Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 151.
48]
Jus und Recht.
Roman von Fred B. Hardt.
Freitag, den 7. August.
Der Untersuchungsrichter sah ihn fragend an. Ich weiß, daß Felir Blinker seiner Mutter fast jede Woche schreibt, und es ist wahrscheinlich, daß sie die Briefe aufhebt. Er schloß einen Augenblick die Augen, vor denen seine alte Mutter auftauchte, die in zärtlicher Liebe feine Briefe ordnete und bewahrte.-- Felix Blinker fonnte sich denken, daß eine Vernehmung seiner Mutter von hieraus beantragt werden würde. Er weiß auch, worauf es ankommt, um eine Verurteilung wegen Betrug und Erpressung durchzusetzen. Ich bin überzeugt, daß er seine Mutter genau instruiert hat, wie sie aussagen soll. Und das werden wir in den beschlagnahmten Briefen finden."
Der Untersuchungsrichter hörte aufmerksam zu, schüttelte aber zweifelnd den Kopf.
,, Doch, Herr Landgerichtsrat, glauben Sie mir. Ich ertenne in der letzten Vernehmung der Mutter genau die Beeinflussung durch den Sohn. Ich bitte Sie, meinem Antrage stattzugeben."
Wenn Sie sich etwas davon versprechen, gern." Bei diesen Worten schoß Dr. Werner der Gedanke durch ben Kopf, wenn der Sohn die Mutter angewiesen habe, die Briefe sofort zu verenichten was dann? Wie fonnte er dann in den Aussagen der Frau die Beeinflussung durch den Sohn nachweisen?
Doch daran hatte Felix Blinker nicht gedacht. Als nach ungefähr einer Woche der Untersuchungsrichter Dr. Werner rufen ließ, kam er ihm einige Schritte im Zimmer entgegen: Das war ein glücklicher Gedanke von Ihnen, Herr Rechtsanwalt, und wir haben einen guten Fang gemacht. Hier sind die Kollusionsbriefe." Er trat an den Schreibtisch zurück und schob Dr. Werner ein Päckchen Briefe zu.
-
1914
zum ersten Male von einer Drohung mit Verhaftung sprach. Vielleicht mochte der Frau diese Aussage bedenklich erschienen sein, und sie hatte dem Sohn darüber geschrieben, doch der Sohn hatte sie beruhigt. Du mußt bedenken, daß Dr. Werner ein sehr verschlagener Anwalt ist, der sich wohl herausreden kann. Deshalb mußt Du ganz genau angeben, wie Du durch die Angst, sofort verhaftet zu werden, eingeschüchtert worden bist. Das ist auch ganz erklärlich, denn wie hättest Du eine Verhaftung und Auslieferung nach Deutschland ertragen fönnen? Bleibe nur fest und verwickle Dich nicht in Widersprüche. Der springende Punkt ist eben die Drohung mit der sofortigen Verhaftung.' Noch blieb ein bedenklicher Zeuge, dessen Aussage das ganze Lügengewebe zerreißen konnte, der Notar Fabrice, in dessen Gegenwart die Abtretungsurkunde niedergeschrieben war. Was mochte der wohl ausgesagt haben? Auch dafür wußte der fürsorgliche Instrukteur Rat, denn im letzten Briefe schrieb er: Geh' doch zum Notar Fabrice, vielleicht unter dem Vorwand, Dein Testament zu machen. Bringe die Sprache auf die damalige Konferenz in seiner Kanzlei und sieh zu, aus ihm herauszubekommen, was er bet seiner Vernehmung ausgesagt hat. Nimm Maud mit, sie soll eine helle Bluse anziehen. Alte Herren sind Narren, Du weißt ja.'
Der war aber auf seiner Hut gewesen und hatte sich nicht ausholen lassen. Seine Aussagen, die gleichzeitig mit den Protokollen aus Montreux eingetroffen waren, lauteten flipp und klar: Frau Adele Blinker habe einen ruhigen Eindruck gemacht, sie habe ganz geschäftsmäßig verhandelt und ausdrücklich angegeben, sie trete den Schuldtitel ab, da sie nicht wünsche, daß ihr Sohn seiner geschiedenen Frau weiterhin Unannehmlichkeiten bereite.
Als Dr. Werner die Briefe und die Aussage des Notars Fabrice durchgelesen hatte, blieb er in Gedanken verloren fißen und war weggeglitten von dem peinvollen Empfinden, als schwerverdächtiger Untersuchungsgefangener dem Untersuchungsrichter gegenüber zu sein. Er war frei und losgelöst von aller Verdächtigung.
Sind Sie zufrieden, Herr Rechtsanwalt?".
Mit diesen Worten riß ihn der Untersuchungsrichter von seinen schweifenden Gedanken los und führte ihn in die Wirklichkeit zurück. Er hatte seine amtliche Steifheit gelockert. Auch er sah wohl in Dr. Werner nicht mehr den verdächtigen Untersuchungsgefangenen.
" Ja, ich bin beruhigt. Ich denke, die Briefe werden ge< nigen."
" Ich schließe in den nächsten Tagen die Vorunter suchungen ab und gebe die Aften an die Staatsanwaltschaft. Haben Sie noch irgendeine Erklärung zu machen?"
Nein. Danke. Ich habe alles gesagt, was ich aussagen kann." Dr. Werner stand auf und zögerte einen Augenblick, dann sagte er: Ich danke Ihnen, Herr Landgerichtsrat."
-
Der brummige Graubart wurde verlegen und sagte abwehrend:„ Ich habe nur getan, was meines Amtes war." Er stand auf und verbeugte sich.
Mit Ungeduld nahm Dr. Werner den ersten auf und überflog ihn, dann die nächsten alle sieben Briefe. Er atmete tief auf, er war gerettet! Jett lag alles klar zutage: Felig Blinker hatte bis in die kleinsten Umstände seine Mutter instruiert, wie sie aussagen sollte. Er hatte an alles gedacht, nichts übersehen. Meisterhaft war diese Regie und schamlos hatte er die Liebe der Mutter ausgenußt, und das unklare Erinnern der alten Frau fast unmerklich in vernichtend klare Bahnen gebracht. Er legte ihr die Worte so geschickt zurecht, daß in den Protokollen bisweilen sogar eine wörtliche Uebereinstimmung zwischen Brief und Aussage nachgewiesen werden konnte. Alle Gefühle der Mutter ließ er aufflammen; den Haß gegen diesen Schuft, der erst ihn, den armen abgehezten Sohn, angeschuldigt und ins Gefängnis gebracht hatte, um so freie Hand zu bekommen, sie um ihr Geld zu bringen. Der erste Brief enthielt nur Vorwürfe über die Hergabe des Schuldtitels. Wie konntest Du nur, ohne mich zu fragen, 23 000 Mark hergeben.'- Die Mutter mußte mürbe gemacht werden. 23 000 Mark: Was mußte dies bedeuten, für sie, die nichts besaß! Im zweiten Brief, ein Trost, ein Hoffnungsschimmer. Wenn Dr. Werner verurteilt wird, bekommst Du Dein Geld wieder. Ich hoffe es sehnlichst, denn wir sind zu arm, um einen kostspieligen Prozeß durchzuführen, und ich fürchte, ich werde nicht wieder Gelegenheit finden, Dich Dr. Werner hatte einige Tage daran gedacht, daß die für die Zukunft sicherzustellen.' Die Mutter mochte wohl Staatsanwaltschaft vielleicht doch noch das Strafverfahren geantwortet haben, daß es ihr unangenehm sei, vor Gericht gegen ihn einstellen werde, nachdem sie Einsicht in die bezu erscheinen, daß sie sich auch nicht jedes Wortes der Unter- schlagnahmten Briefe genommen und sich so überzeugt hatte, redung erinnere, denn der dritte Brief enthielt die Stelle: daß den Aussagen der Frau Blinker- Crighton Glauben nicht Ich kann auch verstehen, daß es Dir, als alten, vornehmen beizumessen sei. Aber das war eine törichte Hoffnung! Nie Frau unangenehm ist, als Zeugen aufzutreten, das kann ich würde die Staatsanwaltschaft zugeben, daß sie sich geirrt hatte. Dir aber nicht ersparen.' Und der Erinnerung half der für- Im Gegenteil, sie würde alles daran seßen, seine Verurteilung forgliche Sohn trefflich nach.-Besinne Dich nur darauf, was zu betreiben. Er fannte nur zu genau die Technik des AnDu mir damals in Montreur erzählt hast, als Dir alles noch klageaufbaus in den Fällen, in denen diese auf schwachen in frischer Erinnerung war. Du saatest mir damals' und Füßen stand und der Staatsanwalt sich in die Sache verbissen nun folgte eine äußerst geschickte Rekonstruktion einer ver- hatte mit dem schmutzigsten Spürsinn wurde das Privat meintlichen damaligen Darstellung, und da dieselben Worte leben des Angeschuldigten durchstöbert, harmlose Aeußerungen aus dem Gespräch angeführt waren, mochte sie vielleicht der aus dem Zusammenhang gerissen und zurecht gestubt; gang Siebzigjährigen als ihre eigene Darstellung erschienen sein. bedeutungslose Vorkommnisse aus weit zurückliegenden Nach dem Datum dieses Briefes mußte er schon vor der ersten Jahren wurden herangezerrt, verschminkt, und mit alldem Vernehmung in Montreux eingetroffen sein, in der die Mutter eine Stimmungsmacherei gegen den Angeschuldigten ge
-
-
-
Dr. Werner lächelte kaum merklich. Er wußte, wie dehnbar dieser Begriff sein konnte und hatte während dieser vielen und langen Vernehmungen stets das Gefühl gehabt, einem Beamten gegenüber zu stehen, dem sein Schicksal menschlich nahe ging. Und dafür dankte er ihm.