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Nr. 299.

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für 1891 unter Nr. 6469.

Vorwärts

8. Jahrg.

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Fern sprech- Anschlußt: Amt VI, Nr. 4106.

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: Beuth- Straße 2.

Dienstag, den 22. Dezember 1891.

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Expedition: Beuth- Straße 3.

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zwar

Eine reffende That doch etwas zu russisch, der Widerwille, das Miß- geworden waren. Zwar fehlt den Handelsverträgen trauen bemächtigten sich immer weiterer Kreise im und wir haben schon früher hierauf hingewiesen find die soeben von dem Reichstage angenommenen Han- Innern wie im Ausland es wollte nichts mehr ge- fehlt ihnen nicht eine chauvinistische Spitze- sie haben delsverträge genannt worden. Das sind sie nun lingen", die diplomatischen Zirkus, Kunst- und Kraftstücke den Dreibund zur Voraussetzung und Grundlage, und ganz gewiß nicht. Denn gerettet" haben uns diese Han- imponirten Niemandem mehr, mit Schimpf und Schande daß der Dreibund gegen Frankreich und Rußland ge delsverträge von keinem der Uebel, an denen wir kranken, mußte Fürst Bismarck vom Schauplaße zurücktreten. schlossen war, wird auch die kräftigste politische Heuchelei aus keiner der Gefahren, von denen wir umringt sind. Aber nur seine Methode hatte Schiffbruch ge- heute nicht mehr leugnen. Indeß nicht richtig ist, daß Eine rettende That müßte der Bruch mit dem litten, nicht das System, dessen Produkt, Werkzeug und die Handelsverträge, weil zunächst die Staaten des Dreis System sein, das uns in die Uebel und Gefahren Vertreter er ein Vierteljahrhundert gewesen war. bunds umfassend, den Staaten des Zweibunds" gegen

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und

gestürzt hat, aus denen wir Rettung" brauchen, wenn ,, Der Kurs bleibt der bleibt der alte", hieß es kurz über einen aggressiven( feindlichen) Charakter hätten. Die anders wir nicht ökonomisch und politisch verderben wollen. nach dem Sturz des übermüthigen Bassallen" und einfache Thatsache, daß auch die neutrale Schweiz und Und einen Bruch mit diesem System bedeuten die Handels- Hausmeiers. Das Wort war wahrer, als derartige ge- das neutrale Belgien in den mitteleuropäischen Zoll­verträge nach feiner Richtung hin im Gegentheil, sie flügelte Worte sonst zu sein pflegen. bund hereingezogen sind, nimmt ihm den aggressiven ruhen ganz auf dem Boden desselben und haben sogar, Statt: Der Kurs bleibt der alte", hätte es nur Charakter. Und wir halten es für sehr wahrscheinlich, wie wir von vornherein sagten und wie seitdem aus- richtiger geheißen: Das Sy st elm bleibt das alte. daß eines schönen Tages auch die Zollschranken drücklich zugestanden worden ist, den Zweck, es zu be= Das System ist das alte geblieben, blos die Methode zwischen den mitteleuropäischen Zollbund- Staaten und festigen. hat gewechselt. Das Brutale, Gewaltthätige, Unwahrhaftige, Frankreich fallen werden. Doch das ist Zukunfts­Um richtig zu urtheilen, haben wir uns vor allen Nervös- Sprunghafte, das in der Persönlichkeit des früheren musik, mit der wir uns nicht weiter befassen wollen. Dingen über die Natur und das Wesen dieses Systems Systemträgers gelegen hatte, ist mit der Person ver- Daß die Handelsverträge als solche durchaus reak tlar zu werden. Es ist das System des Kapitalismus, schwundenes sind glattere, elegantere Manieren, ver- tionäre Maßregeln sind, die in eine freie, den Ideen und der, nicht gemildert durch politische Freiheit und demo föhnlichere Formen zur Herrschaft gelangt allein dar- Interessen der Gegenwart entsprechende Politik nicht ge fratische Einrichtungen, die Ausbeutung und Unterdrückung auf beschränkt sich auch der Wechsel. Das Sozialisten- hören, dessen sind wir uns sehr wohl bewußt der Vielen" durch die Wenigen"- der arbeitenden gesetz ist gefallen die Verfolgung der Sozialisten dauert trotzdem lagen die Dinge so, daß unsere Parteigenossen Klasse durch die besitzende in wildem Goldhunger toll fort; der Sozialist gilt nach wie vor, zwar nicht als Reichs im Reichstag für die Verträge zu stimmen verpflichtet auf die Spize treibt. Unter Bismarck , dem gelehrigen Schüler feind aber, was schlimmer, als Gesellschaftsfeind, als waren. Die einfache Rückkehr zum Freihandel, ins­Bonaparte's, wurde es mit einer Rücksichtslosigkeit durch Feind menschlicher Gefittung, als wilde Bestie, die, wenn besondere zum Freihandel mit Lebensmitteln, war augen­geführt, die vor keinen Konsequenzen zurückschreckte. Die sie sich nicht zähmen läßt, hinter Schloß und Riegel ge- blicklich nicht zu erreichen, da galt es dem Bolt Volk Klinfe der Gesetzgebung" wurde den Großkapitalisten in steckt, oder gar über den Haufen geschossen werden muß. wenigstens das Erreichbare zu sichern. Die Dauer der die Hand gegeben, und sie wurde von ihnen als Pump- Für die soziale Frage finden wir heut so wenig Ver- Verträge auf 12 Jahre konnte uns keine Kopfschmerzen kurbel benußt, um dem arbeitenden Volk das Herzblut ständniß, wie unter dem Bismarck 'schen Regiment. Die verursachen. Wir wissen nicht, was die Zukunft im und das letzte Mark auszupumpen. Die Züchtung der offizielle Sozialreform ist nach wie vor Polizeireform Schooße birgt, aber das wissen wir, daß in 12 Jahren Millionäre" begann -die arbeitenden Massen verarmten, der sogenannte Arbeiterschutz in Wirklichkeit ein Arbeit- diese Handelsverträge, mit sammt ihren politisch- wirth­Riefenvermögen sammelten sich in den Taschen der bevor- geber schutz. Nach wie vor herrscht der Großkapitalismus, schaftlichen Voraussetzungen, Märchen der Vergangenheit zugten Glücklichen die Schutzölle( Industrie- und Korn- nach wie vor blühen die Zölle, welche von den Reichen sein werden. zölle) beschleunigten einerseits den Untergang der Hand- dem arbeitenden Volk aufgelegt, und vom arbeitenden Genug, mögen die Handelsverträge auch erhebliche werfer, Kleingewerbetreibenden und Bauern, anderseits Volk den Reichen bezahlt werden müssen nach wie vor Vortheile bieten die wir die letzten sind zu leugnen- dem die Konzentrirung des sogenannten Nationalreichthums wuchert der Militarismus, einem Polyp gleich, der den System, das uns wirthschaftlich und politisch zu Grunde im Besitz Weniger. Die Unzufriedenheit die noth- Organismus mehr und mehr erfüllt, ihm die Säfte aus- richtet, laufen sie nicht zuwider, sie haben es zur Basis wendige Folge des Systems wurde gewaltsam zum saugt und ihn schließlich ersticken muß. und sie haben zum Zweck es zu stärken. Schweigen gebracht: durch Ausnahmegesetze suchten die Nichts ist geändert im System, das wie ein Alp auf Von einer rettenden That werden wir mit Machthaber das Volk zu knebeln, durch eine ruhmvolle" uns lastet, Armuth und Elend verbreitet und da sollen Berechtigung erst dann reden können, wenn das System, auswärtige Politik es zu blenden, durch eine korrupte die Handelsverträge eine rettende That" sein! auf welches die Handelsverträge sich stützen und dem sie Preffe ihm Sand in die Augen zu streuen, durch das Nicht, daß wir sie unterschätzen wollten. Die gleichzeitig zur Stüße dienen sollen, mit sammt diesen Rothe Gespenst und den blutigen Kriegswauwau es zu Handelsverträge geben unserem Volt billigeres Brot und Handelsverträgen gefallen ist und einer Gesellschafts­ängstigen und am ruhigen Denken zu hindern. schon deshalb war es Pflicht unserer Reichstagsfraktion, ordnung Platz gemacht hat, die weder Ausbeuter noch Der Bogen wurde zu straff gespannt. Die für sie zu stimmen. Sie verbessern unzweifelhaft unsere Be- Ausgebeutete, weder Herren noch Knechte kennt und das Regierungsmethode des Fürsten Bismarck, die alle idealen ziehungen zum Ausland und tragen zur Beendigung jenes Ideal der Völkerverbrüderung und des ewigen Friedens Faktoren verachtete, bloß an die niedersten Instinkte und verderblichen Zollfrieges bei, den Fürst Bismarck , vom in der sozialistischen nationalen und gemeinsten Leidenschaften sich wandte und kein Mittel ver- Größenwahn erfüllt, gegen die ganze Welt unternommen internationalen schmähte, das Erfolg versprach war für Deutschland hatte, und in dem wir die Prügelknaben der ganzen Welt Arbeit verwirklicht.

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Feuilleton.

Nachdrud verboten.)

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Von Edna Fern.

Also deshalb", sagt er ruhig.

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" Ja, deshalb", antwortet fie giftig, und ich sehe, daß

die höchste Zeit war. Nun?"

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Ella, wenn es Dir möglich ist, so höre mich einmal ruhig an. Du weißt, was ich Dir vor meiner Abreise fagte ich erinnerte Dich heute Nachmittag daran-" " Jawohl," warf Ella ein, heute Nachmittag, wo Du vor der ganzen Gesellschaft blamirt hast". Blamirt? Doch wohl kaum. Nun, wie Du es auf­faffen willst.­

mich

"

Ich habe Dir damals gesagt, Ella, wir wollten uns trennen für eine Zeitlang und ich sage Dir jetzt für immer. Es geht so nicht weiter; ich ertrage es nicht länger, und ich will nicht zu Grunde gehen, hörst Du, ich will nicht.

Und Du? Willst Du an der Seite eines ungeliebten Mannes verkümmern? Gieb mich frei, Ella, und werde felbst frei! Es ist wahrhaftig das Beste für uns Beide."

Ella hat sich aufgerichtet aus ihrer nachlässigen Haltung, die schwarzen Augen starren ihn an.

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an der Seite eines Mannes, der nichts kann und nichts wird, ein Lump" da war es heraus und Ella hält inne, aber Günther entgegnet keine Silbe.

Da fährt sie fort, unaufhaltsam, sich selber über­stürzend:

Ja, an Deiner Seite habe ich mein Leben vergeudet, meine schönsten Jahre, und nun sollen wohl die Leute mit Fingern auf mich zeigen, mich hohnlächelnd bemitleiden,

ihrer Leidenschaft.

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als eine Frau, die ihr Mann nicht mehr gewollt, weil sie zu alt geworden und er eine Jüngere vorzieht. Das sage ich Dir, Günther," sie springt auf und tritt dicht vor ihn hin; die ganze schmächtige Gestalt bebte unter der Wucht " Niemals löse ich die Fesseln, die Du einst willig genug auf Dich nahmst, nie und nimmer gönne ich Dich jener niederträchtigen Dirne, die ihre Mutter, mich, die ganze Welt hintergangen hat, um eine Liebschaft mit einem ver­heiratheten Manne anzuzetteln. D, wie ich sie hasse, diese Schlange!"

Das ist mehr, als Eifersucht, was aus Ella's glühenden Augen spricht, das ist wahnsinniger Haß der alternden Frau, welche ihre Macht mit der Schönheit dahinschwinden sieht, gegen Jugend, gegen Liebreiz und Anmuth. Und nun folgt eine Reihe von Schmähungen und Verwünschungen gegen , welche die Furie da vor ihm Günther ins Gesicht schleudert, die ihn außer sich bringen. Aschfahl wird sein Gesicht, sinnlos vor Zorn faßt er sie am Arm und

Du," ein schneidend scharfes Lachen gellt durch's schüttelt sie:

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Bimmer, Du Du willst Dich von mir trennen, Dich" Weib, kein Wort mehr oder ich schlage zu!" Da

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Organisation der

ruhig. Er geht zum Fenster und blickt hinaus in das milde Mondenlicht.

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Also Du wolltest mich schlagen Du. Ich sage Dir, auf den Knien noch wirst Du mir danken, daß ich Dich von dem Geschöpf losreiße. Armer, verblendeter Mann, Du dauerst mich! Ich thue ein gutes Werk, und darum gebe ich Dich auch nicht frei- hörst Du? Niemals!" Woll von verächtlichem Mitleid sieht sie ihn an.

So tief also bist Du gesunken, daß Du mich schlagen wolltest," wiederholt sie noch einmal höhnisch, roher Mensch Du!"

Da wendet sich Günther: Sei still, Ella, wir sind fertig mit einander. Nur das Gine noch: Ich werde das Glück erringen auf meine Weise, verlaß Dich drauf, und Du sollst mich nicht daran hindern."

Als Ella am nächsten Morgen erwachte, stand Günther vor ihr und sagte kurz:

" Heute Mittag reisen wir," und zum ersten Male hatte Ella keine Widerworte.

Zwischen Günther und Ernst entspinnt sich dann ein kurzes, aber inhaltsvolles Gespräch:

Wir reisen Ernst," sagt Günther. " Zusammen?" fragt Ernst.

Sie nach Süden, ich nach Norden," entgegnet Günther. Und hoffentlich werden sich unsere Wege nie mehr

kreuzen."

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Das Einzige," nickt Ernst.

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" Und wenn ich frei bin, Ernst?" fragt Günther. " So komme wieder nicht eher, Günther."

Sie reichen sich die Hände. In Ernst's Gesicht liegt

wohl sogar von mir scheiden lassen- Wie?- Nicht tritt ein Ausdruck unverhohlenen Entsetzens in Ella's ein fremder, weicher Zug, und in Günther's Augen rück­genug, daß ich meine besten Jahre an Deiner Seite, Augen, und Günther wird plötzlich ruhig, ganz sichtslose Entschlossenheit.