworfen und mit einem gelblichen Anstrich versehen die ganze Kirche sieht aus, als sei fie aus start mit Fett durchseptem Fleische errichtet, und selbst ihr Schatten hat etwas Fettes und Schweres: ein Tempel, der von satten Menschen einem großen, ruhigen Gotte errichtet ward.

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In Reih und Glied stehen die nicht eben hohen weißen Häuser des Dorfes; wie robuste, stattliche Frauen stehen sie da im üppi­gen Seidengewand der grünen Gärten, angetan mit den Gürteln der geflochtenen Zäune und dem matten Silberbrokat der Schilf­dächer als Kopfschmuck. Ueber den Dächern schaukeln sich die Gipfel der Silberpappeln, zittern die Fiederblätter der Atazien, Hlappern wie Kinderklappern die trockenen Hülsen der Wohnen, greifen die tapenartigen Blätter der Kastanien in die Luft, als wollten fie flink die fliehenden Wolfen ergreifen. Von Hof zu Hof laufen die Kosatenfrauen, die Röcke und Hemden hochgestedt, daß man ihre großen, fräftigen Leine bis ans Knie hinauf sieht; sie beeilen sich, alles zum morgigen Festtage vorzubereiten, rufen in geschäftiger Hast einander dies und das zu und schreien die pausbädigen Kinder an, die gleich Spaßen sich im Staube baden, ihn mit vollen Händen greifen und hoch in die Luft emporwerfen.

An der Kirchenmauer, gegen den Wind geschüßt, haben sich auf dem trockenen rotbraunen Steppengrase die Arbeitsuchenden" ge

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lagert. Es sind ihrer an die zwei Duhend, lauter zusammenges laufenes Volt, Leute von irgendher, Träumer, die auf einen Glüds fall, ein freundliches Lächeln des Schicksals warten, oder Faulenzer, benen die freie Weite des reichen Landes es angetan hat: stille Opfer des russischen Wandertriebes. Sie ziehen in Gruppen von zwei oder drei Mann von einem Sojatendorf zum anderen, unter dem Vorwand, daß fie Arbeit fuchen", sehen bei der Arbeit wohl zu, wundern sich, daß es so viel Arbeit gibt, legen jedoch nur im äußersten Notfalle selbst mit Hand an, wenn sie ihren Hunger schon gar nicht mehr auf andere Weise, durch Betteln oder Stehlen, stillen können.

Sie haben fast alle einen schüchternen oder schuldbewußten Blid, schauen erschroden oder stumpfsinnig in die Welt und haben das Gefühl für den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge fast ganz verloren.

Morgen ist Mariä Himmelfahrt , das reiche Kosatendorf feiert das kirchliche Fest, und nun sind sie von allen Seiten zusammen­gekommen, in der Hoffnung, daß der Feiertag fie reichlich mit Speise und Trank versehen wird, ohne Arbeit von ihrer Seite. ments; die Sonne des Südens, an die sie nicht gewöhnt sind, hat Sie alle find richtige Ruffen, aus den zentralen Gouverne­ihre Gesichter schwarz gebrannt, ihr Haar ist in der Sommerglut verschoffen, der Wind zerrt und zaust ihre Lumpen, fie stellen fich alle frieblich und chrbar, müde von der Arbeit, von den Schlägen des Schicksals, und sind hier nur so zusammengekommen, um ein flein wenig auszuruhen und zu beten.

freischend entlangfährt und der ihn lentende Kosat, einen Stroh­Wenn einer der schwerbeladenen Getreidewagen ächsend und halm tauend, an ihnen vorüberschreitet, verneigen sie sich mit zu bringlicher Unterwürfigkeit vor ihm, er aber blidt sie geringschäbig von der Seite an, ohne an die Müße zu fassen, oder sieht überhaupt nicht, wie das graue, zerlumpte Gesindel fremder Menschen sich vor ihm bückt und frümmt.

Tiefer und in gewisser Weise auffallender als die andern büdt sich vor den Kosaten der von der Hungersnot heimgesuchte" Bauer Konew aus dem Tulaschen, ein hagerer Mensch, versengt wie ein Feuerbrand, mit einem dürftigen schwarzen Bärtchen, das unge­pflegt aus dem Inochigen Gefichte hervorsproßt, und einem freund­lichen Lächeln in den dunklen, tief in den Höhlen liegenden Augen. Ich habe mich diesen Leuten erst heute angeschlossen, Konew ist jedoch mein alter Bekannter, ich bin ihm auf dem Wege von Kurst nach dem Gebiet des Teret mehr als einmal begegnet. Er ist ein Mensch, der gern mit anderen zusammen ist, sich in der Kolonne" am wohlsten fühlt, hauptsächlich wohl aus angeborener Furchtsam teit. Wo er auch außerhalb seines irgendwo in dem sandreichen Kreise Alerinst liegenden Heimatdorfes weilen und wandern mag, stets führt er dieselben überzeugungsvollen Worte im Munde: Getviß, das Land hier ist reich, aber die Menschen gefallen mir nicht Bolt viel herzlicher, echt russisch eben, nicht zu vergleichen mit dem ganz und gar nicht! In unserer Gegend ist das hiefigen! Hier sind sie hart wie Kieselstein, nicht für drei Rubel Seele ist zu finden!"

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bare Geschichten von Leuten, die unerwartet zu großem Reichtum Sehr gern erzählt er mit leiser, nachdenklicher Stimme wunder­gelangt sind:

jagen, daß einmal ein Bauer aus Jefremowo ein Hufeisen gefunden An Hufeisen willst Du also nicht glauben, und ich kann Dir hat, und drei Wochen später ist sein Onkel, der in Jefremowo einen Kramladen hatte, mitsamt seiner ganzen Familie verbrannt. Sichit Du! Die ganze Erbschaft fiel eben jenem Bauern zu, jawohl! Rede nicht von Dingen, die Du nicht verstehst: das Schicksal hat Mitleid mit dem Menschen, es läßt ihm oft unerwartet etwas zu­

tommen

Seine schwarzen, stark geschwungenen Brauen ziehen sich empor auf der Stirn, und die Augen treten wie erstaunt aus ihren Höhlen, als wenn er selbst an das, was er erzählte, nicht recht glaubte. Sobald einer der Kojaken vorübergeht, ohne seine Berbeugung zu erwidern, blickt Konew ihm eine ganze Weile nach und brummt vor sich hin: " Seh' bloß einer wie das vollgefressen ist! Gudt einen nicht mal an!... Nein, ich sag's gang offen: ein herzloses Volk

"

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In seiner Gesellschaft befinden sich zwei Frauen. Die eine von ihnen mag etwa zwanzig Jahre zählen, sie ist von kleiner, gedrunge­ner Gestalt, hat gläserne Augen, und ihr Mund ist immer halb ge­öffnet. Ihr Gesicht hat einen einfältigen Ausdruc: der untere Teil, mit den sichtbaren Zähnen, scheint zu lachen blidt man da= gegen in die unbeweglichen Augen unter der niedrigen Stirn, so glaubt man, daß sie jeden Augenblid in ein erschrodenes Weinen und Kreischen ausbrechen wird, als sei sie in Krämpfe verfallen.

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Mit fremden Leuten hat er mich hierhergehen heißen," flagt sie im Baß, während sie mit dem furzen Finger ihr ausgebleichtes Haar unter das grüngelbe Kopftuch stedt.

Ein junger Bursche mit didem Gesicht, vorspringenden Baden­fnochen und fleinen Mongolenaugen stößt fie mit dem Ellbogen in die Seite und sagt mit träger, heiserer Stimme:

Er hat Dich eben laufen lassen, was sollt' er auch mit Dir an fangen?"

" Ja- a," sagte Konew gedehnt, in nachdenklichem Tone, während er in seinem Bündel framt," Weiber kann man jezt sehr leicht los