Nr. 263.- 1914.
Unterhaltungsblatt des vorwärts
Domerstag, 24. Dnember.
Wo öer Schnee leuchtet. Von Hans Aanrud  . Es liegt ein seltsamer Auftrieb in der norivegischen Natur; vielleicht nicht zum wenigsten im Winter. Man sollte meinen, daß die beiden jungen Männer, die aus Ski bei zwanzig Grad Kälte über die unermeßliche glitzernde weiße Hochebene dahinglitten, Hügelauf, lnigelab, genug hatten, wo sie so hoch hinaufgekommen waren, über zwei Meilen hotten sie hinter sich, und mehr als drei Meilen und nur den kurzen Wintertag bor sich: aber trotzdem es cin Umweg ivar, waren sie unwillkürlich, ohne recht zu wissen wie, am Auß der Graukuppe angelangt. Tort verlangsamten sie die Fahrt, es siel ihnen schwer, abzubiegen. Zie hielten an und blickten nach der runden Kuppe hinauf, die sich blitzend im Sonnenschein erhob, noch Heller als die große Fläche um sie herum. Sie schien ganz nahe zu sein. Tie sahen einander an: ..Wieviel Uhr?" sagte der eine. Elf," sagte der andere. Sollen wir auf den Gipfel?" .Wir kommen trotzdem ans Ziel, che sie Weihnachten ein- läuten." So ging es zu, daß sie ungefähr eine Stunde nach Mittag auf dem Gipfel der Graukuppe standen. Und das, obwohl sie durchaus nichr Sportsleute wäre», die nur oben gewesen sein wollten, und obwohl es ursprünglich gar nicht ihre Absicht gewesen war, eine große Tour in die Berge zu machen. ES hatte ein Weibnachten werden sollen mit Fahrten auf glatten Landstraßen, unter zottigen Bärenfellen zu Fest und Tanz in großen woriwen Stuben im Heimatsdors des einen, und dann, gegen Ncnjohr, eine viele Meilen lange Schlittenfahrt zur Bahn- iwtion, und von da in ein anderes Tal hinauf, um das neue Jähr bei den Verwandten des anderen einzuweihen. So war es verabredet gewesen, und das Programm war fix uiw fertig gewesen, wie es sich für zwei Juristen geziemt, wenn sie auch erst Studenten sind. Aber Unvorhergesehenes war da- zwischengekommen. Acußerlich hatte es bis gestern abend gehalten. Peter Holmsen, der Sohn des Gefängnisdirektors und seit einem halben Jabr in der Amtsstube des Vaters tätig, war vor cin paar Tagen gemäß der Verabredung zu seinem Freunde Olaf Namstad, Sohn aus Siamstad, einem der großen GutShöse unten im Kirchspiel, gekommen Olaf war schon vor vierzehn Tagen von seinen Studien weg nach Hause gereist. Aber die richtige Laune wollte sich nicht cinstellcn; das Programm gefiel ihnen lange nicht mehr so gut, sie wußten so ungefähr, was kommen sollt«. Doch da geschah etwas Unerhörtes im Kirchspiel. Eines Nachts wurde in die Vorratskammer auf Ramstadl eingebrochen. Es konnte kein gewöhnlicher Einbrecher sein, er hatic nur einen großen Rucksack ge. nommen, und den hatte er augenscheinlich mit Weibnachtskost ge- füllt, überall hatte er vom Besten, waS es gab, ein wenig mitge- rwmmen. ES war etwas so sonderbar Lustiges und wenig Bru- tales an diesem Diebstahl, daß eS allen ein bißchen märchenhaft vorkam. Der alte Ramstad kratzte sich denn auck hinterm Ohr und sagte: Ja. ja, das Essen soll ihm gern gegönnt sein, aber«inen Ruck- sack hatte er sich ichon selber halten können." DieS nahm ihre Gedanken gefangen. Immer wieder kamen sie, ohne eS zu wissen, darauf zurück, wie es dem Dieb wohl ginge, wo er säße und schmauste, in einem Häuschen unten im Tal oder in einer einsamen Holzfällerhütte weit fort im Wald, und sie unternahmen eine. Skitour zum Waldrand hinauf. das ivar gestern nachmittag. Dort wandten sie sich um und blickten zurück. Unten im Talgrund begann es bereits zu dunkeln, höher die Talseiten hinauf wurde es heller und heller, bis diese unmerklich in den klaren Himmel übergingen. Tief unten im Süden, wo das Tal sich öffnete, glimmte der Himmel in mattem Rat. das weiter oben in ein fahles Gelb und am weitesten gegen Norden in bläu- licheS Weiß überging. Auf der anderen Seite des Tales konnten sie über den oberen Talrand gerade noch den Gipfel der Grau- kuppe erkennen; er erstrählte in Rot   und Gold in den letzten Abcndstrahlen der Wintersonnc. Sie blieben lange stehen.. Allmählich verblaßte der Gipfel, der Hintergrund wurde blau-
lich, die Umrisse verschwanden und glitten in den hellen Himmel über, die Sonne hatte ihn verlassen. Tort oben ist es heller," sagte Peter Holmsen. Ja, dort oben ist es, wo der Schnee leuchtet," sagte der anverc. Es war, als würde mit diesen Worten daö ganze WeihnachtS- Programm für sie blaß und farblos. Sie machteil es sich nicht recht tlar, aber es waren doch wohl diese beiden Worte, die sie jetzt zur Weihnachtszeit in die Täler hinaufgelockt hatten, und es waren diese Worte, die ihnen sagten, was sie eigentlick dort sollten. Es wird klares Wetter morgen," sagte Olaf. Wollen wir geradeswegs hinüber und den Weihnachtsabend drüben feiern?" Wir wollen machen, daß wir hinunterkoinmen und packen." Am nächsten Morgen, als der erste rötliche Streifen sich im Osten zeigte und die Sterne noch über dem dunklen Dil flatterten, waren sie, die Rucksäcke auf dem Rücken, auf dem Weg zur Höhe auf der anderen Seite des Tales. Ta war es, wo der Aufbrrcb erst richtig Gewalt über sie bekam i Und sie im Lauf von cin paar Stunden bis auf den Gipfel der Graukuppe hinauftrieb. Aber eigenllich hatte er schon damals, in der Stadt, in ihnen gewirkt, als sie beschlossen. Weihnachten oben im Tal zu verbringen, sie hatten eS nur nicht gemerkt.
Eines Tages, im Anfang'Dezember, als Olaf Ramstad unten in der Stadt auf seiner Studentenbude saß. hatte es an die Tür geklopft, und es war eine Frau in mittleren Jahren hereingetreten. Sie war gut in dicke wollene Kleider gekleidet, und einen wollenen Schal hatte sie fest um den Kopf gebunden. Der Herbst- oder Wintcrnebel, der draußen dicht und wlt über der Stadt lag. hatte aus der Wolle einen feinen Tau von winzigen grauen Porten ab- gesetzt, und an den Enden der langen Wimpern hingen feine Tau. vcrlen, so groß wie Stecknadelköpfe, und machten die braunen Augen noch größer und lebhafter. An dem einen Zeigefinger trug sie«inen großen flachen Silberring oiit allerlei Geklingel daran. Er sah gleich, baß sie zu den Zigeunern gehörte, und er meinte auch, sie schon früher gesehen zu haben, aber solche Leute sehen ja alle ungefähr gleich aus. Sic bat vielmals um Entschuldigung, daß sie ihn störte, aber ob er nicht aus und sie nannte den Namen seines Heimatsortes wäre. Ja. das wäre er. Und von Ramstad, dem großen Gut? Ja, sie hätte gehört, daß er der zukünftige Besitzer sei. Und er möchte nur entschuldigen, aber sie wüßte auch, daß die Leute dort oben so gut wären gegen die, diereisten" und lein Heim hätten, und eine alleinstehende Frau hätte niemand, an den sie sich in der alten großen Stadt wenden könnte, ob der Herr Gutsbesitzer nicht für ein gutes Wort und GotteL Segen ihr zu dem verhelfen könnte, was ihr am meisten am Herzen lag. Ja, womit er ihr helfen könnte, sie sähe nicht aus, als ob sie etwas brauchte. Ach nein, ach nein, nicht Geld und nicht Lebensmittel; nur ein paar Worte auf ein Blatt Papier   für ihren armen irregeleiteten Mann, der jetzt das fünfte Jahr im Gefängnis saß und noch ein Jahr absitzen mußte. Ob der Herr Gutsbesitzer nicht ach nein, das wäre wohl nicht zu erwarten, es war ja so viele Jahre her von einem gehört hätte, den sie oben in den Gebirgsgemeinden Andreas Leichtfuß oder nur den Leichtfuß nannten? Das wäre, Gott sei's geklagt, ihr Mann vor Gott   und der Welt, in LöitenS Hcmptkirche ihr angetraut. Ja, das hatte er wahrhaftig.> Er raffte schnell zusammen, waS«r von Andreas wußte: der hatte sich einmal, vor langen Jähren, als Hirtenjunge auf Ram- jtad versucht, mar aber mitten im Sommer aus dem Dienst ge- lausen; und seitdem war er bekannt und berüchtigt in den Ge- meinden droben. Er gehörte eigentlich nicht zu den Zigeunern, aber kaum war er konfirmiert, so schloß er sich ihnen an und zog mit ihnen im Lande herum. Er war ungewöhnlich rund und ge- drungen gebaut, ganz klein, und immer trällerte und sang er. Ein bißchen für den Hausbedarf stahl er auch. da. wo er bekannt war, aber niemand machte etwas daraus; er war so lustig und munter, nur wenn er zornig wgr, war er gefährlich; er verfiel auch bald in Strafe, weil er im Zorn einen anderen Zigeuner zum Krüppel
geschlagen hatte, und noch dazu um eines Frauenzimmers willen. das zehn Jahre älter war als er. Aber der Jähzorn wurde sein Unglück. Ein paar Jähre zu spät wurde er eingefangen, wegen Entziehung von der Dienstpflicht bestraft und zum Soldaten ee- macht. Er war geschickt und munter, erwarb sich die Schießaus- zeichnung, aber keine Disziplin. Eines Tages, als er«ine arove Zurechtweisung erhielt, bekam er rote Säcke unter den Augen, und hinterher schoß er scharf auf seinen Hauptmann. Aber diesmal fehlte er, und so kam er mit sechs Jahren Z'lcksthaus davon. Er hatte sogar von seinem Freunde Holmsen gehört, daß ex sich de- sonders gut aufführte, uiid daß die anderen Gefangene« ihm de» Namen Napoleon gegeben hatten, weil sie meinten,«r sähe ihm ähnlich. Was sie denn geschrieben haben wollte? Ach, Gott   segne den Herrn Gutsbesitzer, nur� Gutes. Zuerst wollte sie etwas Frommes haben über das große Fest, das sich jetzt wieder näherte. Ferner, daß sie sich nach ihm sehnte und von ihm das gleiche hoffte: aber er sollte nur alles in GottcS Hand legen, sich zur vollen Zufriedenheit seiner Borgesetzten aufführen und geduldig abwarten, bis dos Jahr, das ihm noch bevorstände, zu Ende wäre. Sie wartete aui ihn. Jetzt, in der Heiligen Weihnachtszeit, wollte sie aus der häßlichen schwarzen Stadt fort- ziehen, an einen Ort. woderSchneelcuchtet. Weiter wollte sie nichts haben, sie bat nur noch um die Feder und setzte zwei schräge Kreuze darunter. Was das bedeuten sollte? Das wäre ihr Zeichen, damit er sehen könnte, daß sie selber dabei gewesen sei man müßte sich Helsen, so gut man könnte. Aber wie hätte sie gedacht, den Brief ins Gefängnis hinein- Zubringen? Ach, Gott   segne den Herrn Gutsbesitzer? Wenn sie zum rektor ginge und zeigte dies vor, so unschuldig wie es war? er würde einer christlichen Frau in der heiligen Festzeit nickst ein Trosteswort an ihren Mann verweigern, und l>esonderS. wenn der Herr Gutsbesitzer, der schon so viel getan hätte Gott segne ihn noch eine gute Tat hinzufügen, mit zum Dircttor gehen und bc- zeugen wollte, daß er den Brief geschrieben habe. Er sagte ohne weiteres ja und sah nicht, daß es siegesgewiß in ihren Augen aufblitzte er konnte ja nicht ahnen, daß sie, ebenso gut wie er, wußte, daß der Direktor fortgereist war, und daß der Sohn das Gefängnis leitete. Sie kamen in die Amtsstube und brachten ihr Anliegen vor. Der junge Holmsen las den Brief. einen Ort, w o der Schnee leuchtet. Hm. WaS ist das, was darunter steht?" Ach, Gott   segne den Herrn Oberdirektor, daS ist nur mein armseliges Zeichen; ich kann nicht schreiben." Gut, es wird besorgt werden." Mit tausend Danksagungen an den Herrn Gutsbesitzer und den Herrn Oberdirekwr ging die Zigeunerin ihrer Wege. Die beiden blieben eine Weile sitzen, sahen zum Fenster hinaus in die schmutzig-graue Luft und sprachen vom Wetter. Aber. wie es auch zugehen mochte, es war, als sähen sie querdurch über weiße Felder hin, und ehe sie sich's versahen, hatten sie verabredet, Weihnachten oben im Schnee zu verbringen. Acht Tage später war Andreas Leichtfuß oder Napoleon ent- wischt, und zwar aus so schlaue Weise, daß man vermutete, er habe Hilfe von außen gehabt. Und da muhte sicb Peter Holmsen von dem richtigen Direktor den Kopf waschen lassen man gibt Ge- fangenen nicht Briefe, worin steht, daß jemand auf sie warte:; aber auch der Direktor konnte es nicht recht verstehen, denn Gc- fangene pflegen nicht im Winter auszubrechen.(Schluß folgt.) Sis Weihnachten! Er marschierte neben mir. Anfangs kümmerten wir unS recht wenig um einander. Die Welten, aus denen wir kamen, waren zu entfernt, und die Unterschiede machten sich bemerkbar. Er ein einfacher, unverbrauchter Bauernbursche, ich der Großstädter mit dem leidigen Hang zum Besserwissen.... So redeten wir u: den ersten Tagen nur das Notwendigste: manchmal hielt einer dem andern wohl das Gewehr, wenn er sich das schweißige Gesicht trocknen oder einen Schluck aus der Feldflasche nehmen wollte. Auf dem Wege dieser kleinen Handreichungen kamen wir unS lang- sa m näher und gewöhnten uns dann recht schnell zusammen.
Sj
Erinnerungen.
Von Zygmunt Bartkiewicz. «Schluß.) Was denn, mein Kind, was, ich möchte Dir nichts ab- schlagen. Was Ivillst Du von Deiner Madame, mein Kind?" Bei diesen Worten faßte sie Mankos Kopf mit beiden Händen und küßte ihn mit der Würde einer Matrone. Sie bitten alle. Du möchtest so gut sein. Alle... Madame/ uns heute zu beurlauben, wahrscheinlich kommt ohnehin niemand, wir werden unS alles allein herrichten." Tie Alte begann mit dem Mund zu kauen, mit den Augen Zu zwinkern und stammelte schließlich: »Macht, was Ihr wollt, Regina wird Euch Helsen  , aber ich weiß nichts davon, ich mische mich nicht in solche An- Gelegenheiten, Gott   schütze mich vor Unannehnilichkeiten, vor Schmach, die auf mein graues Haupt fallen könnte o weh!" Sie seufzte tief und zog aus der Tasche einen zerdrückten Rubetschein heraus. Da. nimm. Reginka, kaufe Ihnen zu Weihnachten ein Gans. Ich habe ein Herz, es darf aber nichts davon wissen. letzt geht aber, denn ich bin ein wenig gerührt und das be- kommt mir nicht gut." Sie legte ihr rotes Taschentuch an ihre kranken Augen. Die gute Alte, wir wollen ihr danken," rauschte es in dein Mädchenkreis. Und sie kamen heran, eine nach der anderen und beugten ihre strahlenden Gesichter über die in den kostbaren Schlaf- l(ock eingehüllte Masse und küßten die von Diamanten und Schweiß glitzernden Hände. Sie umfaßte ihre Köpfe, wie eine gute, alte Dame, schmiegte sie an die Brust, schließlich erhob sie sich und sagte zu ihrer Gehilfin: Sollte der Vogel fünfviertel Rubel kosten, geb' ich es auch." Dann ging sie taumelnden Schrittes hinaus. Die aute Alke," folgte hinter ihr das Geflüster dummer, armseliger Freude. . Ein weißer, goldverzicrter Saal, in dem Vorbereitungen zu eiiienl ärmlichen Mahl getrosten ivurden. Auf mehreren. mit bunten Tischtüchern� bedeckten Tischen von verschiedener Größe leuchteten weiße Teller, durch die Mitte hob sich eine Reihe Platten in eincni dunklen Streifen ab. Mohn. Back- pflaumen. Heringe, Kartoffeln, ein Topfkuchen und auf einem verbogenen Tablett Oblaten. Das rothaarige Mädchen w einem roten Samtkleid.putzte Messer und Gabeln, eine andere
stützte sich auf den Tisch und ließ die Augen über die Gedecke umherschweifen. Es war keine heitere Wanderung, denn das blasse Antlitz verdüsterte sich, nur in den Augen leuchteten ungewöhnliche Blitze auf, kleine Lichter düsterer Gedanken, Boten der Verzweiflung. Dort saß der Alte, dort die Mutter, flogen die Er- innerungen vorüber daneben die verheiratete Schwester, zwei Bruder und dann sie selbst, an ihrer Seite er, glück- strahlend. Er drückte schüchtern ihre Hand, sie träumten von Glück, von dem nahen Hochzeitstage.... O weh! An8 den untermalten Augen des Mädchens fielen aufrichtige Tränen. Plärre doch nicht aus die Heringe, Wikta. Sie sind schon genug gesalzen, und mit Tränen holst Du nicht zurück, waS gewesen ist." An der weißen Wand mit den goldenen Lilien trat aus der Umrahmung des schwarzen Rocks der Kopf des Haus- dieners Wladyslaw hervor: cin gelbes, ruiniertes Gesicht mit rötlichem Schnurrbart und einem spärlichen Backenbart. Die erloschenen Augen sagten gar nichts, sie blickten gedankenlos aus die heutigen Vorbereitungen. Freuen Sie sich. Herr WladySlaw?" Die wohlklingende Stimme des geschäftigen Mädchens weckte ihn aus der Er- starrung. Die gebückte Gestalt richtete sich an der Wand ans und erwiderte mit langsamer, müder Stimme: Dumm ist, wer sich freut, denn was bringt die Freude? Nur so viel, daß morgen schlimmerer Kummer Eure Kehlen zusammenwürgen wird. Wer in dem Kehricht wühlt, den er einmal aus den Gedanken hinausgeworfen hat, stößt immer auf Kummer und Leid." Er machte eine ungeduldige Bewegung mit der Hand und fuhr fort: Ich bin alt, kenne das alles und habe viel gesehen. Ich war auf dem Wagen und unter den: Wagen, einmal fiel ich vom Wagen und geriet in solchen Schmutz, daß es schwer ist. darin zu leben und furchtbar zu sterben. Ach. wozu sich der alten Dinge erinnern, wenn män richtig bedenkt, war alles den Teufel wert.... Denn in allem, und sei es auf dem äußersten Boden, steckt Schurkerei. In der liebenden Frau, im Bruder, in der Schwester.... Und die Kinder? Schütten Sie ein bißchen Pfeffer in den Schnaps, Fräulein, es schadet nichts." Das brennt." Eben darum. Es soll brennen. Deshalb ist der Schnaps ja auch ein Trost, er läßt den Menschen nicht vor Kummer sterben, er brennt alles aus, wonach das Herz sich sehnt, um was eS weint. O. wie werdet Ihr morgen trinken, nach diesenl Heiligcnabend... werdet nicht genug Pfeffer be- kommen können." Er bekam einen.Hustenanfall, wurde blau im Gesicht.
konnte nicht sprechen und schnappte nach Lust. Endlich atmete er auf. Gießen Sie mir ein Schnäpschen mit dem Pfeffer ein, Fräulein.. flüsterte er. Sofort! Ich will nur die anderen rufen." Die Mädchen drängten sich am Eingang, aber sie traten ängstlich und schüchtern ein. wie geblendet von dem inatten Glanz, der von dem armseligen Tisch ausstrahlte. Sie konnton sich nicht anziehen, wie sie es gewünscht hätten. Nur einige hatten eitlen alten Rock oder eine zerrissene Bluse aus früherer Zeit hervorgeholt und blickten voll Stolz und Glück auf die anderen, die ihre Seidenkleider mit einem wollenen Tuch ver- deckten. Aber angesichts dieses Mahls fühlten sie sich alle gleich, aller Neid und Stolz fiel von ihnen ab. Tränen quollen in ihren?lugen und rollten über die durchfurchten Gesichter, an denen ein ausdrucksloses Lächeln für immer zu hafteo schien. Das rothaarige Mädchen hob die Oblaten vomjleller. Dreist und freudig ging sie in die finstere Ecke des Salons, Ivo sie von leisem Schluchzen begrüßt wurde. Nun, Liebste, laß uns die Oblate teilen, wie einst- wie damals," erbebte ihre leise Stimme.Möge jede dessen gedenken, was ihr das Teuerste auf Erden war, diese der Mutter, jene der Schwester, und jene"... etwas schnürte ihr die Kehle zu, schnitt ihr den Atem ab.Und jene...", das Mädchen wankte und flüsterte init Anstrengung:Ich kann nicht." Die leichte» Oblaten zitterten in ihren Händen und sanken mit leisem Geräusch, wie späte Herbstblätter, auf die Erde. Ein ängstlicher Aufschrei und ein Augenblick schmerz- hafter Stille. Aus der dunklen Ecke drang ein Stöhnen, das, lange unterdrückt, in einem furchtbaren Schrei hervorbrach. Dann erhob sich ein zweiter, ein dritter, ein zehnter Schmerzens- schrei, bis ein Weinkrampf jede Brust ergriff und durch den Ballsaal tobte... Ein verzweifeltes Heulat grenzenlosen Leids, hoffnungs­losen Kummers, in einem einzigen Augenblick durchlebt, er ­hob sich und zerrte an dem menschlichen Gedanken bis zuni Wahnsinn. Immer neue Stimmen traten hinzu, in mächtigen Akkorden erklang diese düstere Improvisation, die die Verzweiflung aus diesen schmerzdurchwühlten Seelen her- vorgeholt hatte. An der Wand tauchte eine schwarze, zerwühlte Gestalt auf. Mag Euch... der Schlag treffen..." Und da» Gc- brüll der greisen, gebrochenen Stimme eines vor Schmerz rasenden Menschen vereinte sich noch mit dem Geschrei des so unbarmherzig beredten Jammers. Aus dem Polnischen von Stesania Goldenring.