Nr. 163.- 1915.

Unterhattungsblatt öes vorwärts

Weustag, 36. Juli.

Insektenstaaten.

Von Prof. K. Kraepelin.*> Während wir bei den höchst organisierten Gruppen des Wirbel- tiersiammes gesellschaftliche Triebe entwickelt finden, die kaum oder nicht von denen der tiefst stehenden Merrschenrassen sich unter- scheiden, find im Stamme der Gliedertiere auf wesentlich anderer Grundlage Gemeinschaften von Artgenossen zustande gekommen, die wegen der Einheitlichkeit ihres Aufbaues, der starren Gesetz- Mäßigkeit, unter der sich das Tun des einzelnen wie der Gesamt- heit bei strenger Trennung der Funktionen abspielt, von jeher mit Vorliebe als Staaten bezeichnet wurden. Es handelt sich um die Staaten der Bienen, Hummeln, Wespen. Ameisen und Termiten. Man kann gewiß nicht in'Abrede stellen, daß hier ein höchst eigen- artiges, durch die Großartigkeit und Mannigfaltigkeit der Leistun- gen geradezu bewunderungswürdiges Phänomen vorliegt; allein mit einem wirklichen Staatswesen haben diese ausnahmslos auf geschlechtlicher Grundlage aufgebauten Genosienschaften herzlich wenig zu tun. Nicht eine Summe selbständia wollender Indi­viduen hat sich hier fteiwillig zu einer höheren Einheit veremigt, sondern das Prinzip der Arbeitsteilung, gegründet auf die bis zur äußersten Einseitigkeit geführten Funktionen der Geschlechter bei Erzeugung und Aufzucht der neuer Generation und durchgeführt bis zur Unfähigkeit des selbständigen Bestehens der Einzelindi- viduen, hat hier einen höchst eigenartigen, durch große Starrheit ausgezeichneten Organismus geschaffen. In ihm erledigt jedes Glied ohne Mitwirkung einer das Ganze beherrschenden Ober- Icitnng diejenigen Aufgaben, zu denen es in Gemäßheit seines Geschlechtszustandes und infolge langandauernder Naturzüchtung von starken, keine Freiheit der Wahl zulassenden Instinkten ge- trieben wird. Das Charakteristische der Insektenstaaten liegt, wie bereits er- wähnt, in der streng durchgeführten Arbeitsteilung für Ei- produktion und Brutpflege. Letztere wird in der- Regel von unbe- fruchteten(Wespen, Hummeln) oder unvollkommen entwickelten (Bienen, Ameisen) Weibchen, den sogenannten Arbeitern, selten daneben auch von unentwickelten Männchen(Termiten) ausgeführt; den normal funktionierenden Männchen und Weibchen aber sind die Instinkte der elterlichen Fürsorge für ihre Nachkommen mehr oder weniger völlig verloren gegangen. Die Männehen werden hierdurch zu unnützenDrohnen", die nur für den Akt der Be­gattung unentbehrlich sind, während den Weibchen ganz ausschließ- lich die Aufgabe einer allerdings ins Großartige gesteigerten Eier-- Produktion zufällt. Die eigentliche Arbeit, die Sorge für Wohnung und Nahrung der Tausende heranwachsender junger Larven, für den Schutz gegen Feinde und sonstige Gefahren liegt in den Händen derArbeiter", die somit als die eigentlich Regierenden anzusehen sind, so sehr ihnen auch der Besitz eierlegender Weibchen, derKöniginnen", zum ordnungsmäßigen Betriebe des Ganzen vonnöten sein mag. Die Insassen eines solchen Gemeinwesens stehen zweifellos in engen Wechselbeziehungen. Das gegenseitige Erkennen wird, wie zahlreich« Versuche beweisen, in erster Linie durch den sogenannten Nestgeruch gewährleistet, der wahrscheinlich durch den spezifischen Geruch des Sekretes der Speicheldrüsen be- dingt ist;«ine, wie es scheint, ziemlich weitgehende Mitteilungs- fähigkeit wird durch gegenseitiges Beklopfen mit den Fühlern ermöglicht. Als soziales Band ist nach Wasmann das instinktive Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Gesellschaftstrieb und der Nachahmungstrieb anzusehen; die Betätigung dieser sozialen Instinkte bei den die Gemeinschaft zusammensetzenden Einzelwesen aber wird durch individuelle Sinneswahrnehmungen und Sinnes- erfahrungen bestimmt und geleitet. Die Leistungen, die vermöge der geschilderten Organisation von der Gesamtheit eines im Jnsektenstaate vereinigten Volkes vollbracht werben, sind staunenerregend und haben von jeher die Aufmerksamkeit zahlreicher Forscher gefesselt. In erster Linie ist es die Bautätigkeit, die in ihrer Fülle eigenartiger Konstruktionen und in der Großartigkeit der Ausführung höchste Bewunderung erregt, von den mit mathematiseher Genauigkeit hergestellten Wabenbauten der Bienen und Wespen bis zu den labyrinthischen Galerien und Gängen der Ameisen und den gigantischen Hügel- bauten der afrikanischen Termiten. Niecht minder mannigfaltig *) Der jüngst verstorbene Direktor' des Naturhistorischen Museums in Hamburg hat in zwei lesenswerten Bändchen der Teubnerschen SammlungAus Natur und Geisteswelt"D i e BeziehungenderTiereundPflanzenzueinander" behandelt. Der Abschnitt von den Insektenstaaten steht im ersten Bändchen.(Die Beziehungen der Tiere zueinander.)

und bewundernswert erscheint dann die eigentliche Brutpflege, die, wie schon ftüher erwähnt, im wesentlichen nach zwei durchaus der- schiedenen Prinzipien durchgeführt wird, indem bei den Bienen und Wespen das starre Zellshstem besteht, bei dem jede Larve in besonderer Kammer täglich eine abgemessen« Nahrungsportion er- hält, während bei den Ameisen und Termiten die Larven zu vielen in den Gängen und Kammern vereint gehegt und gefüttert wer- dem Abänderungen dieser zwei Hauptmethoden sehen wir dann einerseits bei den stachellosen Bienen oder Meliponen der Tropen, andererseits bei den Hummeln. Erstere bauen zwar Zellen, wie die Honigbiene, füttern aber die Larven nicht, sondern versehen die Zellen gleich von vornherein mit dem nötigen Quantum von Blütenstaub und Honig und schließen sie dann. Bei den Hummeln spielen die aus Wachs, Pollen und Harz ohne Ordnung hergestellten Zellen nur eine geringe Rolle; sie werden, unter steter Ergänzung des dazu getanen Blütenstaubes, mit mehreren Eiern belegt, bei der Verpuppung der Larven aber wieder zerstört, worauf dann später die leeren Puppenkokons vielfach, nach Art der Bienenzellen, als Honigspeicher Verwendung finden. Das Herbeischaffen der Nahrung und die Pflege der Brut wird bei den Wespen und Hummeln, sofern es sich nicht um die erste. vom überwinterten Weibchen allein ausgeführte Anlage der Kolonie handelt, der Hauptsache nach von unbeftuchteten und wohl nur zur parthenogenetischen Erzeugung männlicher Individuen befähigten Weibchen besorgt, die man auch wohl fälschlichArbeiter" zu nennen pflegt. Bei den Bienen, Meliponen und Ameisen dienen hierzu ausschließlich die auch sonst durch mancherlei körperliche Merkmale charakterisierten unentwickelten, aber meist ebenfalls zur Eiablage befähigten Weibchen, die man als echte Arbeiter bezeichnet. Sie zerfallen oft noch wieder in mehrere, durch Größe usw. unter- fchiedene Kategorien(Ameisen). Selbst bei der Honigbiene kann man die jüngeren, im Hause beschäftigten Stockbienen von den älteren Flugbienen unterscheiden. Bei den Termiten wird die Zahl der Arbeitsformen noch dadurch vermehrt, daß auch unentwickelte arbeitende Männchen auftreten. Neben der Brutpflege liegt den Arbeitern auch die Abwehr der Feinde ob, wofür bei vielen Ameisen und Termiten besondere Soldaten" mit großem 5wpf und starken Kiefern zur Ausbildung gelangt find. Daran schließen sich bei den Ameisen die Kriege mit verwandten Arten, die Sklavenjagden, sowie andere, oft an das Wunderbare grenzende und später noch genauer zu betrachtende Einrichtungen �Getreidebau und Pilzzucht, Benutzung der Blatt- läuft als Milchkühe, di« Jnpflegenahme zählreicher Ameisengäste), -welche die Beschaffung des nötigen Nahrungsguantums bzw. be- sonderer Leckerbissen zum Zielpunkte haben. Bei allen diesen verschiedenen Aufgaben und Vorrichtungen handeln die Arbeiter je nach den gegebenen Verhältnissen und nach ihrer Individualität verschieden, unterstützen sich jedoch nach Mög- lichkeit, sobald einer die Absicht des andern begriffen hat; ja selbst die Pflege veNoundeter und kranker Genossen ist mehrfach beob- achtet worden. Männchen und Weibchen werden von ihnen gleich den Larven gefüttert, erstere allerdings oft bei Eintritt der kälteren Jahreszeit vernachlässigt oder gar getötet(Drohnenschlacht). Die Weibchen aber stellen lozusagen das Bindeglied dar, das die Ge- meinde zusammenhält, da letztere ohne diese zerfällt und zugrunde geht. Von solchenKöniginnen" enthält der Bienenstaat bekanntlich stets nur eine, die dann nach Erbrütung einer Nachfolgerin mit einem Teile ihres Volkes den Stock verläßt. Bei den Wespen und Hummeln findet sich ebenfalls bis in den Herbst hinein(wo dann auch einzelne Männchen auftreten) meist nur ein einziges beftuch- tetes Weibchen, nämlich dasselbe, das nach beendetem Winterschlaf die Kolonie neu begründete, während die übrigen, von ihr hervor- gebrachten und als Arbeiter fungierenden Weibchen unbefruchtet bleiben, wenn fie auch zur parthenogenetischen Eiablage befähigt sind. In den Staaten der Termiten ist in der Regel neben einem einzigen eierlegenden Weibchen, der Königin, auch nur ein einziges, voll entwickeltes Männchen, der König, vorhanden. Seltener treten in demselben Stocke zwei Pärchen auf. Bei den Ameisen hingegen trifft man außer zahlreichen Männchen fast immer mehrere bis viele voll entwickelte und beftuchtete Königinnen, ohne daß hier solcheEiftrsuchtSdramen" wie zwischen den Rivalinnen im Bienenstaate sich abspielen. Wasmann glaubt diese abweichende Erscheinung im Ameisenstaate möglicherweise auf die beträchtlich längere Lebensdauer der Ameisenarbeiter(2 bis 3 Jahre gegen wenige Wochen bei den Bienen) zurückführen zu können, indem er meint, daß hierdurch die Arbeiter selbständiger und von der Königin unabhängiger würden, eben bis zu dem Grade, daß sie auch ein Nebeneinander mehrerer Königinnen ohne Verwirrung ertragen könnten. Das Füttern der Larven, Männchen und Weibchen geschieht, abgesehen von Hummeln und Meliponen, von Mund zu Mund mit

dem Futterbrei(Bienen) oder dem NahrungSsaste des Kropfes. Von großem Interesse ist die EntWickelung besonderer Futter­individuen bei der mexikanischen Honigameise, d. h. von stets im Innern des Erdhöhlennestes verbleibenden Arbeitern, die, nach dem durch Bißwunden bewirkten Verschluß des Enddarmes, von den Genossen bis zum Uebermaß derart mit Honig gefüttert werden. daß ihr Hinterleib einer kleinen Weinbeere gleicht. Zur mageren Jahreszeit oder bei schlechter Witterung müssen sie dann als Honigvorratstöpfe dienen, ans dem jeder nach Bedarf sich speisen lassen kann. Nicht minder seltsam ist der Gebrauch, den die Ar- beiter gewisser Baumameisen von ihren Larven machen, indem sie dieselben als Spinnspulen benutzen, mit deren Hilft sie die Blätter hoch oben in den Zweigen zum kugeligen Neste zusammenspinnen. Auch Gespinstgürtei um die Stämme zum Schutz gegen das Vor- dringen einer anderen kleinen Ameisenart werden nach Halland von der Oecopbzckk mit Hilft ihrer im Maule dorthin trans- portierten Larven ausgeführt. Alles in allem kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, daß wir in den Staaten der Bienen, Wespen, Ameisen und Termiten das Vollkommenste vor uns haben, was an gesellschaftlicher Organisatiem im Tierreiche zur Aus- bildung gelangt ist. Die Grundlage, auf der diese Staaten sich aufbauten, war vielleicht, wie Boelsche meint, eine verfehlte und führte zur Erstarrung; rein objektiv betrachtet aber erheben sich ihre Leistungen hoch über das, was selbst die menschenähnlichsten Wirbeltiere in dieser Beziehung aufzuweisen vermögen,

Die Tätigkeit unserer Unterseeboote in stanzösischer Beleuchtung. Ueber die Rolle, welche die deutschen Unterseeboote im gegen- wältigen Kriege spielen, hat der bekannte Chefkonstrukteur des franzöfischen Unterseebootswesens Laubeuf vor Zftg Monaten in der Gesellschaft der französischen Zivilingenieure einen Bortrag gehalten, der in mehrfacher Hinsicht auch für uns bemerkenswert ist. Seine Angaben über die Anzahl unserer Unterseeboote, ihre Größen- Verhältnisse, ihre Bewaffnung und Geschwindigkeit können wir freilich ruhig beiseite lassen; sie sind selbstverständlich ganz unzu- verlässig. Unsere Marineverwaltung bewahrt hierüber natürlich in weitem Umfange Verschwiegenheit, so daß der Vortragende selbst den Rat gab, seine Zahlen nur als unsichere zu betrachten. Richtig ist seine Angabe, daß Deutschland erheblich später als Frankreich mir dem Bau von Unterseebooten begonnen hat. erst im Jahre 1907 ist das erste deutsche Unterseeboot von Stapel gelaufen, ein halbes Dutzend Jahre später als Frankreich bereits Unterseeboote besaß. Wir können unserer Marineverwaltung jedenfalls dankbar sein, daß sie langsam und vorsichtig bei dem Bau dieser Waffe vorgegangen ist und nur erprobte und brauchbare Typen gebaut und so unsere Marine vor zahlreichen Unfällen und unsere Finanzen vor der unnützen Ausgabe vieler Millionen für schnell veraltende Systeme bewahrt hat. Im Kriege weist Herr L. den Unterseebooten eine defensive und eine aggressive Aufgabe zu. In ersterer Hinsicht soll das Untersee - boot die Beschießung der Häfen und die Landung feindlicher Truppen sowie eine unmittelbare Blockade der Häfen verhindern. Diese Auf- gäbe haben die deutschen und auch die österreichisch-ungarischenUntersee- boote nach seinem Urteil vorzüglich gelöst. Die große englische Flotte blockiert zwar die deutsche Küste, hält sich aber vorsichtig in so respektvoller Entfernung, daß ein deutsches Geschwader im Dezember vorigen Jahres aus der Elbe herausfahren, sich der englischen Küste nähern, sie beschießen und unbehelligt in die heimischen Ge- Wässer zurückkehren konnte. Ebenso bedeutungsvoll ist auch die Angriffskraft der Unterseeboote. Zu Beginn des Krieges versuchten die Engländer die Blockade enger an die deutsche Küste heran- zuziehen, aber die Vericichtung der drei PanzerkreuzerCrecy", Hogue" undAbukir" durch das Boot17 9" am 23. September 1914 bewog sie, von diesem Versuch abzustehen. Diese Tatsache, meint L., spricht mehr als alle großen Redensarten für die Be- deutnng der Unterseeboote als Kriegswaffe. Wenn die Türken nur ein halbes Dutzend Unterseeboote unter gutem Kommando besäßen, so würde, sagt er, der Angriff des englisch -französischen Geschwaders gegen die Befestigungen an den Dardanellen ganz außerordentlich erschwert, lvenn nicht unmöglich gemacht werden. Bei einer etwaigen Wiederholung seines Vortrages könnte Herr L. die Er- süllung dieser Voraussage bestätigen, eS haben ja seither deutsche, österreichische und türkische Unterseeboote auch im Mittelmeer ihre glänzende Tätigkeit ausgenommen wir erinnern nur an die Ver- nichtung der englischen PanzerschiffeTriumph" undMajestic". Als Verteidigungsmittel gegen Unterseeboote gibt L. Schutznetze

Die Erweckung öer Maria Carmen. 54) Von Ludwig Brinkmann. Ist mir schon recht!" erwiderte er trotzig. Wie Du willst! Du kannst Dir Deinen Lohn heute abend bei mir holen. Zu Sonnenuntergang. Kommst Du früher oder später, bekommst Du nichts! Und nun mache, daß Du heimkommst!" Er zögerte. Wird es bald, Tozo? Ich habe keine Zeit, auf Dich zu warten!" Ich will zu den anderen hin; ich habe etwas zu be- reden!" Daraus wird nichts. Das ist mein Berg, mein Land, und ich dulde Dich nicht mehr auf meinem Eigentume. Bitte kehre eiligst heim, oder das Pferd geht über Dich!" Ich trieb das Tier auf ihn zu, und er wich zurück. Er mochte wohl einschen, daß ich der Stärkere und es für ihn geraten sei, gute Mi«te zum bösen Spiele zu machen. So begab er sich auf den Heimweg, während ich ihm folgte. Als wir an die Grenze unseres Gebietes gelangt waren, erklärte ich ihm: Ich verbiete Dir, Dich auf meinem Eigentume sehen zu lassen. Du weißt, was Dir bevorsteht, wenn ich Dich er- wische. Auf Wiedersehen heute abend!" Und ich kehrte um. Als ich am oberen Teile des Tales angekommen war, sah ich in der Ferne die Leute wieder bei der Arbeit. In kleinen Gruppen bewegte es sich überall auf dem Abhänge, und die Rohre rückten langsam hinauf. Ich hatte aber keine Lust mehr, mich unter sie zu mischen. Ich wollte von ihnen nichts mehr sehen und hören; ich fühlte inick zu sehr gekränkt, enttäuscht, verraten. Nun bin ich gar falsch mit den Leuten gewesen, wielleicht zum ersten Male. Die Reitpeitsche hätte ich am liebsten über ihre nackten Rücken sausen lassen und doch habe ich ihnen gute Worte gegeben, gute'Worte geben müssen! Wie das schmeckt pfui, wie bitter! Was heißt das? Doch nichts weniger, als daß sie die Stärkeren sind. Nur den Stärkeren sucht man mit List und Arglist zu fangen. Gut, es scheint nicht anders zu gehen. Und heute abend werde ich auch den Tozo fangen. Werde ihm ante Worte geben. Auch den bekomme ich kirre!

Ich stieg ab und lagerte mich im Schatten eines Baumes, starrte in den blauen Aethcr hinein, sah der Wanderung von kleinen Federwölkchen nach. Wir sind glücklicher ohne sie!" also sprach Tozo. Hat er denn so unrecht? Leben diese Menschen nicht glücklicher ohne uns, die wir in ihr Land eindringen, um es auszuplündern? Was tun wir denn anders, als daß wir, so oder so, sie zur A r b e i t zwingen, zur Arbeit für u n s. Wie wir es anfangen, ist an sich gleichgültig: im Grunde lassen wir sie arbeiten, weil wir sie Reize und Bedürfnisse kennen gelernt haben, die ihnen die Arbeit verlockend machen. Aber Reize und Bedürfnisse den Menschen beibringen, ist das nicht die raffinierteste Art von Quälerei? Ist es nicht eine fürch- terliche Grausamkeit, dem Menschen immer erneute, unauf- hörliche, harte Arbeit aufzubürden, seine Glieder in Schweiß zu baden, ihn unter der Peitsche von Furien den ganzen Tag einherzujagen, bis er des Abends ermüdet auf das Lager sinkt, nur damit er den ständigen, peinigenden Durst zu löschen vermag, den wir boshaft durch die scharfen Gewürze unserer Kultur ihm erregt haben? Und ich dachte an meine große Abhandlung: das Problem der Erlösung durch das technische Schaffen. Die Menschheit soll von der brutalsten Form der Arbeit entlastet werden. Ist es denn wahr? Wie sah das Tal von Taviche aus, nachdem die Weisheit der Spanier abgewirtschaftet hatte? Es war der- lassen von allen Europäern, und die Eingeborenen sanken Zurück in die köstliche Möglichkeit des ckolce far niente, nur sich selbst lebend, nur mit dem einzigen Zwecke zu leben, das Gefühl des Lebens, wie Marina, zu genießen. Man kann alt werden und gesund dabei bleiben, wenn man nichts tut als leben. Und dann kamen die Amerikaner mit ihrer hochge- priesenen Technik. Mit der Technik, die alle Menschheit erlösen soll, die ihnen die Arbeit abnimmt und sie den Naturkräften aufbürdet. Doch was wurde daraus? Tausende von Männern dieses nichtstuenden Volkes schaffen nun in den Höhlen und auf den Rücken der Berge, arbeiten hart und sind mühselig und beladen. Gewiß, die Technik zwingt die Naturkräfte in ihr Joch und entlastet heute durch Maschinen ein paar hundert von schaffenden Händen um die augenblickliche Erleichterung des heutigen Feierabends dazu zu benutzen, morgen hundert- fältig größere Aufgaben anzugreifen; und wenn auch noch soviel Arbeit durch Maschinen geleistet wird, es muß eben immer ein Rest bleiben, ein immer größerer Rest, der not- gedrungen der Menschenkraft überlassen wird, diese erste,

rauheste Pionierarbeit, die Vorbereitung zum maschi- nellen Schassen. Täglich erobert sich die Technik eine neue Position, aber fie drängt die schaffenden Menschen von sich in die Front des Kampfes; der arbeitenden Völker werden es mehr und mehr; ein Schritt nach dem anderen wird getan; ein neuer weiterer Ring schließt morgen den heutigen kleineren ein. In den Minen von Taviche sollen ein paar M e st i tz e n weniger arbeiten; Elektromotoren sollen ihnen die Arbeit ab- nehmen: aber um das zu ermöglichen, wird dieses friedliche Volk der T o l t e k e n in den Bannkreis des Schafsens hineingezwungen, und Lasten werden ihm durch die Tedmik auferlegt, davon sie nie etwas gewußt haben. Ach, ich beginne die Technik zu hassen; sie befreit nicht, sie erlöst nicht, sie macht alle Lasten nur schwerer, alle Leiden brennender, tiefer durch die ungeheuren Bedürfnisse, die sie erweckt. Also dachte ich, als ich im Schatten des mächtigen Zypressenbaumes lag. Ich war dem Weinen nahe mich können jetzt Kleinigkeiten, die ich früher lächelnd überwand, bis ins tiefste Innere erschüttern. Ich bin so schwach ge- worden... Als ich heimkehre, fiel mein erster Blick auf den Tisch, darauf die unglückselige Abhandlung lag. Alle meine Enttäuschungen stürzten mir mit einem Male krachend auf die Seele, alle quälenden Gedanken des Tages brannten sich ätzend in mein Hirn ich nahm ein Blatt nach dem anderen auf und zerriß es in Stücke... In diesem Augenblick trat Marina in das Zimmer und sah mich bestürzt an. Ich sagte ihr auf deutsch : Es ist alles Lüge und Unsinn, Marina! Lüge und Un- sinn beherrschen unser Dasein, und wir sind Idioten, wenn wir nicht den Augenblick ergreifen, wie er sich uns bietet! Und da Ihr Leute belogen und betrogen sein wollt, so sollt Ihr es auch so hoben!" Was sagen Euer Gnaden?" Daß meine Schreiberei ein ganz vortreffliches Werk ist und ich sie Dir daher schenke. Und weiter sagte ich, daß meine Marina ein schönes, junges Weib ist, das schönste, das ich je gesehen, und daß ich sie wirklich sehr lieb habe--" Darauf reichte ich ihr den Haufen Papierfetzen hin und nahm sie trotz ihres Sträubens in meine Arme. Tozo kam, während Marina noch bei mir saß und sich allerlei von Europa erzählen ließ.