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Kinder und bleiben an ihm haften, sie weisen ihn aus, fie verhöhnen ihn! Ein lautes Hohngelächter gellt ihm in den Ohren, obwohl die Stube in Schweigen ruht, und nur ein Aechzen, ein Stöhnen, ein Laut der Klage die Stille des Sterbezimmers unterbricht. Die geliebte Frau stößt ihn von sich, weil er ihre Kinder nicht retten kann, weil er sie nicht für sie dem Tode entreißt. Er liest ihr die grausamen Worte von den Lippen, die Worte, die sie nicht ausspricht, weil der Vater der Kinder im dumpfen Schmerz am Boden liegt wie ein gefällter Baum, hilflos lallend wie ein Kind. Er hört ihre höhnenden Worte und ihre Anklagen. Sie glaubt ihm nicht, daß er des Todes nicht Meister werden kann, daß es nicht in seiner Macht liegt, fie glaubt ihm nicht, daß es keine Rettung mehr gibt!
Und als das schwere, graue Morgenlicht gegen die kleine rote Flamme im Krankenzimmer kämpft, hat der Tod die sechs Seelchen mit fortgenommen und nur das eine dagelassen, das schwache, blaffe Wesen, das Fieber und Not überstanden, und nun fest im Schlafe ruht, seinen Sohn.
Am Bett dieses letzten Kindes kniet die Frau, kniet der Vater der Toten, da reichen sie sich die Hände, sinken sich in die Arme; ein Schmerz ergießt sich in den anderen, ein Weh fließt über in das andere und er muß abseits stehen! Wie hat ihn diese Frau geliebt! Wie hat sie sich an sein Herz geflüchtet, gequält und verjagt durch die Trunkenheit ihres Mannes. Selige Stunden hat sie ihm geschenkt, felige Stunden bei ihm genossen, innerlich losgelöst von allem, was um sie und mit ihr war, losgelöst sogar von ihren Kindern. Sie hat ihm den Sohn geschenkt, dies Kind, an dessen Bett fie nun dem Verratenen die Hände preßt, dies Kind, das der Mann, der nicht sein Vater ist, mit Lauten der wahnsinnigsten Angst beschwört, daß es ihm bleibe, das er mit stammelnden Worten der Liebkosung überschüttet, sein letztes Kind!
Und er muß wie ein Fremder stehen, ein Ausgestoßener, wie ein Verbrecher! Niemand schenkt ihm einen Blick, niemand ein Wort:
Sechs junge Kinder starben,
Sechs junge Kinder starben.
Er wird weiterleben nach dieser fürchterlichen Winternacht, nachdem er das verfluchte, von der Lüge verpestete Haus verlassen, in dem sein Sohn aufwachsen wird in der Lüge, sein Sohn, der ihn nie Bater nennen, der ihm den kalten, feindseligen Blick der Mutter schenken, der zu jenem anderen Water" sagen wird.
Sechs junge Kinder starben.
Ich liege wach in meinem großen Zimmer in dem alten HolzHause, um das der Föhn stöhnt, und lausche den Stimmen der Nacht.
Man schreibt uns aus Frankfurt a. M.: Leßthin brachten Sie eine kurze Plauderei über den Siegeszug des Kino, das bis zu den Thronen der Könige vorgedrungen ist und mitten in den Schlössern der gekrönten Häupter seinen Sitz aufgeschlagen hat". Was jagen Sie dazu, wenn ich Ihnen berichte, daß dieser Siegeszug inzwischen noch weiter gegangen und selbst vor dem Thron des Allerhöchsten nicht Halt gemacht hat?
Nicht bei uns in Deutschland , aber drunten im frommen Italien sah ich vor kurzem mit eigenen Augen das Unglaubliche. Im alten Verona war es, als ich plötzlich vor einem Dom stand, deffen weiße griechischen Säulen majestätisch zum Himmel ragten. Doch was sollen die bunten Plakate links und rechts der Kirchentüre? Hat die grelle Mittagssonne mir auf den blendenden Marmor ein Trugbild vorgezaubert, oder ist mir der rote Chianti etwas Bu Kopfe gestiegen, daß er mir bunte Bilder vortäuscht? Doch meine drei Begleiter behaupten das Gleiche zu sehen, und ein Schild über dem Haupteingang„ Cinema Pathé ", das wir beim Nähertreten bemerken, nimmt uns die letzten Zweifel. Der prächtige Marmorpalast, einst zur Ehre Gottes gebaut, der in seiner Fassade in großen Lettern in den Marmor gemeißelt die Worte Dom" trägt, ist ein richtiggehendes Kino geworden.
Cine
DOM
cinn
Pathe
Juni1914.
mir bereitwillig die gewünschte Aufklärung, die das anfangs Unglaubliche immerhin verständlich erscheinen läßt. Es fehlt zwar an Vielem in Italien , aber Kirchen gibt es mehr als genug. Es ist oft ein ganz eigenartiges Gefühl, wenn man ein paar armselige Hütten sieht, zwischen denen sich zwei oder drei Kirchen erheben, die im Innern eine Pracht aufweisen, die in einem krassen Gegensatz zu der Armut der Bevölkerung steht, die hier ihren letzten Pfennig hingetragen hat. Aber in manchen Gegenden, besonders in den Städten, hat die Frömmigkeit mit dem Kirchenbauen nicht gleichen Schritt gehalten, und so kommt es, daß heute viele Kirchen leer stehen und höchstens einen von den Touristen begehrten und geschäßten fühlen Aufenthaltsort bilden. Leere Kirchen bedeuten aber auch leere Klingelbeutel, und deshalb sind die Diener des Herrn so schlau, dort, wo es angängig, die Kirche als Kino zu verpachten oder zu vermieten, um dafür wenigstens auf diesem Wege die klingende Münze einzustreichen.
Wenn Christus wieder einmal auf Erden kommen sollte, um eine Tempelreinigung vorzunehmen, dann wird er schon variieren müssen:„ Mein Haus soll ein Bethaus sein, Ihr aber habt ein Kino daraus gemacht."
Literarisches.
Cé.
Die Novelle. Novellen sollen bedächtig und alleine gelesen werden", sagt ein Schriftsteller des 17. Jahrhunderts umb mahnt:" Daher lese feiner die ihm zugeschickten Sachen und Beitungen in Gegenwart anderer, sondern halte solche bis er alleine." Waren die Novellen damals ein so gefährlicher Lesestoff? Wurden sie dem Leser so ohne weiteres ins Haus geschickt? Gewiß! Aber dabei darf man nicht an unfere heutige Novelle denken. Sie ist von Haus aus entsprechend dem lateinischen Worte novellus( neu) nichts anderes als eine Neuigkeit, die jemandem mündlich oder schriftlich übermittelt wurde und auch einen verhängnisvollen Inhalt haben konnte. Der allgemeine Begriff verengte sich zu dem einer kurzen dichterischen Erzählung, die etwas Neues brachte. Goethe, der Vater unserer Novellendichtung, konnte daher sagen: Was ist Novelle anderes, als eine sich ereignete( 1) unerhörte Begebenheit. Dies ist der eigentliche Begriff, und so vieles, was es in Deutschland unter dem Titel Novelle gibt, ist gar feine Novelle, sondern bloß Erzählung, oder was sie sonst wollen." Aus diesen Worten ergibt sich, daß auch Goethe noch mit der Novelle den Grundbegriff des Neuen( Unerhörten) verband, daß man aber zu feiner Zeit die Novelle auch als fleine Erzählung auffaßte. Unsere Rechtssprache hat den Grundbegriff des Wortes treuer Es handelt sich hier aber keineswegs um einen Einzelfall, in gewahrt als unsere Literatur. In ihr sind Novellen ergänzende anderen Städten, z. B. Venedig, fanden wir das gleiche Bild. Wo- Verordnungen, Nachtragsgesetze, die bisher nicht Berücksichtigtes, daher das wohl kommen mag? Ein liebenswürdiger Italiener gab Her neues bringen.
Wie sich doch die Zeiten ändern! Dort, wo einst die heilige Messe gelesen und die Hostie geweiht wurde, hängt jetzt die flimmernde Leinwand und zeigt das Leben der sündigen Welt mit all ihren Lügen und Lastern. Und in den Betstühlen, in denen einst reuige Sünder gekniet, sizen jetzt Liebespärchen, eng aneinandergedrückt. Droben auf der Empore aber, auf der früher manch feierliches Tedeum erflungen, rattert eintönig das Filmband von einer Spule zur anderen und wie ein Heiligenschein fällt das helle Strahlenbündel durch den dunklen Raum. Unser Kodak mußte Diese seltsame Kirche im Bilde festhalten, zur Ueberzeugung derer, die es nicht glauben wollen.
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