Nr. 249.- 1915.

Unterhaltungsblatt des Vorwärts Donerstag, 28. Oktober.

Ein deutscher Maler.

siebziger Jahren und schließt mit Werken der letzten Zeit. Gezu lügen, wie ein Perkiniff unverschämt, boshaft, wie ein Snob 6,1 Quadratmeter Freifläche auf den Kopf kommen und in 5 Städten

fam.

zu verhüllen

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Kriegsversehrt ".

und

den Augenblic wenigstens, scheint er sie mit sich fortgenommen zu Normalmaß an Freifläche in den Städten anzusetzen sind. Unter haben. Immerhin, im Unterhause geht es nun, da er nicht mehr zugrundelegung dieser Zahl hat er die Verhältnisse in einer Anzahl darin weilt, weniger standalös" zu. Wenn Keir Hardie sich deutscher und englischer Großstädte verglichen. Dabei hat sich heraus­Bei Baul Cassirer sind mehr als fünfzig Trübners zu zu einer Anfrage erhob, gab es für die Ministerbank nur das eine gestellt, daß in 5 englischen Großstädten über 500 000 Einwohner Einzige, nämlich: zu lügen f.hen. Die Serie beginnt mit ganz frühen Arbeiten aus den wie ein Tartuffe, ungeachtet von Be- zwischen 300 000 und 400 000 Einwohnern sogar 9,1 Quadratmeter. wäre indes falsch, zu sagen, daß wir durch solche geschlossene Folge weisen, die genügt hätten, die Erde zu bedecken und den Himmel Nur in den 10 englischen Städten zwischen 100 000 und 300 000 einen Einblick in das Reifen und Meisterwerden des Malers be­bis wir zulegt fragten, ob denn unsere Regierung Einwohnern, die untersucht wurden, blieb die Freifläche unter dem kämen. Falsch, weil Wilhelm Trübner vom ersten Tage seiner nicht über einen anständigen Lügner verfügt, einen frechen, mächtigen Normalmaße von 6,5 Quadratmeter zurück. Anders und leider we­Malerlaufbahn an ein ausgereifter Meister war. Sin geradezu Persönlichkeit, in der das Böse Kraft genug hat, das Gute im Gegner fuchung berücksichtigten deutschen Städten. Am günstigsten ist das Lügner, einen Lügner mit Ueberzeugungen und Endzielen, eine sentlich ungünstiger stellen sich die Verhältnisse in den bei der Unter­beangstigend reifer. Aus dem Jahre 1872 hängt hier ein Bild, das der Einundzwanzigjährige gemalt hat: ein liegender Frauen- herauszufordern. Nun, da Hardie dahin ist, wird die Lüge den Verhältnis noch in 14 Städten von 200 000 und 300 000 Gin­aft, der hinter dem Vorhang so verborgen ist, daß nur die Beine üblichen Unterhaustyp annehmen: ruhig, sicher, würdevoll, der Lügner, wohnern, in denen das durchschnittliche Freiflächenmaß auf den Kopf In 4 Städten zu sehen sind. Die Malerei dieses Stückes ist von einer unverder die Luft allgemeinen Beifalls atmet und sich feiner anderen als der Bevölkerung 4,3 Quadratmeter beträgt. zwischen 300 000 und 400 000 Einwohnern fommen 3,8 gleichlichen Vollkommenheit; weich und melodios, dabei von ver- einer Empfindung für guten Geschmad bewußt ist. Meiner Ansicht nach fonnte Hardie nichts Besseres tun, als Quadratmeter Freifläche auf den Kopf, in 24 Städten blüffender Sicherheit und draufgängerischer Gestaltungskraft sehen wir ein Bild, das in die dichteste Nähe von Courbet gehört, hinter sterben. Wir konnten doch von ihm nicht erwarten, daß er es noch zwischen 100 000 und 200 000 Einwohnern nur 2,9 Quadrat­und in 6 Städten von 500 000 und mehr Ein­dem aber auch Velasquez noch deutlich spürbar ist. Das Wert weiterhin aushielt, inmitten der elenden Sklaven zu fizen, die sich meter des jungen Trübner scheint ganz schwer zu sein von Ernten, die für Sozialisten hielten, bis der Krieg fie in ihrem wahren Lichte wohnern gar nur 2 Quadratmeter. Mit Recht macht Wagner zu dem Jüngling zuwuchsen, ohne daß es ihm recht zum Bewußtsein zeigte? Was hatte er denn gemein mit den Leuten, die so helden diesen Zahlen die Bemerkung, daß es nicht wünschenswert sei, diesen Es waltet eine lachende Selbstverständlichkeit, eine naive mütig zum Widerstand gegen die Wehrpflicht entschlossen sind, daß Stand der Freiflächenpolitik in Deutschland auch für die Zukunft Sorglosigkeit über diesen Bildern. Dabei sind sie eleganter, welt- fie erklären, daß nichts Geringeres als Lord Kitcheners Ausspruch, als den" normalen" beizubehalten, wenn man sich flar macht, daß männischer als die von Leibl, zu dessen Kreis der junge Trübner daß sie nötig sei, ſie veranlaßt, dafür einzustehen? Was konnten ihm diese Einschränkung der Freiflächenpolitik auf Kosten der Jugend­gehörte. Beibl war nur vier Jahre älter; auch ihm war diese die Republikaner gelten, die dem König nicht gehorchen wollen, bis pflege und der Versorgung der Großstädte mit ausreichenden Spiel­plägen geschieht. Die Jugendpflege wird nach dem Kriege noch viel mertivürdige Frühreife gegeben. Vielleicht ist sie das Götter- er es befiehlt?" Und weiter: Man kann ihm nicht zumuten, um Macdonalds weitere und nachdrücklichere Rücksicht erfordern als bisher, geschenk aller, die wahrhaft berufen sind. Es kommt nur darauf out, ob der Beschenkte mit seinem Pfur 5 auch zu wüchern, ob er es und Bruce Glasiers willen zu leben, oder einigen anderen gescheiten damit wird auch die Vermehrung der Freiflächen in unseren Groß­zu verwandeln und zu entwickeln weiß. Damit ist natürlich nicht Schotten, oder Mr. Ponsonbys fleinem Kreis aufrechter alter städten zu einer besonders wichtigen Aufgabe werden. gefagt, daß dem Glüdsfind die Kurven und selbst die Niederungen willen oder zwei, da und dort, oder für das französische Gehirn von Liberaler der Viktorianischen Zeit zuliebe, oder um eines Fren erspart wären. Leibl ist in seinen Bildern oft stecken geblieben, Mr. Morel oder die deutsche Kultur Norman Angells oder selbst für er hat sie zerschnitten und vernichtet; Trübner verrannte sich in seine Walisischen Wähler. Was waren sie gegenüber der ungeheuren Zu diesem Worte, das an Stelle eines unzarten anderen geſetzt Wir hören oder lesen jetzt täglich von unseren Kriegsversehrten". Kompositionen, die ihn verdächtig dem Makarat und über diesen Masse der englischen Arbeiterschaft mit ihrer abergläubischen Furcht worden ist, läßt sich Interessantes bemerken. Manchen überrascht es zurück den Lärmmachern eines bereits entarteten Barods näherten. Der junge, athletische, allestönnende Maler ließ sich von der vor flarem Denken und ihrem eingefleischten Haß gegen die De wohl, zu erfahren, daß zwischen versehren" und dem so viel ge­Mythologie infizieren und bemühte sich um Gigantenkämpfe und mokratie, der tief in ihrem Bewußtsein, daß sie noch nicht reif brauchten Verstärkungswörtchen sehr die engste Verwandtschaft Amazonenschlachten. Diese Bilder gehören zu seinen schlechten; sie dafür sind, wurzelt und in ihrem Bedürfnis nach gütigen besteht. Unsere Sprache kannte früher den Ausdruck ser, der so biel fcheinen gelähmt, mit Absicht belastet, ohne Notwendigkeit. Sie bedeutete für Hardie nichts, daß unsere Junker und Sie Führern, E3 wie Schmerz besagte. stehen fatal zwischen Feuerbach und Stud. Zu ihm gehörte das Zeitwort seran, seren, bedeutete für Hardie nichts, daß unsere Junker und Aus- das eigentlich Schmerz machen" bedeutete. Von diesem stammt beuter mit ihrem Stabe von Berufspolitikern sich auf den verseren, d. h. verlegen, verwunden, beschädigen. Dichter, die alter­ihn von solcher Abschweifung zurückzubringen; er begann bald Krieg als Vorwand stürzten, die durch dreihundertjährige Kämpfe tümliche Worie gern gebrauchten, griffen auch auf jene Ausdrücke errungenen Freiheiten zu zerstören. Das erwartete er. Aber daß wieder die Natur, die große Mutter all der Malerei, die wir den selbst die Arbeiterpartei, die er unter so großen Mühen schuf, sich zurück. So fang Rückert von Fahr und Sehr", Wagner von Impressionismus nennen, sich freiwillig zum Gesez zu nehmen. Er, malte die Landschaft und den Menschen. Er malte mit fest zu- noch viel eifriger auf den Krieg warf, um diese Freiheiten preis zu fassenden, das Gegenständliche in Flächen zerlegenden, breiten, geben, um wieder in Hörigkeit zurückzuſinfen, und daß sie so laut saftigen Pinselstrichen. Von da an bis heute ist in den Bildern ausriefen: Ihr könnt Euren Führern trauen, sie werden Euch gut Trübners eine architektonische Klarheit und der Rhythmus einer behandeln", daß jene mit Taubheit geschlagen wurden, denen Sir Entschlossenheit, die aus dem Baumstamm mit scharfem Messer die Fred. Milner erklärt hatte, daß einige unserer Helden schmählich verborgene Figur herausholt. Trübners Malerei ist nicht liebens im Stich gelassen worden waren: das ist es, was den Lebenswillen würdig, aber von einer bezwingenden, mannhaften Reinlichkeit, Keir Hardies brach." fühl, klar, übersichtlich wie eine Landkarte oder ein Festungs­plan. Die Tonigkeit der Jugendbilder ist einer starten Bust an der Farbe gewichen. Diese Farbe aber, obgleich sie nie ängstlich zögert, vielmehr sich sehr entschieden behauptet, wirft niemals grell. Trübners heutige Bilder find wie der volle Klang eines Orchesters aus Blasinstrumenten. Er behandelt die Delfarbe nach der Methode des Frestos: jeder Pinselstrich( den man ohne feuilletonistische Uebertreibung einen Pinselhieb nennen fönnte) fit; das Bild in seiner Ganzheit ist wie ein organisches Ge­vächs. Ohne einen Hauch von Sentimentalität, aber auch ohne absichtliche Roheit, das Sachliche mit Kraft wollend und die Stärke der eigenen Persönlichkeit unter das Gesez des darzustellenden Objettes beugend, als aufrechter Herr ein Diener der Natur: so ist die Kunst Wilhelm Trübners, die Kunst dieses deutschen Malers. R. Br

Die Gaben, die Trübner in sich trug, reichten aber aus, um

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Kleines Feuilleton.

die sie vor berechnenden Schurken hüten?

" Zu hören, wie Deutsche und Engländer von gegenseitiger Ver­nichtung ihrer Länder sprechen, wie... wie Generale über die Länge des Krieges mutmaßen, ohne auch nur dem Scheine nach gezeigt zu haben, daß sie sich mit der Berechnung ernst beschäftigt haben; zu ſehen, daß eine Regierung, auf deren Schultern die Verantwortlich­feit für dies alles ruht, so wenig intellektuelle Kraft oder Fleiß be­fit, daß sie kein Budget anfertigen konnte, das nicht einfältig und unbedeutend wäre, all das war entsetzlich für einen Mann wie Hardie, weil er an das Schicksal seines Landes und Europas dachte und nicht in die Passionen eines Schuljungen verfiel, noch Partei­manöver und Ehrentitel im Auge hatte."

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sehnender Liebe sehrender Not" und der Walküre ſehrendem Blick". Außer dem Hauptwort ser und dem Zeitwort seren gab es aber auch noch ein Eigenschaftswort ser, das zunächst schmerzvoll, ichmerzverursachend", später auch verlegt, wund" bedeutete. In diesem letzteren Sinne lebt der Ausdruck übrigens in der schwäbisch­bayerischen Mundart noch fort. Dieses Eigenschaftswort ser wurde nun schon früh als Verstärkung verwendet zunächst nur, um einen hohen Grad von Schmerz, Leiden und Wundheit zu bezeichnen, dann aber überhaupt als Verstärkung im Sinne von heftig, gewaltig, So sind wir zu unserem sehr" in seiner heutigen Bedeutung gekommen. Unserem ser Schmerz entsprechen ähnlich lautende Worte in einer Reihe von anderen Sprachen. Erinnert sei nur an das englische sore, Schmerz, Wundheit, oder an das dänische saar, Wunde.

Bunde. mbe. 9220­

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Notizen.

Kunst chronif. Die Große Berliner Kunstausstellung 1915, Pariser Platz 4, wird Sonntag, den 31. Okt., abends 6 Uhr, ge­schlossen. Musitchronit. Dstar Fried führt im dritten Konzert Die Freiflächen in den Großstädten. des Verbandes der Freien Volksbühnen im Theater am Bülowplay Eine für die fünftige Entwicklung der deutschen Städte sehr be- am 31. Oftober mittags 12 Uhr Liszt's Fauftsinfonie mit dem Phil­deutsame Frage hat Martin Wagner zum Gegenstand einer Unter- harmonischen Orchester auf. Im Schlußchor wirken Rudolf Lauben­suchung gemacht. Sie gilt nämlich dem sanitären Grün der Städte", thal( Tenor) und der Berliner Sängerverein( Caecilia- Melodia) mit. und zwar versucht Wagner seine Theorie der für das gesundheitliche Weingartners, Dame Kobold" im Deutschen Gedeihen der Großstadtbevölkerung notwendigen Freiflächen zu bes Opernhause . Weingartners jüngstes Wert, die dreialtige gründen. Stübben hat eine Berechnung aufgestellt, wonach fomische Oper Dame Kobold" wurde zur Aufführung in dieser auf den Kopf der städtischen Bevölkerung zwei Quadratmeter Spielzeit im Deutschen Opernhause angenommen. an Freifläche als das notwendige Normalmaß anzusetzen Der Kampf gegen die deutsche Puppe. Schon Bernard Shaw hat seinem Kampfgenossen Keir Hardie einen find. Diese Berechnung leidet jedoch unter dem Mangel, daß vor einem Jahre begann in England und Frankreich der energische Nachruf gewidmet, der eine einzige Anflage gegen die englische Stübben nur die Versorgung der großstädtischen Bevölkerung Kampf gegen die deutsche Puppe, aber in der letzten Zeit geht man Striegspolitik und ihre Helfershelfer aus der Arbeiterpartei ist. Mit mit Parkflächen ins Auge gefaßt hat. Von nicht geringerer noch rigoroser mit den armen leblosen Dingern um. Jahrzehnte­bitterem Sarkasmus beginnt er: Bedeutung aber als die Beschaffung ausreichender Parkanlagen ist lang haben sich die französischen Kinder an den deutschen Puppen " Im Unterhaus und in der Arbeiterpartei verbreitet sich, deffen auch die Fürsorge für die spielende und sportliche Betätigung der erfreut, die ihre Eltern ihnen mit Vorliebe schenkten. Jetzt werden bin ich ganz sicher, ein Gefühl der Erleichterung, da nun seir Großstadtjugend, wodurch ein erheblich größeres Maß von Freifläche, ihnen die Augen geöffnet, wie geschmacklos dieses deutsche Spielzeug Hardies Körper der Verwesung anheimgegeben ist. Könnte ich nur, als Stübben errechnet hat, sich als notwendig herausstellt. Wagner war. Man hat jezt einen Verein gegründet, der sich Patrie" um die Furcht vor ihm wieder zu erwecken, beifügen, daß seine Seele fommt zu dem Ergebnis, daß unter Berücksichtigung dieses Bedürf- benennt und dessen Mitglieder sich verpflichten müssen, weder deutsche aber noch umgeht. Doch dessen bin ich nicht so sicher, denn, für niffes 6,5 Quadratmeter auf den Kopf der Bevölkerung als das noch österreichische Artikel zu kaufen.

1]

Shaw über Keir Hardie .

Die Hochzeit.

Von A. Ku prin. 1.

Es ist Abend. Das Zimmer liegt im Dunkeln. Der Fähnrich sitzt vornübergebeugt am Bettrande und hat das eine Bein über das andere gelegt. Er hält eine Gitarre in den Händen und saugt an der verlöschten Zigarette, die an seinen wulstigen Lippen flebt.

Das X- te Linien- Infanterie- Regiment ist in einem jammer- Dede Finsternis herrscht im Zimmer, doch Sloskin ist lichen Städtchen des Südwestgebietes stationiert und eines zu faul den Burschen zu rufen und die Lampe anzünden zu feiner Bataillone wird jeden Herbst abwechselnd nach einem, lassen. Hinter den Fenstern ragen aus der Dämmerung sechzig Werst entlegenen jüdischen Grenzorte abfommandiert, draußen einzelne schwarze, schneebedeckte Aeste hervor und der auf keiner geographischen Karte verzeichnet ist. Dort dahinter erkennt man schwach ferne, verschneite Dächer, die bleibt es den Winter und das Frühjahr bis zu der Zeit, da gleich weißen, weichen Müßen kleine blaue Hütten bedecken. das Regiment ins Feldlager zieht. Die Bataillonsfomman. Noch weiter, hinter der Eisenbahnbrücke zeichnet sich grell deure wechseln alljährlich mit dem Bataillon, die Subaltern- zwischen dem bläulichen Schnee und dem dunklen Himmel ein offiziere bleiben aber fast immer dieselben. Der strenge schmaler roter Streifen der untergehenden Sonne ab. Oberst verbannt dorthin alles, was im Regiment faul ist: Die Feiertage haben den Fähnrich aus dem gewohnten, Spieler, Trinker, Unbrauchbare und Faule, Offiziere, die nicht eingefahrenen Gleise gebracht und seine Seele mit lichter, zu tanzen verstehen, und schließlich einfach Offiziere, deren stiller, nachdenklicher Wehmut erfüllt. Morgens schlief er bis Aeußeres so unrepräsentabel ist, daß davon die Front schwer- elf Uhr, schlief mit Gewalt, schlief für Rechnung der kommen­mütig wird". Die höhere Obrigkeit läßt sich in diesem Neste den und der vergangenen Werktage, schlief so lange bis ihm ohnehin nie blicken, den Oberbefehl aber über diese ver- der Schädel brummte, die Stimme heiser war und die Augen­bannten Truppen hat schon seit Jahren ein alter, dem lider sich röteten und schwer wurden. Es schien ihm sogar, Trunte ergebener, schwachsinniger, redseliger und gutmütiger daß er zum erstenmal in seinem Leben- etwas geträumt hatte, doch was es war, daran fonnte er sich, so sehr er sich Weihnachten. Nach lange anhaltendem Schneegestöber auch anstrengte, nicht mehr besinnen. Herrscht endlich schönes Wetter. Die Straßen sind bedeckt mit jungem, frischem, angenehm duftendem Schnee, der kaum von vereinzelten Schlittenspuren aufgewühlt ist. Die sonnigen Tage sind blendend grell und fröhlich. Nachts leuchtet der volle Mond und färbt den Schnee blau. Gegen Mitternacht nimmt der Frost zu und dann kann man im ganzen Orte hören, wie der Schnee unter den Schritten des Nachtwächters fnirscht.

Hauptmann, namens Ofisch.

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Nach dem Frühstückstee zog er seine Feiertagsstiefel aus französischem Lacleder an und schlenderte, die Hände in den Taschen vergraben, ziellos durch die Straßen. Aus Lange­weile betrat er im Vorbeigehen die offenstehende katholische Stirche und ließ sich für eine Weile in eine Chorbank nieder. Die Kirche war leer, geräumig, falt und dumpf. Die Orgel wiederholte gedehnt immer wieder drei gleiche tiefe Töne, als suche sie den Abschluß einer Melodie, ohne ihn finden zu

Die Kompagnien feiern nun schon den dritten Tag. Die fönnen. Mehrzahl der Offiziere hat sich nach dem Regimentsstabe be- Fünf sechs alte Männer und etwa ein Dukend alter urlaubt, andere reisten ohne Urlaub ab. Dort in der Stadt Weiber, die alle wie Bettlerinnen aussahen, sangen, in ihre herrscht jetzt lauter Fröhlichfeit: im Kasino findet ein Gebetbücher vertieft, mit zitterigen Stimmen unfino irgend­Offiziersball statt mit einer Dilettantenaufführung, im einen endlos langen Choral. Banna Maria! Panna Maria! Kro- lo- wa!" unter­Bürgerklub ein Maskenball, im Theater gastiert eine Schauspielertruppe, die abwechselnd Komödien, klein- russische schied der Fähnrich und lächelte verächtlich vor sich hin. Die Singspiele mit Tanz und Schnapsgelagen und seichte Ope- fremden, polnischen Worte erschienen ihm sinnlos und komisch. retten aufführt. Die verheirateten Offiziere geben der Reihe Es kam ihm stets vor, als würden sie nur zum Scherze hin­nach Tanzabende mit Schlittenpartien, Kartenspiel und Abend geplappert, etwa so wie das Plappern der Kinder, wenn sie, essen. Vom ganzen vierten Bataillon sind nur drei Offiziere ihre Zungen übend, die unmöglichsten Laute erfinden: kalala, zurückgeblieben: der Führer der 16. Kompagnie, Kapitän malala, palala.. Butwilówitsch, der kränkliche Leutnant Stein und der Fähnrich Sloskin.

Und auch die Ausstattung des fremden Tempels, die Muffelinvorhänge am offenen Mtar, das eichene, geschnitte

Katheder, die Bänke, die Orgel, die bemalten Statuen, der glattrasierte Priester, das Klingelzeichen, der Beichtstuhl, das alles erweckte in ihm feinen Respekt, und er hatte das Gefühl in einen großen, herrenlosen, steinernen Stall ein­getreten zu sein. Beten und sizzen dabei," dachte er ver­ächtlich.- ,, Bagage!"

Er verachtete alles, was nicht zur Alltäglichkeit seines engen Lebens paßte oder was er nicht begriff.

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Er verachtete die Wissenschaften, die Literatur und alle Künste, verachtete das hauptstädtische Leben, noch mehr aber das Ausland, obwohl er von alledem nicht die geringste Vorstellung hatte, er verachtete bedingungslos alle Zivilisten und alle Reservisten mit höherer Bildung, verachtete die Garde und den Generalstab, alle fremden Religionen und Nationalitäten, verachtete tief alle gute Erziehung, ja sogar die einfache Reinlichkeit, alle Nüchternheit, Höflichkeit und Keuschheit.

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Er kam bom geistlichen Seminar, ohne es absolviert zu haben, und da es ihm nicht gelang, einen vakaten Psalmiſten­posten in der großen Stadt zu erlangen, trat er als Frei­williger ins Regiment ein und wurde williger ins Regiment ein und wurde nach schwerer Ueber­windung der Junkerschule- Fähnrich.

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Jest zählte er 26 Jahre, war großgewachsen, fahlköpfig und blauäugig, hatte eine unreine Gesichtsfarbe und einen starken, blonden, struppigen Schnurrbart.

Nach dem Verlassen der Kirche kehrte er beim Leutnant Stein ein, spielte mit ihm eine Partie Schach und trank dazu einige Gläschen Schnaps.

Steins Gesicht war durch eine alte vernachlässigte Krant­heit verunstaltet. Alte vernarbte Wunden leuchteten wie weißschimmernde zackige Flecke darauf, die frischen Narben waren mit schwarzen Quecksilberpflästerchen verklebt. Nie­mand von den jungen Offizieren wunderte sich oder war gar angewidert, wenn Stein diese Verzierungen mit mythologi­schen Bezeichnungen belegte, wie: der Kuß der Venus, Sporenschlag von Mars, Dianens Pantöffelchen usw.- Einst unmittelbar nach dem Verlassen der Militärschule war er ein schöner Jüngling, von der lieblichen, rosigen, schlanken Schönheit eines gepflegten Knaben aus gutem Hause. Er fuhr indessen fort, sich auch jetzt noch für eine Schönheit zu halten: die langsame, täglich fortschreitende Verwüstung des Gesichts bemerkte er ebensowenig, wie liebende Gatten die auftauchenden Züge des allmählichen Alterns beieinander zu bemerken pflegen.

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( Forts. folgt.)