Nr. 120.- 1915.
Unterhaltungsblatt ües vorwärts
MHmH, 26. M«.
tottfig Tfsng Tse.
Von Johannes v. Jensen  . Wgng Tsung Tse wohnte in dem alten Chinesenviertel in SSanHhai, irgendwo hinter der alten Stadtmauer, wo sonst nie ein aufd'cingltcher Sonnenstrahl hingeralen war; jetzt aber hatte man begonnen, die alte Mauer niederzureißen. _ Statc der lieben Mauer, die immer feucht war und nach Generationen stank, die sich hier Zeit gelassen hatten, und statt des Grabens davor, der im Frühjahr lote Katzen mir dem Leib nach oben an die Ober- stäche brachte, gähnte ein großes Loch in der Stadt, das im Wer- hältnis zu dem, was niedergerissen worden war, eine» erstaunlichen ümsang halte, ebenso wie das Loch nach einem eben ausgezogenen Zahn, das bekanntlich das größte der Welt ist. Und hier aus diesem Bauplatz, der noch von muffigem Kalkstaub rauchte, und wo Bettler und Kinder auf allen Vieren nach alten Nägeln suchten, oder -um die Wette mit Hunden unbeschreibliche Dinge aus dem grünen, dickflüssigen Sumpf fischten, der von dem Stadtgraben übriggeblieben war, den man mir Mauerschult zugeworfen halte, hier waren bereits einige Dutzend Geschäfte unter offenem Himmel gegründet worden, ein ambulanter Topshändler, mit einem Lager von so riesengroßen Ton- ge säßen, daß ein schiefäugiger Diogenes leicht darin übernachten konnte, was auch vorkam, fliegende Barbiere und Restaurateure, die sich hier festbisien und Besitzrecht erschlichen, außer natürlich Horden von Rickschawkulis, jenem unanständigen Volk, das immer Eile hatte; ein Marktplatz war draus und dran, hier zu entstehen, ein greller Ort mit Platz und Sonne und Aussicht am Tage, und ohne Erquickung, nicht einmal des Nachts. Wo sonst nur Dachgetröpsel und Katzenmusik die Stille hinterm Wall unterbrochen hatte, gab es jetzt Tag und Nacht Hallo- und Menschengeschrei; man ermordete sich gegenseitig auf dem bequemen offenen Platz, und gegen Morgen, wenn selbst Diebe und Räuber schliefen, könne man es draußen von irgend einer heimlichen Wöchnerin stöhnen hören. Wang hatte einen schlimmen Nachbar bekommen, denn dem gähnenden Mauerloch gegenüber, auf der anderen Seite des Boulevards, der einem Platz- schrecken einjagte, türmten die Häuser des französischen   Stadtteiles sich, die gotteslästerlichen und kahlen, überall durchsensterten und erleuchteten Häuser der Weißen. Eine nette Aussicht als Zugabe zu dem frechen Himmel. DaS schlimmste aber war, doch, daß Wangs eigenes Haus bloßgelegt worden war. Bor dem was man nicht sehen will, kann man die Augen niederschlagen, wie aber soll man sich selbst decken, wenn einem der Mantel der Barm- Herzigkeit von der Fassade fortgezogen wird? Die Mauer war fort, und unter dem vielen Himmel, der das Licht aus eine blendende, ja geradezu rohe Weise hereinließ, lag Wangs kleines Haus und krümmte sich nach der einen Seite, als ob es einen fürchter- lichen Stich habe. Wang geht ungern am Tage aus, weil man seine Tür immer sehen kann, selbst wenn er sie geschlossen hält. Wang haßt alles Auffällige. Bisher hat er seinen Lebens- unterhalt im stillen verdient, jetzt aber geht es bergab mit ihm. Wang ist Flohfallenmacher. Er macht die winzig kleinen Fallen aus Bambus, die ins Bett gelegt worden, in Form von ganz kleinen Hummerscheren, die auch ungefähr auf dieselbe Weise fungieren, mit einem klebrigen Stist in der Mitte. Sein Bater und sein Großvater waren Flohfallenmacher gewesen, Künstler in ihrem Fach, ebenso wie Wang; jede Falle, die ihren Weg aus dem alten Hause fand, hatte Segen gebracht. Wang war ebenso arm wie sein Vater, dessen ganze Freude es gewesen war, die Fallen so gut und hübsch wie möglich zu machen; er liebte seine Arbeit. Auch Wang liebte seine Arbeit und sitzt am liebsten in der kleinen, schwarzen Werkstatt und hantiert mit dem alten, der- brauchten Werkzeug, und feilt und putzt seine Fallen. Wenn eine fertig ist, findet er immer, daß die nächste noch besser und niedlicher werden muß. Er macht die kleinen Gitterstangen, indem er das Bambusrohr durchbricht und Holz an den Enden, wo ein Glied ist, stehen läßt. Wang schnitzt jede kleine Gitterstange achteckig im Durchschnitt, was gar nicht nötig ist, aber es macht ihm nun einmal Spaß. Zu Lebzeiten seines Vaters pflegten die Käufer von selbst zu kommen; das alte Haus hatte nicht einmal ein eochild; und auch Wang wurde nicht vergessen. In der letzten Zeit aber, seit das Haus bloßgelegt worden war, merkte er, daß seine Kundschaft ausblieb. Dabei ließ sich natürlich nichts machen, weder für noch gegen, aber Wang bekam weniger zu essen. Dies und die schlimme Aussicht und noch einige Umstände, die er sich allerdings selbst nicht klar machte, trugen ihr
Teil dazu bei, daß Wang verstimmt wurde. Da war nun zum Beispiel die Geschichte mit dem Zopf, der seinen Kopf nicht mehr schmückte... natürlich heutzutage ging ja niemand mehr mit einem Zop», und wozu sich an die beschämende Weise erinnern, aus der er ihn losgeworden war? Außerdem waren ihn ja alle auf dieselbe Weise losgeworden: man war eines Abends, als man sich noch spät auf die Straße gewagt hatte, von einem revolutionären, fort- schriltsfreundlichen Hausen überrascht und zum letztenmal an dem unseligen Kopfputz gezerrt worden; man wurde daran mit seinem ganzen Gewicht durch den Schmutz gezogen, und schließlich war er abgeschnitten und, wie es hieß, nach Europa   geschickt worden, wo einige heidnische weiße Frauen zum Glück die Pest dadurch be- kommen halten ach, er selbst aber war ohne Zopf und hatte morgens nichts mehr zu kämmen und zu flechten, sondern mußte sich damit begnügen, mit dem Buchsbaumkamm über einige Stoppeln zu streichen, die keinen Widerstand leisteten; mag zog die Kopfbedeckung tief über die Ohren und kehrte den Leuten ungern den Rücken, lieber die Fassade zu, obgleich auch die nicht zu schön war; man überlebte es, denn alle überlebten es, aber... Ach ja, da war nun das mit der Opiumpseife, die er auch nicht mehr hatte. Sie war tot. Wang erinnerte sich ihrer wie eines lebenden Wesens, eine alte, dicke, dunkle Opiumpseife mit einem Mundstück aus Elfenbein, zugeraucht, braun und süß wie eine frische Kastanie, und mit einem alten köstlichen Steinkopf, angefüllt von den schwarzen Krusten eines ganzen Menschenalters; sie hatte Wangs Bater gehört, und ihr in seiner Knochenhand war er gestorben, zum letztenmal lächelnd wie ein Kind, das saugend an der Mutterbrust ein- geschlafen ist; sie war von seinen Lippen abgenützt. Nichts in der ganzen Welt schmeckte so süß Wieste, während vieler Jahre, wo Wang allein gelebt hatte, war sie ihm Bater und Mutter gewesen, sie war geheinier Teilnehmer an der Verschwörung zu dreien: Wang, die Flohfallen(nämlich die Arbeit, in der seine ganze Seele lag) und die Pfeife und diese Pfeife hatte man verbrannt. Er hatte sie selbst verbrannt. Man hatte ihn ja gezwungen, zur Anti-Pfeifen- Versammlung zu gehen und in einem großen Hause zu johlen und im Triumph mit der alten, unersetzlichen väterlichen Pfeife, ja bei- nahe dem Alten selbst, angelaufen zu kommen und sie ins Feuer zu werfen, und mit einem Plakat herumzugehen, auf dem der schwarze Rauch geschmäht wurde, dazu hatte er sich gezwungen ge- fühlt. Warum? Weil alle anderen es taten. Jetzt aber war er ohne Pfeife. Statt dessen hatte er sich an Tabak gehalten, eine Messingpfeife, in der er wie andere Kulis Tabak rauchte. Er zog gut, aber drang nicht bis ins Herz. Bisweilen, wenn Wang einsam über seine Arbeit gebeugt saß und die letzten seltsamen Jahre überdachte, nüchtern, denn seit Monaten hatte er ja kein Opium mehr geschmeckt, begann es in seinem Hinter- köpf zu sausen, die Entbehrung des schivarzen Rauches, den er ge- schmäht hatte, und dann war es ihm, als ob er ein einziges Mal in seinem Leben, und zwar recht bald, etwas tun müßte, tvas alle anderen nicht taten... Darum geschah es an dem chinesischen Neujahrstag, dem ein- zigen und allgemeinen Festtag des Jahres, wo alle Welt sich tvas zugute tat und die Sorgen des Jahres in Feuerwerk aufgehen ließ, daß Wang Tsung Tse sich auf entgegengesetzte Weise wie alle anderen Luft machte, wie eine Rakete, die in die Erde schlägt. Die Veranlassung war folgende: Wangs Nachbar, der Gerber Fung, kam am Neujahrsabend und schenkte Wang eine Papierlaterne. Das sollte, wie man wohl an- nehmen darf, eine Höflichkeit sein, und unter gewöhnlichen Verhält- nisten hätte Wang es auch sicher als solche aufgefaßt. Die beiden Nachbarn hatten sich während vieler Jahre, obgleich beide arm waren, tiefe gegenseitige Achtung bezeigt, Wang verbeugte sich und drückte sich selbst ehrerbietig die Hand, wenn er Fung sah, und Fung machte ein Kotau und drückte sich hochachtungsvoll die Hand, wenn er Wang begegnete. Die Papierlaterne war eine Artigkeit, die in- dessen den Haken hatte, daß Fung kinderlos war, denn jeder weiß, daß der, der von einem Manne eine Neujahrsgabe bekommt, selbst kinderlos bleiben wird. Wang war allerdings noch unver- heiratet, aber er hatte keineswegs die Absicht, als Jung- geselle ins Grab zu steigen, denn wer sollte ihn begraben und Räucherkerzen nach seinem Tode für ihn verbrennen? In alten Tagen, bevor das Loch in der Mauer war, hätte Wang das Geschenk wahrscheinlich trotz der damit verbundenen Gefahr angenommen und das böse Wahrzeichen in einer Extrapfcife Opium begraben; jetzt aber war er nüchtern, das alte Jahr endigte für ihn damit, daß er im Begriff war, hungrig zu Bett zu gehen, als Fung kam; er hatte den ganzen Tag keinen Reis gehabt. In dieser Stimmung empfand
er die Gabe wie eine Taktlosigkeit und schlug sie aus. Fung zog sich sprachlos mit seiner Papierlaterne zurück. Eine Stunde später, als Wang niit leerem Magen mitten in einer Freudenwoge von Feuerwerk, Festschüssen und Bomben durch die ganze Stadt, eingeschlummert war, erwachte er dadurch, daß man ihn, in Ermangelung des Zopfes, an beiden Ohren aus dein Bette zerrte, auf dem Platz vor seinem Hause, too die Mauer ge- standen hatte, schleppte und mit Stöcken verprügelte; im Schein der Raketen und durch ein geschwollenes Augenlid sah Wang, daß es der Geber war, der mit Hilfe einiger Freunde die Schmach abwusch, die ihm durch Wang widerfahren war. Noch in derselben Nacht, etwas nach zwölf, fand Fung den Flohfallemitacher sterbend in seinem Flur, ein Ereignis, das um ein Haar Fungs Haus Glück und Segen gekostet hätte, denn das schlimmste, was einem Manne passieren kann, ist ja, daß jemand innerhalb seiner Wände stirbt. Wang hatte für sechzig Cents Opium auf einmal geuommen, nachdem er seine Hosen versetzt hatte. Ein unwiderstehliches Verlangen zu sterben war über ihn ge- kommen. Nachdem sowohl er wie das alte Haus ihre Fassade der- loren hatten, war ihm, wie einem weinenden Kinde, sein Vater und die alte Opiumpseife eingefallen. Er hatte seine Schande hinunter- geshluckt und war zu der Pfeife, seinen Vorfahren und dem alten, ichattigen Dasein, den langen Nächten hinter der Mauer, zurück- gekehrt, wo das Dachgetröpsel ihm die Ewigkeit ausmaß und gleichzeitig wollte er damit Fung großen Schaden zufügen. Aber es gelang Wang Tsung Tse nicht, das Haus des Gerbers mit seiner Leiche zu besudeln, denn Fung entdeckte ihn rechtzeitig, als noch etwas Leben in ihm war, und schleppte ihn eiligst auf den Bauplatz vor seinem eigenen elenden, schiefen Haus hinaus._ Hier in dem Loch der Mauer, das der Anfang zu Wangs   Erniedrigung gewesen war, auf einem Lager von Mauerbrocken und in einem milden Aschenregen des Feuerwerks, womit inan das neue Jahr immer noch feierte, verendete Wang Tsung Tse. (Autorisierte Uebersetzung von Julia Koppel.)
Die Schlachtfelder Gberitaliens. Aus den früheren Kriegen zwischen Italien   und Oesterreich. Der Kriegsschauplatz, auf dem voraussichtlich die ersten Zu- sammenstöße zwischen Italien   und den Verbündeten stattfinden werden, ist von altersher blutgetränkler Boden. Schon vor Jahr- taufenden wurden hier schwere Kämpfe ausgefochten, und immer wieder hat die Kriegsfurie auf den norditalienischen Gebieten ge- wütet. Auch von schweren inneren Kämpfen ist Oberitalien   heim- gesucht worden, besonders als unter Viktor Emanuel II. die Ein- heitsbewegung sich gebieterisch bemerkbar machte. Als im Jahre 1819 die revolutionären Wellen auch das lombardisch-venezianische Königreich überschwenimten, und der Unwille über die Fremdherr- schast offen zum Ausdruck kam, mußte sich Karl Albert   von Sardinien  notgedrungen entschließen, den lombardischen Brüdern gegen die Oesterreicher zu Hilfe zu kommen. An der Spitze der kaiser- lichen Truppen stand der 82jährige Radetzkh. Es gelang ihm, sich inmitten einer feindseligen Bevölkerung auf Verona   zurückzu- ziehen, um dort im Schutze der oberitalrenischen Festungen, des sog. Festungsvierecks, den Piemontesen den Uebergang über die Etsch   so lange unmöglich zu machen, bis ihin Verstärkungen gestatteten, dein Feind entgegen zu treten. Am 10. Juni kam es zur Schlacht ber V i c e n z a. und am 25. Juli bereitete Radetzkh, der von Tirol her Verstärkungen erhalten hatte, bei C u st o z z a und Sommacampagna den Piemontesen eine Niederlage. Mit vieler Mühe entging das Heer Karl Ulberts einer Durchbrechung, und Radetzly konnte sieg­reich wieder in Mailand   einziehen, das er wenige Monate vorher hatte preisgeben niüssen. Die Lombardei   mußte sich infolge dieses Sieges zu einem Waffenstillstand entschließen. 18 Jahre später, am 24. Juni 1868, sah Custozza   abermals eine Schlacht, in der Erzherzog Albrecht   die fast doppelt so starken italienischen Truppen unter Cialdini zurückwarf. Die Oesterreicher stützten sich auf das Festungsviereck und hatten in einer Stärke von 82 000 Manu in und um Verona   Aufstellung genommen. Unter der Anführung Lamarmoras überschritten die Italiener am 23. Juni 1886 mit zwei Armeekorps den Mincio, während Cialdini gegen die Etsch vordringen und Garibaldis Freischaren in Tirol einbrechen sollten. Am 24. Juni in aller Frühe griff Erzherzog Albrecht   den Feind aus der ganzen Linie an. Den ganzen Tag über dauerte der
Die CeVeckimg öer Maria Carmen. 11) Von Ludwig Brinkmann. Bei Tagesanbruch marschierte meine Abteilung von Holzfällern ab, zu zweit je einen Balken tragend, über un- gebahnte Flächen von wildem Steingeröll hoch hinauf bis zum Kamme des Gebirges; an manchen Stellen mußten die schweren Stücke von einem Felsvorsprunge zum anderen hinaufgereicht werden; an einer steilen Wand ließ ich sie sogar mit Stricken hinaufziehen. Alles an sich einfache, aber doch unendlich mühevolle Arbeiten. Es begann schon sehr, sehr heiß zu werden wir haben Ende Juni, als die kleine Sendung auf dem Grate angelangt war. Zur anderen Seite ging es, wie beabsichtigt, leichter hinab. Wir ließen die Balken aus den abschüssigen Pfaden in das tiefe�Tal hinabgleiten; ein oder zwei Mann bremsten am Seile, während andere die Last fortwährend frei machten, wenn sie sich irgendwo in jüner Fuge des Gesteins festgeklemmt hatte oder wenn die Steigung nicht steil genug war, um den Widerstand der Reibung zu überwinden. So gelangten wir schließlich aus dem Gebirge hinaus. Dann wurden die Balken wieder auf den Rücken geladen und durch eine Furt des Rio Verde geschleppt, der hier besonders seicht ist. Auf dem jenseitigen Hochlande gelangten wir schließlich zu einer halbwegs fahrbaren Straße, die fast bis zum Hause der Maria Carmen hinführt. Dorthin hatte ich einen der landesüblichen Schsenkarren mit zwei� massipen Holzscheiben als speichenlosen Rädern kommen lassen, der in etwa fünf Stunden das Holz zu dem ersehnten Bestimmungsorte brachte. Die nächsten Sendungen werden die Reise wohl schneller zurücklegen: ich glaube nicht, baß ich mich noch darum zu kümmern habe. Im Minenhause genieße ich nach einer Woche harter Arbeit und vielen Schweißes wieder die Wohltaten der Kultur, die mir fast als ein königlicher Luxus erscheinen. Sogar ein Bad habe ich nehmen können! Es ist doch alleS nur relativ; im allgemeinen würde sich der Westeuropäer hier wie in der Barbarei fühlen; aber nach dem Leben im Hoch- gebirgswaldc erscheint mir unser Wüstendasein der Gipfel des Erstrebenswerten. Ten schönen bequemen Sonntag, auf den ich mich die ganze Woche freute, habe ich nun doch nicht gefunden. Ward und Stuart haben mir liebenswürdigerweise ein paar Briefe
aufgehoben, die ich beantworten sollte. Ich fei nun einmal ein Gelehrter. Es handelt sich um eine etwas schwierige Korrespondenz mit der Eiseubahngesellschaft, die jetzt die Strecke Ocotlan- Taviche baut. Wir hatten den Antrag gestellt, sie über den letzteren Ort bis in unser Tal hinein zu verlängern. Aller- dings wäre der Bau, trotz der Kürze der Strecke, wie uns ja wohl bewußt, sehr schwierig und entsprechend kostspielig; es ist hinter Taviche eine bedeutende Steigung zu über- winden, ein tiefer Einschnitt in den Grat des Gebirges zu brechen und schließlich wieder auf Serpentinen in unser Tal hinabzusteigen. Zum Gedeihen unserer Mine ist solch ein Werk aber ebenso notwendig wie Maschinen und Geld Ja. das Geld! Damit hapert es ja in unserer kleinen Gesellschaft stets. Die Eisenbahnleute wollen Geld allerdings nur in Form von Garantien: aber das ist ja identisch. Bis diese eingelöst sind, müssen entsprechende Summen hinterlegt sein. Wir sollen uns zu einer Mindestbeförderung von soundsoviel Tonnen täglich, im Laufe von zehn Jahren steigend, per- pflichten. Diese Forderung ist ja soweit berechtigt, wird aber zur größten Ungerechtigkeit, wenn in unserein Tale andere Minen erschlossen werden, die dann von vornherein die Wohl- tat der Bahn hätten, während wir das ganze Risiko über- nehmen müßten. Ich beriet mit Ward und Stuart lange; der einzige Ausweg scheint sich dadurch zu öffnen, daß wir uns in irgend- einer Form als Sondergesellschaft an der Zweigbahn Taviche- Maria Carmen beteiligen: jede weitere Entwickelung der Bahn durch andere Neugründungen käme uns dann auch zu- gute; ja wir könnten etwas Tarifpolitik zugunsten unserer eigenen Silbererze treiben. Nun hieß es, diesen neuen Gedanken der Eisenbahngesell- schaft möglichst mundgerecht zu machen. An meinem national- ökonomischen Aufsätze aber arbeite ich den ganzen Tag. Es ivaren gewiß romantische Ideen gewesen, die mich ur- sprünglich mit meinem Schicksal, in den Hochgebirgswald hinausziehen zu müssen, versöhnt hatten; ich hatte gehofft, Muße dort zu finden, um in der Kühle der Berggipfel, in des Himmels Nähe, auf den Kampfplänen der Stürme und lln- Wetter meinen eigenen Gedankengängen nachzugehen, über vieles nachzusinnen, mir Klarheit zu erringen, das zu be- denken die Hitze, die Unruhe, der Lärm des Minenlagers nicht gestatten wollten. Doch ach, wie prosaisch ist jede nützliche, harte Arbeit! Wie abspannend ist das Umherschweifen in den S-chluchten und auf den Abhängen der Berge, das unaufhörliche Be-
aufsichtigen der Arbeiter, wenn man nur einige Werte, seien sie auch noch so bescheiden, schaffen will. Vielleicht liegt in all dem eine höhere Art von Romantik, eine transzendentale, die uns selbst und unser allzu romantisches Ringen nach Schein- werten mit cinbegreift. Wer weiß das? Genug, ich arbeite ohne aufzuatmen. Stuarts   Rat hat mir einige Anleitung gegeben, wie ich am besten der Bequem- lichkeit meiner Leute begegnen kann. Ich habe das System des Tagelohnes ganz aufgegeben. Ich vereinbare nur mit ihnen einen Stückpreis für jede einzelne Arbeit, für das Fällen eines Baumes, für das Wschlagen der Aeste, für den Transport zum Zimmerplatze, für das Abschälen der Rinde, für das Zersägen; ich biete zunächst die Hälfte von dem. was ich zu geben bereit bin, und erwecke dadurch in meinen wackeren Tolteken die feste Ueberzeugung, daß sie eigentlich mich dabei übers Ohr hauen; und wenn ich trotzdem nicht zuni Ziele zu gelangen scheine, spiele ich eine Gruppe von Arbeitern gegen die andere aus; dann geht es gleich; denn futterneidisch sind sie alle. So habe ich auch den Transport bis zum Fuhrwerke zu festen Preisen vergeben. Um aber die akkordierten Arbeiten möglichst rasch aus- geführt zu bekommen, habe ich Prämien ausgesetzt in Ge- stalt von Schnaps. Auf meine Rückreise in die Berge hat mir Stuart fast den ganzen Vorrat des Minenhauses mit- gegeben. Man sollte diesen Völkern keinen Branntwein reichen, nach dem sie so lechzen; ich weiß es. Aber wir müssen das Holz rasch haben, dannt wir mit unserer Mine vorwärts kommen; der Erfolg unseres Werkes ist uns schließlich das Höhere, Wichtigere. Alles Erobern geschieht auf Kosten der Schwächeren. Vor allen Dingen habe ich nach und nach die wider- spenstigsten dieser braunen Gesellen entlohnt und entlassen; das Dutzend, das mir zurückgebliebem scheint sich nun schon etwas an mich zu gewöhnen. Ich kümmere mich jetzt auch weniger um die einzelneu, und es scheint niir, als od es seit- dem besser voranginge. Ich habe die Kolonne ganz unter die Leitung eines Vormannes gestellt, eines sehr intelligenten und anstelligen Burschen, namens Tozo, den mir mein Wirt Cypriano empfohlen. Dieser Mann hat begriffen, worum es sich handelt, und er treibt die Leute für mich an. Ein alter Mann unter meinen Leuten, Porfirio, scheint mich aus einem mir unerklärlichen Grunde ganz besonders in sein Herz geschlossen zu haben; seine Anhänglichkeit an mich gibt dem ganzen Verhältnis zwischen mir und den Leuten den moralischen Halt. So geht die Arbeit nun munter voran; doch, ach, wie bald wird mein armer Wald dahin sein! (Forts, folgt.)