Nr. 93.1915.

Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Auf dem Kriegsfischzug.

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Das ist kein Sand! Kein Wasser!

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Donnerstag, 22. April.

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zug unterm Gis mitmachen tönnen. Das ist ja ein ganz eigen­Was wir da an den eisknisternden Striden aus der naffen artiges Winteramüsement! Tiefe heraufwürgen! Da prasselt es schon in durcheinander- Dies Durchsteden der Halttaue des toloffalen Schleifnebes Wie mit Eiszähnen beißt uns der Morgenwind der noch schlingernden, glitschig- glatten Fischleibern, in einem feuchten unterm Gis her, mit den blödsinnig langen Stangen! Dies An­winterlich schaurigen Ostsee   in die Backen und die Augen weinen Chaos wild durch ein sich schleudernden Lebens in die breite ziehen des Netzes unter der dicken, von den vielen Tritten surren uns vor bitterem Frost. Rippenfufe unseres alten Fischkutters nieder. Was purzelt da den und murrenden Eisfläche, auf den mühsam gedrehten, sich Ingrimmig stürzt sich mit Geheul die wilde Böe aus der nicht übereinander weg- was sperrt da nicht die Mäuler! unten in den grünen Kristall hineinknirschenden Winden. Dies grauen düsteren Wasserwüste in unsere tränenüberronnenen Ge- Goldbutten! Braune Butten! Kupferbutten! alle hüpfen Auffalten des Netzes zu einer fast unglaublichen Länge fighter. Breite Wogenrücken peitscht sie vor sich her, breit, als sic in mühseliger Unbeholfenheit durch das zapplichte Gemengsel von siebenhundert Metern! fämen ganze Geschwader von nordischen Walen dahergebraust der Schuppen und Schwänze. Da wird die Arbeit der an den Winden schwißenden Fischer­durchs Haff und gegen die vom ewigen Branden halb durch- Aale schwänzeln dazwischen hervor Merle, die sich offenbar Inechte immer langsamer, immer mühevoller, denn dies gigantische genagten, gelbe Holzsträhnen um sich herumsträubenden Stege gischtet an einem Rekordfreffen beteiligt haben. Kaulbarsche sperren ent- Neß steht vom Grund des Sees bis zur Eisfläche empor. und flutet mit gedämpften Gebrüll die kriegszornige Frühjahrssee setzt das Maul offen, düsterblaue Miesmuscheln schließen sich eng Und nun am Rande des Sees wo die grünen Eissplitter gegen die dicken Holzblöcke, die den Steg des kleinen Ostseebades zu, quabbelige Seequallen fließen wie bläuliche Gelatine aus- schon fliegen unter den dreinknallenden Aexten, wo jetzt die aufge­für eine Weile noch stützen. einander, stachlichte Seeigel strecken tausend rötliche Nadelspitzchen schlagen Wune dunkelt und aller Augen an dem grünen Bord_des wehrhaft gegen alles was da kommen mag, junge Bander schleudern Eises hängen. Da plöblich ein silbriges Aufschillern, ein Massen­sich wild empor, Röhrenwürmer ziehen sich tiefst in ihre trummen sturz von Licht aus den düsteren Tiefen, ein tausendschwänziges Kalfwindungen zurüd, zertöpferte Perlmutterfeßen glitern da- Gezappel! Und nun der eigentliche Rezsad fommt, an den fajt zwischen.. alles wirtschaftet verzweifelt zwischen den flint hin reißenden Tauen, mit den wühlenden Fischleibern, dies Freuden­und her schmeißenden und bereits ordnenden krausfaltigen Händen gebrüll der schweißstinkenden Fischer...! Ja, diesmal war's der Teerjacken. nischt! Daher der Süßwasserfisch so teuer! Aber der Vetter aus dem Salz er soll uns nun schmecken! Alwin Rath.

Unsere Boote sind von dem niederträchtigen Ehrgeiz beseffen, auch einmal Seekranke zu tragen. Wie sie tanzen! Die Hopser eines Schuhplattlers sind Magenbesänftiger dagegen. Als wollten sie gleich mit uns in den breiten Bauch des mächtigen Schifferfahrzeuges hineinhopsen, das da im tieferen Wasser auf uns wartet!

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Nun gilt es, von den tollen Booten in diese düsteren Kolosse hineinkommen! Aber endlich- endlich nach halsbrecherischen Kletterkunft­stücken sind wir drinnen in den sachter Schaukelnden, den Breit­bäuchigen, den Mächtigen wie ich sie in friedlichen Bade­sommern hier niemals habe herumschwimmen sehen. Giganten­fähne, wie ich sie wohl von Helgoland  , von Amrum  , Sylt und anderen Nordseeeden her tenne hier aber? Ja, ein merkwürdiger Durcheinandermischer ist so ein Krieg! Gigantenfähne mit gewaltigen Segeln, die einen ungeheueren Segeldrud aushalten. Wie schnauben sie Los wie tnattert der heulende Eiswind, nun wir in See hineinkreuzen, in den frostklirrenden Tauen. Wie bauschen sich die braunen Bäuche im Tuche über uns! Wie spült der weiße Bart" vorn am schwarzglänzenden Bug empor und wie paßt die Minennase des Kriegslotsen auf, wie wittert sie die meißtochende See ab unter den jest ganz schief liegenden voll­bauchigen Segelwänden hin.

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Was für dickfellige Faufthandschuhe habe ich über meine dünnen Berliner   Häute gezogen! " Mitanpacken!" ist die Parole jetzt, hier im Schifferkahn wie auf dem Kartoffelfeld daheim. Nur ein paar Südwester krabbeln auf dem importierten Nord­jekutter herum und schimpfen mit den Tauen und den frisch­äuligen Weibern. Alte, uralte Knaben, die in friedlicheren Beiten nur noch dazu nüß waren, ihre trummen, gichttnochigen Finger in zerfetten Nezen arbeiten zu lassen. Und gar noch ein paar Weiber! Ja, es gehen ganz un­gewöhnliche Dinge vor. Sonst trugen sie auf gebeugtem Rüden mühselig ihre pinnevollen Fischkiepen nach Zoppot  , nach Oliva, nach Danzig   und daherum und jett arbeiten sie mit an den Wasser­schaffs herum, als seien es ihre Waschfässer hinter den Fischerkaten. Dort, wo in den Sommernächten das Blizfunkeln vom Leucht­turm auf Hela aufzudte, alle paar Sekunden, wie ein glühender Puls sind wir längst vorbeigeschnoben, vorbeigegischtet da gehen die beiden Stahltrossen nieder in die hier nicht mehr so ganz ungebärdig sich gebärdende See.

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Mit ihren allerhand umfassenden Maschensäden rauschen die tolossalen Markttaschen der Schleppnete in die blasigen Gischt­tämme hinein.

Gine ziemliche Zeit schleppt das gewaltige Zugnez. An dem heute fast täglich von den Menschen Besuch bekommenden Meeres­boden tut es seine Kriegsarbeit füllt seine breiten Maschen­fiefern mit allen möglichen noch verborgenen Dingen. Oder gar nur mit abgetragenen Gebirgen der Urzeiten des Erdballs mit Sand? oder gar nur mit Wasser?

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Schon schleift der schräg liegende Kutter etwas langsamer durch die heranmarschierenden Wogenreihen, trotzdem eine neue, frischere Woe in die dunkelbraunen Segel gefallen ist, die so braun sind wie eine alte Fischerbrust trotzdem es wütend in die winselnden Taue hineinpeitscht.

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Schon horchen unsere Muskeln auf!- Jeht straffen sie sich! Jetzt feufzen sie in den Fausthandschuhen, in den schivarzen Teerjaden!

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Vom Weg meiner Jugend.

Von Clara Viebig  .

Wie fir doch diese ollen Griesbärte noch find! Wie fir diese frischbädigen Fischermädchen!

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Was sie für kleine derbe Fäuste zuſammenkrampfen, die doch Die Bukowina  , eine deutsche   Kulturinsel.

nie Schleppnete miteinbolten!

Teufelsarbeit! Aber frische Arbeit in diesem kristallenen

Giswind!

Mit keuchendem, rauchendem Atem holen wir so fünfmal das Schleppnet herein, und mit Backen so rot wie von frischem Fisch blut! Dann aber haben wir unsere sämtlichen Wasserschaffe schon vollgänzlich. Und das will was ſagen! Alles darin schiebt jetzt seine so verschiedenfarbig wie das weite Mer selbst schim­mernden Rücken gelassen durcheinander: Tarbutt, Makrele, Rot­barsch, Seelachs, Seezunge... und über all die schuppichten glänzenden Rücken humpelt gelassen ein Urgroßvater von einem Hummer, vor dessen böse drohenden Scheren das rotbäckige, über­mütige Weiberzeug die unheimlichsten Finessen mit seinen zergen­den krummen Fingern beginnt. Da was macht die älteste Teerjade da mit einemmal für Finessen! Der schiefschulterige Alte, der sich noch den schärfsten Seemannsblick bewahrt hat, schaut wie ein Schreiadler von seinem Strandhorst langhälsig in See. Während der Schweißarbeit hat er zur Ermunterung uns etwas über die Hawaii  - Inseln, über die hübschen Mädchen dort, über Ceylon und von den Feuerländern vorgeflunkert. Jetzt hält er bedrohlich ernst die Hand über die Braue gelegt. Ein kurzer düstergrauer Strich, so lang nur wie Streichhölzchen, ist da im falben Lila des Horizonts aufgetaucht. Da sind wir rasch mit unserem Fang heimgekommen ver­teufelt rasch. Man weiß nicht recht. Näher zum Ufer hin haben wir ja die scheußliche Tücke des heute überall sein bleiernes Gift ausspeienden Kriegsungetüms nicht so nah auf dem Pelz. Da schaffen denn auch in der saum­seligsten Gemächlichkeit ein paar junge Fischerburschen, die erst seit kurzem im Fach" sind, die man mit Kriegstempo" angelernt hat, an den Stellneken herum, guden nach den Legeschnüren, nach den Aalreusen und all den anderen Fallen für den jetzt so be­gehrten Fisch der indes bei den wie Hefeteig in die Höhe gehen­den Fleischpreisen noch viel begehrter sein sollte!

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Wir haben auch hier bei der eigentlichen Küstenfischerei die Annehmlichkeit zu verzeichnen, daß trotz des bedeutend geringeren und auch immerhin minderwertigeren Arbeitsmaterials die Erträge bedeutend höher sind als in früheren Jahren! Aus dem Grunde allein schon müßte unbedingt eine größere Anzahl der in der Nordsee   jetzt brach liegenden Fischereidampfer in die Ostsee   gebracht werden, wie dies auch von der Hansa  " in Hamburg   und von der Altonaer Fischzeitung" gefordert wird.

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Bei uns in Berlin  , in den Warenhäusern, in den Fischhand­lungen, sage ich meinem Tarbutt, meiner Martrele, meiner See­zunge wieder Guten Tag!", und ich staune mit einem halb offenen Fischmaul über einige Preise, die wirklich ganz kriegs­widrig sind! Schellfisch und Kabeljau: zwanzig ganze Pfennige das Pfund! Solch ein Preis aber zeugt nicht nur von einer außer­ordentlich reichen Zufuhr, sondern auch leider! von einer zu geringen Abfuhr.

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Unsere deutschen   Truppen kämpfen in der Bukowina  , die sie Schulter an Schulter mit den Oesterreichern vom Feinde befreit haben, nicht nur für die gemeinsame Sache, sondern sie verteidig.n hier auch einen Hort der deutschen   Kultur, ein weit in den Osten hinein vorgeschobenes Bollwerk germanischer Arbeit und Kraft. Mitten zwischen anderssprachigen Völkern ist in der Bukowina  in den letzten anderthalb Jahrhunderten eine deutsche   Kulturinse geschaffen worden; was die Bukowina heute ist, verdankt sie vor allem deutschem Wirken und deutscher   Gesittung. Dies beweist auf jeder Seite das den Deutschen   in der Butowina gewidmete Kapitel des großen dreibändigen, bei F. A. Perthes in Gotha   erschienenen Wertes Geschichte der Deutschen   in den Karpathenländern" von Professor R. F. Kaindl, das zum ersten Male eingehend die außer­ordentlichen Verdienste der Deutschen   um die Entwickelung dieser Gebiete quellenmäßig dargestellt hat. Schon früher hatten sich Deutsche   an einigen Orten des Landes angesiedelt und im Mittel­alter die materielle und geistige Kultur wirksam gefördert. Aber seine eigentliche Blüte entfaltete das Deutschtum in diesem Lande, das fortan unter dem Namen Bukowina  , d. h. Buchenwald  , er­scheint, erst seit dem Jahre 1775, da die Pforte dieses Gebiet an Desterreich abtrat. Die deutschen Ansiedler bildeten den Sauer­teig, der in dem vorher verödeten und völlig untultivierten Gebiet erst Leben und Gedeihen hervorbrachte. Zuerst tamen Reichs­deutsche ins Land, etwa 50 Familien, die 93 männliche und 87 weibliche Mitglieder zählten; es waren alles Bauern, die aber doch auch so manches Handwerk, Zimmermannsarbeit, Maurerei, Schuhflickerei verstanden. Diese deutschen Einwanderer, denen sich dann bald zahlreiche andere anschlossen, stammten aus Südwest­ deutschland  , und so wurden sie denn alle gemeinsam Schwaben  " genannt; Württemberg   und die Pfalz   waren die Heimatländer der meisten Ansiedler. Ihre alten Sitten und Gebräuche haben fie bis auf den heutigen Tag in der Fremde bewahrt. Die furgen, glockenförmig gebauschten Röcke, wie sie die Frauen zum Beispiel in Rosch bei Czernowitz   tragen, haben hier, wie auch ähnlich in Galizien   und Südungarn, ein Stück altdeutscher Volkskraft be­wahrt. Ebenso klingt noch heute in den Dörfern der Bukowina manches schöne Volkslied aus der alten Heimat am Rhein  , wie z. B. Es stand eine Linde im tiefen Tal" u. a.

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Die deutsch  - österreichischen Länder sind besonders durch Deutsch­Böhmen vertreten, die in der Bukwina in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verschiedene Bauernkolonien gründeten, so die erste, Bori, 1835, dann Schwarzthal, Buchenhain usw. Auch die Deutsch  - Böhmen   haben ihre heimische Art bewahrt. Ein Forscher, der vor etwa 30 Jahren seine Landsleute in Bori besuchte, schreibt darüber: An den meisten Häusern fand ich das Wahrzeichen der heimischen Dörfer: St. Johann von Nepomuk, geschnitzt oder ge= malt. An ihn erinnerte mich der erste Flachskopf, den ich sah: er hieß Johann. Kein Zweifel mehr, daß ich mich in einem echt deutsch  - bömischen Dorfe befand." Aus allerjüngster Zeit berichtet Auf unseren Binnenseen habe ich diesen Winter keinen Fisch- ein Kenner von der Siedlung Schwarzthal:" Wunderbar ist es, ihm schwand die literarische Anregung aus meinem Leben.| Karl Vogt  , von General Auerswald und dem schönen Fürsten  Meine Mutter las wenig, und was sie las, entsprach nicht Lichnowski, dem ritterlichen Elegant, der auf der Bornheimer meinem Geschmack. Sie, eine Pastorentochter, sehr jung an Heide ein so klägliches Ende gefunden hat. Die lebten alle; den viel älteren hohen Beamten verheiratet, war nie aus mit allen kleinen und großen Schwächen, mit allen inneren dem engen Kreis herausgekommen, den Herkunft und Lebens- und äußeren Vorzügen, mit allen Mängeln und allen stellung um sie gezogen hatten. Wir waren oft uneins; sie Tugenden standen sie da. Die Sonne prallte heiß aufs Hochland, das Blut stieg mir gehörte noch ganz zum alten Schlag, sie hatte keine Ohren für zu Kopf; nicht alles taugte für Mädchenohren. Und was die den in unserer modernen Zeit immer lauter und lauter Zurückkehrenden erzählten ich ließ ja keine Ruh, ich mußte werdenden Ruf: die Jugend muß sich ausleben. Für sie gab es ja wissen, was der Richter in seinen Akten aufgezeichnet es noch kein Recht, ihre Kinder ganz dem eigenen Geschmad, hatte das war auch nicht gerade geeignet für ein Pensions- den eigenen Ideen nach zu erziehen. Es kam mir hart an, fräulein. Aber hat es mir geschadet? Onein! Ich bin dem meine Wünsche und mein Wollen über Bord zu werfen; die Bolf in seinem Denken und Empfinden nahegekommen. Ich Mutter war die stärkere, ich habe mich allezeit beugen müssen. bin wohl erschaudert beim derben Tritt, mit dem es die Erde In dieser zarten kleinen Frau, mit dem auch bei vorge­Stampft; niedergetreten wird vieles unter nägelbeschlagener schrittenen Jahren noch mädchenhaft lieblichen Gesicht, steckte Sohle, alles was schwach ist und lebensunkräftig. Erbar- eine Kraft, eine Unbeugsamkeit, deren eiserner Disziplin die mungslos ist das Volk, hart, aber es kann auch lieben ur- große Tochter fich einfach fügen mußte. Erst in reiferen fräftig, es folgt seinen Trieben unbefangen und schämt sich Jahren habe ich erkannt, was ich dieser seltenen Frau zu ihrer nicht. danken habe. Von ihrer unermüdlichkeit, von ihrem Fleiß, ihrer Ordnungsliebe, ihrem Pflichtgefühl hat sie mir etwas mitgegeben; aber auch was man vielleicht auf den ersten Blick nicht bei ihr gesucht haben würde das Erzählertalent. Von meiner Mutter muß ich's haben, das ist gewiß; mein Vater war ein schweigsamer Mann, sie aber konnte beredt sein.

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Der gute Onkel hatte oft zu zügeln das Derbe zog mich an, aber ich merkte es an seinem Schmunzeln, von Herzen tam ihm solche Rüge nicht. Er gab mir zu lesen, viel zu lesen; Tied und Brentano   liebte er sehr, ich lernte sie auch lieben. Das Volkstümliche im Blonden Ekbert" und in der ,, Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl  " fesselte mich.

Mein erster schriftstellerischer Versuch fällt in diese Zeit des sechzehnten Jahres. Longfellows Hiawatha", den ich beim Onkel englisch gelesen hatte, überseßte ich ihm metrisch zu feinem Geburtstag. Es war ihm eine große Genugtuung und mir keine große Mühe; wo die Uebersetzung hingekommen ist, weiß ich Gott sei Dank nicht.

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Was sie mir von ihrer Heimat erzählte, der fernen Pro­ vinz Posen  , die ich bis zu meinem zwanzigsten Jahre nur aus ihren Erzählungen kannte, wie sie die Christnacht schilderte in der alten Kirche zu Schwersenz, die Rosen und die Lilien im Pfarrgarten, die Besuche der großen Herren, die vierelang beim Geistlichen vorfuhren, die schweren Tage der Pfarrfrau, die mit ihren unmündigen Kindern, plößlich des Vaters, des Ernährers beraubt, in drückendsten Verhältnissen zurückblieb Heinrich von Kleist   stand auf dem Ehrenplatz in Onkels das alles entbehrte nicht der poetischen Kraft. Und wenn Bibliothek, und wenn er mir auch nicht so füß einging wie der fie dann von jenem Tage sprach, an dem fie, als junge Frau erste Teil des" Faust", mich nicht so mit fortriß wie der am Fenster stehend, zusah, wie drunten auf Karren und Werther", so beschäftigten mich doch die Kleistschen Novellen, Leiterwagen die unglücklichen Soldaten vom Dorfe But her insonderheit Michael Kohlhaas  ", sehr lebhaft; wie mich denn in die Stadt Posen gebracht wurden, mit abgeschnittenen überhaupt von jest ab Prosa immer mehr anzog als Verse. Nasen und Ohren, verstümmelten Armen und Beinen, halb Für Schiller habe ich damals gar keine Neigung gehabt; es verblutet unter den Messern fanatischer Weiber, dann wuchs ist mir auch später schwer geworden, ein Verhältnis zu ihm zu die polnische Revolution gewaltig vor mir auf. Ich hörte das finden. Ich weiß nicht, war er mir in der Schule verleidet Dengeln der Sensen, ich sah deren breites, bligendes Blank worden, oder reizte mich das stete Die Jugend muß Schiller fich blutig färben unterm Mähen der Sensenmänner, ich sah lesen" zum Widerspruch? Oder sträubte sich etwas in meiner den weißen Falken fliegen auf rotem Panier und hörte das Natur gegen dieses beständige Heranziehen jener Götter, die wahnwißige Gebrüll der Menge: in Marmor unter tiefem Blau, untrauscht von Myrtenhainen, lebendiger wirken mögen: die mir aber unter unserem deut­ schen   Himmel tot, nadt, talt, wie Puppen erschienen. Sie machten mir Schiller   unangenehm; ich wurde ungerecht und habe fast darüber vergessen, daß er uns einen Tell geschenkt hat.

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Der gute Onkel Mathieu ist längst dahingegangen, wenige Jahre nach meinem Vater habe ich auch ihn verloren, und mit

Noch ist Polen nicht verloren Niech zyje Polska!"

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Das Jahr 1848 führte meine Eltern nach Frankfurt am Main  ; mein Vater saß im Parlament als Abgeordneter für Posen. Es gehörte schon in meinen Kindertagen zum hohen Genuß, wenn die Mutter sich bereit finden ließ, von Uhland und den Brüdern Grimm zu erzählen, von Robert Blum   und

Und was ist mir das Jahr 1870/1871 durch meine Mutter geworden! Ein Ereignis, als hätte ich's schon mit vollent Verständnis miterlebt. Sie hatte damals im Lazarett ge­pflegt; Franzosen und Preußen, Bayern   und Pommern  , Schwaben   und Westfalen   hatte sie leiden und genesen, aber auch leiden und sterben sehen. Auch ich bekam das alles zu sehen, dank der Freudigkeit, der Begeisterung, mit der die Mutter von jener großen Zeit sprach; dank der blühenden Farben, mit denen ihre anschauliche Kraft jene Bilder malte. Und später hat die Großmutter meines Knaben Träume be­völkert mit ihren Turkos und Zuaven, mit ihren Braven von Spichern, mit ihren Helden von Gravelotte, mit dem Bazaine in Meß und dem Napoleon bei Sedan  . Und sie hat ihn aus dem Schlafe geweckt mit dem Läuten aller Glocken, mit dem Gesang der Schulkinder, die die Straßen der Stadt durchjubeln:

Es braust ein Ruf wie Donnerhall, Wie Schwertgeflirr und Wogenprall:

Zum Rhein  , zum Rhein  , zum deutschen   Rhein  ! Wer will des Stromes Hüter sein?"

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Ich habe meiner Mutter den Roman Die Wacht am Rhein  " gewidmet; ihr verdanke ich ihn ja. Und vielleicht verdanke ich ihr auch noch einen andern- wenigstens die erste Anregung dazu die Anregung zu Das schlafende Heer".

Mein Vater war Gutsbesizerssohn aus dem Land des schlafenden Heeres; seine Vorfahren waren seit hundert Jahren, seit viel länger schon, dort angesessen, und es hatte einen eigenen Reiz, die Mutter vom alten Stammgut Rokitten erzählen zu hören, auf dem der Schwiegervater die junge Frau des ältesten Sohnes recht als ein großer Herr empfing, mit ihr durch die Felder jagte und dem schönen Töchterchen stolz seine drei Güter wies: Rofitten, Rhyn und Golmüz. Wo sind die drei nun hin? Der alte Samuel Viebig, meines Vaters Großvater, der im hellblauen Frack unterm schlicht gescheitelten langen weißen Haar sehr energisch in unsrem Eßzimmer von der Wand blidt, würde wenig zu­frieden sein, daß nur noch auf Rokitten ein Biebig fitzt. Er war der Mehrer der Güter, und wenn er den polnischen Herren, die es nicht anders taten als vierelang bei ihm vor. zufahren, mit vier Ochsen den Besuch erwiderte, so war er auch allezeit ein Mehrer des Deutschtums; es wagte feiner zu mucken. Auch an dem Deutschtum in der Provinz würde der Alte jezt seine Freude nicht haben.-

( Schluß folgt.)