schon dabei: die Arbeitslosigkeit mit dem Hunger im Gefolge haben die Epidemie erzeugt, und der Hungertod ist die Münze, mit welcher die Arbeiterklasse die Zeche für die wirthschaftlichen Orgien der Bourgeoisie bezahlen muß. Doch auch jene super- klugen Staatslenker, welche die darniedcrliegende Industrie zu heben vermeinten, indem sie die Löhne zu reduziren und die Arbeitszeit zu verlängern empfahlen, tragen Schuld an dem namenlosen Elend, unter welchem die Arbeiterklasse jetzt schmachtet, — Nationalreichthum und Krieg.„Der wahre Reich- thum eines Staates besteht im Boden-Ertrag, d. h. insofern der Ertrag die Kosten des Bebauens überschreitet. Die Industrie trägt nur zur Vermehrung dieses Reichthumes bei. Hat eine Nation oder ein Staat keine Industrie, so wird auch nur das Nothwendige gepflanzt und gezogen werden, und der Ackerbau bleibt in seiner Kindheit. Was aber auch und wie groß die Industrie sein möge, dürfen doch die Staatseusgaben keine Steuern und Abgaben bedingen, die so drückend auf den Ackerbau wirken, daß der Bodenproducent sich gezwungen sieht, nur das Nothwendigste zu bauen. Ist dieses der Fall, so wird auch die Industrie den Nationalreichthum nicht vermehren und sich mit diesem verringern. Auch der Luxus muß dazu drängen, die für den Ackerbau bestimmten Summen zu erhalten oder zu vermehren, sonst ist er dem Nationalreichthum schädlich, wenn die Industrie letzteren auch zu heben scheint. „Der Krieg verringert aber augenscheinlich das National- vermögen nnd selbst die heimgeführte Beute ersetzt diesen Ver- lust nicht. Seit der Römerzeit hat keine Nation sich durch Siege bereichert. Das Italien des 16. Jahrhunderts war durch seinen großartigen Verkehr reich. Hätte Holland sich darauf be- schränkt, die spanischen Silberflotten wegzunehmen und nicht durch seinen Handel und Verkehr mit Indien seine Macht und seinen Reichthum erhalten, so wäre es zu Grunde gegangen. England verarmte mit jedem Krieg, und auch dann, als es die französischen Flotten zerstört hatte. Sein Handel und Verkehr jedoch haben die Nation wieder bereichert. Die nordafrikanischen Raubstaaten, die beständig kriegten, waren immer armselig und miserabel. Nach einem langwierigen Krieg in Europa wird Sieger und Besiegter gleich unglücklich. Der Krieg ist ein Abgrund, in wel- chen alle Kanäle des Wohlstandes sich ergießen. Das baare Geld, jenes Prinzip alles Guten und aller Uebel, von den Staatsbürgern mit Mühe zusammengeschafft und gehalten, fließt dann in die Taschen einiger hundert unternehmender Menschen, in die Säckel der Meistbesitzenden, welche anfänglich die nöthigen Summen vorschießen und sich hierdurch das Recht erwerben, die Nation zu plündern. Der Privatmann betrachtet hierdurch die Regierung als seinen natürlichen Feind, er hält sein baares Geld zurück; die gehemmte und beschränkte Circulation der Ver- kehrsmittel lähmt Handel und Gewerbe." So sprach Voltaire vor gerade hundert Jahren. Wir, die wir im Jahre des Heils 1877 leben, haben entweder Nichts gelernt, oder Alles vergessen, denn dies Uebel, gegen welches Voltaire sich wendet, besteht fort, und lastet nach wie vor auf den unglücklichen Völkern. Und wie wahr ist, nament- lich auch für die Jetztzeit, was der große Weltweise über das Elend des Siegers und Besiegten, und über die Unfruchtbarkeit der Kriegsbeute sagt. Haben die siegreichen Deutschen von dem „heiligen Krieg" etwa weniger Nachtheilc gehabt als die besiegten Franzosen? Und wer in Deutschland hat nicht den Fluch des „Milliardensegens" empfunden?— — Die verkommenen unsittlichen Franzosen. In einem zu Frankfurt a. M. gehaltenen Vortrag über George Sand sagte der urchauvinistische Literaturhistoriker Kreyssig unter Anderm:„Die Werke George Sand's , welche ihr die meisten und schwersten Vorwürfe zugezogen, behandelten durchweg und zwar in ungesunder Weise die Gewalt der Liebe als dämo- nische Naturkraft. Ihre Schilderungen hätten in der damaligen Stimmung der französischen Jugend den empfänglichsten Boden gefunden, und so sei jenes„Evangelium der Liebe" entstanden, wie es in der französischen Romantik gepredigt werde. Man dürfe jedoch keineswegs die französische Gesellschaft nach den Lieblingswendungen der Sittcnromane beurtheilen, die Familie sei in Frankreich auf außerordentlich festen Grundlagen aufgebaut und so habe man dort die Angriffe der Sand aus die Ehe viel übler genommen als bei uns."— Mit anderen Worten, in Frankreich nehme man es in punvto der Moral genauer als in Deutschland . Hätte ein Sozial- Gewalt. Im Jahre 1879 lief durch französische Blätter ein Brief, angeblich von Jacoby, voll derbster Ausfälle gegen hohe und höchste Personen. Hätte er nicht durch einen Privatbrief nachweisen können, daß er sich gegen die Autorschaft nachdrück- lich verwahrt habe, so wäre er wieder nach Lötzcn gebracht worden. Als das Leipziger Urtheil gegen Bebel und Liebknecht 1872 eine neue Aera der deutschen Justiz eröffnete, trat Jacoby dnrch offenen Brief an die Seite ver Verurtheilten. Auch ich bin— so erklärte er— von heute an Mitglied Ihrer Partei. Letzter und höchster Skandal in den Reihen der Wohlgesinnten! Aber er war Sozialist der Forderung nach schon 48 gewesen, er hatte sein Programm sozialer Reform schon 1868 skizzirt und 187(1 ausgeführt und so war's denn nur die Aeußerlichkeit, der for- melle Beitritt zu den„Petroleurs" und„Communards", an dem die heuchlerische Gesellschaft Anstoß nahm. Wie er sich die Freiheit des Urtheils innerhalb der Parteidisciplin zu wahren wußte, das hat die Wahl im Leipziger Landkreise gezeigt, die er ausschlug. Er hatte„im tattischen Interesse der Partei" eine Candidatur angenommen, aber wer seine allezeit scharfe, den Begriff streng herausschälende Ausdrucksweise kannte, wird nicht verwundert gewesen sein, daß er unter Candidatur noch keines- Wegs Mandat verstand. Er faßte seine Parteizugehörigkeit nicht so exttusiv, wie Lassalle das einst vorgeschrieben. Wenn die Sozialdemokratie das jetzt thut, so hat sie ein Recht dazu und steht auf ihrem Schein und wir dürfen uns über ihren Ehrgeiz, sich solch geistigen Besitzes zu rühmen, nur freuen. Und nun, da wir das Äcußere bewältigt, noch einige Worte über des Mannes inneres Wesen. Dieser unbeugsame Sinn, dieser hartgeschmiedete Charatter muß sich also wohl auch im privaten Leben spartanisch bewährt haben. In Bezug auf die schwarze Suppe ja, Niemand konnte einer mäßigeren, dürsttgeren Lebensweise ergeben sein, aber gerade damit festete und sicherte er sich jenes glückliche, von Stimmung nicht abhängige Gleich- maß der Seele, die einst als fürstlichste der Eigenschaften ge- priesene Serenität. Mit sich selber stets im Reinen, im Fne- den, konnte er um so mehr menschliche Bethätigung Allem widmen, was in seine Kreise trat. Die Erfahrenheit des Arztes hatte er nicht, wie so oft geschieht, mit einer Einbuße des herz- lichen Mitgefühls erkauft; wie Ernstes ihm auch Zeit und Ge schick zu erwägen gab, in den geselligen Kreis brachte er stets eine milde Heiterkeit.„Der gute, weise Nathan", so nennt chn der Mann des treffenden Wortes, Carl Mayer, der ihn am demokrat das gesagt, so wäre es eine Majestätsbeleidigung, ver- übt an dem auf seine Sittlichkeit stolzen allein sittlichen Deutsch- land, und außerdem noch schwärzester Landesverrath eines Vater- landslosen Vagabunden gewesen. — In der orientalischen Frage„großer Triumph der Diplomatie": der Protokollfriede ist unterzeichnet. Schade nur, daß ein Theil der Unterzeichner, z. B. die Engländer, sofort offen ausgesprochen haben, daß sie dem Prototollfrieden nicht trauen, der überhaupt blos ein Aprilscherz gewesen zu sein scheint— die Unterzeichnung erfolgte am 1. April. Die Türken sind so vernünftig, sich um die europäische Diplomatie gar nicht zu be- kümmern: sie setzen die Kriegsrüstungen mit verdoppelter Energie fort und scheinen entschlossen, in nächster Zeit es zum Biegen oder Brechen zu bringen.— Wenn uns der Krieg erspart bleibt, an dessen Rand die genialen und nicht genialen Staats- männer uns gebracht, so hat— wir wiederholen es— Deutsch - land und Europa dies einzig und allein den Türken zu ver- danken, die das Lügennetz der Diplomatte abgestreift, und gethan haben, was der gesunde Menschenverstand ihnen gebot. — Der Mordwaffenfabrikant Krupp in Essen hat nach einer uns zugegangenen Meldung 123 seiner Arbeiter ent- lassen, die in dem Verdacht sozialistischer Gesinnung standen (s. den Aufruf in heutiger Nummer); außerdem ist den Arbeitern verboten worden, die„Essener Freie Zeitung" zu lesen. Kann ein Arbeitgeber despotischer gegen seine Arbeiter verfahren? und kann die„Lehre" von der Harmonie zwischen Kapital und Arbeit schlagender widerlegt werden, als durch die Maßregelungen der Krupp 'schen Arbeiter'? — Der Berliner Krawall, über den unsere Leser durch eine frühere Nummer unterrichtet worden sind, hat am 6. April sein Nachspiel vor dem Strafrichter gehabt. Angeklagt waren 17 Personen theils wegen einfachen Straßenunfugs, theils wegen Widersetzlichkeit gegen die Staatsgewalt. Das höchste Strafmaß waren 9 Monate, das niedrigste 4 Wochen; freigesprochen wurden 5. — Das„Hamburg - Altonaer Volksblatt", das noch keine vollen drei Jahre besteht, erscheint bereits in einer Auflage von 15,600 Exemplaren. Nicht wahr, Ihr Herren Sozialistentödter, das ist ein„Rückgang" der Sozialdemokratie, wie er im Buche steht? Correspondenzeu. Kamburg.(Aufruf an sämmtliche Arbeitsleute*) Deutschlands .) College »! Die Arbeitslosigkeit und der Hungertyphus greifen in allen Gauen Deutschlands immer weiter um sich, und allenthalben sind es wohl in erster Linie die Arbeitsleutc, welche bei althergebrachten niedrigen Lohnsätzen nnd nebenbei schlechter Behandlung am meisten darunter leiden. Bei den heutigen Verhältnissen, wo die meisten Gewerke den Uebergriffen des Kapitals organisirt entgegentreten, denkt Niemand an den Arbeitsmann. Vereinzelt steht er da und sieht den Kampf mit an. Er bedentt nicht, daß er in vielen Fällen die Zeche bezahlen muß. Der Arbeitsmann wird nicht geftagt, ob er 10 oder 12 Stunden täglich arbeiten will; er wird nicht gefragt, ob er mit den wenigen Groschen auskommen kann, die man ihm bietet. Der Arbeitsmann ist der Knecht des Arbeitgebers, und er muß mit dem zufrieden sein, was man ihm giebt. Ist es nicht oft genug in den letzten Jahren vorgekommen, daß die Arbeitgeber muthwillige Arbeltsausschlüsse provozirten(f. Altona ). Sie verhandelten aber nur mit dem Gesellen, die Familie des Arbeitsmannes wird nicht in Betracht gezogen. Wollen wir daher unsere Rechte wahren, so muß dies anders werden. Sind wir nicht verpflichtet, der Gesammtheit unsere Kräfte zur Ver- fügung zu stellen? Sind wir nicht verpflichtet, dem Staate die Steuer zu entrichten? Sind wir nicht die größte Zahl im Staate? Warum haftet gerade auf uns der Fluch, daß wir uns als Stiefkinder der Nation betrachtet sehen müssen? Es kommt einfach daher, daß wir uns in dem Wahn befinden, daß wir untergeordnete Kreaturen sind. Befreien wir uns von diesem Wahn, und es wird mit uns besser. Dann werden auch wir im Stande sein, unsere Forderungen stellen zu können. Dann wollen *) In Norddeutschland gebräuchliche Bezeichnung für Taglöhner, Packträger, Hilfspersonal in Fabriken zc. Wallensee zu Simons Denkmalfeier sah, und das Wort trifft. Und wen das helle, treue Auge des Mannes sanft und sicher ansah, der mochte vielleicht Gegner sein und bleiben, eine per- sönliche Feindschaft hätte davor nicht Stich gehalten. Gutes zu denken war ihm Bedürfniß auch in die Seele der Andern hinein, die Lästerlust, die Pfiffigkeit der gewöhnlichen Welt verstummten beschämt vor seinem absoluten Nichtverständniß. „Stark im Rechte"— wenn der Wahlspruch dieser so wür- digen deutschen Stadt je sich von einem Gemeinwesen auf den Einzelnen übertragen ließ— hier ist's am Platze. Mochte er im Widerspruch sich finden mit dem herrschenden System, mit seinen Freunden, mit der ganzen Welt— nur nicht mit sich selber! Wem konnte das jedoch eine Tugend scheinen in einer Zeit, da jeder seine Ansichten wechselte wie einen Rock und seine Gedanken wie ein Hemd; je öfter, je nachdem sie schmutzig waren. Und so haben sie auch jetzt, nach dem Tode, diesen un- bequemen kalten Schwärmer damit abzufertigen gemeint, daß sie ihm vorwarfen, er habe Alles zur Sentenz zugespitzt. Als wenn sie der Glocke vorwürfen, daß sie nur im reinen Drei- klang läutet und nicht die Triller der Spieldosen mitmacht! Es ist in frischem Andenken, wie heldenhaft er sich anschickte, zu sterben. Es erschien ihm als ein Widersinn', daß die ge- sunde Seele Störungen erleiden, ja vielleicht selbst Schaden nehmen könne an den Gebrechen des Körpers. Keine Wünsche mehr und keine Hoffnungen! sagte er Freunden und der hochbe- tagten Schwester, die in ihm ihres Lebens Leuchte erlöschen fühlte, fügte er tröstend hinzy: Danken wir, daß ein günstig Geschick uns so lange Jahre im stillen Glück zusammengelassen. Danken wir, das sei auch unser Wort. Danken wir für das Gedächtniß seiner, das uns bleibt. Wie in dem Blute das Eisen, so ist in jeder Menschenseele der Magnet, der sie zur Wahrheit, zur Gerechtigkeit weist. Mag die Nadel abgelenkt werden in Sturm und Wetter, unter des Metalles Einfluß, des unedeln wie des edeln, unbeirrt weist sie, wenn die Störung be- seittgt, nach dem rechten Ziele. Und so will mir scheinen, wenn an unser bürgerlich, unser politisch Gewissen ein Zweifel tritt und wir der Steuerung sicher sein möchten': Eine Frage wird den Magnet vor jeder Abirrung schützen, die Frage: Was hätte Jacoby gethan? Dieser reinen großen Seele Atome können nicht verloren gehen;— gesegnet sei sein Andenken! 'wir den übermüthigen Landjunker veranlassen, uns anders denn als Sklaven zu behandeln; dann wollen wir den Fabrikbesitzer bewegen, die entehrenden Fabrikordnungen zurückzunehmen— kurz, dann wollen und können wir uns eine menschenwürdige Stellung erobern.— Aber um das alles zu können, müssen wir uns organisiren. Jahrhunderte sind vergangen, alle Gewerke waren und sind organisirt, nur der Arbeitsmann ist geblieben was er war— Sklave. Darum, Freunde, organisirt Euch, dann könnt Ihr für Eure Rechte, für das Wohl Eurer Weiber und Kinder wirken.— Schon einmal im vergangenen Herbst haben wir die Aufforderung an Euch ergehen lassen, einzutreten in den Bund der Deutschen Arbeitsleute. Ungefähr 2000 Mann sind diesem Ruf gefolgt. Diese Zahl ist jedoch zu klein, um den Kampf mit Erfolg zu führen. Es bedarf eben aller Kräfte hierzu. Diejenigen, welche sich der Organisation noch nicht an- geschlossen haben, dürfen nicht fürchten, daß sie von den schon Organisirten würden im Stich gelassen werden. Damm richten wir an sämmtliche deutsche Arbeitsleute nochmals den Mahnruf, einzutreten in den Bund. Der Bund ist auf fester Gmnd- läge errichtet und hat sein selbstständiges Blatt:„Der Arbeiter", welches ein treuer Wächter ist für seme Schutzbefohlenen. Der Bund hat ferner seine Central-Kranken- und Sterbekasse(einge- schriebene Hilfskasie). Darum auf! Alle Mann in den Bund!— Anfragen, sowie sämmtliche Correspondenzen sind an den Unterzeichneten zu richten. Mit Gmß Wilh. Wißmann, Specksgang Nr. 3, III. NB. Alle Arbeiterblätter Deutschlands werden um Abdruck gebeten. Aochum.(An die Parteigenossen im Kreise Bochum .) Zufolge einer Aufforderung vieler Gesinnungsgenosseu im hie- sigen Kreise, in welcher der Wunsch ausgesprochen wurde, zum Zwecks der Orgunisation und Agitation eine allgemeine So- zialisten-Versammlung für den Kreis Bochum einzuberufen, fühle ich mich veranlaßt, an sämmtliche Anhänger und Freunde der sozialdemottatischen Bewegung die freundliche Einladung er- gehen zu lassen, zu der am Sonntag, den 15. April, Nachmit- tags präcise 3 Uhr im Lokale des Herm Florian am Marktplatz und Königsstraßen-Ecke zu Bochum anberaumten Versamm- lung ohne Ausnahme zu erscheinen. Freunde und Genossen! Nachdem wir gesehen, wie unsere Gegner mit allen erdenklichen Mitteln das arbeitende Volk im hiesigen Kreise zu hintergehen im Stande waren, und dadurch ein Theil des Proletariats auf's Neue an sich und seinen Mit- brüdern bei der Wahl zum Verräther wurde, ist es für uns die höchste Zeit, die Arbeiter über ihre wahren Interessen aufzu- klären und den größten Feind, der uns gegenübersteht, die Dummheit, zu bekämpfen. Wenn wir uns auch mit dem bei der Wahl erzielten Resultat zufrieden erklären können, so dürfen wir deswegen nicht in Gleichgiltigkeit verfallen. Ich richte des- halb an Euch Alle die dringende Mahnung, ohne Ausnahme in der oben angezeigten Versammlung zu erscheinen. Zugleich mache ich darauf aufmerksam, daß eine Besprechung über den diesjährigen Congreß stattfinden wird.— Ich bin der Hoff- nung, daß die Versammlung zahlreich besucht sein wird. Ge- nassen, machet diese Hoffnung nicht zu Schanden! I. A.: H. W. Hjsen, 26. März. Die am gestrigen Vormittag im Essener Odeum stattgehabte Volksversammlung, in welcher der Krupp'sche Mas einer Beleuchtung unterzogen werden sollte, war äußerst zahlreich besucht. Nachdem das Büreau constituirt war, ertheilte der Vorsitzende zunächst dem Herrn Karl Klein aus Hagen das Wort. Redner entledigte sich seiner Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit der Anwesenden und erntete für seine Aus- führungen sowohl während des Referats, als auch am Schlüsse desselben den reichsten Beifall.— Nach ihm ergriff Herr Kühl aus Duisburg das Wort. Hatte Herr Klein es sich zur Aufgabe gestellt, den Krupp'schen Ukas in ernster Weise zu behandeln, so verstand es Herr Kühl, seinen Bortrag humoristisch zu würzen und die verschiedenen Punkte dieses Mas derartig Spießruthen laufen zu lassen, daß die Lachmuskeln der Anwesenden beständig in Bewegung blieben.— Nach einer kurzen Debatte über ver- schiedene eingelaufene Anträge ließ der Vorsitzende über einen Schlußantrag, deren währenddem mehrere eingegangen waren, abstimmen, und wurde die Versammlung, nachdem die große Ma- jorität dem Schlußantrage zustimmte, geschlossen. Die Nachmittags im Lokale des Wirths Plümacher tagende Versammlung, in welcher die Herren Klein und Strumpen als Redner auftraten und das Thema:„Was wollen die So- zialdemokraten?" behandelten, verlief sehr gut und zeigte, daß auch die Arbeiter dieses Distriktes für den Sozialismus empfäng- lich sind. Wünchenvernsdarf.(Stimme eines Webers über die Lage der Weber.) Die Handweberei erfordert einen Mann, der Kopf und Ellenbogen hat, denn wer heut zu Tage theorettsch wie praktisch nicht ganz Ausgezeichnetes leisten kann, verdient nicht blos weniger wie früher, sondern er kann einfach nicht mehr existiren. Vor mehreren Jahren hatten die Maschinen-Webstühle blos das zu thun, was die Handweberei nicht machte; wegen zu schlechter Löhne seit einigen Jahren aber ist das umgekehrt— heut verrichtet die Handweberei blos noch das, was auf den Maschinen-Stühlen nicht gearbeitet werden kann, weil es zu künstlich ist, zum Beispiel Musterarbeit, Mustermachen, Ketten von wenigen Ellen. Kurz die Maschinenarbeit hat die Hand- arbeit so gut wie verdrängt und verdrängt sie mehr und mehr. Bei der hiesigen Handweberei müssen Mann, Frau und Kind vom frühen Morgen bis spät Nachts tüchtig zugreifen, um etwas zu verdienen und um die vorgeschriebenen Lieferfristen einzuhalten, denn es ist, seit die Löhne gesunken sind, noch viel mehr ein- gerissen wie früher schon, daß es Arbeiter giebt, welche, sei es nun aus Roth oder aus anderen Gründen, ungeheures leisten in der Herstellung von Quantitäten. Die Folgen der Unmensch- lichen Anstrengung bleiben natürlich nicht aus, selbst bei eisen- festen Naturen nicht. Bleich wie die Leichen und mit grauen Haaren im besten Mannesalter sieht man die hiesigen Weber zumeist einherwandeln. Seit mehreren Jahren besteht hier etwas Teppichweberei, wodurch viele Weber, welche früher nach aus- wärts Lohnarbeit verrichtet hatten, ziemlich dauernde und im Anfang auch leidlich lohnende Arbeit gehabt haben. Aber nach und nach ist der Lohn gesunken infolge der Concurrenz von anderwärts, so daß man nicht mehr wie 7— 8 Mark pro Woche durchschnittlichen Verdienst rechnen kann. Dabei ist seit der allgemeinen Geschäftskrisis die Arbeit sehr unterbrochen, im letzten Winter aber wie noch nie. Aber kein Mensch, auch nicht der Staat, thut etwas zur Aufhülfe des fast einzigen Erwerbszweiges hier in der Umgegend. Dazu kommen hohe Gemeindeabgaben infolge von enormen Gemeindeschulden, welche entstanden sind durch Ablösungen alter sogenannter Rittergutsrechte, wie Lehns - recht, Frohndienste k. und das alles von— Staatswegen. Also bei anstrengendster Arbeit— geringen Lohn, hohe Abgaben und, um das Maß voll zu machen, theure Lebensmittelpreise. Iii es bei solcher Sachlage ein Wunder, wenn Jeder, dem es noch
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2 (11.4.1877) 42
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