Mr. 31.- 1915.

verschleppt haben!"

Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Vor Warschau  .

-

Gin ergreifendes Stimmungsbild, das das ganze Elend in dem von der Kriegsnot so schwer heimgesuchten Polen   mit düsteren Farben malt, entrolli Concetto Bettinato, ein Striegsberichterstatter Der Stampa", in einem aus Piaseczno   vor Warschau   datierten Briefe. Das schmuzstartende Gelände breitet sich in wellenförmigen Linien vor unserem Blide aus. Blöglich, bei einer Biegung des Beges, in der Höhle eines bogenförmigen Tälchens grüne Reflege ainer Vegetation und dazwischen der graue Farbenfleds eines Sörfchens, das wie eine vorgeschichtliche menschliche Niederlassung anmutet. Laufgräben reihen sich an Laufgräben, wuchtig und massig wie Kasematten. Vermutlich hatten die Russen sie auf geworfen, um dem Feind die Straße nach Piaseczno   zu verlegen. fn einem Ende des Dörfchens drängt sich ein Haufe Bauern heiderlei Geschlechts um zwei mit altem Holzgerümpel beladene Handfarren; sie sehen aus wie Troglodyten, die dabei sind, einen Umzug in einen neuen Höhlenbau zu bewerkstelligen. Sie find damit beschäftigt, sich wieder in den Besitz der Fenster und Türen zu sehen, die die Soldaten, die vor ein paar Tagen wie ein Wirbel­wind ins Dorf stürmten, aus den Häusern entführten, um sie als Dächer und Dedungen in ihren Erdhöhlen zu verwerten. Die rechtmäßigen Eigentümer dieser Dinge hantieren herum mit Be­wegungen, die an das Treiben mit einer Ausgrabung beschäftigter Archäologen gemahnen. Halb verärgert, halb gerührt erkennt die cine der Frauen ihren Fenstervorhang wieder, die andere eine Wiatrake. Da schau einmal, Taddäus, wohin sie unsern Waschtrog Mein armes Tischchen! Es find Teufel, i jag's ja, Teufel!" umgehen?" Nein, wahrhaftig; die Frau hat recht. Aber für den triegführenden Soldaten ist das Wesen der Dinge nicht mehr dasselbe, das es in den Augen des gewöhnlichen Sterblichen dar­stellt. Die Phantasie des Striegers gleicht der des spielenden Kindes. Es Gs erkennt in jedem Gegenstand verborgene Werte, an die noch fein Mensch vorher gedacht hat. Der Stafetenzaun eines Gartens ist das beste Material für eine Dede, und Türflügel sind geborene Bettstellen, während Matraßen sich in der Rolle von Wänden prächtig bewähren. Steigt man aus den Gräben heraus, so steht man bald von ihnen nichts mehr. Der Wald versteckt sie sofort; der Wald, der sich endlos bis zum Horizont zu dehnen scheint, als menn er auf der Wanderschaft wäre. Mit beklommenem Herzen jucht der Mensch in dieser düsteren Ginöde seinen Weg. Blöglich der schwerende Rauch eines Feuers, eine Falltür, die den Weg zum Tode weist. Furchtbar! Es regnet, was vom Himmel herunter fann. Der Wind jagt den schtvelenden Rauch über das öde Feld. Zwischen zwei Zwillingstannen ein Grabhügel, den zwei zum Streuze gestaltete Holzstücke überragen. Eine mit blauer Tinte ge schriebene Aufschrift belehrt den Wanderer, daß hier ein deutscher friegsfreiwilliger Artillerieunteroffizier den Heldentod gefunden hat und zu ewigem Schlaf gebettet wurde. Auf der anderen Seite zwei weitere Streuze, groß, ungelenk und rot überstrichen. Alles in schönster Ordnung; gewissenhaft und sauber gemacht. Ein Ton stolzer Feierlichkeit liegt über dem Ganzen. Instinktiv ergreife ich ein grünes zweigchen und lege es fromm auf die Gräber in Ver­tretung der beiden fernen Gretchen, die es vielleicht im Dunkel ihrer Gedanken suchen wie Tauben, die sich in der Nacht verirrt haben.

-

Tritt eines Volfes. Wohin das Auge blickt, stößt es auf diese dem Boden eingezeichneten Spuren. Von allen Seiten kriechen sie heran, auf allen Straßen prägen sie ihre Runenzeichen. Das war fein Strom von Menschen mehr, der hier seinen Weg genommen hatte, das war ein Wieer. Und es schwillt immer mehr an. Von einem Fußsteig zum andern, von Dorf zu Dorf, über Wiesen, Felder und Wälder ergießt sich dieses Meer von Spuren, Kilometer auf Kilometer. Ich wandere und wandere. Ewig und immer der gleiche Ausblick, ohne eine Unterbrechung des Einerleis, ohne ein Unter­scheidungszeichen. Und ganz Polen  , von den Karpathen bis zur Oftfee, sieht so aus: Ein großes monotones Gelände, das das Schicksal zum Schlachtfeld bestimmte, ein Gelände, ohne eine andere Abwechselung als diesen ewigen Wechsel zwischen Wald und Feld, zwischen Grün und Gelb, einem Grün, das fast schwarz ist und einem Gelb, das ins Weiße hinüberspielt. Längs eines Fußwegs, der sich wie ein Riese dehnt und streckt, laufen die aufgerissenen Schienen der nach Grujez führenden Bahnstrecke. Von Piaseczno  sieht man nichts mehr. Ich gehe auf gut Glüd weiter, ohne an den Rückweg zu denken. Plöglich trifft mich der Blid eines Raben, der von einem Baume höhnisch auf mich sieht. Breit und progig trächzt er von oben herunter, mit vorgestrecktem Schnabel begehr­lich nach unten schielend.

Die Pariser   Zeitungen im Kriege.

Sonnabend, 6. februar.

Clémenceaus

Ansehen hat. Auch der Gaulois" hat noch seinen Leserstamm; beide Blätter beschäftigen sich vorwiegend mit der mondänen Wohl­tätigkeit und der Fürsorge für die Soldaten. Von ähnlicher Ge= sinnung wie der Gaulois" ist die Action Française", das Blatt der jüngeren Royalistenkreise. Es ist antisemitisch und agi­tiert gegen die Republik   für eine Revolution. Homme en chain é" liest man aus Neugier. Er weiß schon im voraus, wo die Zensur eingreifen wird, und richtet seine Ar­tiket dementsprechend ein. Und durch die Vorbereitung der Lejer darauf erzielt der alte Polemiker mit seiner großen Geschidlichkeit erheiternde Wirkungen. Gustave Hervés Guerre fociale" liest man als Auriojum. Der ehemalige Antimilitarist erfreut sich jest wohlwollender Unterstüßung seitens der Regierung, und als et sich beim Ausbruch des Krieges als Freiwilliger meldete, antwortete man ihm, er könne seinem Vaterlande besser dadurch dienen, daß er auf seinem Posten bliebe. Paris Journal" bringt täglich Listen von Verwundeten( in Frankreich   werden bekanntlich bis zunt heutigen Tage noch keine Verlustlisten ausgegeben)." Infor= mation" war vor dem Kriege ein Blatt der Lancierung von Börsennachrichten. Es hat auch jetzt nur eine minimale Auflage; aber sie ist doch im Wachsen begriffen, weil das Blatt gute und lange Auszüge aus der englischen Presse bringt.( Die Humanité" scheint Winding merkwürdigerweise nicht zu erwähnen. Red. d. B.".)

Das ist nämlich der Kernpunki: die gewaltige Ueberlegen= heit der englischen Preise über die französischen  Beitungen. Denn wer wirklich eingehend über den Krieg in formiert sein will, kauft die Pariser   Ausgaben der englischen   und Mai I" werden außerordentlich viel gekauft, und die Times" amerikanischen Blätter. New York Herald  " und Daily haben gegenwärtig in Paris   eine Verbreitung wie nie zuvor. Streng ungen, die einigermaßen ernst zu nehmen sind, neben dem roya listischen Gaulois nur noch das konservative und steifleinene Journal de Débats  " und den Temps", der das eigent­Protestanten ist. Der Temps" wird heute mehr als je gelejen. liche Organ der Regierung, daneben das Blatt der französischen Die Minderwertigkeit der französischen   Preſſe rächt sich jest; in Friedenszeiten waren die Blätter alle voll von Mordgeschichten und kümmerten sich nicht um die übrigen Dinge in der Welt. Wurte in Paris   ein altes Weib ermordet, so war die ganze Boulevardpreſſe voll von dieser Sensation. Die einzige Kunstform, die eingehender besprochen wurde, war die des Theaters, und das auch nur, meil der Kritiker des Blattes in der Regel selbst der Verfaſſer veit Theaterſtüden war. So kam der französische   Journalist nie über die minderwertigste Lotalreportage hinaus, während die führenden englischen Zeitungen ihre Korrespondenten nach Südafrika   und Kanada  , nach Japan   und Australien   sandten, wodurch sie zur Be­richterstattung großen Stils erzogen wurden. Heute, in Kriegs­zeiten, rächt sich das; der graufigste Mord muß ohne jede Ueber­treibung in aller Schlichtheit geschildert werden, wenn eine ganze Welt in Flammen steht. Jest gilt es, peinlichste Genauigkeit zu üben und die gewohnten Uebertreibungen zu vermeiden, und das hat der französische   Journalist nicht gelernt. So kommt es, daß man in der französischen   Presse nur sehr wenige wirklich er­greifende Kriegsschilderungen findet. Man liest eine Menge wohl­geformter fleiner Echos; aber sie haben den Fehler, daß sie ebenso­gut erfunden wie wirklich erlebt sein können. Auf dem Schlacht­felde ist der französische   Journalist hilflos. Man hat fürzlich eine Anzahl bekannter Journalisten offiziell an die Front zugelassen; aber das Resultat war fläglich. Es handelte sich ja nicht darum, dem Lejer zu versichern, daß man im Argonner Wald   gewesen ist und eine Bidelhaube gesehen hat. Es handelte sich darum, die Stunft zu üben, durch die Schilderung charakteristischer Einzelheiten große Perspektiven zu geben. Auf diesem Gebiet besitzt der eng lische Journalist eine bedeutende Ueberlegenheit, und deshalb lesen jezt alle Pariser  , die englisch   verstehen, englische Blätter.

Andreas Winding, der als Korrespondent bon Politiken" in der französischen   Hauptstadt weilt, reiß über die Wandlungen innerhalb der französischen   Zeitungswelt viel zu erzählen. Blätter, die vor dem Striege eine große Rolle gespielt haben, sind jetzt in den Hintergrund gedrängt worden; andere Ist das wohl cine Art, mit einem Badrog haben sich rasch emporgeschwungen; denn die französischen   Leser genommen gibt es eben in Paris   heute überhaupt nur drei Zei stellen jest ganz andere Ansprüche an die Preffe als in Friedens­zeiten. Auf Geschwäs legt man weniger Wert; man will vor allem gut und genau unterrichtet werden. So hat" La Liberté", die früher nur in einer Auflage von 60 000 Exemplaren erschien, jest eine Auflage von einer Viertelmillion. Das Platt erscheint näm­lich zur rechten Zeit und steht in dem Ruf, zuverlässig und patrio­tisch zu sein. Eine ganze Reihe von Blättern ist völlig von der Bildfläche verschwunden; andere find gänzlich an die Wand ge­drückt worden. Das gilt für den größten Teil der eigentlichen Boulepardpresse, die früher von ihren veritedten Terireklamen und dergleichen Einkünften gelebt hat. Unter den verschwundenen Beitungen ist die antiflerifale Lanterne", der Evénement", der radikale Rappel" und die bonapartistische Autorité". Auch der mondane Gil- Blas"( der jest Caillaur gehört) mußte fein Gr scheinen einstellen, weil fast seine sämtlichen Rebatteure und Mit­arbeiter, durchweg junge und begabte Boulevard- Journalisten, zu den Fahnen berufen worden sind. Er soll aber nach dem Kriege wieder aufersteheit. Schwer gelitten hat der ehemals so mächtige Matin". Bei Beginn des Krieges fiel feine Abonnentengiffer von 800 000 auf 300 000. Seit hat sich der Verkauf des Blattes wieder etwas gehoben; man liest es wegen der kleinen Skizze, die es jeden Tag von der Front bringt und die Lage erheblich anschau­licher als der offizielle Bericht darstellt. Auch die Abonnenten des Journal" fanten von 1400 000 rapid auf 500 000; inzwischen hat das" Journal" aber beinahe seine alte Auflage zurüdge­wonnen. In hohem Grade haben dazu Abel Hermants Schilde­rungen Heures de guerre de la famille Valadier"( Striegsstunden der Familie Valadier) beigetragen, die die Wirkungen des Krieges auf eine fleine Bürgerfamilie zeigen, und die die Stimmung der Beit in unzähligen französischen   Kleinbürgerfamilien getroffen haben. Das" Journal" ist insofern redaktionell beffer daran als sein Hauptfonfurrent, der" Matin", als es trop des Strieges mehrere feiner beiten Federn hat behalten tönnen, beispielsweise den ge­schidten Kriegsforrefondenten André Tubesque, ber täglich mit dem Auto zwischen Pacis und der Front hin und her pendelt. Der Befit Parisien", die verbreitetite aller franzöſi­ schen   Zeitungen, hat seine 1600 000 bonnenten ebenfo behalten wie das Petit Journal" feine 1 100 000 Refer. Beibe Blotter haben ihre größte Verbreitung in der Provins  , und fie dürften durch den Strieg an Abonnenten eher zugenommen als abgenommen haben. Aber das eigentlich führende Morgenblatt der französischen  Sauptstadt ist das Echo de Paris  " geiporden, das seine Auf­lage von ehemals 100 000 Exemplaren rasch versechsfacht hat. Diefen unerhörten Aufschwung verdankt das Blatt einmal den Schilde­rungen Paul Bourgets und dem täglichen Leitartikel, den Maurice Barrès   jchreibt. Dieser Leitartikel gibt der Stimmung in den Streifen der oberen franzöfifchen Bourgeoisie Ausbrud. Neben dem Echo de Paris" wird der Figaro" viel gelesen, der zwar noch ungefähr feine einstige Verbreitung, aber nicht mehr için altes ernst. Ich sehe bloß nicht ein, daß sie untrennbar an den Branntwein geknüpft sein soll."

Auf einer wilden, roben Straße trete ich aus dem pfaublauen Nachtschatten des Waldes wieder auf die Ebene hinaus. Die Straße ist von den Rädern schwerer Fuhrwerke zerrissen. Die ersten Spuren des Feindes. Gespannt folge ich den Wagenfurchen, ohne mehr die Kälte und den Wind zu fühlen. Ein grauschimmerndes Flüschen taucht auf: die forta. Die Brüde, die fich früher darüber spannte, Tiegt in drei Stüden. Bis unmittelbar vor die Tore Warschaus  tit auch nicht mehr eine einzige unbeschädigte Brüde zu finden. Außerhalb des Gehölzes rauchgefchtoärzte, elende Bütten, beren Feniterrahmen mit Diatraßen ausgeftopft find. Ein Fußsteig, der Aur Umfriedigung das Kirchhofs führt. Wie gut haben es doch diese Toten, die wie verhätschelte Sonntagsfinder friedlich in ihren Holz­färgen schlafen, unter der forgiam bebauenen Steinplatte und der Dede immergrünen Efeus! Wie gut haben sie es im Vergleich zu den Lebenden, die aus ihren geplünderten und zertrümmerten Sütten geflüchtet sind. Stein Zweifel, hier waren die Russen auf der Suche nach Ausrüstungsmaterial für ihre Schüßengräben. Die flaffenden Breichen in den Mauern, die zerrissenen Vorhänge und das zerschlagene armselige Hausgerät reben eine nur zu deutliche Sprache. Debe und Schweigen überall. Wieder beginnen die Felder. In dem norastigen Boden Spuren von Menschen und Tieren, dichtgedrängt, schwer und einbrudsvoll wie der muchtige

31]

Ueberfluß.

Von Martin Andersen Nego.

Ach, was für ein Gefindel die Menschen doch waren! Er haßte sie, und er haßte den Mann dort und hätte ihm seine Lampe an den Kopf werfen fönnen. Seine Hände zitterten, er empfand eine verzehrende Lust, irgendetwas Scharfes in diesen Körper hinabzustoßen, der da bleischmer und gelähmt lag und die Ideale der Menschen repräsentierte.

Bauder wurde nach und nach ganz betäubt und schwindlig von dem Wachen in dem mit Alkoholdünsten gefüllten Raume. Die Erschlaffung nach der starken Erregung bewirkte, daß es ihm in den Ohren rauschte; und erst als der Tag graute, fiel er auf seinem Lehnstuhl in Schlaf.

Er erwachte davon, daß der Kandidat, der jetzt auf­gerichtet auf dem Sofa faß, laut wehflagte.

Was ist los?" fragte Bauder verdrießlich.

frant?"

Sind Sie

Ach, nun hat man mich wieder betrunken gemacht," winierte der Kandidat und wiegte sich nach den Seiten wie ein Kind, das unglüdlich ist. Ich bin ja so leicht zu ver­führen! Ich finde, Sie sollten sich schämen, meine Schwäche fo auszunügen."

"

Gilt Ihr Sie ettog mir?" fuhr Bauder auf. " Ja, haben Sie mich vielleicht nicht betrunken gemacht und mich zu sich nach Hause geschleppt?"

"

Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß ich, wenn ich Sie auch im Graben hier draußen in einem wider wärtigen Zustande aufgelesen und Sie sinnlos betrunken und stinkend die ganze Nacht bei mir gehabt habe, trotzdem nicht den Anspruch erhebe, zu Ihren Zechbrüdern gerechnet zu werden."

Der Kandidat begann zu weinen: Ich bin so leicht zu verleiten, wenn ich meine schwachen Augenblide habe, und das wird eben ausgenutzt. Alle wirken mit, wenn es mir schlecht geht, und nicht einer fümmert sich um mich. Wenn Sie wüßten, was es heißt, feine Mutter ge­habt zu haben, so würden Sie meine Erniedrigung nicht dazu benuben, sich aufs hohe Pferd zu sehen. Aber Sie sind so talt und nüchtern. Sie verstehen nicht, wozu die Verzweiflung cinen Menschen treiben kann."

Berzweiflung fenne ich möglicherweise doch," sagte Karl

" Ich trinke feinen Branntwein," warf der Kandidat nicht ohne Selbstgefühl ein.

Bauder lächelte. Sie mögen vollkommen recht darin haben, daß es mir nicht zusteht, mich aufs hohe Pferd zu fegen es flingt bloß ein wenig sonderbar in Ihrem Munde, der Sie als Hüter der Gesellschaft gelten wollen. Und dann ist es auch unsympathisch, wenn ein Mann die Schuld auf andere schiebt und sich selbst dem Mitleid überliefert."

Ja, ich bin ein erbärmlicher Zump," rief der Kandidat heftig, aber ich habe auch nie einen Menschen gehabt, der mich um meiner selbst willen lieb gehabt hat." Seine Stimme zitterte vor Verzweiflung.

Ich sehe nicht ein, was das mit der Erbärmlichkeit zu tun hat," erwiderte Bauder hart. llebrigens gibt es ja Beute, die etwas für Sie übrig haben," fügte er milder hinzu. Warum, meinen Sie, hätten sonst meine Wirtin und ich uns hrer heut nacht angenommen? Wir hätten Sie ja ganz ruhig Ihrem Schicksal überlassen können, da Sie doch ein er­wachsener Mensch sind."

"

Und wenn ich nun umgekommen wäre?" fragte der Kandidat schaudernd.

" Dann hätten Sie sich in Ihrem Simmel damit trösten fönnen, daß Sie als abschreckendes Beispiel Nußen gestiftet hätten."

Dem Kandidaten par nicht ganz wohl zumut bei den mildest gesprochen groben Scherzen des anderen, und er ber­fuchte vergebens zu lächeln. Aber als er aufstand und den Boden unter sich fühlte, wurde ihm besser, und sein altes Selbstbewußtsein fehrte allmählich zurüid.

-

" Sie entschuldigen ja, daß ich Ihnen gegen meinen Willen und eigentlich auch gegen den Ihren eine un­ruhige Nacht verschafft habe," sagte er nachläffig. Jedenfalls brauchen Sie sich nicht dessen zu schämen, was Sie für mich getan haben." Das flang etwas jpöttisch.

Dessen bin ich selber nicht so ganz sicher," entgegnete Bauder bissig.

Ich habe Ihnen unrecht getan, tvenn ich es für selbst. verständlich hielt, daß Sie schuld an meinem Bustand wären, Aber ich wurde hier auf Ihrem Sofa wach und habe noch in diesem Augenblick nicht die fernste Erinnerung an das, was borgegangen ist, seit ich mit Ihnen bei Sörensens zusammen war. In meinem Gedächtnis ist ein vollständiges Loch; ich

Aber es gibt für die Pariser Bresse eine Entschuldigung, die 3enjur. Es gibt neben der militärischen auch noch eine gibil senjur. Gegen die erstere hat man wenig einzuwenden; die Zip­zenjur aber ist, so sagte dem dänischen Korrespondenten cin Parijer Redakteur, vom französischen   Standpunkt aus so blöde, daß man glauben könnte, fie werde von Frankreichs   Feinden gehandhabt. So werden oft gerade diejenigen Artikel unterdrückt, die geeignet find, patriotische Begeisterung zu entflammen. Der Borsigende der Bensur ist der ehemalige Finanzminister Slob, dessen Bureau sich in der Nähe des Invalidendomes befindet. Jeden Nachmittag um 4 Uhr und jeden Abend um 11% Uhr empfängt Herr Klop die Re­dattionssekretäre der Zeitungen, die gewöhnlich persönlich mit den Matern erscheinen. Die Vorlage der Matern ist Vorschrift; Ab­züge der Zeitungsartikel werden nicht entgegengenommen. Diese fühle, daß diese Zeit über mich hingeglitten ist, ohne einz Ahnung zu haben, was sie enthalten hat. Sie werden zu­geben, daß das ein höchst interessantes Phänomen ist."

" Jawohl, höchst interessant."-Bauder gähnte.

Ich habe das bisher noch nicht erlebt, wenigstens nicht fo auffällig. Es hat wirklich den Anschein, als ob die beiden Naturen in uns vollständig allen Verkehr miteinander ab. brechen können, so daß der Geist nicht einmal ahnt, was der Störper unternimmt. Das erinnert an die Vorstellungen, die unsere Vorfahren von Riesen hatten, deren Mensch zu Hause lag und schlief, während das Tier in ihnen dem Heer kämpfend voranging."

"

Mir scheint, Sie sollten das Philosophieren unterlassen und nach Hause zu Ihrer Frau gehen; sie ist sicher in Unruhe Thretwegen," ſagte Bauder, der der ganzen Situation von Herzen überdrüssig war.

Der Kandidat erhob sich gekränkt und ging, ohne ein Wort zu sagen. 13.

An den folgenden Tagen dachte Bauder häufig an den Kandidaten, häufiger, als er selber, es wünschte. Dazu trug auch der Umstand bei, daß jeder, den er traf, sofort anfing. von Rask und seinen Taten zu reden. Es schien so, als wären diesmal die Ansichten darüber geteilt, ob man wieder den Schleier des Vergessens über das Geschehene breiten solle; die anständigen Bürger schüttelten den Kopf und sprachen davon, man müsse ein Erempel statuieren und wenigstens für eine gewisse Zeit- den gesellschaftlichen Verkehr mit Rast ein­stellen.

Dies erschien Bauder um so merkwürdiger, da der Kan­didat, der in der öffentlichen Meinung so gut angeschrieben: mar, diesmal nur zwei Tage gebummelt hatte, während vier Tage die Regel zu sein schienen und er manchmal eine ganze Woche aushielt. Zudem regte sich keiner der Bürger besonders darüber auf, wenn ein Mann hin und wieder berauscht war: viele von ihnen hatten ähnliche periodische Anfälle, und einige hatten immer einen kleinen Schwips und waren doch respek.. table Leute. Man machte in diesem Punkt auch aus seinent Serzen teine Mördergrube, sondern rechnete diese Dinge zit den kleinen gemütlichen Erlebnissen, mit denen man recht gut eine Gesellschaft unterhalten und amüsieren konnte, wenn sic erst überstanden worden waren. Die Stadt zählte den skan­didaten mit Recht zu den Rüchterneren unter den Bürgern, Aber woran lag es denn nun? ( Forts. folgt.)