manns und gegen einen gefährlicheren Feind für die Unabhängig- keit Europas als den Czar, einen ehrenvollen Schlag zu thun." Das erinnert stark an Herwegh's :„Der schlimmste Feind steht an der Spree !" Die Majorität(??) der Arbeiter steht übrigens leider auf Seite der liberalen Waschweiber und läßt sich noch fortwährend zu Demonstrationen gegen die„bulgarischen Grausamkeiten" be- nützen. Einige Herren Gewerkschaftsführer, die sich zu einer „Eastern Question Association"*) zusammengethan und die sich gerne reden hören, haben letzten Montag wieder in Gesellschaft einiger Parlamentsmitglieder und eines halben Dutzend anderer Pfaffen eine Demonstration in Exeter Hall veranstaltet zur Unterstützung derselben Resolutionen, welche der große liberale Führer zur selben Zeit im Parlamente muthig fallen ließ, da sie selbst der Mehrzahl seiner sonstigen Parteigenossen zu grau- samlich nach Juchten rochen. Ein kleiner Theil der Arbeiter sammelt sich in der„Arbeiter- Friedensgesellschaft" und faßt Resolutionen zu Gunsten des „Friedens um jeden Preis". Gegen diese Letzteren gewendet, hat jüngst der„Jndustrial Review" eine Tirade losgelassen, die sich der deutschen :„Wir wollen alle Schiffe hinter uns ver- brennen und dann hinaussegeln in den Ocean der Freiheit" kühn an die Seite stellen kann.„Wäre die gegenwärtige Lage durch uns verursacht— heißt es in dem betreffenden Artikel— oder könnten wir den Lauf der Ereignisse überwachen, wir würden uns um das Banner des Friedens schaaren und unter ihm kämpfen bis zum Ende!"(„We should rally round the Standard of peace and fight under it to the end.") Betrachtungen aus und über Holland . Amsterdam , 17. Mai 1877. Holland gilt vielfach als ein todter Boden für den Sozialismus. Die Thatsachen scheinen dieser Ansicht Recht zu geben, denn die Rubrik„Holland " nimmt in den Berichten unserer sozialistischen Blätter nur einen äußerst bescheidenen Raum ein, und vergebens wird man darin nach Mittheilungen über Borgänge in der großen Volksbewegung unserer Zeit suchen, wie sie in andern Ländern zum Schrecken aller Mastbürger, aber zur Freude aller vernünftigen und verständigen Menschen immer alltäglicher werden. Die Erklärung für die laue Betheiligung Hollands an der Frage der Fragen wird vielfach in der geringen industriell- kapitalistischen Entwicklung sowie in dem vermeintlichen größern Wohlstande des Landes gesucht, die dem Sozialismus seine Wachsthumsbedingungen entziehen. Ich gestehe, daß auch ich mich bisher von dieser Ansicht über die günstigen sozial-ökono- mischen Verhältnisse Hollands gefangen nehmen ließ und Holland so zu sagen als verlorenen Posten betrachtete. Man muß das Land selbst kennen gelernt haben, um sich von der Unrichtigkeit jener Beurtheilung zu überzeugen. Es ist wahr— Holland ist enorm reich, es gicbt hier ganz fabelhafte Vermögen, und die ganze Welt ist Holland Geld schuldig. Aber wie überall, so ist auch hier unter dem„Reich- thum" des Landes eben nur der Reichthum der Reichen zu verstehen, wie überall so existirt auch hier dieser Reichthum nicht ohne seine unzertrennliche Begleiterin, die Armuth! Wahr ist es— man steht in den Städten Hollands eine Behäbigkeit, eine Pracht, einen Luxus, daß gerade nicht allzu viel Scharfsinn dazu gehört, um zu erkennen: Hier giebt es viele Leute, die sehr gut bei Kasse sind. Man braucht nur die eine Kalverstraat zu Amsterdam zu sehen, in welcher sich Laden an Laden reiht, von einer Pracht, einer Kostbarkeit und einem Geschmack, wie man sie in Berlin kaum sieht, wie sie sich aber auch in Paris nicht schöner finden. Aber wahr ist es auch, daß man in eben derselben Stadt der tiefsten Armuth, dem abstoßendsten Elend begegnet. Das ausgebreitete Bettelwesen in den Straßen erinnert an Italien und wohl nirgend weiter als eben noch in Italien wird der Fremde so sehr und in so aufdringlicher Weise von hilfsbereiten Geistern aller Art verfolgt wie hier. Bald soll man sich durchaus die Stiefel putzen, bald wieder den Weg „wijzen" lassen, und beweist man den Leuten, daß man weder das Eine noch das Andere nöthig habe, dann tritt die offene Bettelei zu Tage und der Cicerone beschwört Einen, man möge seine Dienste, wenn auch überflüssig, aus Gnade und Barm- Herzigkeit annehmen, er habe mitsammt Frau und Kindern heute den„heelen dag" noch nichts gegessen. Das ausgehungerte Ge- stell, die zerlumpte Kleidung— man begegnet hier Figuren, wie sie selbst in Berlin , der Urheimath der„Bassermann'schen *) Assoziation betr. die östliche, d. h. die orientalische Frage. 9. Brief pag . 123:„Unterwegs trafen wir eine Anzahl Flüchtlinge der Herwegh'schen Colonne" zc. „Ich fragte nun nach Herwegh und seiner Frau, einige meinten, diese werden wohl gefangen sein, da sie dieselben noch ganz spät auf dem Platze gesehen haben, sie haben sich wahr- scheinlich gerettet, denn es sei über ihre Gefangennehmung nichts bekannt geworden, genaue Auskunst konnte jedoch keiner geben." Dann pag. 126: „Der Aerger darüber, daß Herwegh mit seiner Frau ent- kommen war, machte sich dann in dummen Verläumdungen Luft. Wäre es eine große Heldenthat gewesen, wenn sie bei dem Ueber- fall zu Dossenbach ruhig zugewartet hätten, bis sie gefangen ge- nommen worden wären? Setze sich Jeder in denselben Fall, und er wird eine solche Dummheit vernünftigen Leuten nicht zu- anuthen." Zur allseitigen Beurtheilung seines Verhaltens sei noch fest- gestellt, daß Herwegh mit der militärischen Leitung der ganzen Sache durchaus nichts zu thun hatte. Es erhellt dies aus§ 1. der Anklageschrift, wo es in Betreff der militärischen Einthei- lung der Legion heißt:„Bei ihrem Einfall in Baden war die Legion 800— 900 Mann stark; ihre Führer waren: Carl Börnstein, Commandant (oder General) en ehest Corvin Wiersbyrsky, Chef des Generalstabs. Wilhelm Löwenfels, Regimentscommandeur. .Führer des I. Bataillons R. Herker. *}•„ Reinhard Schimmelpennig, aus Danzig . „ Carl Mushake aus Berlin . �„ August Delaporte aus Amiens . Herwegh wird also unter den militärischen Führern nicht genannt. Dagegen sagt der Bericht des Generals v. Miller ausdrücklich:„Herwegh begleitete die Legion als Comitemitglied." „Karlsruher Zeitung" Nr. 119 vom 1. Mai 1848. Und das Ergebniß dieser Zusammenstellung? Aus den Zeugnissen ist vor allem klar ersichtlich, was es mit der ganzen Sage für eine Bewandtniß hat: vchre erste Entstehung verdankt sie lediglich dem unmittelbar nach der Niederlage der Republikaner veröffentlichten Bericht des Generals von Miller, der den verhaßten, gefürchteten Gegner Gestalten", nicht häufig sind— beweisen, daß sich der Mann 1 mit jener Versicherung nicht allzu weit von der Wahrheit entfernt hat, und so giebt man ihm denn seine paar„Stuwer", nicht • ohne zugleich auf den zugedachten Genuß seines Stiefelputzens ' oder seiner Begleitung feierlichst Verzicht zu leisten. Ich habe dergleichen Scenen aus dem Straßenleben, wie sie gerade dem Fremden am Allerersten begegnen, stets als ein : ziemlich sicheres Erkennungszeichen für die Lebensverhältnisse der i betreffenden Bevölkerung angesehen. Ich glaube mit Recht. Denn was sind diese herumlungernden und hungernden Menschen anders als die„überschüssigen Hände", für welche das„Kapital" eben keine Verwendung hat, und was anders treibt diese Menschen hinaus auf die Straße, was anders treibt sie zu dieser unwür- digen Aufdringlichkeit und Kriecherei als der große Sklaven- üchter, der Hunger und die tiefste Verwahrlosung? Kann und arf es in einem wirklich geordneten Staatswesen Menschen wie diese geben? Unmöglich. Als sollte es uns immer und überall so recht unter die Nase gerieben werden, wie alles Schöne und alle Annehmlich- keiten des Lebens eben nur für den Reichen da sind, so findet man gerade in jenem Lande, dessen Reinlichkeit ja sprich- wörtlich ist, in den ärmeren Quartieren der Städte und unter der armen Bevölkerung einen Mangel an öffentlicher Salubrität, und deshalb einen Schmutz und eine Häufigkeit von ekelhaften Krankheiten zc., die ihres Gleichen suchen. Mit der holländischen Reinlichkeit ist das genau derselbe Schwindel, wie mit dem holländischen Reichthum. Beide betreffen sie eben nur die Reichen, und will man nicht fabuliren, sondern hübsch der trockenen, nackten Wahrheit die Ehre geben, dann muß man von der „holländischen Reinlichkeit" der Reichen, zugleich aber auch vom „holländischen Schmutz" der Armen sprechen. In der That besteht in Holland zwischen Arm und Reich eine so tiefe soziale Kluft, wie nur irgendwo anders, und der Arme, der es wagt, das Haus des Reichen mit der Bitte um ein Almosen zu betreten, wird zu allererst zur Thür hinaus- geschmissen, damit er durch seine Anwesenheit die„Kamern " nicht verunreinige. Ob er dann was kriegt, bleibt eine Frage für sich. Im Ganzen liebt es der reiche holländische„Heer", die Taschen recht fest zuzuhalten. Je reicher, je fester. Die Lohnarbeiteroerhältnisse angehend, so sind sie hier— wie überall, d. h. denkbarst schlecht. Der Bauhandwerker ver- dient bei einer Arbeit von 12 Stunden circa 2 Gulden(ein Gulden— ca. 1 Mark 70 Pf.), der Maschinenbauer ungefähr ebensoviel(es giebt hier Fabriken mit 1500 Sklaven), in den großen Staatswerften und Docks werden theilweise gar nur 1 bis l'lt Gulden bezahlt. Nicht mehr verdient der Arbeiter in den berühmten Amsterdamer Zuckersicdercien bei sehr schwerer Arbeit. Bemerkenswerth ist, daß die Buchdrucker, die doch bei uns zu den bestbezahltcn Arbeitern gehören, hier im Gegentheil am allerschlechtestcn, viel schlechter z. B. als die Maurer, ab- gelohnt werden. Bei uns motiviren die liberalen Volksunwirthe die bessere Bezahlung des Buchdruckers, ihren Theorien gemäß, mit der höhereu Qualität seiner Arbeit. Und hier? Ist die Typographie hier weniger eine Kunst als bei uns? Ich sehe! hierin nur einen neuen Beweis dafür, daß jeder Stand eben das ist, was— er aus sich zu machen weiß! Wie schlecht die oben angeführten Lohnverhältnisse sind, be- greift man erst, wenn man weiß, daß Amsterdam nur wenig wohlfeiler ist als unser liebes Berlin , bekanntlich heute so ziemlich die theuerste Stadt Europas . Das halbe Kilo Fleisch kostet 12 Stuwer(über 1 Mark), selbst Butter und Käse, von denen man ja glauben sollte, daß sie in Holland fließen, wie im gelobten Lande Milch und Honig flössen, sind sehr„duur". Der Arbeiter kann sich alle diese köstlichen Leckereien kaum gönnen, sondern lebt zumeist— tout comme chez nous— als unfreiwilliger Vegetarianer strengster Observanz. Eine halbwegs menschliche Arbeiterwohnung ist nicht unter ca. 150 fl. zu haben. Meist aber sind sie einfach unmenschlich. Kellerwohnungen sind überaus häufig, und was das in Amsterdam , das bekanntlich wie Venedig mitten im Wasser auf eingerammten Pfählen steht, be- sagen will, kann man sich leicht ausrechnen. Was das flache Land betrifft, so ist es ja auch sehr wahr und sehr richtig, daß da ein ganz ungeheurer Reichthum ver- borgen ist. Der holländische„boer" ist einfach der reichste der Welt. Es giebt unter ihnen solche, die allein in Staatspapieren die Kleinigkeit von 10 Millionen Gulden liegen haben. Aver— nun, es hieße sich wiederholen, wollte ich dieses Aber weiter ausführen. Kurz und gut, der holländische Kleinbauer, der holländische Tagelöhner, der holländische Hirt und Ackerknecht ist ebenso miserabel daran, wie nur irgend einer seiner Leidens- genossen. Daß sein Herr die Millionen im Schrank liegen hat, mit der ganzen Bosheit der Reaktion zu verläumden, zu be- schimpfen kein Bedenken trägt. Ihre rasche Verbreitung verdankt sie der Stimmung der Ge- müther in den schönen Maitagen von 1848, wo die Einen von der Furcht der Republik fast noch heftiger bewegt waren, als die Andern von der Hoffnung derselben. Es genügt hiefür, an den Franzoscnlärm zu erinnern. Die mythische Ausschmückung endlich verdankt sie offenbar Berichten von Augenzeugen über den wirklichen obengeschilderten Hergang während des Treffens, dem unerklärlichen, trotz aller Fang-Prämien glücklichen Entkommen Herwegh's nach demselben und— dem sehr erklärlichen Aerger darüber. Aus diesen Zeugnissen geht ferner positiv und unwiderleg- lich hervor, daß Herwegh das Schicksal der Legion bis zuletzt getheilt hat wie ein braver Kamerad, und daß er bei Dassen- dach seine Pflicht gethan hat als ein muthiger Mann. Und Angesichts dieser vollgilttgen, jedem, dem es um die Wahrheit zu thun ist, leicht zugänglichen Zeugnisse sagte und sage ich: Daß alles Gerede von Herwegh's Flucht Lüge ist, leichtsinnige oder absichtliche Lüge und Verleumdung. Kein ehrlicher Mensch wird mehr an diese Lüge glauben und nur ein Schuft kann sie jetzt noch wiederholen! Littenwiler bei Freiburg i. B., 27. April 1877. Krebs. — Todesfälle durch wilde Thiere. Die britisch-indische Re- gierung verausgabt alljährlich eine Summe von ca. 10,009 Pfd. St., die als Prämien für die Tödtung schädlicher wilder Thiere an die Ein- gebornen bezahlt werden. Im vorigen Jahre wurden nach dem offi- ziellen Ausweife 22,357 wilde Thiere und 270,185 giftige Reptilien ge- lödtet; trotzdem fielen in der bezeichneten Periode in ganz Indien den Tigern, Panthern, Leoparden, Bären, Wölfen, wilden Elephanten und Schlangen nicht weniger als 21,000 Menschen und 48,000 Stück Vieh zum Opfer. In dem Distrikte Chittagong wurden allein gegen 1000 Eingeborene getödtet; im Sesfore-Distrikte(Bengalen) betrug deren Zahl 569. In Madras erlagen 1536 Menschen und 11,934 Stück Vieh den Anfällen wilder Thiere und. dem Schlangenbiß, in Bombay 1072 Menschen und 4792 Thiere; in der Präsidentschaft Bengalen 10,9 l4 Menschen und 8147 Thiere. scheint ihn um nichts glücklicher, oder auch nur satter zu machen. Im Ganzen erachte ich die ländlichen Verhältnisse Hollands denen Holsteins am Aehnlichsten. Kapitalistischer Großbetrieb und seine Folgen, nämlich colossale Bereicherung Weniger einer- seits, Misöre der großen Mehrzahl andererseits; dabei allmählige Berschluckung des kleinen Besitzers durch den großen. Das sind, in flüchtigen Zügen, die thatsüchlichen sozial-öko- nomischen Zustände Hollands . Sind dieselben nun wirklich so arkadisch-gemüthliche zu nennen, daß sich aus ihnen die geringe Ausbreitung der sozialistischen Ideen, d. h. der Bestrebungen nach einer Beseitigung dieser Zustände, zur Genüge erklären läßt? Ich bezweifle es. Ueberhaupt scheint es mir ebenso unrichtig wie unserer Sache nachtheilig, wenn man, wie das in unfern eigenen Reihen so oft geschieht, überall dort, wo es mit der sozialistischen Propaganda nicht recht vorwärts geht, die Schuld in allzuvoreiliger Weise der vermeintlichen Ungunst der wirthschaftlichen Voraussetzungen, unter welchen vor Allem die modern-kapitalistisch-industrielle Entwicklung verstanden wird, ohne die es durchaus keinen Sozialismus geben soll, zuschiebt und damit die eigene Energie und Thatkraft einschläfert. Gerade die letzte Zeit hat die Unrichtigkeit dieser Theorien vielsach dargelegt. Wir sehen Länder, denen kein Mensch die modern-kapitalistische Entwicklung wird nachsagen können, die vielmehr noch in den feudalistischen Kinderschuhen herumlaufen— ich nenne hier nur Rußland , oder, um im lieben deutschen Vaterland zu bleiben, das herrliche Mecklenburg —, mit erstaunlicher Rapcdität vom Gifte des Sozialismus durchtränkt werden, während es in andern Ländern, die zufällig die ersten Industrieländer der Welt sind — ich meine hier natürlich vor Allem England und nebstdem Amerika — eigentlich so gut wie gar nicht vorwärts geht. Mecklenburg ja und England nicht? Erkläret mir, Graf Oerindur! Das stimmt doch wohl nicht. Die Ausbreitung der sozialistischen Ideen muß sich denn doch wohl noch nach andern Gesetzen als den rein ökonomischen regeln. Unzweifelhaft sind dieselben ja von größter Bedeutung. Von nicht geringerer Be- deutung scheint mir auch eine gewisse geistige Disposition, eine gewisse geisttge Atmosphäre zu sein, worunter ich die Emanzipation von den alten Vorurtheilen verstehe, besonders von jenen Mythen und Dogmen, die man Religion nennt und die vorher aus den Köpfen des Volkes ausgerottet sein müssen, ungefähr wie man den Acker von dem wuchernden Unkraut befreien muß. bevor die lebenspendende Frucht darauf gedeihen soll. Daß das Pfaffen- Wesen in England und Amerika noch so mächtig ist, darin sieht man mit Recht die Hauptursache für unsere langsamen Fort- schritte in diesen Ländern. Wovon mir aber die Erfolge der sozialistischen Agitation vor allem andern abhängig zu sein scheinen, das ist einfach— sie selbst, ihre Art und Weise, ihre Geschicklichkeit, ihre Kraft und Energie. Warum ist gerade in Deutschland , dem schläfrigen Deutschland , dem das vor 20. Jahren kein Mensch prophezeit hätte, die sozialistische Bewegung so mächtig angewachsen, daß es heute die Führerrolle darin übernommen, und selbst das urrevolutionäre Frankreich weitaus überholt hat? Was hat, nach den Grundsätzen jener Herren Theoretiker, die, wie mir scheint, ein wenig zu viel, nämlich kurzweg Alles, aus den wirth- schaftlichen Zuständen erklären wollen, Deutschland vor England, vor Frankreich oder Amerika voraus, das es zu dieser Führer- rolle berechtigte? Nichts. Die Sache ist einfach die, daß in Deutschland eine Anzahl tüchtiger, ihatkräftiger Männer, Lassalle und Andere, aufstanden, die die Sache in der richtigen Weise und beim rechten Zipfel anfaßten. Das ist des Pudels Kern. Oder warum— um uns die einzelnen Gegenden Deutschlands anzusehen— ist das wahrhaftig auch nichts weniger als indu- sttiell entwickelte Holstein doch so durch und durch sozialistisch? Eins ach weil es den Vortheil genießt, in unmittelbarer Nähe Hamburgs , eines Hauptkriegslagers des Sozialismus zu liegen, von wo aus es mit unermüdlichem Fleiße bearbeitet wurde und wird. Daß unsere guten Erfolge in Mecklenburg , deren sich kein Mensch versehen hätte, eben der kräftigen Agitation zu ver- danken sind, die neuerlich von Schwerin , von Berlin und Hamburg aus entfaltet wurde, las ich mehrfach in unserer Presse; und auch daß Sachsen eine so feste Burg des Sozialis- mus ist, läßt sich kaum allein aus seinetn zahlreichen industriellen Proletariat ableiten, sondern nicht weniger auch daraus, daß Leipzig in Sachsen liegt. Oder noch besser: Schlesien schien bis vor Kurzem für die sozialistischen Verführungen so gut wie unzugänglich. Ich erinnere mich, noch vor circa zwei Jahren in einem Abonnentenverzeichniß des„Neuen Social-Demokrat" das große Breslau mit ca. 40 Abonnenten aufgeführt gesehen zu haben, während das weit kleinere Altona deren über 2000 auf- wies. Nun, Schlesien ist eben kein geeigneter Boden für den Sozialismus, wird es damals geheißen haben. Punktum, Streu- fand drauf. Doch siehe da, kaum zwei Jahre sind seitdem hin- geschwunden und wie sehr hat sich das Alles geändert! Das „uneinnehmbare" Breslau z. B. ist bei den letzten Wahlen für die Berliner Marioncttcnbude in einer Art und Weise für unsere Sache eingetreten, daß jeder ehrlichen Communistenseele vor freudiger Ueberraschung das Herz im Leibe wackelte. Aus jenen 40 Abonnenten sind ca. 10,000 allein für die„Wahrhnt" ge- worden. Und woher das Alles auf einmal? Hat sich Schlesien in diesen zwei Jahren etwa in erstaunlichem Maße kavitalistisch entwickelt, hat es all diese Massen Proletariats, aus denen sich all diese Wähler und Leser rekruttren, in dieser Zeit neu ge- schaffen, sind dieselben vorher nicht dagewesen? Schwerlich. Wohl aber sind seitdem neue Parteiblätter gegründet, eine kräftige Agitation entwickelt worden, und das ist die höchst ein- fache Ursache, warum aus dem schlesischen Saulus so plötzlich ein Paulus geworden ist. Alle diese und noch manche andere Erfahrungen scheinen mir zur Genüge zu beweisen, was ich oben behauptet habe: daß es nämlich durchaus unrichtig und schädlich ist, wcun man die scheinbare Erfolglosigkeit der sozialistischen Propaganva in irgend einem Lande den angeblichen ungünsttgen sozial-wirthschaftlichen Voraussetzungen zuschiebt und sich damit in eine Art von tür - kischem Fatalismus in das vorgeblich Unabänderliche ergiebt. Das ist zwar sehr bequem, aber auch sehr verkehrt. Ueberall dort, wo es Arme und Reiche, Herren und Knechte, Betrogene und Betrüger giebt, müssen unsre„Hetzereien" nothwendig An- klang finden, sei das nun unter rauchenden Schloten oder unter wogenden Kornfeldern, in den dumpfen Gassen der Städte oder unter weidenden Biehheerden; und da es eben überall Arme und Reiche, Herren und Knechte, Betrogene und Betrüger giebt, so haben wir eben überall von vornherein gewonnenes Spiel. Wo wir es noch nicht gewonnen haben, da liegt das, meiner Ucberzeugung nach, einfach daran, daß entweder das Spiel noch gar nicht begonnen wurde, oder aber daß Die, die es begannen, nicht die rechten, echten Männer waren. Alle Diejenigen, die sich über die Erfolglosigkeit ihrer Bemühungen beklagen, müyen sich, meiner Ansicht nach, vor Allem— über sich selbst be �Kommen wir nach dieser Abschweifnng wieder nach Holland zurück, so findet all das hier Gesagte auf dieses Land seine
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2 (25.5.1877) 60
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