-
486
-
311 Helfen war. Es kamen immer wieder neue. Es war| Vogelbeerbäumen bestandener Landweg hindurch, der irgendwo auf die große Schar der Verzweifelten, die jahrelang einen er- die nächstliegende glatte Kreischaussee mündet. Westfalen ist auch bitterten Kampf um ihr Recht führten. Wenn dieses auch heute noch das typische Land der Einzelgehöfte, der für sich abgebisweilen ein eingebildetes Recht war oder das Unrecht nur in ihrer Phantasie bestand, so waren doch Schmerzen und Enttäuschungen nicht eingebildet. Dieser Kampf um das Recht hatte etwas Tragisches, das Dr. Werner ergriff; für ihn war das Rechtsbewußtsein im Menschen das elementarste Gefühl, der Grund, auf dem sich seine Menschenwürde aufbaut. Er konnte ihnen nachfühlen, daß, wenn dieses Rechtsbewußtsein erschüttert war, sie auf wankendem Boden gingen.
Das schmerzlichste für Dr. Werner waren solche Fälle, wo tatsächlich ein Unrecht geschehen war, das Gesetz aber feine Handhabe bot, einzugreifen und wieder gut zu machen, was ein Irrtum oder eine Böswilligkeit geboren hatte, und wodurch das Leben eines Menschen, vielleicht einer ganzen Familie, unfruchtbar gemacht wurde. Diejenigen, die er so fortschicken mußte, konnte er nicht davon überzeugen, daß ihnen nicht zu helfen war. Sie gingen mit erbittertem und resigniertem Gesicht von ihm, als wollten sie sagen, also auch Du willst uns nicht helfen. Und das tat ihm weh..
Um diese Zeit bat ihn Karl Henkel, sich einer Frau anzunehmen, in deren zerstörtes Leben ihm ein Zufall Gelegenheit gegeben hatte, Einblick zu tun.
Dr. Werner hatte zunächst abgelehnt, die sehr kompli zierte Sache zu übernehmen, da er schon fast überarbeitet war, und vertröstete auf den Eintritt seines Kompagnons, des Dr. Welzer.
Bis zum Frühjahr ist die Frau vielleicht verhungert." " Dann muß sie sich einen anderen Anwalt suchen." „ Ohne Geld?"
Dr. Werner schwieg. Ich kann wirklich nicht", sagte
er dann.
Was würden Sie empfinden, wenn morgen die Frau sich mit ihrem Kind ins Wasser stürzt oder ganz verwirrt ihren Mann auf der Straße niederschießt?"
Ist denn die Lage so verzweifelt?"
Karl Henkel fühlte, daß er gewonnenes Spiel hatte und erzählte einiges aus dem Leben der Frau. Lassen Sie wenigstens die Dame kommen", meinte er dann, als Dr. Werner noch schwieg. Wann kann sie denn kommen? Ich treffe sie morgen. Ich könnte ihr die Bestellung ausrichten. Dann brauchten Sie ihr nicht erst zu schreiben."
Sie Schlauberger", lachte jetzt Dr. Werner und nahm seinen Terminkalender zur Hand.„ Meinethalben. Morgen Abend nach Schluß der Expedition um halb neun."
" Danke. Sie tun wirklich ein gutes Werf. Alle möglichen Anwälte in Berlin und Dresden haben schon an der Sache herumgedoktert, aber bald die Flinte ins Korn geworfen. Sie müssen durchhalten, Dottore."
Werde ich auch, wenn ich mich überzeugt habe, daß ihr zit helfen ist. Also morgen halb neun. Halt, ich hätte ganz vergessen, wie heißt meine neue Patientin?" Frau Berta Blinker. Sie wohnt in der Schnorrstraße 53." Dr. Werner notierte Namen und Adresse, und Karl Henkel verabschiedete sich. ( Forts. folgt.)
Kirschenkummer.
Von Regina Ruben.
Manchmal, wenn ich mir die Kirschenpracht auf den Wochen märkten und in den Obstauslagen ansehe, steigt eine Kindheitserinnerung in mir auf, die mir die allererste bittere Erfenninis von der Existenz eines großen ökonomischen Weltgetriebes vermittelte und die mir zu der Zeit egoistische Tränen in die Kinderaugen getrieben.
Meine Eltern wohnten nämlich in meiner Jugend in einem prächtigen, von baumgekrönten Bergen umschlossenen Ort West falens , an einem hübschen kleinen Badeplak. Die Obst- und Gemüsebedürfnisse dieses Plazes befriedigten, sofern die Einwohner nicht selbst ausreichende Gärten hatten, die malerisch rundum gruppierten Dörfer mit den freundlich blinkenden roten Ziegeldächern. Die altertümlichen Strohdächer waren auch damals schon im Verschwinden, weil die Versicherungsgesellschaften der größeren Feuersgefahr wegen, dagegen revoltierten.
Durch diese heimatlichen Dörfer zieht sich nicht, wie in vielen anderen deutschen Gegenden, ein schnurgerader Weg, an dem die Behausungen der Dörfler liegen. Meistens führt auch heute noch ein möglichst frummbuckliger, abwechselnd zwischen Schluchten, Hohlwegen und Flachlandstrecken auftauchender, mit Obst- oder
teilten, in der Regel von einer Weiß- oder Rotdornhede umhegten Bauernhäuser, die aus Lehm- oder Steinwänden aufgerichtet, schwarzweiß fariert gefüncht sind und einen flachen, blau oder grün oder auch blaugrün angestrichenen Giebel haben, oft verziert durch alte Sprüche, wie der unendlich oft wiederkehrende Allein Gott in der Höh sei Ghr'", und mit der Inschrift der vollen Vorund Zunamen des Ehepaares, das sich das Heim gebaut. Am Eingang zu solchem Gehöft paradieren gewöhnlich ein paar alte norrige Eichen, wie es ja auch schon in der Ritterhausschen Westfalenhymne heißt:" Als Wächter an des Hofes Saum reckt sich empor der Eichenbaum!" Da diese in ihren Obstgärten versteckten Bauernhäuser die Front hindrehen, wohin sie Lust haben, die mächtigen Torwächter aber selten fehlen, sollte man fast annehmen, daß der westfälische Bauer gerade immer da, wo solch ein Paar Reden aufstrebten, sein Heim aufgeschlagen hat. Der weit gefährlichere Wächter aber, der sogenannte westfälische Schäferhund, eine Art gelblicher, dickplustriger Spiz, dessen Verwandtschaft, Ahnen und Nachkommen auf allen Gehöften anzutreffen sind, logiert seitwärts der mächtigen hölzernen Flügeltüren mit dem einem hochbeladenen Heuwagen die Einfahrt gestatten. Da hat der auslösbaren Querbalken und den aufgehenden Oberteilen, die Spitz sein immer offenes Entree, eine selbstverständlich ins Haus gebaute Oeffnung, neben der er Tag und Nacht, wenn er besonders gefährlich ist, angefettet liegt. Wche dem Fremden, der sich im Dunkeln oder in Abwesenheit der Bewohner den Zugang erzwingen wollte. Kein Köder hülfe. Spitz erhebt schon auf zweihundert Meter Entfernung hin ein derartiges Wutgeheul, daß Bauer oder Bäuerin, Knecht oder Magd eiligit in ihren Holzschuhen herbeistürzen, um den nahenden Besucher, den Haufierer oder Briefboten oder wer es sonst sei, ungefährdet einzulassen.
Aus diesen westfälischen Dörfern heraus wurden wir mit Kirschen, dem Lieblingsobst der Jugend, versorgt. Und wieder am Bergkirchen , der in eine tiefe Senfung zwischen zwei Höhen des schönsten gedieh diese Frucht in dem alten historischen Flecken Wesergebirges gebaut, reizend gelegen und ein beliebter Ausflugs= ort der sommerlichen Badegäste geworden ist. Dort oben in Bergfirchen befindet sich außer einem guten Wirtshaus, wo es Pumpernickel und Schinken gibt, auch die berühmte Widukindsquelle, von der die Sage erzählt, der heidnische Widukind sei einmal, dem Verduriten nahe, auf der Flucht in diese Bergsenkung auf hohem Berge geraten. Dort habe er, nachdem er vergeblich zu seinen heidnischen Göttern gefleht, den Schwur getan, wenn ihm der Sachsen taufen lassen. Da habe sein weißes Sachsenroß mit dem Christengott aus der Gefahr helfe, so wolle er sich mit seinen Hufe die Erde geschlagen, eine Quelle sprudelte auf und Widukind trant, stärkte sich dadurch und entkam glücklich seinen Verfolgern, den christlichen Trabanten Karls des Großen. Die Trappe an der Quelle, die das Roß geschlagen, ist heute noch zu sehen und ist der Zielpunkt vieler Wanderer.
18
Zur Kirschenzeit, im Juni und Juli, standen wir Kinder möglichst früh auf. Dann kamen so zwischen sieben und neun Uhr morgens die noch viel früher aufstehenden Dörfler, Männer und Frauen, mit ihren Kirschenkörben, die sie meistens auf runden roten Ringkissen oben auf dem Kopf trugen, zum Verkauf ihrer Ware zu uns ins Tal herabgestiegen. Am Korb hing in der Regel, in ein buntes Taschentuch gewickelt, eine alte meist beulige grünspan= überzogene Messingwage in Schalenform mit veralteter Wiegestange. Dies charakteristische Zeichen verriet uns Kindern schon von weitem an den Schattensilhouetten der mit ihrer Last langsam Herunterschreitenden, ob Kirschen im Korbe waren. Denn das Gemüse und die jungen Hähnchen, die die Landleute auch zu verkaufen hatten, interessierten uns junges Volf weniger. Hunderte von Metern rannten wir den Landleuten entgegen und riefen:„ Haben Sie Kirschen?"" Was für Sorten?"" Was kosten die Kirschen?' Und dann jagten wir ihnen voran in die elterliche Wohnung und jauchzten durch den Hausflur:„ Vater, Kirschen, ob wir Kirschen auf den Flur, spähte in den Korb und fragte wohl:" Sind die taufen? Dicke Glaskirschen." Und dann kam Vater oder Mutter spanischen Kirschen noch nicht reif?" Das waren die schönsten Bergfirchener Sorten. Die Glaskirschen waren sozusagen nur die leuchtenden Vorboten. Und dann sagte der Bauer oder die Bauersfrau:„ Das dauert wohl noch acht Tage. Aber diese kriegen Sie für 10 Pf. das Pfund."" So," sagte Mutter dann wohl,„ und wieviel Pfund sind in dem Korb?" Dann sagte der Bauer:„ Nu,... vielleicht zwölf Pfund."" Hm, hm," sagte Mutter dann und blickte Vater an. Und Vater haute dann den Knoten meistens schnell durch und sagte:„ Ach, lassen Sie die alte Wage man fißen. Wenn Sie eine Mark wollen?"" Und der müde Verkäufer, dem oft der Schweiß schon von der Stirn rann und der kein Vergnügen daran fand, stundenlang in der Morgenhitze in der Stadt einzelne Pfunde Kirschen auszuwiegen, sagte dann:„ Na, meinetwegen!" Das war für uns das Signal. Wir schwirrten in die Küche, suchten Gefäße und Körbe. Und dann wurden die knackfrischen Kirschen umgestülpt. Und die waren unten im Korbe genau so schön wie oben. Und dann begann das Geschmause. Große Hände voll be= famen wir Kinder und die Dienstmädchen, und für das Kompott für den Mittagstisch blieben auch noch reichlich übrig. Und acht