auf Kosten der andern, weil die ererbte Lebenskraft nicht ver- schwinden konnte, bevor alle Lebensbedingungen zu ungünstig waren. Wir hoffen, daß diese Umbildung des Darwinschen Gesetzes in der kurzen Darstellung, welche wir hier geben, nicht mißver- ständlich sei. Wir haben hier noch zu erklären, was wir unter Zufall verstehen, weil wir uns dieses Ausdrucks öfters be- dienen. Wie kann es in der Natur, wo Alles blind strengen Gesetzen folgt, noch Zufälliges geben?— so fragt man uns. Wir antworten in möglichster Kürze: für das Einzelwesen ist Alles zufällig, was für die Natur uothwendig ist. Das ist auch so ein Hegel'scher Widerspruch, welcher wirklich vorhanden und vernünftig ist. Die Grundstoffe sind ewig unveränderlich, die Grundkraft in allen ihren Verwandlungen ist es ebenfalls, und ihre unendliche Summe ist es nicht minder. Alles aber, was aus der Zusammenwirkung verschiedener Stoffe und Kräfte her- vorgehen kann, ist endlich, veränderlich, ein Einzelwesen. Und die Mannichfaltigkeit dieser Einzelwesen ist schlechthin unendlich groß. Das ist das große allgemeinste Lebensgesetz der Natur. Weil also jedes Einzelwesen gradweise von jedem verschieden sein muß, so ist es für jedes derselben zufällig, in welchem Grade sich alle seine Daseinsbedingungen vereinigen, um ihm seine besondren und einzelnen Formen, Farben, Gewicht, Ver- änderungen und Daseinslänge:c. zu verleihen. Daß die Natur gar keinen Zweck, bewußt oder unbewußt, verfolgen kann, zeigt sich eben in ihrer sichtlichen Gleichgültigkeit gegen alle Einzel- Wesen, welche ledes auf Kosten andrer leben, um wieder in ihrer Auflösung Stoffe und Kräfte für stets andere herzugeben: in ihrer massenhaften Vernichtung Einzelner, in der genauen Roth, mit welcher die wenigsten Einzelwesen der Vernichtung entrinnen, um sich langsam neuen Lebensbedingungen anzupassen, kurz in der Grausamkeit, wenn wir so sagen dürfen, alles Fortschritts in der Natur, welcher für sie selbst kein Fortschritt ist, da sie schließlich jedes Einzelwesen wieder in die allerersten Anfänge auflösen, jede, auch die höchste Entwicklung vernichten muß. Trotzdem hat jedes Einzelwesen immer genau soviel Willkür und Selbstgenuß, als es zu genießen fähig ist. Das Gegentheil von dieser blinden Gesetzes- und Zufalls- wirthschaft, und zwar je länger desto mehr, ist der Mensch. Er kann dem Zufall nicht steuern, daß gerade er da und dann, und mit solchen Gaben und in solchen Lebensbedingungen geboren und erzogen wird, wie es für ihn der Fall ist. Aber er kann verhindern helfen, daß seine Nachkommen gleich ungünstig ge- stellt sind, und daß der Zufall die Menschenwelt blind beherrscht. Er kann die letztere mehr und mehr auf Vernunft begründen. Er kann sein Gehirn durch eignes Denken verbessern und seinen Kindern die bessere Gehirnverfassung, zusammt einer steigenden Erziehung, hinterlassen. Er kann sich mit seines Gleichen ver- binden, und die überlieferten Ersahrungen der Vergangenheit dazu benutzen, um die Natur immer besser beherrschen und seinen Zwecken anpassen zulernen. Nicht länger paßt ihn die Natur allgewaltig ihren Gesetzen an; er dreht niehr und mehr den Spieß herum und paßt sie sich an. Nicht mehr vererbt er blos die Vorzüge, welche veränderte Lebensbedingungen den überlebenden Einzelwesen zu erwerben gestatten; er schafft sich künstlich seine Lebensbedingungen und entwickelt so durch Wechselwirkung zwischen Geist und Natur sein Gehirnwachsthum und feine Naturmacht immer rascher und allseitiger. Er braucht nicht länger das Wachsthum einer seiner Naturthätigkeiten durch Verkümmerung aller übrigen zu erkaufen; er darf sie alle harmonisch ausbilden und in einer vernünftigen Menschengesell- schaft durch volle Vermenschlichung jedes Einzelnen dem Kampf um das Dasein für die Menschen mehr und mehr ein Ende machen. Und in dieser seiner zukünftigen Welt lebt kein Mensch mehr auf Kosten eines andern, sondern Jeder für Alle, und Alle für Jeden. Der Zufall spielt immer weniger eine Rolle, und Jeder wird seines Glückes Schmied. Nur in der Menschenwelt also erlaubt die wissenschaftliche Begriffsschärfe von Vervollkommnung zu sprechen, wie es in ihr auch allein Zwecke giebt, unbewußte und bewußte. Die Schopenhauer 'fche Asterweisheit hat von der verachteten Hegel'schen Afterweisheit noch viel zu lernen; denn diese hat wenigstens nie von„unbewußten Zwecken" gesprochen, diesem Messer ohne Klinge und Heft. Was sie„außer sich gerathene Vernunft in der Natur" nennt, ist trotz aller metaphysischen Hohlheit doch immer noch ein entschuldbarer, dichterisch bezcich- nender Ausdruck. Und wenn Hegel findet, daß im wahrhaft denkenden(freilich nicht im blos metaphysisch spekulirenden) Menschen die Natur sich über sich selbst erhebt, einen Sprung Johann Jacoby . (Schluß.) Von einem Begräbniß wandte sich Jacoby zu einem Sterbe- bett, er ging nach Frankfurt in das Parlament. Still, tief- traurig folgte er dem Kranken(Parlament), der die Lagerstatt wechseln wollte, nach Stuttgart , wo das deutsche Reich der Frei- heit unter die Hufe der Rosse gerieth. Mit seinem Freunde Heinrich Simon ging er in die Schweiz . Als ihn dort am Genfersee die Kunde ereilte, daß er wiederum des Hochverraths angeklagt sei, hielt's ihn nicht länger in der Fremde. Der Flüchtling flüchtete sich in die Heimat; verkleidet, mit Brille und falschem Bart, eilt er durch Deutschland und stellt sich in Königsberg den Geschworenen, seinen Richtern. Diese sprechen ihn frei, die westfälische Stadt Coesfeld wählt ihn in die erste Kammer. Jacoby lehnte ab, er mochte nicht dabei sein, wo man die Reste des Festes bei Seite brachte. Es folgte eine fast zehnjährige Pause im politischen Leben. „IMnlosopiioumkll anen rnalakiaa", sagte Jacoby, wir wollen Philosophiren, ohne darüber die Thatkraft zu verlieren. Die Retorte war gesprungen, mit leichtem Stirnrunzeln ging er an die Arbeit. Er revidirte sein Glaubensbekenntniß bis zu den letzten Principien; aus jener Zeit stammen zahlreiche philoso- phifche Arbeiten, die in den letzten Jahren veröffentlicht worden sind. Es ist ein wahrer Genuß, diese Arbeiten in der Hand- schrift vor sich zu sehen, der breite Rand ist übersäet mit Ci- taten der ausgebreitetsten Lektüre, diese Citate sind aber nicht da, um zu paradiren, sie dienen nur seinem Bedürfniß, sich stets in Concordanz mit den edelsten Geistern aller Zeiten und Na- tionen zu wissen. Lessing , Schiller , Kant und Spinoza sind in erster Reihe seine Leitsterne. Wie sich Buffon zum Schreiben in Glace-Handschuhen hingesetzt haben soll, so hat Jacoby sich gleichsam geistige Glace-Handschuhe angezogen, wenn er sich ans Denken begab.. Mit dem Tode Friedrich Wilhelm's IV. kam auch an ihn wieder der Ruf, sich zu bethätigen. Er schrieb die Broschüre: „Grundfätze der Preußischen Demokratie." Wieder war es das junge Volk Ostpreußens , Junglithauen, das der verknöcherten Herrschaft Vincke's sich entgegenstellte, aber das Fundament war ein Compromiß. 1861 noch lehnte Jacoby die Candidatur im vierten, 1862 das Mandat im zweiten Berliner Wahlbezirk ab, indem er aussprach, daß er für Rücksichtnahmen nicht der Mann in's Reich der Freiheit macht, der aber zugleich durch eine blos gradweise Entwicklung zustande kommt, so entspricht diese Bezeichnung weit mehr den wirklichen Thatsachen, als die Fabel von einer in der Natur zwar unbewußten, aber höchst weisen, im Menschen dagegen bewußten, aber irrenden Vernunft. Es ist das unverbrüchliche Lebensgesetz der Naturwissenschaft, den Zweckbegriff Vollens aus der Naturerkenntniß zu verbannen, der selbst bei Darwin noch spukt, weil sie genau nur soweit wirkliche Erkenntnisse aufzuweisen hat, als sie blos Gesetzmäßigkeit nach- weist ohne alle Zwecke. Die ganze zukünftige Kulturgeschichte aber ist so zu behandeln, daß sie ans den nicht länger entstellten Thatsachen nachweist, wie in der Menschenwelt der Kampf um's Dasein, der in der bloßen Natur herrscht, durch verallgemeinertes und gesteigertes Denken zu einem Kampfe gegen die Natur wird. Dieser Kampf wird immer siegreicher, und statt des Menschen wird die Natur mehr und mehr die Sklavin des Geistes. Contra Stephan. Aus Botokudien, im März. Das eindringliche Desaveu, welches die berühmte Jnterpel- lation über die Zeugenhaft des Herrn E)r. Kantecki dem General- Postmeister eingebracht hat, dürfte kaum irgendwo einen lauteren Widerhall und eine unbedingtere Billigung gefunden haben, als bei seinen„eigenen Leuten", den Postbeamten selbst. Man be- gegnet hier bei dieser Gelegenheit stellenweise der ganzen her- vorbrechenden Gewalt eines lange und schwer verhaltenen Un- muths und einer Stimmung, welche wie an den Grenzen der Verzweiflung irrend erscheint,— wenn man diese pflichttreuen Beamten einmal nach dem etwaigen Beileid mit dem Schicksal ihres„Leiters" aus Anlaß der Reichstagsdebatte fragt. Der Herr Generalpostmeister schrieb vor noch nicht langer Zeit ein- mal an die„Düffeldorfer Zeitung" emphatisch,„daß sein ganzes Sinnen und Streben auf das Wohl der ihm Anver- trauten gerichtet sei". Wenn dieses Sinnen und Streben aber dennoch solche Verurtheilung auf Seite der„ihm Anvertrauten" zur Frucht trägt, wie sie wieder und wieder sich an's Tageslicht wagt, und wie sie Jeder hören kann, der sich an das unbe- fangene Urtheil eines einsichtigen Beamten wendet,— dann hat Herr Stephan sich gelegentlich seines„Sinnens und Strebens" in einer schön gedrechselten Phrase(wie so häusig) ergangen, oder man müßte zu der unmöglichen Annahme gelangen, seine Untergebenen wären schamlos Unzufriedene, oder bis an den Nerv der Menschenwürde wirklich verrottet und verstockt. Es muß ihm nun aber— und stände selbst der dickste Dunst eines Pascha-.Absolutismus um ihn— endlich klar gemacht sein oder klar gemacht werden, daß es doch„anders gehen muß". Möge sich doch Herr Stephan nicht einreden, daß er und etwa die Geister, welche er um sich gezogen, für das Staatswohl unentbehrlich seien. Freilich mag ihm der eiserne Arm seines großen Lehrmeisters und Gönners ein augenblicklicher Halt sein. (Der„eiserne Arm" ist inzwffchen zerbrochen. Red. d. V.) Aber auch die Selbstherrlichkeit und das persönliche Re- giment selber muß und wird durch das fortwährende Abblättern der tüchtigsten und bewährtesten Kräfte vom Baum des Staats- dienstes— man erinnere sich der Affaire v. Stosch(die sich aller- dings schließlich nicht zum„Abblättern", sondern zum Ab- ästen gestaltet hat—„der Äst, auf dem wir Alle sitzen." Red. d. V.)— in sehr bedenkliche, häßliche Beleuchtung zu stehen kommen. Es ist ein Schauspiel für die Götter und die Welt, daß ein Verwaltungsbeamter fortgesetzt und als wolle er, auf seinen Kopf gestellt, das Gewicht seines autokratischen Willens prahlerisch der Welt zur Schau hinhalten und mit demselben es gegen das allseitige Verdikt und das Ansehen von Landtag und Reichstag , sowie der gcsammten Presse aufnehmen,— bei seinem materiell allgemein gerichteten Verfahren beharren kann, ohne von seinem Posten entfernt zu werden! Seine bei dieser Gelegenheit bewiesene Handlungsweise erlaubt allein schon den Rückschluß, wie absolutistisch er und seine Werkzeuge mit den machtlosen Untergebenen umspringen mögen. Es sind deshalb auch immer Klagen theils voll tiefsten Unwillens, theils voll resignirter Bedrängniß oder dumpfer Verzweiflung, welche uns wiederholt zu Gesicht oder Gehör gekommen sind. Die Beamten würden, ihren Kundgebungen zufolge, ihren„Leiter" lieber heute als morgen verabschiedet sehen, und das Votum eines so großen Beamtenkörpers dürfte wohl Gewicht genug haben. Wenn Herr Stephan auf Durchhaltung von Disziplin und auf Schutz gegen unterminirende Elemente pochen will, so mag sei. Erst 1863 gab er der wiederholten Wahl des zweiten Be zirks nach, er meinte wenigstens bei den Wählern die Energie zu finden, nach der er dürstete, und sie war damals vorhanden, das wird Niemand leugnen, der den Enthusiasmus miterlebte, welchen seine Rede vom 13. November 1863 bei den Tausenden im weiten Saale erregte. Er sagte damals, das man nicht zu viel Werth ans Landtagsbeschlüsse unb_ Budget-Verweigerung Bismarck gegenüber legen solle, denn dieser verstände ja budget- los zu regieren, sondern selbst denken und selbst handeln müsse. Dann machte er Punkt und Gedankenstrich. Den Gedankenstrich erklärte das Criminalgericht dahin, selbst handeln heiße, das Volk solle die Steuern verweigern. Er bestritt nur, daß man dies aus seiner Rede heraushören müsse. Er wurde zum vierten Mal wegen Hochverraths angeklagt und zu 6 Monaten verurtheilt. l Inzwischen war durch Forckenbeck das Compromiß auch in der Militärfrage angebahnt worden, und nun ging es langsam abwärts. Jacoby saß in der Kammer, sagt Ziegler, wie eines der steinernen Königsbilder am Nil, aber nicht er war's an dem sie Todtengericht übten, er selbst war Todtengericht.„Seine bloße Anwesenheit in einem Staatskörper machte die Freunde sicherer, die Schwachen stärker, die Schwankenden verschämter, die Feinde vorsichttger." Im Jahre 1864 schon hatte er sich darauf beschränkt, gegen den Etat sein Nein abzugeben und kurz zu motiviren und be- zog von da an keine Diäten mehr. Noch einmal, am 22. Mai 1866, protestirte er in der Königsberger Stadtvcrordnetenver- sammlung gegen den Krieg. Wie er diesen Krieg beurtheilte, darüber gab die Adreßdebatte des unter dem Donner von Königgrätz gewählten Hauses Licht. Seine Wähler hatten die ersten Verwundeten aus der Schlacht bei Nachod jubelnd herein- geschleppt und regalirt, dann ihn wiedergewählt. Der Ein- druck seiner Rede in der Adreßdebatte läßt sich nicht beschreiben, es war ein Sieg der Wahrheit. Am Abend des Einzuges der Truppen aber gründete er eine demokratische Zeitung in Berlin . Gegen die Annexion', die Dotationen, die Verfassung des norddeutschen Bundes war er mit seinem Nein, seinem Protest auf dem Platze. Gegen letztere war er wegen der Rechtswidrig- keit ihres Entstehens, mährend die Fortschrittspartei wegen Schmälerung der parlamentarischen Rechte dagegen war. Damit kam es zum Bruch mit der Partei. Er schwieg fortan, auf er sich zuvor überzeugt halten, daß es nicht Staatsstützen heran- bilden heißt, wenn man seinen 60,006 Arbeitern ein Arbeits- Pensum auferlegt, das ihnen nicht die genügende Zeit zur Er- holung läßt, sie in der Familie fremd macht und untauglich zu geistiger Rcg'amkeit, und wenn man sie dann bei all' Diesem kaum nothdürftig sättigt. Wir meinen dies insonderheit hin- ! sichtlich der im Praktischen beschäftigten Beamten und der Unter- beamten. Es ist uns immer vorgekommen, als glaubte die Postbehörde die Reichssinanzen allein retten zu sollen. Es ist gut, wenn mit Ueberschüssen gearbeitet wird. Wenn diese aber nur durch eine rücksichtslose Belastung und Beschränkung der arbeitenden Fakto- ren zu gewinnen sind, dann müssen wir auf's nachdrücklichste protestiren. Will Herr Stephan seine Organe auskömmlich besolden und absolut mit prunkenden Ueberschüssen vor die Reichs- Verwaltung treten, so muß er seine Tarife weniger nach dem Leibe des Manchesterthums zuschneiden. Auch ein Postbeamter und Freund der Post, aber nicht des Hrn. Generalpostmeisters. Sozialpolitische Uebersicht. —„Ich bin ein kaputer Mann", sagte Fürst Bismarck vor Ostern zu einigen Freunden, und obgleich es nicht amtlich war, so hat er doch die Wahrheit gesagt. Die armen vom„Ast" und mit dem„Ast" Herabgepurzelten winseln und wehklagen noch immer; zum Theil haben sie von den Folgen des„jähen Sturzes" die sonderbarsten Fieberphantasicn, so deliriren einige von einem Reichskanzler Bennigsen. Am unglücklichsten ist wohl der Schlangentödter Dernburg , die inspirirte Egeria der „Nationalzeitung-, der verzweifelt stöhnt:„Wir finden uns gegen- über dem Unbekannten!" Ja der„Ast", der„Ast" ist gebrochen. Um das nationalliberale Völkchen vollends aus Rand und Band zu bringen, werden verstärkte Gerüchte von unmittelbar bevor- stehender Auflösung des Reichstags in Umlauf gesetzt.— Wie die„Reichskanzlerkrisis" enden wird? Vorläufig herrscht noch das vollständigste Chaos, die verschiedensten Wünsche und Meinungen durchkreuzen sich, verknäueln sich. Die Rathlofigkeit und Verwirrung lassen nichts zu wünschen übrig. Und daß das Chaos so bald nicht zu Ende geht, dafür hat ER gesorgt. „Ordnung war nicht die Sache des genialen Staatsmannes, für's Organisiren war er zu groß", so piepen schon mit obligatem „leider!" verschiedene reichsfreundlichc Spatzen, die auch auf dem „Ast" gesessen haben und im Begriff sind, sich auf einen andern zu setzen. Der„Eselstritt" kommt rascher als wir vermuthet hatten.— — Wie die heutige Gesellschaft Kunst und Wissen- schaft Pflegt. In Paris erschoß sich dieser Tage ein berühmter Maler, Marchal. Die Sehkraft versagte ihm, gespart hatte er nichts, weil er den Götzen des Tages nicht gedient, betteln wollte er nicht— so endete er, um dem Hungertod zu entgehen, sein Lebe» durch eine Kugel. Ein paar Tage vorher hatte der(auch unfern Lesern bekannte) Naturforscher und-Philosoph Spillerin Berk. Zeitungen einen Hülfruf veröffentlicht für einen„genialen" Gelehrten, der trotz„energischer schrifstellerischer Thätigkeit" mit seiner Familie in's äußerste Elend gerathen, und ohne das Almosen mitleidiger Menschen verloren war. In diesen zwei Kulturbildern spiegelt sich„die beste der Welten" getreu ab. Wem sie nicht gefällt, und wer da Zustände schaffen will, die den Mann der geisttgen Arbeit, wie überhaupt jeden Arbeiter, vor der furcht- baren Alternative des Hungertodes oder des Bettelns bewahren will— ein furchtbares Dilemma, aus dem es für den Mann von Ehre oft nur den einen Ausweg des Selbstmords gibt— der ist ein— Kulturfeind!— — Der Hungertyphus hat nun auch— nach einer Mel- dung unsres Bruderorgans„Wahrhett"— seinen Einzug in Breslau gehalten. Am Sonnabend den 31. März sind fünf derartige Erkrankungsfälle zur Anzeige der Behörde gelangt. Im Solde der Regierung stehende Aerztc bemühen sich zwar krampfhaft, den Glauben zu erwecken, daß ein eigentlicher Hunger- typhus in Schlesien gar nicht existire, und daß die Epidemie nur eine Folge der Unreinlichkeit und des engen Zusammen- wohnens der dortigen Bevölkerung sei. Aber wenn die Arbeiter- bevölkerung Schlesiens— und namentlich Oberschlesiens — wirklich unreinlich ist und schlecht wohnt, wie kommt es, daß die Epidemie nicht schon längst zum Ausbruch gelangte? Es bleibt seine Wähler aber hoffte er noch. 1868 im Januar setzte er ihnen die Grundzüge einer demokratischen Partei auseinander, er hatte vor ihnen kein Hehl, daß die Fortschrittspartei über- lebt sei. Schon diese Enthüllung wirkte auf das Heerdenbe- wußtsein erkältend und als nun die Legislatur weiter vorschritt und er nicht einmal„arbeiten wollte"— wie seine früheren Genossen klagten— er in keiner einzigen Commission tagte, da kam über die Wähler das Gefühl jenes Atheners, der dem Aristides die Vcrbannnung votirte, weil er es satt sei, jenen immer den Gerechten genannt zu hören. Und waren sie schon stutzig geworden, als er in der Rede von 1868 neben den pvli- tischen die sozialen Ziele der Demokratie als gleichberechtigt auf- gestellt hatte, so ward's zum Abfall in hellen Haufen, als er am Schlüsse der Session 1870 im Januar, über die Ziele der Ar beiterbewegung sprach. Der Umstand, daß auch die Sozial- demokraten kamen und nach ihrer Weise das Präsidium für sich begehrten, wurde zum Anlaß genommen, in Schaaren davon zu ziehen und den alten Abgeordneten seinen neuen Freunden, wie es höhnend hieß, zu überlassen. Da kam zur ersten Hälfte des Spruches, den er im November 1848 gethan, dessen zweite, nun war's auch ein Volk, das die Wahrheit nicht hören wollte. Und ebenso ruhig, wie er damals geblieben, blieb er nun auch hier, und bot, wie es im Gleichnisse von des Königs Gastmahl heißt, nun es die Andern verschmähten, den Armen und Be ladenen seine Speise. — Damit war der große Bann gesprochen; im Herbste desselben Jahres, als es zu den Neuwahlen ging, hing Jacoby's Mandat im Trödel. Ziegler hatte es abgelehnt, weil seine Ehre solche Mitbewerbung verbiete. Herr Eugen Richter war der glückliche Erwerber. 109 nur von 600 Stim- men waren treu geblieben. Und man weiß, was inzwischen geschehen war; die„Sommerftische in Lötzen", wie Jacobu selbst scherzte, die rechtswidrige Vergewaltigung durch den General v. Falckenstein, die vor dem Braunschweiger Appellhofe später ihr Urtheil empfangen hat. Jacoby wandte sich beschwerend an Bismarck , dieser antwortete mit höflichem Bedauern über die eigene Inkompetenz in dieser Sache. Der Aufenthalt in der ungesunden Feste hat einen braven Mann, Ehrenreich Eichholz, in ein vorzeitig Grab geführt, eh war auch nicht spurlos an Jacoby vorübergegangen, der von da ab das Bedürfniß milderen Klimas empfand. Seinen Freunden zur Freude, denn er trat von dem öffentlichen Leben außerhalb der Vaterstadt nun zurück. Noch einmal drohte ihm dti
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2 (11.4.1877) 42
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