gehört, das sieht doch jedes Kind ein, ein Gegenstand, eine Ein- richtung, eine Person, gegen welche die Unzufriedenheit sich richtet, und gegen welche aufgehetzt wird. Ist kein Gegenstand, keine Einrichtung, keine Person vorhanden, die Stoff zur Unzufrieden- heit, Anhaltspunkte für's Aufhetzen bieten, so ist kein Sterblicher und kein Unsterblicher im Stande, dauernde Unzufriedenheit zu erregen, mit nachhaltigem Erfolg aufzuhetzen. Die Versuche, es zu thun, würden sich sehr bald als aus trügerischer Grundlage beruhend herausstellen und die betreffenden Unzufriedeuheit-Er- zcuger und Aushetzcr als Charlatane entlarvt werden. Weder Staat noch Gesellschaft haben von solchen Versuchen, von solchen Charlatanen etwas ju fürchten. Sie zerschellen hoffnungslos an der Logik der Thaffachen, an dem ehernen Wall der Wirklichkeit, ohne daß es einer Bande von gewerbs- und berufsmäßigen Staats- und Gesellschaftsrettern bedürste. Anders, wenn Gegenstände, Einrichtungen, Personen vorhanden sind, welche Stoff zur Unzufriedenheit, Anhaltspuntte für's Auf- Hetzen bieten. Wer gegen sie aufhetzt, Unzufriedenheit zu erregen strebt, der findet allerdings einen fruchtbaren Bodem Das leiseste Wort, die verhüllteste Anspielung läßt eine üppige Saat der Un- zufriedenheit aufschießen. Und die erwerbs- und berufsmäßigen Staats- und Gesellschaftsretter, welche die Saat abschneiden, niederstampfen, die Sämänner verhasten, einsperren— verrichten bei angestrengtester Arbeit die Arbeit von Narrenhäuslern, die in ein Sieb Wasser schöpfen oder Löcher in die Luft bohren. Neben der abgeschnittenen, niedergestampften Saat springt neue Saat in unerschöpflicher Fülle hervor, und an die Stelle jedes verhafteten, eingesperrten Sämanns treten zwei, treten zehn neue Sämänner. Fangen Sie an zu begreifen, Herr Tessendorf und Compagnie? Unzufriedenheit läßt sich nicht künstlich erzeugen; sie kann nur das„Produkt" realer Verhältnisse sein. Und ist sie dies, so kann sie, was wiederum jedes Kind einschen muß, blos dadurch beseittgt werden, daß die Verhältnisse, durch welche sie erzeugt worden, beseitigt werden. Das ist doch klar? Sie haben doch den alten Schulsatz nicht vergessen, Herr Tessendorf und Com- pagnie, daß die Wirkung nur mit der Ursache aufhören kann? Den Arzt, welcher die Krankheit eines Menschen constatirt, für den Urheber dieser Krankheit erklären und demgemäß be- strafen— das wäre doch sehr ungerecht, das wäre doch geradezu verrückt— nicht wahr, Herr Tessendorf und Compagnie? Und um kein Haar breit weniger ungerecht und verrückt ist es, diejenigen Männer anzuklagen und zu bestrafen, welche die Krankheit des heutigen Staats- und Gesellschaftsorganismus con- statiren. Begriffen, Herr Tessendorf und Compagnie? Diese Männer, das sind die Sozialdemokraten. Wir erzeugen nicht die Krankheit— wir verkündigen sie, wir weisen nach, wo das Uebel sitzt, und wie es zu heilen. Wir verbreiten nicht Unzufriedenheit, wir verbreiten blos Licht über die berrschenden Zustände und Persönlichkeiten, welche «seil Stoff zur Unzufriedenheit bieten. Die Unzufriedenheit ist der Hebel unserer Macht, die unent- behrliche Vorbedingung unseres Erfolgs. Das haben Sie kapirt (erfaßt), Herr Tessendorf und Compagnie. Aber nicht kapirt haben Sie, daß die Unzufriedenheit nicht unser Werk ist, son- dern das der herrschenden Zustände und Persönlichkeiten. Je gemeinschädlicher, je augenfällig verderbter und unvernünftiger die herrschenden Zustände und Personen, desto größer die Unzu- Eiedenheit, desto sicherer, desto näher unser Erfolg. Begreifen Sie jetzt, Herr Teffendorff und Compagnie, warum nr vorhin sagten, wir ertheilten Ihnen diese kleine Belehrung uf die Gefahr hin, uns selbst zu beuachtheiligen? „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen", heißt's in der Bibel; und wir fügen hinzu:„An ihren Früchten werden sie zu Grunde gehen!" Und Sie, Herr Teffendorff und Compagnie, gehören doch wahrlich zu den schönsten Früchtchen, zu den uns nützlichsten Früchtchen der herrschenden Staats- und Gesellschaftszustände. Was sollte aus uns werden, wenn wir Sie verlören? Im Vertrauen wollen wir aber gestehen: wir hegen keine derartige Furcht, wir sind überzeugt, daß Sie gegen unsere Belehrung mit dem dreifachen Erz des Unfehlbarkeitsbewußtseins gewappnet sind und auf der bisherigen, uns so segensreichen Bahn weiter- nmrschiren werden. Nochmals: was wären wir ohne Sie? Was wären wir ohne Herrn Stieber und die Reptilienbrut? Was wären wir ohne Herrn Bismarck und seine Blut- und Eisenpolitik? Was wären wir ohne Graf Eulenburg und sein „Die Flinte schießt, der Säbel haut"? Was wären wir ohne das kolossale Fiasko der europäischen „Staatsmänner" und„Diplomaten" in der„orienta- 'ischen Frage"? Was wären wir ohne die Handels- und Jndustriekrise, die seit vier Jahren das Füllhorn des Elends und der Roth ber die„civilisirte" Welt ausschüttet, und Jeden, der da fähig ist zu fühlen und zu denken, in das Lager der Sozialdemokratie drängt? „Unsere besten Agitatoren"— so schloffen wir unseren letzten Artikel—„das sind die faulen staatlichen und gesellschaftlichen Zustände und deren Vertreter." Diese Agitatoren lassen wir siegesgewiß für uns wirken. Wir haben das Volk blos über ihr Wesen und Wirken aufzu- klären. Es leben die Tessendorffe, Stieber, Bismarcke, Eulenburge! Es lebe die Blut- und Eisenpolitik! Es lebe die Krisis!„Es leben unsere Freunde, die Feinde!" Die Urkrast des Weltalls. i. So lautet der Titel eines Buches, in welchem Professor Spiller in Berlin eine Erklärung der Hauptthatsachen des Naturwissens versucht. Dasselbe ist gleichsam die Fortsetzung eines früheren Werkes von demselben Verfasser,„Kosmogonie " getitelt, und verschiedener kleinerer Schriften, in welchen er seit 'ielcn Jahren die Einheit der Naturkräfte verficht. Es ist ein äußerst kühnes Unternehmen zu nennen, wenn der Mensch das Weltganze gleichsam im Geiste nachzuschaffen versucht, wie Spiller dies hier unternimmt; allein das Wagestück muß versucht werden, oeil der Mensch das erhabene Bedürfniß hat. Alles zu be- reifen. Wenn wir es versuchen, unseren Lesern den Gedanken- ng dieses Nawrforschers gemeinverständlich vorzuführen, so 'sen wir um so mehr auf ihre Geduld und Aufmerksamkeit ren, da es unerläßlich ist, zugleich den heutigen Standpunkl �Naturwissenschaften dabei kurz und klar auseinanderzulegen, �Bekanntschaft der Verf. voraussetzt. Und da die Sozial- �n�tie nach nichts so sehr als nach Gerechtigkeit strebt, so toHlt|tt,,sie es Männern wie Spiller und dem noch öfter Sorge cwähnenden Fried r. Mohr in Bonn , deren Haupt- von wissenschaftlichen Kreisen lange genug todtzu- gesucht wurde, sc diese Leistungen an das helle ' was eigentlich das Naturerkennen ist. Jeder unter uns lernt Tausende von Dingen rund um sich her kennen und oberfläch- lich von einander unterscheiden, leider aber hat es der Mensch- heit eine lange, lange Zeit gekostet, ehe sie anfing, überhaupt etwas zu erkennen. Denn Erkennen heißt das Entstehen von etwas näher kennen. Daß die Hühner und noch viele andere Thiere aus Eiern entstehen, das war seit uralten Zeiten bekannt; aber wie sie und alle Thiere aus Eiern entsteh».!, das ist eine sehr neue Erkenntniß, welche nicht eher gewonnen werden konnte, als bis das Vergrößerungsglas erfunden war und eine Menge geduldiger Forscher Schritt für Schritt der Entwickelung der Eier jeder Art von Thieren nachgespürt hatte. Vorher glaubte man blos, daß„alles Lebende aus Eiern" komme; jetzt weiß man es, weil noch nie eine Ausnahme von diesem Satze hat nachgewiesen«erden können. Es bleibt nun zwar noch immer möglich, daß eine solche Ausnahme nachge- wiesen wird; und von den niedrigsten und kleinsten Lebewesen nachzuweisen, daß sie nicht aus Eiern, sondern aus ganz form- loser, unorganischer Masse entstehen können(Urzeugung), wird noch immer eifrig versucht. Da aber diese Versuche bei genauer Forschung und Vorficht noch immer fehlgeschlagen sind, so ist die Wahrscheinlichkeit, daß es eine Urzeugung jetzt noch auf der Erde gebe, äußerst gering. Es bleibt nun freilich trotzdem denkbar, daß es vor Alters auf Erden Zustände gegeben habe, in welchen sich ohne Eier die allerersten Lebewesen haben entwickeln können; allein so lange nicht heutzutage unzweifelhafte Urzeu- gung nachgewiesen wird, haben diejenigen Forscher genau ebenso viel Recht, welche die Keime der ersten Lebewesen von anderen Himmelskörpern gekommen sein lassen, als es die Verfechter einer ersten Urzeugung auf Erden haben. Hier sehen wir an einem Beispiele, wie das echte Natur- erkennen verfährt. Es stellt zuerst finnlich erkennbare Thatsachen in großer Menge fest, ordnet dieselben nach ihrer Aehnlichkeit und Unähnlichkeit in viele verschiedene Klassen, Abtheilungen und Unterabtheilungen; und wenn dieselbe einzelne Thatsache immer unabänderlich wiederkehrt, nennt man dieselbe ein Gesetz, womit eben weiter nichts gesagt sein soll, als daß eine Ausnahme bisher noch nicht entdeckt ist, daß also mit großer Wahrscheinlichkeit die- selbe Thatsache immer wiederkehren wird. Alle ähnlichen Gesetze werden wieder unter allgemeine Gesetze zusammengefaßt, wie B. daß alle Lebewesen sterben, oder das noch allgemeinere esetz, daß alles Entstandene(Endliche) wieder vergeht. Je mehr Thatsachen fich unter einem allgemeinen Gesetze zusammen- fassen lassen, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, daß ferneres Forschen jemals dieses Gesetz umstoßen könne. Wir finden z. B. in Tausenden von Millionen Fällen, daß alle Gras- Halme, Bäume, Pflanzen, überhaupt alle Thiere, alle Menschen, alle Einzelwesen, welche beobachtet werden, absterben; daß nie derselbe Grashalm, dasselbe Thier, derselbe Mensch nach dem Tode'wieder auflebt; daß überhaupt alle Einzelwesen sich nur auf Kosten und aus den. Bestandtheilen anderer zum Leben ent- wickeln können; daß es also das Wesentliche des Einzelnen ist, in der Zeit endlich zu sein. Das eben genannte allgemeine Gesetz ist zwar nicht schlechterdings gewiß; aber seine Wahrschein- lichkeit verhält fich zu der des Gegentheils wie viele Millionen mal Millionen zu Eins. Wir haben kaum irgend etwas Ge- wisseres, und wenn wir nicht aufhören sollen zu denken, müssen wir diesem allgemeinsten Gesetze größere Gewißheit zugestehen, als den meisten Thatsachen und Gesetzen. Ein anderes solches allgemeinstes Gesetz ist dieses, daß alle Dinge aus Stoffen bestehen, in und an welchen Veränderungen vorgehen, wobei derselbe Stoff immer wieder dieselben Erschei- nungen zeigt. Das, was immer dieselben Erscheinungen bewirkt, nennen wir Kraft, oder mit einem noch allgemeineren Ausdrucke Bewegung, und wir haben solcher Bewegungen bisher acht unterscheiden gelernt. Während nun alle Einzeldinge ohne Aus- nähme vergänglich sind, hat es bisher noch nicht gelingen wollen, irgend einen Stoff, oder irgend eine der acht Kräfte zu ver- nichten, sondern nur zu verwandeln, wobei aber nichts verloren geht. Die Stoffe und Kräfte(Bewegungen) müssen also ewig genannt werden, womit allerdings nur gesagt sein soll, daß sie für das menschliche Erkenntnißvermögen so gelten müssen. Solcher Stoffe, aus welchen Einzeldinge bestehen, kennen wir bis jetzt sechzig und neun; es mögen deren aber mehr sein, da mehr- fach neue hinzuentdeckt worden sind, oder auch weniger, da zwei oder mehr jetzt verschiedene Stoffe vielleicht blos unter Umständen verschieden, im Wesen aber derselbe sein mögen. Es mag auch mehr als acht Kräfte(Bewegungsarten) geben, oder auch weniger, wenn nachgewiesen wird,' daß eine aus der andern hervorgehen kann. Das ändert aber nichts an der Ewigkeit jedes wirklichen Urstoffes und der wirklichen Urkräfte. Das Na- turerkcnnen ist also ehrlich und bescheiden: es macht einen Unter- schied zwischen dem, was es so gewiß weiß, als der Mensch von seinem Dasein weiß, und dem, was es blos vermuthet. Es sticht darin sehr von der Religion ab, welche gar nichts weiß, aber verlangt, daß man ihr jede Erdichtung buchstäblich glauben soll, bei Strafe ewiger Berdammniß. Die Dinge erscheinen im Räume nebeneinander, und in der Zeit nacheinander. Raum und Zeit find aber keine Einzel- dinge, und sind auch keine Stoffe und Kräfte. Mit den letzteren beiden haben sie die Unendlichkeit gemein, mit den ersteren, daß wir sie ohne einander nicht vorstellen können. Wenn wir uns alle einzelnen Dinge, welche im Räume find, hinwegdenken, so behalten wir ein unendlich großes, schrankenloses Nichts übrig; und wenn wir uns ebenso alle Dinge, welche in der Zeit nach- einander erscheinen, gänzlich hinwegdenken, so behalten wir ein unendlich langes schrankenloses Nichts übrig. Unser endlicher Geist ist so beschaffen, daß wir nichts Unendliches uns vorstellen können; aber wir find gleichwohl gezwungen, Stoff und Kraft als im Räume und in der Zeit unendlich, d. h. schrankenlos zu' denken, wenn wir nicht zu denken aufhören wollen. Es fällig dem gemeinen Menschenverstände sehr schwer, sich Raum und Zeit als ein Nichts(d. h. nirgend als in unserem Geiste vor-: Händen) zu denken, weil wir beschränkte Räume und beschränkte Zeiten für wirklich vorhanden anzusehen gewohnt sind. Man kann sich aber bei scharfem Denken gar wohl davon überzeugen,! daß jeder Raum nur dadurch vorstellbar wird, daß er durch Schranken eingeschlossen ist, und jeder Zeitabschnitt nur dadurch, daß wir ihn an der Uhr, am Sonnenstände, kurz an endlichen Grenzen messen. Da wir also alles Endliche nur mit den Sinnen, durch Er-! fahrung, erkennen, alles Unendliche aber nur mit dem Denkoer- mögen, so könnte es scheinen, als gäbe es überhaupt nichts Unendliches, als sei das Unendliche blos ein Truggebilde unseres Denkens; denn wir können sein Vorhandensein nie und nimmer beweisen, d. h. sinnlich vorführen. Das wäre aber ein Jrrthum. Denn wir können unfern eigenen Geist nicht sehen, hören, schmecken, riechen oder fühlen, und doch wissen wir, daß er da ist. Und ebenso wenig können wir die Kräfte sehen; denn wir sehen, höre» kühlen k. blos ihre Wirkungen. r und doch sind sie als unendliche vorhanden, weil sie in unserem Geiste vorhanden sind. Es geht uns ebenso mit allen abge- zogenen(abstrakten) Begriffen, wie z. B. Größe, Werth, Liebe, Vielheit ic.— wir können nur einzelne große, werthvolle Dinge, einzelne liebreiche Handlungen oder Gefühle, ein Viel von ein- zelnen Sachen, aber nicht die Größe, den Werth ic. selber wahrnehmen. Sie find nur in unserm Geiste vorhanden, aber trotzdem wirklich. Das All ist ebenso unendlich in Raum und Zeit zu denken, . obwohl wir es nicht vorstellen können. Wenn wir nun es er- kennen, d. h. seine Entwickelung begreifen wollen, so ist zu bedenken, daß unser endlicher Geist immer nur einen außeror- deutlich kleinen Theil davon sinnlich wahrnehmen kann, also be- treffs des nicht Wahrzunehmenden fich mit Vermuthungen be- helfen muß, welche mehr oder minder wahrscheinlich sein mögen. Sind diese Verniuthungen aber den Denkgesetzen gemäß, und zeigt uns die finnliche Erfahrung innerhalb des bekannten Theiles des Alls keine unumstößlichen Gesetze, denen jene Vermuthungen widersprechen, so sind wir durch unser Denken genöthigt, wahre Folgerungen zu erwarten. Politische Uebersicht. — Recht bedauernswerth ohnmächtige Leute sind doch mitunter die Fürsten . Das sehen wir wieder aus nach- stehendem Telegramm: „Weißenburg , 27. Sept. Eine vom Kaiser nicht einer Depu- tation, sondern einer einzelnen Person aus der ihm vorgestellten Ritterschaft in Stuttgart gegenüber gesprächsweise gemachte Aeußerung über die politische Lage hatte nach authentischer Mit- thcilung folgenden Inhalt:„Er sei erfreut, sich der Hoffnung hingeben zu können, daß nun der Friede gesichert erscheine. Die Lösung der Aufgabe sei freilich keine leichte gewesen; man möge nur bedenken, wie schwer es dem Kaiser Alexander ge- macht worden sei, diesen neuen Beweis seiner Friedens- liebe zu geben. Jetzt scheine aber eine Grundlage für die Politik der großen Mächte gefunden, welche hoffentlich zu einem gedeihlichen Ziele führen werde." In unserer plebejischen Ignoranz hatten wir uns eingebildet, das erbfreundliche„Väterchen" hätte blos einen Finger zu er- heben brauchen, und von den 15,000 russischen Offizieren und Soldaten, die sich in Serbien türkische Prügel geholt haben, wäre keiner aus Rußland herausgekommen. Wir hatten uns ferner eingebildet, das deutsche Reich wäre so stark, daß es nur eines Zaunpfahlwinks mit ein paar Regimentern deutscher Sol- baten bedurft hätte, um die Miniatur- und Marionettenfürsten Milan und Nikita am Krakehlen zu verhindern— falls nicht von anderer Seite her Gegcnwinke erfolgt. Wir sehen, wir haben uns getäuscht; und die zwei vermeintlichen Miniatur- und Ma- rionettenfürsten sind in Wirklichkeit großmächtige Monarchen, mit denen die zwei, bisher für unvergleichlich stark gehaltenen Kaiser von Rußland und Deutschland nur mit Mühe und nur mit Hilfe des übrigen Europa fertig geworden. — Die zunehmende Sittenverwilderung ist eine das deutsche Reich besonders auszeichnende Thatsache. Unsere lieben Feinde haben sich alle erdenkliche Mühe gegeben, der sozialisttschen Agitation die Schuld für diese beschämende Erscheinung in die Schuhe zu schieben, aber vergebens! Die Unsittlichkeit, die fri- vole Uebervortheilungs- und Betrugssucht, die theilweise kanni- balische Roheit, welche gerade bei den„höheren",„gebildeten", „besseren" Ständen in Hunderten von unvcrtuschbaren Fällen explodirte und die sittlichen Mängel des verachteten Proletariats trotz der kindischen Roheitsstatistik des kindischen Harkort total in Schatten stellte, zeigte, wo die gesellschaftliche Fäulniß die tiefsten Wunden geftessen hat. Wie unschuldig die Sozialdemo- kratie und wie sehr schuldig das herrschende System ist, beweist auch die Zunahme der Anklagen gegen Polizisten wegen Mißhand- lungcn, verübt im Dienste, also an Wehrlosen. Zu diesem Kapitel erzählt die„Vossische Zeitung": „Außer der kürzlich vor der Vll. Kriminal-Deputation verhandelten Anklage in Sachen des Hausdieners Gorski, worüber, wie wir unter„Gerichtsverhandlungen" mitgetheilt haben, sich der Staatsanwalt Simon von Zasttow die Akten hat zustellen lassen, um zu ermitteln, ob der Wächter Meißner den Genannten wirklich in der von diesem behaupteten Weise verletzt hat, erschien, wie die„Staatsbürger Zeiwng" berichtet, am Montag schon wieder ein Schutzmann in Uniform auf der Anklagebank, um sich wegen mehrfacher Ausschreitungen zu verantworten. Die Sache wurde behufs weiterer Aufklärung vertagt. Gestern stand aber- mals ein Schutzmanns-Wachtmeister, wegen ähnlicher Bergehen im Dienste angeklagt, vor Gericht, worüber wir auf den heuttgen Bericht unter„Gerichtsverhandlungen" verweisen." Und wie bei der Polizei, so steht es beim Militär. Je di- rekter einzelne Bevölkerungskreise von den herrschenden Gewalten abhängen, desto deutlicher treten an ihnen die Spuren der fitt- liehen Zersetzung zu Tage. Es ist das sprechendpe Zeichen der Zeit— diese Sittenverrohung im Jahrhundert des Dampfes, im Jahrhundert des eminentesten wissenschaftlichen Aufschwungs — ein Menetekel, welches untergangverkündend in die Mlitair- und Bourgeoiswirthschaft hereindroht. — Deutsche Spießbürger sind gefährliche Menschen. Sind sie enragirt liberal— und das ist meistens ihr Fall— so werden sie uns, den Sozialdemokraten, fürchterlich, oder— im Vertrauen gesagt— lächerlich. Also geschah es auch mit einer Philistergesellschaft in Stuttgart , welche nach einer Mitthcilung unsres Stuttgarter Parteiorgans, während der Anwesenheit des deutschen Kaisers in Würtemberg allen Ernstes die Nachricht zum Beginne vorigerWoche colportirte, die Stuttgarter Sozial- demokraten wollten den deutscheu Kaiser ermorden!— So niederträchtig ist der deutsche Spießbürger nicht, daß er der- gleichen erfindet, ohne es selbst zu glauben; es bleibt also nur die Annahme übrig, daß die liberalen Jammerseelen in der würtembcrgischen Hauptstadt wirklich so unendlich dumm sind, uns kaisermörderische Absichten zuzutrauen. — Unsere dänischen Parteigenossen greifen tapfer in das öffentliche Leben ein. Sie halten gewaltige Volksversamm- lungen ab, in denen sie ihre Stimme gegen die hervorstechendsten Punkte der dänischen Mißwirthschaft zu entschiedensteu Protesten erheben. Am 18. September empfing der Kriegsminister, General Haffner, eine Arbeiter- Deputation, welche ihm die Re- solution überreichte, die von der am vorletzten Sonntag von den Sozialdemokraten veranstalteten Volksversammlung angenommen worden war. Die Resolution, welche hauptsächlich in Beran- lassung der Verurtheilung eines Husaren- Rekruten zu lebens- länglicher Zuchthausstrafe wegen thätlichen Angriffes auf seine Vorgesetzten gefaßt wurde, lautet:„Die versammelten Arbeiter
Ausgabe
2 (1.10.1876) 1
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten