verzichten. Das wäre zwar unangenehm, einwenden ließe sichaber nichts. Wenn Brentano ebenso verfahren wollte, hätte ersagen müssen: ich möchte zwar vor allen Dingen eine möglichstallgemeine Kultur, wenn auch eine weniger auf die Spitze ge-triebene; soviel ich mich aber auch anstrengen würde, diesenWunsch zu befriedigen, es würde mir nicht gelingen, weil andereUmstände, welche eine höchste Kultur herbeiführen, uuüberwindlichsind; ich muß mich daher, so leid es mir thut, in meinen Wün-schen beschränken.Es fragt sich nun, ob sich nicht für diese Art und Weise derBeweisführung Brentano's noch ein tieferer psychologischer Grundauffinden lasse, ob es wirklich nur Unklarheit ist, die ihn dazuverführt. Wir glauben einen zu finden. Brentano möchte fürseinen Antisozialismus gern die Weltgeschichte verant-wortlich machen; er hat nicht den Muth, zu sagen: Die so-zialistischen Bestrebungen sind zwar berechtigt, ich aber kämpfeoffen dagegen, weil ich andere Interessen vor Augen habe; erhat auch keine Lust oder nichl den Muth, sich offen auf unsereSeite zu stellen; er will seine Hände in Unschuld waschen undgiebt daher dem Fatum alle Schuld. An dieses Fatum müßt ihr euchhalten, Sozialdemokraten, an ihm euch rächen, nicht an mir!Man könnte nun erwidern: die Art und Weise der Beweis-führung Brentano's ist zwar unlogisch, indessen sollten die So-zialisten doch bedenken, ob ihren Bestrebungen nicht unüber-windliche Hindernisse entgegenstehen, die sie beim besten Willennicht überwinden können. Niemand wird doch einer Sache seineganze Thätigkeit opfern wollen, die von vornherein mit abso-luter Gewißheit, oder selbst nur mit sehr großer Wahrscheinlich-keit als verloren betrachtet werden muß. Wie verhält es sichin dieser Beziehung mit dem sozialistischen Staat? Kann manihm Lebensunfähigkeit oder rasche Vernichtung im Kampf um'sDasein heute schon prognosticiren? Ehe wir auf diese Fragenäher eingehen, müssen wir erst einen anderen Jrrthum Aren-tano's aufdecken, und zwar den wichtigsten.Die Behauptung, im sozialistischen Staat sei eine Erhöhungder Kultur unmöglich, ist falsch und falsch jeder Satz des Be-weises für dieselbe. Brentano's Gedankengang ist folgender:Die Erfahrung lehrt, daß es keinen Fortschritt in der Kulturgiebt bei Gleichheit der Existenzbedingungen, wobei er sich auchauf Lange, einen wirklichen Sozialisten beruft. Nun wollendie Sozialdemokraten jede Ungleichheit der Existenzbedingungenaufheben. Also ist in ihrem Staat ein Fortschreiten der Kulturunmöglich. Der Grundfehler dieser Argumentation besteht darin,daß aus Erfahrungen, welche nur in nichtsozialistischen Staatengemacht worden sein können, auf Zustände in sozialistischen ohneRücksicht auf die veränderten Bedingungen geschlossen wird.Wenn nun die Umstände, welche dort bei Gleichheit der Existenz-bedingungeu ein Stillstehen der Kultur zur Folge haben, hiergerade fehlen? Das ist in der That der Fall, wie wir sehenwerden. Warum nämlich ist nur bei Ungleichheit der Existenz-bedingungeu ein Fortschreiten der Civilisation möglich? Weilnur in diesem Falle, wie Brentano meint, es Leute geben kann,welche, materiell unabhängig gestellt, sich höheren Aufgaben, derWissenschaft, der Literatur, der Kunst widmen und so jenenFortschritt verwirklichen dürfen. Das ist ungefähr richtig füreine Gesellschaftsordnung, in der sich der Staat um nicht vielmehr bekümmert als Rechtspflege, Militär, Verkehrswesen undUnterricht, und es dem Ermessen und der Willkür der Einzelnenüberläßt, ob hier und dort Jemand sich der Wissenschaft u. s. w.ergeben will. Im sozialistischen Staat wird das nicht dem Zu-fall überlassen bleiben. Da werden von denen, die Lust dazuhaben, die Tüchtigsten auserwählt werden, ihr Leben den höherenBerufsarten zu widmen und für den Fortschritt der Kultur zusorgen. Es tritt also ganz das Gegentheil ein von dem, wasBrentano fürchtet. Dieser Fortschritt, bisher nach Brentanoabhängig davon, ob ein Reicher eine wissenschaftliche oder künst-lerische Thätigkeit ergreifen wollte, wird offenbar um so raschervon Statten gehen, wenn nicht mehr allein aus der geringenZahl der pekuniär Unabhängigen, sondern aus allen die Jüngerder Musen hervorgehen.— Durch den Umstand, daß so vieleReiche ihren von Brentano ihnen auferlegten Beruf nicht er-füllen, sondern nur sehr wenige, läßt derselbe sich nicht irremachen. Er entschuldigt es durch den Hinweis auf das Natur-gcsctz, nach dem eine Ueberproduktion von Keimen überall statt-finde. Hier zeigt sich wieder der Fatalist. Wir Menschen ge-hören doch auch zur Natur, haben bei der Anwendung der Natur-Ein Gegner über Ferdinand Lassalle.Kreisrichter Dr. Arndt hielt im Essener Gewerbeverein einenVortrag über Lassalle, dem wir denjenigen Theil entnehmen,welcher über die wissenschaftliche Thätigkeit des bedeutendenMannes handelt. Der Vortragende sagte:„Lassalle war von einer glühenden, leidenschaftlichen Seeleund einer unbezwinglichen Willensstärke, er besaß eine Beredt-samkeit, in gleicher Weise hinreißend für die Gebildeten, wie dieMassen; eine Uuerschrockenheit, welche vor keiner Gefahr zurück-bebte und ein stolzes Selbstgefühl, welches sich in keiner Lebens-läge verleugnete. Derselbe Mann aber, welcher mit Ostentationden Stock Robespierres trug, der Apostel der Arbeiter, verkehrtemit Vorliebe in aristokratischen Kreisen, kleidete sich nach derneuesten Pariser Mode und war stolz darauf, die geschmackvollstenGesellschaften zu geben. Wie aber auch immer die Beurtheilungseines privaten wie politischen Verhaltens ausfallen mag, sosteht doch heute über jeden Zweifel erhaben fest, daß Lassallegleich groß als Denker wie Gelehrter, gleich groß als Kennerder Philosophie der Griechen wie der Jurisprudenz der Römer,gleich groß in dem innigsten Verständniß der Philosophie derDeutschen wie der Nationalökonsmie der Engländer, seineu Na-men mit unauslöschlichen Buchstaben in die Annalen der Wissen-schaft eingetragen hat.„Lassalle war ursprünglich für den Handclsstand_ bestimmt,widmete sich indeß später mit durchschlagendem Erfolge demStudium der klassischen und modernen Philosophie. Schon alsStudent gelang es ihm, sich die Bewunderung und innigeFreundschaft der glänzendsten Namen deutscher Wissenschaft,Böckh's und Alexanders von Humboldt zu erringe». Mitten inseinen' wissenschaftlichen Arbeiten wurde er durch die Bewegungdes Jahres 1848, welcher er sich mit der ganzen Leidenschaft-lichkeit seines Wesens hingab, noch mehr aber durch eine Bekannt-schaft mit einer hochgestellten Dame gestört, welche für seinganzes Leben von maßgebender Wichtigkeit wurde. Als Jüng-ling von 19 Jahren lernte Lassalle die Fürstin Hatzfeld kennen,welche in der unglücklichsten Ehe mit dem Grafen Hatzfeld ver-bunden war. Aus bisher nicht aufgeklärten Motiven warf sichLassalle zum Beschützer dieser Dame auf, welche ihm bis an seinLebensende eine treue und hingebende Freundin geblieben ist.Nach jahrelangem, endlosem Mühen und Prozessiren gelang esLassalle, der Fürstin ihre Freiheit und ihr Vermögen zu retten.Nachdem der leidige Prozeß beigelegt war, veröffentlichte Las-falle seia erstes großes wissenschaftliches Werk,„Die Philosophiegesetze ein Wort mitzureden und wollen eben nicht, daß in demangegebenen Falle eine Ueberproduktion stattfinde.Man bemerke, daß der angegebene Grund der einzigeist, den Brentano für die Erhaltung der Privilegiender Besitzenden anzuführen weiß. Logischerweise müßteer aber dann auch ganz zufrieden sein, wenn man gleich heutealles Privateigenthum kasfirte und nur denjenigen ein größeresVermögen ließe oder gäbe, welche Professoren, Künstler, Beamtesind oder werden wollen.Es ist auffallend, daß Brentano nicht eine andere Folge der„Gleichheit der Existenzbedingungen" anführt, welche man oftverkünden hört, um eben jenen Beweis zu führen, daß dasFortschreiten der Civilisation gefährdet sei. Man liest überalldie Behauptung, jedes Streben müsse im sozialistischen Staat,in welchem jene Gleichheit besteht, aufhören. Es wäre diesvielleicht richtig, wenn wirklich der einzige und höchste Zweck derSozialisten auf diese Gleichmachung hinausliefe. Das ist nunkeineswegs der Fall. Da aber Brentano immer nur von derGleichheit der Existenzbedingungen redet, wenn er von den Zielender Sozialdemokraten spricht, so könnte ein unkundiger Leserannehmen, daß es trotzdem so sei und könnte sagen: Brentanohat zwar in der Art seines Beweises für die Behauptung, daßdie Kultur in ihrem Fortschritt gefährdet sei, Unrecht; die Be-hauptung selbst aber ist richtig. Bei der Widerlegung diesesEinwandes kommen wir auf einen Hauptmangel in Brentano'sAuffassung der Arbeiterfrage. Er hat, wie es scheint, nicht dierichtige Ansicht über die psychologische Entstehung derselben.Die Grundidee des Sozialismus ist keineswegs, eine absoluteVerbesserung der Lage des Proletariats herbeizuführen, sonderneine Verbesserung im Berhältniß zu der Lage der besitzendenKlassen. Das scheidet die bloßen Arbeiterfreunde, zu denenjeder Kapitalist gehören kann und viele auch gehören, von denSozialisten. Der Trieb, welcher jene bewegt, ist, abgesehen vonegoistischen Gründen verschiedener Art, das Mitleid, das Ge-fühl, welches uns begeistert, ist das der Gerechtigkeit. Wirwollen, daß Jeder nach seinem Verdienst belohnt werde, Ihrwollt höchstens, daß die Arbeiter gut belohnt werden. DerUnterschied ist prinzipiell und deshalb werden die größten Wohl-fahrtseinrichtungen und materiellen Verbesserungen doch denSozialismus nicht ausrotten. Also wir wollen keineswegs dieGleichheit der Existenzbedingungen, wenn man unter diesemdunkele» Ausdruck, wie viele geneigt sein werden, versteht, daßJeder ein gleiches Leben führt, keine Unterschiede in der Lebens-Haltung mehr existiren, sondern wir wollen, daß jeder im Ver-hältniß zu der Mühe und Arbeit, die er hat, durch Genuß cnt-schädigt werde. Daß eine solche Art der Gleichheit dem Fort-schritt der Civilisation nicht hinderlich, sondern im Gegentheilsehr förderlich ist, bedarf keines besonderen Beweises.Da wir jetzt das Ziel der sozialistischen Bewegung festgestellthaben, können wir auch auf die obige Frage, die damals auf-gehoben wurde, zurückkommen, ob man dem sozialistischen StaatLebensfähigkeit im Kampf um's Dasein mit anderen Staatenvindiciren kann. Fragen wir, was wird gesehen, wenn heuteirgend ein Land sozialistisch organisirt wird. Zwei Hauptge-fahren würden ihm drohen. Einmal die, von der Coalition dernichtsozialistischen Staaten, die eine Ansteckung fürchten, erobertzu werden, was eine Aufhebung der sozialistischen Einrichtungennatürlich zur Folge hätte; sodann zweitens die Auswanderungzweier wichtiger Faktoren: der guten Köpfe und des baarenGeldes. Gegen die erstere Gefahr giebt es nur ein Mittel,nämlich die internationale Verbreitung der sozialistischen Ideenund Verfassungen, und, wie die Sachen heute stehen, dürfen wirhoffen, daß wir zur rechten Zeit im Besitz dieses Mittels seinwerden. Ernster ist die zweite Gefahr. Es steht zu befürchten,daß, noch ehe es zum sozialistischen Staat kommt, die Kapitalistensuchen werden, ihre heimischen Staatspapiere u. s. w. in Goldund Silber:c. zu verwandeln und mit diesem sowie ihren aus-ländischen Effekten das Weite zu suchen. Dagegen ließe sichnichts machen; zwar würde die internationale Verbreitung desSozialismus sie bald aus allen civilisirten Ländern vertreiben;nun, dann gingen sie in die halbcivilisirten und schließlich zuden Wilden. Bis sie aber der Sozialismus bei den Niamniamin Jnnerafrika, oder bei den Paguas erreicht— bis dahin hates gute Wege. Aber wir brauchen uns deswegen nicht zu äng-stigen: der Verlust wäre nicht groß. Der Verlust des Goldesund des Silbers würde nur im Falle einer ungünstigen Hau-delsbilanz des sozialistischen Staates unangenehm werden. DieHerakleitos des Dunklen von Ephesos", welches die höchste Be-wunderung der Gelehrten erregte. Aus einzelnen Bruchstückenund Zeugnissen anderer Alten hatte er das System dieses merk-würdigen Philosophen zusammengestellt und mit der ihm eigenenGewandtheit beleuchtet. Trotz des antiken Stoffes trägt das Werkvielfach einen ganz modernen Anstrich. Sechshundert Jahre vorunserer jetzigen Zeitrechnung hat Heraklit gelehrt, daß Nichts inder Welt ist, Alles vielmehr wird, und daß die Erde, wie dieMenschheit in einem unaufhörlichen Prozesse des Werdens undSichentwickelns begriffen ist. Da nun Alles, was ist, im Grundenicht ist, indem es fchon im nächsten Augenblicke ein Andereswird, fo ward auch der einzelne Mensch nicht geschaffen, umfür sich zu sein und zu leben. Nicht der einzelne Mensch fürsich, nur die Menschheit hat Wirklichkeit; die ganze Ethik, derewige Grundbegriff des Sittlichen ist daher nach Herklit die Hin-gäbe ans Allgemeine. Dem„Herakleitos" ließ Lassalle seinHauptwerk„Das System der erworbenen Rechte" folgen, einewissenschaftliche Schöpfung von bleibendem Werthe, welche viel-leicht alle heutigen Rechtscompendien überdauern wird. SelbstDiejenigen, welche die von Lassalle gezogenen Consequenzen nichtgelten lassen wollen(z. B. der Ministerialdirektor Förster, dererste Kenner des preußischen Rechts), gestehen zu, daß sein Werkvon einer ungemein tiefen Auffassung der römischen und germa-nischen Rcchtsanschauuugen wie von einer Fülle geistvoller undphilosophischer Gedanken zeugt. Erworbene Rechte sind solche,auf welche kein Gesetz zurückwirken kann, d. h. welche der Ein-zelne sich so zu eigen gemacht hat, daß sie ihm ohne seinenWillen niemals, auch nicht durch einen Akt der Gesetzgebung,entzogen werden können. Lassalle zeigt nun historisch und dog-matisch, daß aus innerer logischer Nothwendigkeit kein crwor-benes Recht existirt, daß vielmehr Alles, was uns heute als er-wordenes Recht erscheint, sich erst im Laufe der Geschichte hier-zu entwickelt hat. Die erworbenen Rechte bleiben sich nichtgleich, was bei den Römern als erworbenes Recht galt, wardies nicht bei den Germanen. Der Begriff der erworbenenRechte ist im steten Wandel und Flusse begriffen. Der alteRömer konnte über seinen Nachlaß verfügen, wie er wollte; erkonnte ihn in die Tiber werfen lassen, und seine Kinder hattenkein erworbenes Recht auf seinen Nachlaß, der alte Germaueumgekehrt durfte überhaupt nicht über feinen Nachlaß verfügen,da dieser seiner Familie kraft wohlerworbenen Rechtes gehörte.An diese historischen und rechtlichen Ausführungen knüpft Lassalledie Bemerkung, daß der Zug der Weltgeschichte den Begriff dererworbenen Rechte immer mehr einenge, daß die RechtssphäreGefahr einer solchen ist indeß bei der besseren, zweckmäßigerorganisirten und größeren Summe von Arbeit, welche in ihmgeleistet wird, verringert. Im schlimmsten Falle müßten die jsozialistischen Einwohner auf gewisse ausländische Produkte ver-zichten.— Ebenso würden beim Herannahen des Sozialismus 1Viele auswandern, welche von ihrer geistigen Ueberlegenheiteinen ausgiebigeren Gebrauch in Staaten machen können, wonoch Ausbeutungs-Freiheit herrscht, als wo diese beschränkt oderaufgehoben ist.Nun, auch diese Gefahr können wir abwarten: die Nachtheile,die wir dadurch iu Bezug auf Industrie, Wissenschaft und denWettkampf mit nichtsozialistischen Völkern erleiden könnten,,würden durch den Umstand, daß bei diesen viele geistige Kräfte fgar nicht aufkommen können, während bei uns keine so leichtdurch die Ungunst der äußeren Verhältnisse vernichtet werdenkann, wohl reichlich aufgehoben worden.— Soviel wir alsosehen und aus diesen Andeutungen hervorzugehen fcheint, läßtsich eine sichere, ernste, unabwendbare Gefahr für den sozialisti-schen Staaat nicht absehen, so daß wir hierdurch nicht abgehaltenwerden können, die soziale Sache zu verfolgen.(Schluß folgt.)Sozialpolitische Uebersicht.„Vollkommen schülerhaft, überaus oberflächlich, jaoft ganz unqualifizirbar" nannte Windthorst im preußi-schen Abgeordnctenhause(Sitzung des 9. Februar) die Weise, inwelcher die Tagespresse die Sozialdemokratie behandelt. Erhatte recht, wenn auch der Gegenvorwurf der Getroffenen, erselbst habe sich in seinen Bemerkungen über das Wesen der:sozialdemokratischen Bewegung nichts weniger als gründlich ge-,zeigt, nicht ganz aus der Luft gegriffen ist. Die Albernheit,welche die feindliche Presse in ihrer Polemik mit an den Taglegt, wird nur durch ihre haarsträubende Unwissenheit übertroffen.Die stupidesten Mährchen und Schlagwörter müssen seit Jahrenherhalten. Sogar der, von der absolutesten Gedankenlosigkeit izeugende Petroleum-Blödsinn wuchert noch so üppig, wie'im Sommer 1871. Man sagt: Lügen haben kurze Beine, aberdie Dummheit hat leider sehr lange Beine, und wenn die Dumm- Iheit die Lüge auf den Arm nimmt, dann läuft auch die Lügeauf langen Beinen. Nun wissen wir zwar, daß der Satz: mitder Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens, nur von Göt-]tern gilt, die ihrer Mutter gegenüber ohnmächtig sind, zum Glückaber nicht von Menschen; und ferner wissen wir, daß mit einemFeind, der Geist und Kenntnisse hat, nicht so leicht fertig zu 1werden ist, als mit einem, der diese Requisiten nicht hat, alleintrotzdem wünschen wir aufrichtig, daß unsere Gegner zunehmenmögen an Weisheit und Verstand; sie würden uns dann wenig-stens mitunter eine angenehme Unterhaltung und Gelegenheit zugeistiger Gymnastik bereiten.— Das heilige Eigenthum. Die„Frankfurter Zeitung"!vom 10. d. enthält in ihrem lokalen Theil folgendes„Ein-'gesandt":„In den„Frankfurter Nachrichten"(Jntelligeuzblatt) findet jsich folgende Lokalnotiz:„Borgesteru wurde ein Mann, welcher zwei Laibe Brodaus einem Bäckerwagen am Liebfraueuberg gestohlen hatte,hierbei betroffen und festgenommen. Die Festnahme gelangdadurch, daß der Verfolgte in der Töngesgasse stürzte undsich hierbei stark am Kopf verletzte. Da sich herausstellte, daßer mit Frau und Kinder sich in größter Roth befindet undnur, um den Hunger der Seinigen zu stillen, das Brodentwendet hatte, wurde er vorläufig wieder entlassen."„Dem gegenüber berichten wir als Augenzeugen: Am Montag!den 5. ds. Mts., zwischen 1(1 und 11 Uhr, ging ein anständiggekleideter Mann in der Töngesgasse an einem Brodwagenvorbei. Der eigene Hunger und die große Roth seinerFamilie bewogen ihn, sich etwas Brod anzueignen. Er be-sann sich aber, nahm es nicht mit, sondern legte es auf einenvorbeifahrenden Bierwagen. Der Lenker des Brotwagens mochtedieses entdeckt haben und lief dem davoneilenden Manne nachmit den Worten: Haltet ihn, er hat mich bestohlen. Auf diesesGeschrei stürzte der Nachtarbeiter Seyfried mit einer eisernenStange aus dem Laden und schlug den Mann zu Boden.Der arme Mann, der arg verwundet war, blieb be-!wußtlos liegen, das Blut floß ihm aus Mund und �des Einzelnen immer mehr und mehr zu Gunsten der Allge- 1mcinheit beschränkt werde.Hatten der„Herakleitos" nnd„Das System der erworbenenRechte" einen streng wissenschaftlichen Charafter im Inhalt nichtminder als in der Darstellung, so beschritt Lassalle mit seinernunmehr folgenden Schrift„Herr Julian Schmidt der Literar- 1Historiker" den Weg persönlicher Angriffe. Julian Schmidt, derbekannte Verfasser einer deutschen und einer französischen Lite-raturgeschichte, ist ein Mann von einer unbeschreiblichen Viel-seitigkeit des Geistes, einer großen Gewandtheit der Darstellung,leider aber auch ein Mann von einem mitunter recht oberfläch-lichen Wissen. Er gibt sich den Anstrich, als sei er auf dasGenaueste mit Allem vertraut, was die Wissenschaft auf irgendeinem Felde geleistet, als verstehe er die antiken Philosophenebenso wie die modernen, die Tragiker der Griechen nicht min-der als die Shakespeare, Racine und Schiller der Neuzeit, alskenne er den Ursprung der römischen Geschichte so genau, wiedie Uranfänge des Christenthums, und die moderne Rechtswissen-]schaft so gut wie die modernen Naturwissenschaften. Mit derMiene der überlegenen Intelligenz urtheilt Julian Schmidt über-unsere Goethe und Schiller, Kant und Hegel ab, als seien dies|Schulbuben, deren Aufsatzhefte er zu corrigiren habe. Dieser �Mann war geradezu tonangebend in der Literatur geworden,sein Urtheil war maßgebend, seine Anschauungen bemächtigtensich der gebildeten Stände. Da erschien Lassallc's Schrift wieein Blitz aus heiteren Himmelshöhen und erschlug den modernen jLiterarhistoriker. In dieser Schrift wurde auf das Unwiderleg-lichste dargethan, daß Julian Schmidt die Bücher, über welcheer zu Gerichte gesessen, theilweise gar nicht gelesen, theilweisenicht verstanden und daß seine Angriffe auf unsere deutschenKlassiker ihren Ursprung lediglich in seiner eigenen, verkehrtenAuffassung derselben haben. Wie sehr man nun auch Lassallein de» Einzelheiten, welche er gegen Julian Schmidt vorbringt,Recht geben muß; wie sehr man sogar mit ihm sympathisirenkann) wenn er mit solcher Wärme und Begeisterung für dieGeistesheroen des deutschen Volkes eintritt, so wird man dochnicht umhin können, die pamphletartige Form seiner Schrift alsdurchaus unpassend zu bezeichnen. Aber nicht blos JulianSchmidt, der ganzen öffentlichen Meinung und der gesammtenTagespresse warf Lassallc den Fehdehandschuh hin.„DieJulian Schmidt herrschen in der Literatur und der Presse, siesind die Stimmführer in den Parlamenten und die Tonangeberin der Politik. Männer von dem Halbwissen und der Selbst-überHebung des Julian Schmidt führen die deutsche Nation am