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Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 113. me

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Jus und Recht.

Roman von Fred B. Hardt.

Dienstag, den 16. Juni.

ไฟ

1914

Krank und am Verteidigertisch diesen armseligen kleinen. Rechtsanwalt Nathan, der sich diese Frechheit hatte gefallen lassen, und das entfachte seinen Grimm, feine Empörung. Die Diskussion geht recht hoch, meine Herren," Justizrat Worte von Dr. Werner mit angehört, unser verehrter Kollege Werner ist ja ganz Cato."

Das ist stark," sagte Dr. Werner. Und was hat Dr. Dr. Franke war eingetreten und hate die legten erregten Nathan geantwortet?"

Nichts, er nahm das ganz ruhig hin."

sch weiß wirklich nicht, was ich skandalöser finde, diese Dreiftigkeit von Krank, oder diese Schlappigkeit von Dr. Nathan."

Was sollte er machen?" warf ein Anwalt ein, der um­ständlich seinen Bleistift spikte.

Herrgotts Donnerwetter! Die Aeußerung protokollieren laffen, den Antrag auf Unterbrechung der Verhandlung Stellen. Sofortige Beschwerde an den Landgerichtspräsidenten und Krank hätte in einer halben Stunde die Beleidigung vor dem Schwurgericht zurücknehmen müssen. Der Fall ist eine tolle Mißachtung des Offizialverteidigers. Und es ist jammer­schade, daß Kranz gerade an den Unrechten gekommen ist, der sich das einfach hat gefallen lassen."

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Das kann Ihnen doch ganz gleichgültig sein," sagte Dr. Levi. Sie sind ja nie Offizialverteidiger."

sch weiß sehr wohl, wo sie hinauswollen, Herr Dr. Revi," entgegnete Dr. Werner ernst. Sie meinen, vorbin, in dem Gespräch über die Willfür des Amtsgerichtspräsidenten bei Verteilung der Konkurse habe ich geschwiegen und jetzt, wo eine ähnliche Willfür einem Offizialverteidiger gegenüber sich zeigt, ereifere ich mich. Ganz recht. Nur übersehen Sie einen enormen Unterschied. Wenn der Amtsgerichtspräsident immer wieder einige wenige unter den vielen Anwälten als Kon­fursverwalter aussucht, bringt er den oder jenen um eine Lohnende Einnahme, auf die er ebenso wie die Ausgewählten ein Anrecht hätte. Das ist ein pekuniärer Ausfall in der Braris. Ist mir aber vollständig gleichgültig, so gleichgültig, daß ich mich an Ihrer Diskussion, die sicherlich aus dem reinsten Gefühl der Unparteilichkeit herauskam, gar nicht be­teiligt habe. Dieselbe Willkür läßt der Landgerichtspräsident walten bei der Auswahl der Offizialverteidiger, indem wie bort der Amtsgerichtspräsident die Konfurse, so er die Offi­zialverteidigungen nur einem kleinen Kreis von ihm genehmen Anwälten zuwendet. Das ist ein höchst gefährlicher Abusus und in der Wirkung ganz etwas anderes."

Wieso?" warf Dr. Levi ein.

" Der Zusammenhang dürfte nicht so schwer zu finden fein. Ist Ihnen nicht bekannt, daß Dr. Renker, der am An­fang feiner Braris öfters zum Offizialverteidiger bestellt wurde, nie wieder dazu ernannt wurde, nachdem er einmal im Schwurgericht mit dem Vorsigenden Berchthold zusammen prallte? Daß Dr. Aufdembusch, ebenfalls früher öfters Offi­zialverteidiger, übergangen wird, seitdem er im Strafprozeß Grünlich gegen die suggestiven Fragestellungen von Staats­anwalt Wächter Front gemacht und sich bei der Generalstaats­anwaltschaft beschwert hatte. Und derartige Fälle sind noch öfters vorgekommen. Der Landgerichtspräsident ernennt mur folche Anwälte zu Offizialverteidigern, von denen er an­nimmt, daß fie in ihrer Eigenschaft als Verteidiger weder dem Gericht noch der Staatsanwaltschaft Schwierigkeiten bereiten, und wenn nun einer gegen die Selbstherrlichkeit des Vor­fizenden oder die Uebergriffe des Staatsanwalts in durchaus berechtigter Weise anfämpft, mit dem Augenblick wird er still­schweigend gestrichen aus der Liste der Offizialverteidiger. Darunter leidet die Würde des Anwalts, denn man will ihn unter die Oberaufsicht des Landgerichtspräsidenten zwingen, was sich mit der Unabhängigkeit des Anwalts durchaus nicht verträgt. Und außerdem wird dem armen Teufel im Schwur­gericht ein tüchtiger Verteidiger vorenthalten. Und die Be­stätigung dieser Auffassung gibt Ihnen Landgerichtsdirekor Kranz selbst. In diesen frechen Worten: Sie sind ja nur Offizialverteidiger, das wollen wir uns mal merken!" liegt eine so verlegtende Mißachtung gegen uns Anwälte, und nicht nur gegen diejenigen unter uns, die verteidigen, daß man an­nehmen müßte, daß auch Ihnen, Herr Rechtsanwalt Dr. Levi, die Sache klar werden dürfte."

Justizrat Dr. Franke war ein jovialer älterer Herr, der feine Praxis mit Muße betrieb, allerhand Liebhabereien hatte, das Ehrenamt eines Stadtverordneten befleidete und Vorsitzender der Anwaltskammer war. Er war Dr. Werner wohlgesinnt, lächelte bisweilen über sein Ungestüm und meinte dann immer, wenn er mal älter sei, werde er solche Sachen auch leichter nehmen. inby

Doch diesmal sagte er, nachdem man ihn über den Vor­gang aufgeklärt hatte: Das ist eine tolle Sache, die sich da rant geleistet hat."

verehrter

Um Gotteswillen, mein verehrter Herr Kollega  , was geht denn das die Anwaltskammer an! Das ist eine ganz private Angelegenheit zwischen Krank und Dr. Nathan."

Schlaffammer," dachte Frank Werner, laut sagte er Ich bin gar nicht Ihrer Ansicht, Herr Justizrat. Die An­waltskammer ist dazu da, die Ehre des Anwaltstandes zu wahren, also ebenso verpflichtet einzugreifen, wenn diese von außenher verletzt wird, als wenn ein Anwalt sie außer acht läßt."

,, Na, na, was sollen wir denn tun, mein junger Freund?" Sich solidarisch mit Dr. Nathan erklären. Den standa­lösen Vorfall dem Justizministerium unterbreiten und darauf dringen, daß sich Krank entschuldigt und außerd- m vom Vor­fit im Schwurgericht ausgeschlossen wird. Ein Vorsitzender, der sich so etwas leistet, um so mehr, da dies nicht der erste Uebergriff von ihm ist, besißt nicht mehr die Objektivität, unt den Vorsiz in einem Schwurgericht zu führen. Es ist genau derselbe Uebergriff, wie ihn sich voriges Jahr Landgerichts­direktor Wiener geleistet hat, als er bei der Rechtsbelehrung der Geschworenen seine Auffassung und nicht die des Gesetzes auslegte, und dazu hat die Anwaltskammer auch geschwiegen. Wir Anwälte sind doch weiß Gott nicht Juristen zweiter Klasse."

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,, Ach, mein Verehrtester, das gibt eine endlose Schererei. Dr. Nathan soll sich beschweren. Aber die Anwaltskammer, nein, sie hat damit wirklich nichts zu tun."

Dr. Werner biß sich auf die Lippen. Er sah ein, daß gar keine Hoffnung war, den alten Herrn aus seiner behaglichen Ruhe aufzustacheln. Er war ärgerlich, daß er sich hatte hin­reißen lafen, ganz zwecklos. Denn daß auch die anderen An­wälte diesen dreisten Uebergriff des Landgerichtsdirektors Krank nur als eine amüsante Episode auffaßten, über die sie zum Schaden eines anderen lachen konnten, batte er aus dent Schweigen, das seinen heftigen Worten gefolgt war, herausgefühlt.

Und er mußte immer derjenige sein, der für andere ein­trat! Das mußte er sich noch abgewöhnen. Und er nahm fich das fest vor, wie schon so oft.

Er sah nach der Uhr. Es war Zeit, den Untersuchungs­gefangenen aufzusuchen. Er nahm seine Mappe und ging mit einem furzen Guten Morgen!", aus dem Anwalts­zimmer.

Er ging ummutig nach der kleinen Nebentreppe, die zum Gefängnis führte. An diesem Korridor lag der Sitzungssaal der zweiten Straffammer. Wie er in Gedanken verloren da­hinschritt, gellte eine Frauenstinume aus dem Saal, man hörte Stoßen und Drängen, ein Stuhl fiel um, eine tiefere Stimme, die Stimme eines Mannes. Die Tür wurde heftig aufge­rissen und eine erregte Menge drängte heraus, die eine schreiende Frau umringte. Ein Mann, der einen Knaben vort zehn bis zwölf Jahren an der Hand hielt, suchte sie zu be­ruhigen und sprach auf sie ein. Etwas abseits von den Leuten stand ein älterer, vielleicht fünfzehnjähriger Knabe. Der Saaldiener schob die Leute vor sich her und schimpfte, sie sollten machen, daß sie fortfämen, hier wäre keine Wärme­Halle.

Dr. Werner hatte immer erregter gesprochen. Er sah Mein armer Junge! Mein armer Junge!" schluchate vor sich das kalthöhnische Gesicht von Landgerichtsdirektor die Frau auf, haben denn die gar kein Herz im Leibe?"