die Zweckmäßigkeit, Harmonie und Einheit des Alls; denn jene können wir wenigstens stückweise vollkommen beweisen, diese können wir ewig blos glauben. Ja, dieser Glauben führt immer wieder zu unauflösiichen Selbstwidersprüchen, über welchen schon manche Denker den Verstand eingebüßt haben; jene Hy- pothcse aber leidet blos an etlichen Lücken, von denen wir schon so viele ausgefüllt haben, daß sie fast alle uns Hoffnung lassen, sie werden wirklicher Erkcnntniß weichen. Sozialpolitische Uebersicht. — Einfluß verschiedener Beschäftigungsarten auf das Auge. Es ist keine seltene Erscheinung mehr, daß Männer der Wissenschaft aus der Studirstube heraustreten und die Re- sultate ihrer Forschungen insoweit praktisch zu vcrwerthen suchen, als sie von Zeit zu Zeit die gesammelten Beobachtungen und Erfahrungen dem größeren Publikum mittheilen und so Anregung zu weiteren Forschungen, eventuell zur Abhilfe wahrgenommener Mängel und Gebrechen im sozialen Leben geben. So hat Herr Prof. Dr. Hermann Cohn in Breslau vor einiger Zeit einen öffentlichen Vortrag gehalten, worin dieser bekannte, für das Wohl der arbeitenden Klasse unermüdlich thätige Augenarzt die allgemeine Aufmerksamkeit nach einer Richtung lenkt, die bisher ganz vernachlässigt wurde. Dieser hochverdiente Gelehrte berichtete neulich über von ihm angestellte Untersuchungen von dem„Einflüsse der verschiedenen Beschäftigungsarten auf das Auge", und wollen wir hier von den höchst inkereffanten Mittheilungen Einiges wiedergeben. Zunächst ist festgestellt, daß gerade in den Elementarschulen, die von den Kindern des Proletariats besucht werden, auf das Auge viel zu wenig Rücksicht genommen wird. Halbdunkle, schlecht gelüftete Räume begünstigen Augenkrankheiten aller Art und besonders die Kurzsichtigkeit, die dann im praktischen Leben sehr störend ist. Viele Knaben und Mädchen bringen die Kurz- sichtigkeit bereits in ihren Beruf mit, der sehr häufig dazu an- gethan ist, dieselbe noch zu vermehren. Es stellt sich heraus, daß die Gold- und Silberarbeiter, sowie die Uhrmacher ver- hältnißmäßig am Besten wegkommen. Letztere, weil sie stets bei guter Beleuchtung und unter Anwendung der Loupe arbeiten, welche jede starke Accomodation des Auges verhindert und den Eintritt in die Kurzsichtigkeit hemmt. Von sämmtlichen unter- suchten Uhrmachern waren 73,6 Proz. mittel-(normal-), 12,4 Proz. über- und nur 9,7 Proz. kurzsichtig. Aehnlich stellt sich das Verhältniß bei den Gold- und Silberarbeitern und Juwelieren. Viel schlechter ergeht es den Lithographen. Von diesen waren 3? Proz. mittel-, 18 Proz. über- und 45 Proz. kurzsichtig. Zu bemerken ist, daß von diesen 45 Proz. volle 37 Proz. an der Kurzsichtigkeit erst seit ihrem Eintritt in das Gewerbe leiden. Die Schriftsetzer zeigten die regste Betheiligung bei der Unter- suchung; von den anwesenden 144 kamen 132 zur Augenbesich- tigung, gleich 91 Proz. Hier zeigten sich die traurigsten Ver- Hältnisse! 51 Emmetropen(Mittelsichtige)— 39 Proz., 10 Hyper- metropen(Uebersichtige)— 8 Proz., und 68 Myopen(Kurzsichtige) — 51 Proz., sowie 2 Augenkranke. Bon den 68 Kurzsichligen waren 17 schon myopisch, als sie in die Lehre traten, doch waren 12 während und nach der Lehrzeit nachweisbar noch kurzsichtiger geworden, 51 waren mit scharfen Augen in die Lehre getreten und kurzsichtig geworden,— 38 Proz. Von den Setzern, welche 1—10 Jahre thätig waren, waren 52 Proz., und unter denen, die 21—54 Jahre setzten, 56 Proz. kurzsichtig. Wie die Kurz- sichtigkeit bei diesem Gewerbe zunimmt, ergiebt sich daraus, daß von 1—10 Sctzerjahren durchschnittlich die konkave Brille 24, von 10—20 Jahren konkave 19, von 21— 30 Jahren 16, von 31 bis 46 Jahren konkave 13 nöthig waren.— Für Gasbeleuchtung erklärten sich 59 Proz. Durch die Gashitze würden, bemerkten sie, die Augen zwar sehr trocken, die hellere Beleuch- tung aber mache das Material vorzüglicher; für Oel waren 33 Proz., für Petroleum 8 Proz. Die Anwendung der Petit- Lettern wurde hauptsächlich als Grund der entstehenden oder zunehmenden Kurzsichtigkeit bezeichnet. Derartige Untersuchungen, wenn sie von eigens dazu berufenen Organen mit der erforderlichen Gründlichkeit und möglichst er- schöpfend geführt werden, könnten die segensreichsten Folgen haben, da die in solcher Weise statistisch ermittelten Uebelstände sehr leicht durch passende Maßnahmen beseitigt werden können. Selbstverständlich kann bei solchen Ermittelungen der Einzelne nicht viel zu Tage fördern, seine Arbeiten können nur eine An- regung zu einer systematischen Untersuchung bieten, und selbst wenn die amtlichen Organe bei großem Fleiße, bei aller ge- In der zwölften Stunde! Also der Attentäter, welcher das Postrescript in Sachen Le- dochowsky dem zum Märtyrer des Postzeuguißzwanges ge- wordenen Dr. Kantecki mitgetheilt haben soll, ist urplötzlich und — merkwürdiger Weise— in der zwölften Stunde ermittelt; er soll— noch merkwürdigerer Weise— ein Postagent sein. Bald werden die Reptile verkünden, man habe diesen Postagenten mit Milde, wenn nicht mit Vaterhuld behandelt oder noch besser Gnade für Recht ergehen lassen. Solch ein milder Regen wird den aufgewirbelten Staub dann legen und die nationalservile Presse wird gar bald wieder die Trommel für die„geniale" Excellenz aus Hinterpommern rühren. Man hätte übrigens den Attentäter in keiner Charge der ganzen Postverwaltung günstiger entdecken können; denn die Postagenten— eine der vielgeprie- senen Schöpfungen des„genialen" Postreformators, unseres „Postbismarck"— sind Beamten und auch keine Beamten oder, wie man im Volksmunde zu sagen pflegt,„nicht Fisch, nicht Bogel ". Es sei ferne von uns, diesen Personen auch nur im Entferntesten zu nahe zu treten; aber die Schöpfung selbst müssen wir beleuchten. So ein Stephan'scher Postagent ist einem Versicherungsagenten zu vergleichen. Er ist eine auf Kündi- gung angenommene Privatperson, die häufig vom Postdienst blutwenig versteht. Er erhält eine kaum nennenswerthe Ent- lohnung und betrachtet daher fast durchschnittlich seine Postbe- dienstung als eine Nebenbeschäftigung, die in seiner Berhinde- rung auch Familienglieder vornehmen können. Häufig steht das Postspindchen eines solchen Postagenten in einem Zimmer, das noch allen anderen denkbaren Zwecken dient, in welchem Onkel Dorfbürgermeister, Pathe Schulmeister, Gevatter Pfarrer und Filius Vicar verkehren. In solch' einem Zimmer, da harren denn die aufgegebenen Briefe ihrer Beförderung, da liegen die angekommenen so„fest wie die Bibel auf dem Altar", bis sie abgetragen werden. Unter den Postagenten selbst befinden sich Personen aller nur denkbaren Berufsarten. Da ist z. B. ein biederer Gastwirth Postagent; der Herr Vicarius ist sein Ge- vatter und verkehrt täglich in seinem Zimmer. Dieser Mann kann ja von einem Circular a la Ledochowsky per Zufall— ganz ohne Zuthun des Agenten— Kenntniß genommen haben. Die fromme Tochter, die den Vater in seinen Agenturgeschäften unterstützen darf, könnte wohl gar das Circular in dem Beicht- stuhl verrathen, oder der gelehrte Herr Sohn einem Redakteur, � wissenhaften Thätigkeit derartige Untersuchungen anzustellen sich bemühen, finden sie aus verschiedenen Ursachen bei den interessirten Klassen keine völlige Unterstützung, ohne welche keine verläßlichen Daten zu schaffen sind. Mißtrauisch wie man schon im Publikum gegen alle amtlichen Aufschreibungen zu sein pflegt, weil man dahinter meist steueramtliche oder sonstige dem Publikum nicht sympathische Zwecke vermuthet, werden die rein amtlichen Ber - suche mehr und mehr an dem Widerstande der in Frage kom- inenden Kreise scheitern. Dagegen würden die von den sozialistischen Abgeordneten zu der Abänderung der Gewerbeordnung unter Artikel lV in Vorschlag gebrachten Gewerbegerichte im Verein mit den Fachmännern solche statistische Aufgaben mit Erfolg zu lösen vermögen.— Hier hätten wir eine Andeutung für das praktische Leben, woraus man ersieht, von welcher Bedeutung die von uns gewünschten Aenderungen des Gewerbcgesetzes werden können. — Eine Anzahl Anhänger Johann Jacoby's , Mit- glicder des ehemaligen„Demokratischen Vereins", hatte zum 1. ds., Abends in Berlin , nach dem Saale des Handwerker- Vereins eine Gcdächtnißfeier für Dr. Johann Jacoby anberaumt. Ein zum großen Theile den gut situirten Ständen angehörendes Damen- und Herren-Publikum, aber auch viele Arbeiter füllten den großen Saal und Galerien in allen Räumen; unter ihnen die Abgeordneten Bebel, Liebknecht, Temmler, Rittinghausen, Fritzsche und Most. Die Rednertribüne war mit Laubgewinden geschmückt. An der Vorderseite der Tribüne, inmitten zahlloser lichtftrahlender Kerzen erhob sich ein großes, vortrefflich gelun- genes Porträt des Verstorbenen. Der Gesangverein des Hand- Werkervereins eröffnete die Feier mit dem Liede:„Hier in des Abends traulich ernster Stille" nach der Melodie des Integer vitae. Dr. Guido Weiß hielt alsdann die Gedächtnißrede. In etwa einstündiger Rede schilderte der Vortragende das Leben und Wirken des Gefeierten. Der Gesang des Liedes„Das deutsche Herz" beendete die Feier gegen 9 Uhr Abends.— Bon den Demokraten aus Königsberg i. Pr. war ein Begrüßungs- telgramm eingegangen. — Die Gesellschaft für Verbreitung von Volks- bildung sitzt in der Klemme. Nach dem Voranschlage des Etats für das Jahr 1877 dürften die Ausgaben die Einnahmen um 1043 Mark übersteigen; es müßte daher, wenn sich der Gesellschaft nicht außerordentliche Hülfsquellen erschließen, das Stammvermögen der Gesellschaft augegriffen werden. Nun, wir zweifeln durchaus nicht daran, daß diese 1043 Mark von irgend Einem der Herren Bourgcois-Volksbildner aufgebracht werden, das Volk aber will von derartigen Bereinen nichts wissen, und welchen Nutzen dieselben bisher dem Volke gebracht, das wissen die Götter. — Auch der Redaktion des„Vorwärts" hat man einen„Bettelbrief" von Seiten des Vorstandes zugesandt; Glück hat man allerdings nicht damit bei uns gehabt. —„Der Militarismus ", eine interessante Schrift von F. Wiede, welche in Zürich (Verlagsmagazin) kürzlich erschienen ist, wird von der Berliner Polizei confiszirt, das heißt wenn dieselbe ein Exemplar erwischen kann. Wir brauchen zur Em- pfehlung des Werkchens wohl kein Wort zu sagen, da„competentere Leute" in solcher Weise die Reklame besorgen. — Daß die„Civilisation" des„Erbfreundes" unter dem Donner der Kanonen gegenwärtig an dem„barbarischen" Türkenvolke erprobt wird, ist unseren Lesern wohl bekannt. Von Interesse ist auch, zu erfahren, daß nun auch Oestreich mit aller Macht darnach strebt, in dem allseitigen„civilisatorischen" Weit- streit gegebenen Falls ein gewichtiges Wort mit dreinreden zu können. So ist z. B. die erst vor einigen Jahren construirte sogenannte Uchatiuskanone jetzt soweit vervollkommnet, daß aus ihr Geschosse schwersten Kalibers anderthalb Meilen weit ge- schleudert werden können. Gewiß ein Resultat, das geeignet ist, der„Civilisation" den größten Vorschub zu leisten. — Der russische Angriff vor dem Forum der engli- schen Arbeiter. In London sind überall Plakate angeschlagen folgenden Inhalts-: „Mord! Massacre! Rußland zeigt sich nun in seinem wahren Charakter. Wir, die Arbeiter Englands, wünschen, daß die Regierung rasch handele und den mörderischen Angriff sowie auch weitere Metzeleien unter dem Mantel der Religion ver- hindere. Lügner, Diebe und Mörder sollten behandelt werden, weil die Sache möglicherweise mit seinen Rechtsanschauungen nicht übereinstimmt. Genug, die Einrichtung der Postagenturen ist eine Stephan'sche Schöpfung und deshalb„nationale Preß- tamboure!— Einen Wirbel!!!— Ihr Anderen! Präsentirts Gewehr!!! Eine andere geniale Schöpfung der genialen Excellenz aus Hinterpommern, die natürlich ihrer Zeit auch mit entsprechendem Preßreptilhurrah ins Leben trat, ist die Annahme von blut- jungen Postgehilfchen, von jungen Bürschchen, die häufig kaum der Schule,— der Dorf- oder Bürgerschule— entwachsen sind und sich an den Postschaltern in ihren Uniformen gar wunder- lich ausnehmen. Wir wollen diese jugendlichen Beamten wahr- lich nicht persönlich herabsetzen; aber das System desselben Herrn beleuchten, der mit drakonischer Strenge„Amtsgeheimnißver- letzungen" verfolgt, der Disciplinaruntersuchungen gegen Beamte einleitet, weil deren Frauen schriftstellern und dabei ehrlich genug sind, wenn auch in mildester Form, das Stephan'sche Postkind beim rechten Namen zu nennen; der 1872 die petitionirenden Berliner Postamtsassistenten nach allen Richtungen der Windrose versetzte, weil sie Collectiveingaben überreicht hatten, die ja laut Amtsblatts-Verfügungen verboten sind. Die Loyalitätsadressen, wie sie 1871 aus Anlaß einer Interpellation im Reichstage in der Hamburger Petitionsangelegenheit so fein säuberlich in Scene gesetzt wurden, und die doch auch nichts Anderes als Collectiveingaben waren, ja die wurden huldvoll entgegenge- nommen; denn„das war, Bauer, ganz was Anderes". Und sollte sich unter den„Sechszigtausend" der hintcrpom- merschen Excellcnz nicht wieder ein Häuflein Getreuer zusammen- treiben lassen, die nach den Erlebnissen der letzten Tage ihrem Herrn und Meister eine oder einige Ergebenheitsadressen in tiefster Devotion darbrächten? Es ließe sich darin, wie Anno 1871 so schön von„der stets unzufriedenen Minderheit" unter den Beamten reden, welche noch immer in den Postspar- kassen, in den postväterlichen Nähmaschinen und so weiter keine allerhöchste Huld und Gnade erblicken wollen, welche diejenigen Reichstagsmitglieder, die sich der Petitionirenden, annehmen, als solche bezeichnen, die in„eigenthümlicher Verkennung ihrer Pflichten" handeln(man sehe die Er- gebenheitsadressen von 1871). Und was ließen sich nun gar jetzt dem Halle'schen Ehrendoktor in Bezug auf die„undankbare" Presse für Trostesworte sagen? Was für Trostesworte durch Verunglimpfung der bösen Sozialdemokraten? Wir wollen den wie sie es verdienen. England hat viel ausgegeben, um die Sklaverei zu unterdrücken. Wir hoffen, es wird mehr ausgeben, um die bedrückten Polen und Andere, die in einem Zustande der Knechtschaft gehalten werden, zu befreien; daß es jeden Muselmann Indiens bewaffnen, die Russen austreiben, im Süden von Rußland eindringen und dadurch jeder weiteren Aggression Einhalt thun wird." Aehnlich denken die Arbeiter in allen Kulturstaaten. — Zum russisch -türkischen Kriege. Vom Kriegsschau- platz ist zu melden, daß die Türken sich in Asien auf die Festung Kars zurückgezogen haben, wo wahrscheinlich der erste bedeu- tende Schlag erfolgen wird. Auf der Donau gerieth ein türkischer Kriegsdampfer in das Feuer der russischon Batterien, entkam jedoch glücklich. Zwei rumänische Donau - Kriegsdampfer sind von den Türken genommen worden, da Rumänien mit den ein- gedrungenen Russen eine Convention abgeschlossen hat.— Die rumänische Regierung hat vor ihrer gänzlichen Abdankung zu Gunsten der russischen Okkupation noch ein Zeichen von Macht- Vollkommenheit gegeben, gegen welches die russischen Heerführer gern ein Auge zudrücken werden; nämlich die Suspension aller Zahlungsverbindlichkeiten rumänischer Unter- thanen für die Dauer des Krieges. Einziger Paragraph: „Es wird nichts gezahlt"— ein Gesetz, das trotz aller Ableug- nungen auch schon in Petersburg vorbereitet wird, um dem Aus- lande einen Begriff von dem festen Entschlüsse Rußlands beizu- bringen, das Loos der Christen in der Türkei zu verbessern.— Die Bewohner von Odessa sind froh darüber, daß der Be- lagerungszustand erklärt worden ist, da sie sich vor allerhand � militärischem und nicht militärischem Gesindel kaum der Haut erwehren konnten. Von einem frischen, fröhlichen Kriege ist in! Südrußland nicht die Rede; die Leute fragen sich vielmehr köpf- schüttelnd, wie das enden soll.— Das„Memorial diplomatique"> kleidet die Tragweite des russisch -türkischen Conflikts in folgende Formel:„Der eröffnete Orientkrieg ist nur in erster Linie ein s Kampf zwischen Russen und Muselmannen; in letzter Linie ist es ei» Kampf zwischen der russo-slavischen und der germa-! nischen Welt." Hat das Blatt Recht? Wenn es Recht hat,! dann trägt die deutsche Politik der letzten Jahre an der Aus- dehnung des entbrannten Kampfes einen großen Theil der Schuld.__ — Dienstag, den 1. Mai, wurde der Redakteur der„Ber- liner Freien Presse", I. Dolinski, auf Grund des§ 135 des Reichsstrafgcsetzbuchs im Redaktionslokale verhaftet. Auch hat der frühere verantwortliche Redakteur der„Berliner Freien Presse", Milke, jetzt definitiv seine Residenz von der Stadt- Voigtei nach der bekannten„Bastille am Plötzensee" verlegt, um sich dort für längere Zeit den Studien zu widmen. — Parteigenosse Will). Wolf aus Mülheim a. M. wurde wegen vermeintlicher Gotteslästerung und Bismarcksbeleidigung zu 6 Monat Gefängniß verurtheilt. Gegen dieses Urthcil wird Wolf selbstverständlich die Appellation einreichen. — Die„Wahrheit" in Breslau schreibt unter'm 1. Mai: „Trotz des Urlaubes sind die bekannten autographirten Straf- antragsformulare des Reichskanzlers v. Bismarck immer noch in Bewegung. Zur Abwechslung hat sich ein Bismarck 'scher Strafantrag auch einmal nach Breslau verirrt, und zwar ist er gegen den verantwortlichen Redakteur unseres Blattes wegen der Einleitung der„Politischen Uebersicht" in Nr. 57 der„Wahr- � heit", Tagesausgabe vom 9. März d. I., gerichtet. Die Ge- sammtzahl der gegen unfern verantwortlichen Redakteur schwe- benden Prozesse beträgt gegenwärtig neun." u Berlin , 1. Mai. Gestern war ein Unglückstag für die Fortschrittspartei und was drum und dran hängt. Zu Beginn der Sitzung theilte! Forckenbeck mit, daß der Abg. Duncker sein Mandat für den 5. Berliner Wahlkreis niedergelegt habe, und im Verlauf der Sitzung kam Herr Löwe beim Heruntergehen vom Bureau zu Fall und brach einen Arm, so daß er ohnmächtig hinausgetragen werden mußte. Der Fall des Herrn Duncker ist ernsthafter: Dieser Mann, der in seinem Blatte die Sozialdemokratie auffs Rastloseste angreifen und auf's Gemeinste verleumden, ihr jede Sittlichkeit absprechen, ihren Vertretern die eigennützigsten Motive| unterschieben ließ, hat soeben, trotz der ihm seitens seiner Partei- i genossen gewordenen Unterstützung, Bankerott gemacht unter Um- Teufel nicht an die Wand malen, denn was Anno 1871 passirte, könnte auch jetzt eintreten; immerhin würden wir es als einen Fortschritt betrachten, wenn diesmal die Loyalitätsdcputationen und Trostadressen seitens etlicher Postbeamten an Hrn. Stephan unterblieben. Also ein Postagent ist es diesmal gewesen, kein blutjunges Postgehilfchen? Da braucht man ja wohl nicht zu discipli- niren, da kann man ja wohl ohne weiteres Verfahren entlassen? Ist es nicht so, Herr General-Postmeister? A. „Wir wollen wieder Prügel haben!" (Ein Aprilscherz des„Leipziger Tageblatts" im Jahre 1877.) y. Wenn sich in Nr. 110 des„Leipziger Tageblatts" wieder einmal ein Gegenstück zu der Fabel, in welcher ein Esel den andern„Langohr" schimpft, abspielte, indem ein„Eingesandt"| (NB. aber im Redaktionstheil), welches in Form wie Aus- drucksweise seinen Verfasser unbedingt nicht zu den„gebil- deten Kreisen" zählen ließ, seinen Gefühlen über die wachsende Rohheit der ungebildeten(!) Klassen unserer heutigen Gesellschaft freien Lauf ließ und unter von Krokodilsthränen feuchten Augen als alleinseligmachendes Gegenmittel„der Prügelstrafe" ein Loblied sang— nun, so konnte man dieses ungeschickte, unüber- legte Simmelsammelsurium für das Machwerk eines guten kanne- gießernden Freundes, getreuen Gosenbruders oder dergl. aus. der Reihe der Tageblattsclique halten, welcher aus Mangel an| nützlicher Beschäftigung sich mit unausführbaren Weltverbesserungs- Plänen— wohl aber eben nur zum Zeitvertreib— beschäftigte. Diesem Veilchen hätte man gewiß gern sein verborgenes Blühen gegönnt, jedoch ohne daß es von irgend Jemandem ge- sucht worden wäre, hielt man es für gut, für dieses Wunder- blümchen die Lärmtrommel und die liebe gewohnte Reklamen- trompete in einer Weise zu gebrauchen, daß der biedre Leipziger, dessen Lebensweisheit im„Tageblättchen" seine einzige Quelle findet— wie es freilich auch beabsichtigt wird— vollständig über die wahren Motive betäubt und verdummt werden soll. Aus der Losung:„Schärfere Strafe für die Rohheit" ent- wickelt sich nämlich nunmehr ganz ungenirt das unumwundene Feldgeschrei:„Der Polizei die Knute in die Hand!" Je nun, daß dieser fromme Wunsch des„Tageblatts" durch eine Leipziger Petition an den Reichstag jemals zum Reichs-
Ausgabe
2 (6.5.1877) 53
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